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Neukantianismus

Neukantianismus eine reaktionäre Richtung in der bürgerlichen Philosophie, die unter der Losung der Wiedergeburt der Philosophie Kants den subjektiven Idealismus predigt; sie entstand Mitte des 19. Jahrhunderts in Deutschland, wo zu dieser Zeit das Interesse für den Kantianismus zunahm. Im Jahre 1865 erschien ein Buch von O. Liebmann, „Kant und die Epigonen“, in dem jedes Kapitel mit dem Appell „Zurück zu Kant“ schloss. Liebmann stellte die Aufgabe, den „Grundirrtum“ Kants zu korrigieren, nämlich die Annahme der Existenz der „Dinge an sich“. Zur Wiedergeburt des Kantianismus trugen die Arbeiten von K. Fischer und E. Zeller bei; einer der frühen Vertreter des Neukantianismus war F. A. Lange, der versuchte, die Physiologie zur Begründung des Agnostizismus auszunutzen.

Später bildeten sich innerhalb des Neukantianismus im Wesentlichen zwei Schulen heraus: die Marburger (H. Cohen, P. Natorp u. a.) und die Freiburger oder Badische (W. Windelband, H. Rickert u. a.). Die erste begründete den Idealismus mit der Spekulation auf die Erfolge der Naturwissenschaft, insbesondere auf das Eindringen mathematischer Methoden in die Physik; die zweite stellte der Naturwissenschaft die Gesellschaftswissenschaften gegenüber und bemühte sich nachzuweisen, dass die historischen Erscheinungen völlig individuell sind und keinerlei Gesetzmäßigkeiten unterliegen. Die Grundfrage der Philosophie ersetzten beide Schulen durch die Frage nach den logischen Grundlagen der Wissenschaft. Die Neukantianer kritisierten Kant „von rechts“, indem sie das „Ding an sich“ zum „Grenzbegriff“ erklärten, dem die Erkenntnis zustrebe. Sie leugneten die objektive Existenz der materiellen Welt und betrachteten als Gegenstand der Erkenntnis nicht die Gesetzmäßigkeiten in Natur und Gesellschaft, sondern lediglich die Bewusstseinserscheinungen. Zum Unterschied von dem Agnostizismus der Naturforscher war der Agnostizismus der Neukantianer kein „verschämter Materialismus“, sondern eine Spielart des Idealismus, er behauptete, die Wissenschaft sei ohnmächtig bei der Erkenntnis und Veränderung der Wirklichkeit. Die Neukantianer traten offen gegen den Marxismus auf und stellten ihm einen „ethischen Sozialismus“ entgegen. Im Einklang mit ihrer Erkenntnistheorie erklärten sie den Sozialismus für das „ethische Ideal“ menschlichen Zusammenlebens, dem die Menschheit entgegenstrebe, das zu erreichen sie jedoch nicht imstande sei. Diese „Theorie“ der Neukantianer wurde von den Revisionisten unter Führung von Eduard Bernstein aufgegriffen, der die Losung aufstellte: „Die Bewegung ist alles, das Endziel nichts“. Der Neukantianismus war eine der philosophischen Grundlagen der II. Internationale. In Russland wurden Versuche, den Neukantianismus mit dem Marxismus zu „vereinigen“, von den „legalen Marxisten“ unternommen. Gegen die neukantianische Revision des Marxismus traten G. W. Plechanow, Paul Lafargue und Franz Mehring auf. W. I. Lenin deckte den reaktionären Charakter des Neukantianismus auf und zeigte seinen Zusammenhang mit anderen Richtungen der bürgerlichen Philosophie (mit den Immanenzphilosophen, dem Machismus, Pragmatismus usw.).

Gegenwärtig gruppieren sich die Vertreter des Neukantianismus um die in Westdeutschland (Köln) erscheinende Zeitschrift „Kantstudien“.

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