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Wladimir I. Lenin 19180429 Sitzung des Allrussischen Zentralexekutivkomitees

Wladimir I. Lenin: Sitzung des Allrussischen Zentralexekutivkomitees

29. April 19181

[Zum ersten Mal veröffentlicht in dem Buche „Protokolle der Sitzungen des IV. Allrussischen Zentralexekutivkomitees. Stenographischer Bericht", Staatsverlag 1920. Nach Sämtliche Werke, Band 22, Zürich 1934, S. 535-572]

I. Referat über die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht

Genossen! Ich muss in Bezug auf mein Referat heute die Frage etwas ungewöhnlich stellen. Die Sache ist die, dass das eigentliche Referat mein Aufsatz über die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht ist, der am Sonntag in zwei Zeitungen erschienen ist, und ich darf wohl annehmen, dass er der Mehrheit der Anwesenden bekannt ist.

Deshalb bin ich der Auffassung, dass es jetzt keinen Zweck hat zu wiederholen, was ich dort in dem Referat gesagt habe, und dass ich mich lediglich auf Ergänzungen und Erläuterungen zum Referat beschränken kann. Ich glaube, dass die geeignetste Form dieser Erläuterungen jetzt die Polemik sein dürfte, weil die Frage, die ich in diesen Thesen über die nächsten Aufgaben behandelte, nichts anderes ist als eine Erweiterung der Resolution, die bereits vom Allrussischen Außerordentlichen Kongress in Moskau am 16. März angenommen worden ist, einer Resolution, die sich nicht auf die damals akute Frage des Friedens beschränkte, sondern auch die Hauptaufgabe des gegenwärtigen Augenblicks, die organisatorische Aufgabe, die Aufgabe der Selbstdisziplin, die Aufgabe des Kampfes gegen die Desorganisation hervorhob.

Und mir scheint, dass auf diesem Boden in der letzten Zeit besonders klar unsere politischen Strömungen oder Hauptrichtungen unserer politischen Strömungen hervorgetreten sind. Deshalb glaube ich, kann man in der polemischen Form am anschaulichsten das bekräftigen, was ich in positiver Form in dem Aufsatz über die nächsten Aufgaben zu schildern versucht habe.

Genossen! Wenn man auf die politischen Strömungen des jetzigen Russland einen Blick wirft, so steht man vor allen Dingen – auch hier, wie immer, um sich in der Einschätzung nicht zu irren – vor der Aufgabe, alle politischen Strömungen in ihrer Gesamtheit zu betrachten, denn nur so, nur unter dieser Bedingung können wir uns vor Fehlern bei der Heranziehung einzelner Beispiele bewahren. Es versteht sich dass man so viel Beispiele als man will zur Bestätigung jeder beliebigen Behauptung finden kann. Aber nicht darum handelt es sich. Wir können nur unter dieser Bedingung versuchen, den Zusammenhang zwischen den Geschicken der politischen Strömungen im Lande – diese Strömungen als Ganzes genommen – und zwischen den Geschicken der Klasseninteressen aufzuklären, die stets in großen, ernsten und mächtigen politischen Strömungen hervortreten, wenn wir diese Strömungen als Ganzes, wenn wir sie in ihrer Gesamtheit betrachten.

Und wenn man auf die großen politischen Strömungen in Russland einen Blick wirft, so glaube ich, kann man nicht bestreiten, dass sie ganz klar und unstreitig sich in drei große Gruppen gliedern. In der ersten haben wir die gesamte Bourgeoisie, die sich, wie ein Mann fest zusammengeschlossen hat zur entschiedensten, wenn man so sagen darf, rücksichtslosen „Opposition" gegen die Sowjetmacht. Opposition natürlich in Gänsefüßchen, denn hier haben wir in Wirklichkeit einen wütenden Kampf, der jetzt alle jene kleinbürgerlichen Parteien auf die Seite der Bourgeoisie gezogen hat, die im Laufe der Revolution mit Kerenski unter einer Decke steckten – die Menschewiki, die Leute von der „Nowaja Schisn" und die rechten Sozialrevolutionäre, die in Bezug auf die Heftigkeit ihrer Angriffe gegen uns sogar die Bourgeoisie übertroffen haben; denn es ist bekannt, dass sehr oft die Schärfe der Angriffe und die Stärke des Gebells in einem umgekehrt proportionalen Verhältnis stehen zu der Stärke der politischen Elemente, von denen die scharfen Angriffe ausgehen.

Die gesamte Bourgeoisie, alle ihre Nachbeter und Lakaien vom Schlage Tschernows und Zeretelis waren sich einig bei ihren wütenden Angriffen gegen die Sowjetmacht. Sie alle sehnen sich nach jener angenehmen Perspektive, die ihre Freunde, ihre politischen Gesinnungsgenossen in der Ukraine zur Wirklichkeit gemacht haben, sehnen sich nach einem Friedensschluss, der ihnen die Möglichkeit gäbe, mit dem deutschen Bajonett und mit Hilfe der Bourgeoisie den Einfluss der Bolschewiki zu brechen. Das ist nur allzu gut bekannt. (Ein ausgezeichnetes Beispiel solcher Freunde haben wir in der Person Tschchenkelis im Kaukasus. Alle erinnern sich daran aus den Zeitungen.

Es ist verständlich, dass das Proletariat, das die Macht ergriffen und die Diktatur der Werktätigen, die Diktatur der Ärmsten gegen die Ausbeuter durchzuführen begonnen hat, natürlich nichts anderes zu erwarten hatte.

Einerseits haben wir einen Flügel, eine Front, die völlig einig ist. Wenn man uns mitunter Phantasien über eine demokratische Einheitsfront präsentiert, so denke ich, wenigstens in den seltenen Minuten, wo man bürgerliche Zeitungen in die Hände nimmt, in dem seltenen Fall, wo man das Vergnügen hat, solche Zeitungen zu lesen, wie „Nasch Wjek", „Djelo Naroda" usw., wenn ich alle diese Zeitungen nur durchblicke, so denke ich stets, was brauchen sie eigentlich noch mehr für die Einheit der demokratischen Front?

Diese ganze Einheit der demokratischen Front bei ihnen ist die vollständigste, und wir können uns nur über diese Einheit freuen, denn wenn Brocken dieser bürgerlichen Publizistik unter die Massen geraten, so wirken sie nicht als Einheit der demokratischen Front, sondern als Einheit der Angriffe gegen die Bolschewiki. Und diese Einheitsfront, von Miljukow bis Martow, verdient es, dass wir ihr zum 1. Mai eine Dankschrift für die ausgezeichnete Propaganda zugunsten der Bolschewiki überreichen.

Genossen, wenn ihr das andere, entgegengesetzte Lager nehmt, so werdet ihr jetzt in diesem Lager nur unsere Partei, die Partei der Kommunisten-Bolschewiki sehen. Die Ereignisse haben sich so gestaltet, dass unsere Verbündeten während des größten Teiles der Nachoktoberperiode, die linken Sozialrevolutionäre, sich gegenwärtig von der formellen Teilnahme an der Macht zurückgezogen haben. Ihr letzter Parteitag2 zeigte besonders deutlich die außerordentlichen Schwankungen in dieser Partei, und das ist jetzt anschaulicher als irgend jemals hervorgetreten, obwohl diese Partei auch in der Presse ihre vollkommene Kopflosigkeit und ihr ewiges Schwanken offenbart.

Wenn man auf den Gedanken käme, eine Kurve aufzustellen, die zeigt, wie diese Partei seit Februar 1917 natürlich vor der Spaltung der Sozialrevolutionäre in einen linken und rechten Flügel –, wenn man auf den Gedanken käme, eine Kurve aufzustellen, die Monat für Monat zeigt, auf welcher Seite diese Partei stand, auf der Seite des Proletariats oder auf der Seite der Bourgeoisie, wenn man diese Kurve für das ganze Jahr aufstellen wollte, so würden wir eine Kurve erhalten, die eine Art Kranken-Urkunde wäre und bei deren Betrachtung jeder sagen würde: ein erstaunliches, ein erstaunlich hartnäckiges Fieber!

In der Tat, in der Geschichte der Revolution hat wohl kaum irgendeine Partei solche ständigen, unaufhörlichen Schwankungen durchgemacht.

Und wenn wir alle diese drei Hauptströmungen betrachten, so wird es für uns klar, dass diese Gruppierung keine zufällige ist, dass sie vollkommen das bestätigt, worauf die Bolschewiki im Jahre 1915 noch aus dem Ausland hingewiesen haben, als die ersten Nachrichten darüber eintrafen, dass die Revolution in Russland heranreife, dass sie unvermeidlich sei. Und als wir auf die Fragen zu antworten hatten: in welche Lage wird die Partei kommen, wenn die Ereignisse sie noch während des Krieges an die Macht bringen? – da sagten wir: es ist möglich, dass die Revolution einen entscheidenden Sieg davontragen wird. Das ist möglich vom Klassenstandpunkt, wenn in den entscheidenden Augenblicken, an den entscheidenden Punkten, die führenden Elemente der Kleinbourgeoisie zum Proletariat hinüber schwanken werden. Es ist auch buchstäblich so gekommen, so hat sich die Geschichte der russischen Revolution entwickelt und so entwickelt sie sich jetzt. Gewiss, diese Schwankungen der kleinbürgerlichen Elemente können nicht im Geringsten irgendeinen Anlass zu Pessimismus, geschweige denn Verzweiflung geben. Und es ist begreiflich, dass die Revolution in einem Lande, das früher gegen den imperialistischen Krieg Front gemacht hat als die anderen Länder, dass die Revolution in einem rückständigen Lande, das durch die Ereignisse, zum großen Teil wegen der Rückständigkeit dieses Landes, natürlich auf kurze Zeit und natürlich in einzelnen Fragen an die Spitze der anderen, fortgeschritteneren Länder gestellt wurde, dass natürlich diese Revolution unvermeidlich dazu verurteilt ist, die schwierigsten und in nächster Zukunft die unerfreulichsten Momente durchzumachen. Dass die Revolution in solchen Momenten ihre Front und ihre Hilfstruppen halten werde, dass es keine Schwankenden geben werde – das wäre ganz widernatürlich. Das würde bedeuten, dass man mit dem Klassenumsturz, mit den Parteien und politischen Gruppierungen absolut nicht rechnet.

Und wenn wir jetzt die Gesamtheit der politischen Strömungen in Russland vom Standpunkt der Aufgaben des Augenblicks betrachten, von dem Standpunkt, wie die wirklich aktuellsten und dringendsten Aufgaben uns gestellt werden, die Aufgaben der Organisation, der Disziplin, die Aufgaben der Rechnungslegung und Kontrolle, so sehen wir, dass in dem Lager, das die Einheitsfront von Miljukow bis Martow umfasst, nicht der geringste Versuch unternommen worden ist, diese Aufgabe prinzipiell zu würdigen. Das ist nicht der Fall und kann auch nicht der Fall sein, weil dort nur der einzige böswillige Wunsch vorhanden ist, – und je böswilliger, desto ehrenhafter für uns –, irgendeine Möglichkeit oder ein Anzeichen oder eine Andeutung auf den Sturz der Sowjetmacht zu finden – nichts weiter. Und die Vertreter der Partei der linken Sozialrevolutionäre haben, trotz der großen Treue einer ganzen Reihe von Mitgliedern dieser Partei zur Revolution, die stets sehr viel Initiative und Energie gezeigt haben, gerade in der Frage der nächsten Aufgaben in der gegenwärtigen Lage, in der Frage der proletarischen Disziplin, Rechnungslegung, Organisation und Kontrolle zu schwanken angefangen – bei den Aufgaben, die für Sozialisten eine Selbstverständlichkeit wurden, als die Macht erobert war, als die militärischen Attacken der Kerenski und Krassnow bis auf Kornilow, Gegetschkori und Alexejew zurückgeschlagen worden waren.

Jetzt, wo wir zum ersten Mal in das Innerste der Entwicklung der Revolution eingedrungen sind, handelt es sich darum, ob die proletarische Disziplin und Organisation oder die Zügellosigkeit der kleinbürgerlichen Eigentümer siegen wird, die in Russland besonders stark ist.

Das wichtigste Kampffeld gegen uns ist für unsere Gegner aus dem kleinbürgerlichen Lager das Gebiet der inneren Politik und des wirtschaftlichen Aufbaus. Ihre Waffe ist – die Untergrabung alles dessen, was das Proletariat dekretiert und beim Aufbau der organisierten sozialistischen Wirtschaft durchzuführen sucht. Hier tritt die kleinbürgerliche Anarchie – die Anarchie der kleinen Eigentümer und des zügellosen Egoismus – als entschiedener Feind des Proletariats auf.

Und in dieser Kurve, die die Kleinbourgeoisie während der ganzen Ereignisse der Revolution beschrieben hat, sehen wir die schärfste Abkehr von uns. Es ist klar, dass wir hier, in diesem Lager, die Hauptopposition gegen die nächsten, brennendsten Aufgaben des Augenblicks in einem genaueren Sinne des Wortes, haben. Hier haben wir eine Opposition von Leuten, die prinzipiell mit uns übereinstimmen, die uns mehr in den grundlegenden Fragen unterstützen, als sie uns in anderen kritisieren – eine Opposition, die mit Unterstützung verbunden ist.

Wir wundern uns nicht darüber, wenn wir in den Spalten der Presse der linken Sozialrevolutionäre solche Erklärungen finden, wie in der „Snamja Truda" vom 25. April.3 In dieser Erklärung heißt es: „Die rechten Bolschewiki sind Ratifikatoren" (eine furchtbar verächtliche Kritik). Wie wäre es, wenn man einen umgekehrten Spitznamen für die Kriegerischen prägen wollte? Würde er einen weniger schrecklichen Eindruck machen? Und wenn man nun auf solche Strömungen innerhalb des Bolschewismus stößt, so hat das etwas zu bedeuten. Gerade am 25. April habe ich Thesen in einer Zeitung gesehen, die uns eine politische Charakteristik gab. Alis ich diese Thesen las, dachte ich: ist das nicht jemand aus der Zeitung der linken Kommunisten „Kommunist" oder aus ihrer Zeitschrift? – Hier ist so viel ähnliches. Aber ich erlebte eine Enttäuschung, denn es stellte sich heraus, dass diese Thesen von Issuw stammten und in der Zeitung „Wperjod" veröffentlicht worden waren.4

Genossen, wenn man solche politischen Erscheinungen beobachtet, wie die Solidarität der „Snamja Truda" mit einer besonderen Strömung des Bolschewismus oder mit irgendwelchen formulierten menschewistischen Thesen jener Partei, die eine Politik des Blocks mit Kerenski getrieben hat, jener Partei, in der Zereteli die Kompromisspolitik mit der Bourgeoisie durchgeführt hat, so findet man Angriffe, die buchstäblich mit denen identisch sind, die wir von der Gruppe der linken Kommunisten und ihrer Zeitschrift zu hören bekommen. Hier stimmt irgend etwas nicht, hier fällt ein Licht auf die wirkliche Bedeutung dieser Angriffe. Die Angriffe aber verdienen unsere Beachtung schon allein deswegen, weil wir hier die Möglichkeit haben, die Hauptaufgaben der Sowjetmacht in einem Streit mit Leuten zu würdigen, mit denen es interessant ist zu streiten, denn wir haben es hier mit marxistischer Theorie zu tun, berücksichtigen die Bedeutung der Ereignisse der Revolution und sehen den unbedingten Wunsch, die Wahrheit zu finden. Hier bildet die Hauptgrundlage für den prinzipiellen Streit die Treue zum Sozialismus und die zweifellose Entschlossenheit, für das Proletariat und gegen die Bourgeoisie Partei zu ergreifen, ganz gleich, welche Fehler – nach der Ansicht dieser oder jener Personen, Gruppen oder Strömungen – das Proletariat in seinem Kampfe gegen die Bourgeoisie macht.

Wenn ich sage, dass es interessant ist mit ihnen zu streiten, so verstehe ich natürlich unter einem interessanten Streit mit ihnen keine Polemik, sondern, dass diese Frage einen Streit betrifft, der die wichtigste, grundlegendste Frage der Gegenwart ist. Es ist kein Zufall, keine Laune, dass gerade auf diesem Boden der Streit vor sich geht. Nein. Der Streit geht auf dem Boden vor sich, auf dem alles in der russischen Revolution vor sich geht, gerade auf dem Boden, auf dem jetzt die fundamentale Aufgabe des revolutionären Kampfes des disziplinierten Proletariats wirklich objektiv gestellt wird; bei der ganzen Schwäche, die durch die Verhältnisse Russlands bedingt ist, wenn man es mit anderen Ländern vergleicht; bei der Unmenge der verschiedensten kleinbürgerlichen Strömungen; bei der ganzen Notwendigkeit für das Proletariat, sich zu sagen, dass es in diesem Punkte keine Zugeständnisse machen kann; denn die sozialistische Revolution begann damit, dass das Proletariat der Bourgeoisie die Macht entriss, und setzte ihr Werk damit fort, dass das Proletariat jeden Widerstand der Bourgeoisie brach; denn es muss die Fragen der Disziplin, der Organisation, der Führung der Werktätigen mit strenger Sachlichkeit und Kenntnis der Interessen der Großindustrie praktisch lösen, sonst wird es eine Niederlage erleiden. – Hier haben wir die wichtigste, wirkliche Schwierigkeit der sozialistischen Revolution. Gerade deshalb ist es so interessant, so wichtig, im historischen und politischen Sinne des Wortes, mit den Vertretern der Gruppe der linken Kommunisten zu streiten, obwohl wir, wenn wir ihren Standpunkt und ihre Theorie nehmen und prüfen, in dieser Theorie – ich wiederhole das nochmals und werde es gleich beweisen – nichts anderes finden als dieselben kleinbürgerlichen Schwankungen. Die Genossen von der Gruppe der linken Kommunisten – ganz gleich wie sie sich nennen mögen – treffen vor allen Dingen ihre eigenen Thesen. Ich nehme an, dass auch der großen Mehrheit der Versammelten ihre Auffassungen bekannt sind, weil wir sie in bolschewistischen Kreisen im Grunde genommen seit Beginn des Monats März diskutiert haben, und auch wer sich nicht für die große politische Literatur interessierte, musste sie kennen, musste sie im Zusammenhang mit den Streitigkeiten diskutieren, die sich auf dem letzten Allrussischen Rätekongress entsponnen hatten.

Und nun sehen wir vor allem in ihren Thesen dasselbe, was wir jetzt in der gesamten Partei der Sozialrevolutionäre sehen„ dasselbe, was wir jetzt auch im rechten Lager sehen, und im Lager der Bourgeoisie, von Miljukow bis Martow, für die die jetzige schwere Lage Russlands besonders drückend ist vom Standpunkt des Verlustes seiner Großmachtstellung, vom Standpunkt der Umwandlung Russlands aus einer alten Nation, aus einem Unterdrückerstaat in ein unterdrücktes Land, von dem Standpunkt, wo man schon nicht mehr auf dem Papier, sondern in der Praxis die Frage entscheiden muss: lohnt sich der schwere Weg zum Sozialismus, die Last der begonnenen sozialistischen Revolution, wenn das Land sogar die schwierigste Situation in Bezug auf seine Staatlichkeit, seine nationale Unabhängigkeit durchmacht?

Hier geht am schärfsten die Trennung vor sich zwischen denen, für die jene staatliche Selbständigkeit und Unabhängigkeit – die für die gesamte Bourgeoisie das Ideal, die Grenze, das Allerheiligste ist – die Grenze bildet, die man nicht überschreiten darf und deren Durchbrechung gleichbedeutend ist mit der Verneinung des Sozialismus, und denen, die sagen„ dass die sozialistische Revolution in der Epoche des tollen Gemetzels der Imperialisten wegen der Aufteilung der Welt nicht ohne die schwerste Niederlage für viele Nationen, die früher als Unterdrückernationen galten, vor sich gehen kann und dass Sozialisten, zielbewusste Sozialisten, wie schwer es auch für die Menschheit sein mag, zu allen diesen Prüfungen bereit sein werden.

Auf dieser am allerwenigsten annehmbaren Basis, auf dieser Basis schwankten am meisten die linken Sozialrevolutionäre, und gerade auf dieser Basis bewegen sich, wie wir sehen, die meisten Erörterungen der linken Kommunisten.

Jetzt kehren sie in ihren Thesen, die sie, wie wir wissen, am 4. April zusammen mit uns diskutiert und am 20. April veröffentlicht haben5, – bisher kehren sie immer wieder zur Frage des Friedens zurück.

Die größte Aufmerksamkeit widmen sie der Einschätzung der Friedensfrage. Auf diese Weise bemühen sie sich, den Beweis zu erbringen, dass der Frieden der Ausdruck der Psychologie der ermüdeten und deklassierten Masse sei.

Wie komisch sind ihre Argumente, wenn sie anführen, dass 18 gegen und 28 für den Friedensschluss waren. Wenn man Ziffern anführt, wenn man an eine Abstimmung erinnert, die vor anderthalb Monaten stattgefunden hat, muss man da nicht Ziffern aus der näheren Vergangenheit nehmen? Wenn man dieser Abstimmung eine politische Bedeutung beilegt, muss man da nicht an die Abstimmung des Allukrainischen Rätekongresses erinnern, bevor man die Behauptung aufstellt, dass der gesunde Süden gegen den Frieden, der müde, deklassierte, industriell geschwächte Norden aber angeblich für den Frieden war. Muss man nicht an die Abstimmung der Mehrheit der Fraktion auf dem Allrussischen Rätekongress erinnern, in der auch nicht ein Zehntel der Stimmen gegen den Frieden war. Wenn man Ziffern anführt und ihnen eine politische Bedeutung beilegt, so muss man die politische Abstimmung in ihrer Gesamtheit nehmen, dann wird man sofort sehen, dass die Parteien, die bestimmte Losungen auswendig lernten und diese Losungen zu ihrem Fetisch machten, bei der Kleinbourgeoisie landeten, während die Masse der Werktätigen und Ausgebeuteten, die Masse der Arbeiter, Soldaten und Bauern den Frieden nicht ablehnte.

Und jetzt, wo man uns, zugleich mit der Kritik dieses Friedensstandpunktes weismachen will, dass angeblich die müden deklassierten Massen dafür waren, wo wir klar sehen, dass gerade die deklassierte Intelligenz gegen den Frieden war, wo man uns eine Einschätzung der Ereignisse gibt, die ich in den Zeitungen lese – diese Tatsache zeigt uns, dass die Mehrheit unserer Partei in der Frage des Friedensschlusses absolut recht hatte, wenn wir, als man uns sagte, dass die Sache nicht der Mühe wert sei, dass sich alle Imperialisten bereits gegen uns zusammengeschlossen hätten, dass sie uns sowieso erdrosseln, uns in eine schmähliche Lage bringen werden usw., dennoch Frieden geschlossen haben. Sie hielten ihn nicht nur für eine Schande, sie halten ihn für nutzlos. Man sagte uns, dass wir keine Atempause bekommen werden. Und als wir darauf antworteten: man kann nicht wissen, wie sich die internationalen Verhältnisse gestalten werden, wir wissen jedoch, dass die imperialistischen Feinde sich raufen – da haben die Ereignisse das bestätigt, und die Gruppe der linken Kommunisten, unserer ideellen und prinzipiellen Gegner, die im Großen und Ganzen auf dem Standpunkt des Kommunismus stehen, hat das zugegeben.

Dieser eine Satz ist eine völlige Anerkennung der Richtigkeit unserer Taktik und eine völlige Verurteilung der Schwankungen in der Friedensfrage, die einen bestimmten Flügel unserer Anhänger am meisten abgestoßen haben, sowohl den ganzen Flügel, der sich um die Partei der linken Sozialrevolutionäre gruppierte, als auch den Flügel, der in unserer Partei war, noch ist und, man kann wohl mit Gewissheit sagen, nicht bleiben wird, und der bei seinen Schwankungen besonders deutlich den Ursprung dieser Schwankungen offenbart. Ja, der Friede, den wir bekommen haben, ist außerordentlich unsicher, die Atempause, die wir erhalten haben, kann jeden Tag sowohl vom Westen als auch vom Osten zunichte gemacht werden, – daran kann nicht gezweifelt werden. Unsere internationale Lage ist so kritisch, dass wir alle Kräfte anstrengen müssen, um uns möglichst lange zu halten, bis die Revolution im Westen heranreift, die viel langsamer heranreift als wir es erwarteten und wünschten, aber ohne Zweifel heranreift. Sie häuft zweifelsohne immer mehr und mehr Explosivstoffe auf.

Und wenn wir auch nur eine der vielen Chancen prüfen, dass dieses Ringen der imperialistischen Riesen fortdauert, wenn wir eine Politik des Proletariats treiben, die das Kräfteverhältnis abwägt, die zu einem fernen und schwierigen Ziel führt, das für uns absolut unerreichbar ist, wenn wir den Standpunkt der Kleinbourgeoisie einnehmen wollten, für die es wichtig ist, ihre Ausbeuter zu stürzen, ihnen einen Denkzettel zu erteilen, sie zu zertreten, zu vernichten, wie letzten Endes die französische Revolution es mit den Gutsbesitzern und Kapitalisten getan hat, ohne sie zu stürzen – wenn wir denselben Standpunkt einnehmen wollten, dann müsstet ihr diese Bourgeoisie vernichten, um euer Banner nicht zusammenzurollen, wie sich Leute ausdrücken, die bei ihrer Verteidigung fähig sind und es lieben – meiner Ansicht nach – zu leeren Phrasen zu greifen, ihrer eigenen Ansicht nach aber zu revolutionären Losungen; wenn wir, als einzelner Trupp des Weltproletariats, als erster Trupp, nicht infolge eigener Verdienste an die erste Stelle gerückt sind, nicht deshalb, weil dieser Trupp besser organisiert ist, sondern – obwohl er schlechter, schwächer, weniger organisiert ist, als die anderen – er ist an die erste Stelle gerückt, weil die Geschichte sich nicht rational entwickelt –, so wäre es der größte Unsinn und Pedantismus, so zu urteilen, wie viele: nun ja, wenn der am besten organisierte Trupp das Werk begonnen hätte, ihm ein weniger organisierter Trupp und dann ein noch weniger organisierter Trupp gefolgt wäre, dann wären wir Helfer der sozialistischen Revolution. Aber wenn die Geschichte uns dieses Vergnügen nicht bereitet und ihre irrationale Taktik eingeschlagen hat? Ja, so zu urteilen, wäre unsinnig. Und dann erklärt man – es ist nicht so gekommen, wie wir auf Grund der Bücher erwartet haben und wie wir es in den Büchern gelesen haben. Es ist Unsinn – grob ausgedrückt –, zu glauben, dass die Revolution zum Untergang verurteilt sei, weil der Vortrupp nicht von den übrigen Abteilungen unterstützt worden ist. Wir aber sagen: nein, unsere Aufgabe ist es, die gesamte Organisation zu ändern. Unsere Aufgabe darf man nicht vorwiegend von dem Standpunkt betrachten, dass die Bourgeoisie endgültig vernichtet werden muss, sondern von dem Standpunkt, wie man die Revolution behaupten, wie man wenigstens eine gewisse Festung des Sozialismus für sie erhalten kann – wie schwach und gering sie auch, sein mag –, bis die Revolution in den anderen Ländern heranreift, bis die anderen Abteilungen heran marschieren. Wer aber auf dem Standpunkt steht, dass die Geschichte die sozialistischen Trupps der verschiedenen Länder in strenger Aufeinanderfolge und Planmäßigkeit in Bewegung setzen muss, der hat keine Ahnung von der Revolution.

In dem Augenblick, wo wir uns klargemacht, wo wir bewiesen haben, dass wir eine feste Basis in Russland besitzen, und dass wir gegen den internationalen Imperialismus keine Kräfte haben, ist unsere Aufgabe nur eine: unsere Taktik muss eine Taktik des Lavierens, des Abwartens und Zurückziehens sein. Ichs weiß sehr gut, dass diese Worte nicht auf Popularität rechnen können, und wenn man sie herausgreift und mit dem Wort Koalition in Zusammenhang bringt, so entsteht hier die breiteste Möglichkeit für pikante Vergleiche, für alle möglichen Vorwürfe und für allen möglichen Spott, aber wie sehr auch unsere Feinde, die Bourgeois von rechts, und unsere gestrigen Freunde., die linken Sozialrevolutionäre und unsere – ich bin dessen gewiss – gestrigen, heutigen und morgigen Freunde, die linken Kommunisten, die Schärfe ihres Witzes dagegen richten, und was für Beweise ihrer kleinbürgerlichen Schwankungen sie auch erbringen, diese Tatsachen können sie nicht widerlegen. Die Ereignisse haben uns recht gegeben, wir haben eine Atempause nur deshalb bekommen, weil im Westen das imperialistische Gemetzel weitergeht, während im Fernen Osten die imperialistische Rivalität sich immer mehr entfacht. Nur dadurch erklärt sich die Existenz der Sowjetrepublik, zunächst eine sehr schwache Schnur, an der wir uns in diesem politischen Augenblick festhalten. Gewiss, uns wird nicht ein Papierchen, nicht der Friedensvertrag schützen, auch nicht der Umstand, dass wir keinen Krieg mit Japan führen wollen. Es ist richtig, dass Japan ohne Rücksicht auf irgendwelche Verträge oder Formalitäten plündert. Uns wird natürlich kein papierner Vertrag oder „Friedenszustand" schützen, uns wird der weiter fortdauernde Kampf zwischen den Imperialisten schützen sowie unsere Ausdauer, wenn wir vom Standpunkt der internationalen Revolution imstande sein werden … wenn wir nicht die wichtigste marxistische Lehre vergessen, die die russische Revolution so anschaulich bestätigt hat: man muss die Kräfte von Dutzenden Millionen in Rechnung stellen. Weniger gilt in der Politik nicht, weniger wirft die Politik beiseite als eine Größe, die ohne jede Bedeutung ist. Wenn wir von diesem Standpunkt einen Blick auf die internationale Revolution werfen, so ist die Sache absolut klar: ein rückständiges Land kann mit Leichtigkeit anfangen, weil sein Feind zersetzt, weil seine Bourgeoisie unorganisiert ist, aber um das Werk fortzuführen, bedarf es hunderttausend Mal mehr Umsicht, Vorsicht und Ausdauer. In Westeuropa wird das anders sein, dort ist es unendlich schwieriger, den Anfang zu machen, dort ist es unendlich leichter, die Sache weiterzuführen. Das kann auch nicht anders sein, weil dort das Proletariat organisiert und geschlossen dasteht, weil es dort, in Frankreich und England, viele, viele Jahre lang einen politischen Kampf führt. Solange wir uns in einer solchen Lage befinden, müssen wir, indem wir die Kräfte in Rechnung stellen, uns sagen: wir haben eine einzige Chance, solange die europäische Revolution noch nicht ausgebrochen ist, die uns von allen Schwierigkeiten befreien wird. Unsere einzige Chance ist – die Fortdauer des Kampfes der internationalen imperialistischen Riesen. Diese Chance haben wir richtig in Rechnung gestellt, diese Chance haben wir für einige Wochen uns zunutze gemacht, aber sie kann morgen verschwinden. Daraus ergibt sich die Schlussfolgerung: in unserer Außenpolitik müssen wir fortsetzen, was wir seit dem März begonnen haben und was man mit den Worten formulieren kann: lavieren, sich zurückziehen, abwarten. Wenn man in diesem linken „Kommunist" die Worte „aktive Außenpolitik" findet, wenn man dort den Ausdruck Verteidigung des sozialistischen Vaterlandes in Gänsefüßchen setzt6, die ironisch gemeint sind, dann sage ich mir: diese Leute haben absolut nichts von der Lage des westlichen Proletariats begriffen. Wenn sie sich auch linke Kommunisten nennen, sie gleiten auf den Standpunkt der schwankenden Kleinbourgeoisie herab, die in der Revolution die Sicherung der Ordnung sucht. Die internationalen Verhältnisse zeigen ganz klar: der Russe, der auf den Gedanken käme, die Aufgabe des Sturzes des internationalen Imperialismus zu stellen, und dabei nur von den russischen Kräften ausginge, wäre ein Mensch, der den Verstand verloren hat. Solange aber dort, im Westen, die Revolution heranreift, wenn sie auch jetzt schneller heranreift als gestern, ist unsere Aufgabe nur folgende: wir sind ein schwacher Trupp, ein Trupp, der trotz seiner Schwäche an die Spitze gerückt ist, unsere Aufgabe besteht darin, alles zu tun, jede Chance auszunützen. Alle übrigen Erwägungen müssen der einen Erwägung untergeordnet werden: die Chance vollständig ausnützen, um den Augenblick, wo der internationale Imperialismus sich gegen uns zusammenschließt, um diesen Augenblick um einige Wochen hinauszuschieben. Wenn wir so handeln, dann werden wir einen Weg einschlagen, den jeder klassenbewusste Arbeiter in den europäischen Ländern billigen wird, denn er weiß, dass das, was wir erst seit 1905 gelernt haben, und was man in Frankreich und England sich im Laufe von Jahrhunderten angeeignet hat –, er weiß, wie langsam die Revolution in der freien Gesellschaft der vereinigten Bourgeoisie heranreift, er weiß, dass man gegen solche Kräfte ein Agitationsbüro schaffen muss, das im wahren Sinne des Wortes Propaganda treiben wird, wenn wir Schulter an Schulter mit dem aufständischen deutschen, französischen, englischen Proletariat stehen werden. Bis dahin, wie traurig das auch sein mag, wie sehr das auch den revolutionären Traditionen zuwiderlaufen mag, kann es nur eine einzige Taktik geben: abwarten, lavieren und sich zurückziehen.

Und wenn man sagt, dass wir keine internationale Außenpolitik treiben, so sage ich: bei jeder anderen Politik kommt man bewusst oder unbewusst dazu, dass man eine provokatorische Rolle spielt und Russland zum Werkzeug eines Bündnisses mit den Imperialisten à la Tschchenkeli oder Semjonow macht.

Und wir sagen: es ist besser, unendlich schwere nationale und staatliche Erniedrigungen und Drangsale zu ertragen, aber auf dem Posten zu bleiben, als sozialistischer Trupp, der durch die Ereignisse von der sozialistischen Armee getrennt wurde und gezwungen ist, abzuwarten, bis die sozialistische Revolution in den anderen Ländern zu Hilfe eilen wird. Und sie kommt uns zu Hilfe. Langsam, aber sie kommt. Und der Krieg, der jetzt im Westen sich abspielt, revolutioniert die Massen mehr als früher und bringt die Stunde des Aufstandes näher.

In der Propaganda, die wir bisher führten, sagten wir, dass der imperialistische Krieg ein durch und durch verbrecherischer und reaktionärer Krieg ist, der zu Eroberungszwecken geführt wird. Aber jetzt bestätigt es sich, dass an der Westfront, wo Hunderttausende und Millionen französischer und deutscher Soldaten sich gegenseitig niedermetzeln – dass dort das Heranreifen der Revolution rascher als früher vor sich gehen muss, obwohl diese Revolution langsamer vor sich geht, als wir es erwartet haben.

Ich bin auf die Frage der Außenpolitik ausführlicher eingegangen als ich beabsichtigte, aber mir scheint, dass wir hier ganz deutlich sehen, dass wir im Grunde genommen in der Frage der Außenpolitik vor uns zwei Hauptlinien haben – die proletarische Linie, die besagt, dass die sozialistische Revolution höher als alles steht und dass man damit rechnen muss, ob sie im Westen bald ausbrechen wird, und die andere Linie – die bürgerliche Linie, die besagt, dass die Großmachtstellung und die nationale Unabhängigkeit wichtiger ist als alles andere.

In den Fragen der Innenpolitik sehen wir das gleiche bei der Gruppe der linken Kommunisten, die die Hauptargumente wiederholen, welche aus dem Lager der Bourgeoisie gegen uns gerichtet werden. Zum Beispiel, das Hauptargument der Gruppe der linken Kommunisten gegen uns ist, dass eine rechtsbolschewistische Abweichung bestehe, die eine Gefahr für die Revolution bilde, weil sie den Weg des Staatskapitalismus einschlagen werde.

Die Evolution zum Staatskapitalismus – das ist das Übel, das ist der Feind, gegen den zu kämpfen man uns auffordert.

Und wenn ich diese Hinweise auf solche Feinde in dem Organ der linken Kommunisten lese, so frage ich: was ist mit diesen Leuten geschehen, wie können sie über einzelne Stellen aus Büchern die Wirklichkeit vergessen? Die Wirklichkeit sagt, dass der Staatskapitalismus für uns ein Schritt vorwärts wäre. Wenn wir in Russland imstande wären, in kurzer Zeit den Staatskapitalismus zu bekommen, so wäre das ein Sieg. Wie konnten sie nicht sehen, dass der kleine Eigentümer, das kleine Kapital unser Feind ist? Wie konnten sie im Staatskapitalismus den Hauptfeind sehen? Beim Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus dürfen sie nicht vergessen, dass unser Hauptfeind die Kleinbourgeoisie, ihre Gewohnheiten, ihre wirtschaftliche Lage ist. Der kleine Eigentümer fürchtet vor allem den Staatskapitalismus, weil er nur einen einzigen Wunsch hat: etwas zu erraffen, einzustecken, die Gutsbesitzer, die großen Ausbeuter zu ruinieren. Und dabei unterstützt er uns. Hier ist er revolutionärer als die Arbeiter, denn er ist mehr erbittert, empört, weil er gestern aus der schlimmsten Lage herausgekommen ist und deshalb gern dazu bereit ist, die Bourgeoisie ganz zu vernichten, aber nicht als Sozialist, um eine Disziplin und Tätigkeit höherer Ordnung zu schaffen, sondern um irgend etwas für sich zu erraffen.

Was bedeutet der Staatskapitalismus unter der Sowjetmacht? Gegenwärtig den Staatskapitalismus einführen, heißt: die Rechnungslegung und Kontrolle einführen, die die kapitalistischen Klassen eingeführt haben. Ein Muster des Staatskapitalismus haben wir in Deutschland. Wir wissen, dass Deutschland höher steht als wir. Wenn man aber nur ein wenig darüber nachdenkt, was in Russland, in Sowjetrussland, die Sicherung der Grundlagen eines solchen Staatskapitalismus bedeuten würde, so wird jeder, der nicht den Verstand verloren und sich den Kopf nicht mit Bruchstücken von Bücherwahrheiten vollgestopft hat, sagen müssen, dass der Staatskapitalismus für uns eine Rettung wäre.

Ich sagte, dass der Staatskapitalismus die Rettung für uns wäre. Wenn wir ihn in Russland hätten, dann wäre der Übergang zum vollständigen Sozialismus leicht, dann wäre er sicher, weil der Staatskapitalismus etwas Zentralisiertes, Summiertes, Kontrolliertes und Vergesellschaftetes ist. Und gerade das fehlt uns. Uns droht die Gefahr der kleinbürgerlichen Zügellosigkeit, die durch die Geschichte Russlands und seiner Wirtschaft am meisten vorbereitet ist und die uns gerade daran hindert, diesen Schritt zu machen, von dem der Erfolg des Sozialismus abhängt. Ich erlaube mir, Euch daran zu erinnern, dass ich meine Worte vom Staatskapitalismus einige Zeit vor dem Umsturz schrieb und dass es ein unglaublicher Unsinn ist, uns mit dem Staatskapitalismus zu schrecken. Ich erinnere an das, was ich in meiner Broschüre „Die drohende Katastrophe" darüber geschrieben habe.

Das schrieb ich über den revolutionären demokratischen Staat, den Staat Kerenskis, Tschernows, Zeretelis, Kischkins und Konsorten, gegen den Staat, der auf bürgerlichem Boden stand, ihn nicht verließ und auch nicht verlassen konnte. Ich sagte damals, dass der Staatskapitalismus ein Schritt zum Sozialismus sei. Das schrieb ich im April 1917, und jetzt, im April 1918, nachdem das Proletariat im Oktober die Macht ergriffen und seine Fähigkeiten bewiesen hat, sind viele Fabriken und Werke konfisziert, die Unternehmen und die Banken nationalisiert, der militärische Widerstand der Bourgeoisie und der Saboteure gebrochen. Wenn man uns jetzt mit dem Kapitalismus schreckt, so ist das eine so lächerliche und unglaubliche Ungereimtheit und Erfindung, dass man sich darüber wundert und fragt: wie konnten die Leute dazu kommen? Sie haben die Kleinigkeit vergessen, dass wir in Russland eine kleinbürgerliche Masse haben, die für die Vernichtung der Großbourgeoisie aller Länder, aber nicht für die Rechnungslegung, die Vergesellschaftung und Kontrolle zu haben ist. Hier liegt die Gefahr für die Revolution, hier ist die Einheit der sozialen Kräfte, die die große französische Revolution zugrunde gerichtet hat und zugrunde richten musste, und die allein, wenn das russische Proletariat sich schwach erweisen wird, die russische Revolution zugrunde richten kann. Die Kleinbourgeoisie durchdringt, wie wir sehen, die gesamte gesellschaftliche Atmosphäre mit Kleineigentümertendenzen, mit Bestrebungen, die man ganz einfach so formulieren kann: ich habe dem Reichen was genommen, alle übrigen aber gehen mich nichts an.

Darin besteht die Hauptgefahr. Wenn die Kleinbürger einem anderen Klassenelement untergeordnet wären, dem Staatskapitalismus untergeordnet wären, dann müsste der klassenbewusste Arbeiter das von Herzen begrüßen, weil der Staatskapitalismus unter der Demokratie Kerenskis ein Schritt zum Sozialismus gewesen wäre, unter der Sowjetmacht aber drei Viertel des Sozialismus wäre –, denn, wer Organisator der staatskapitalistischen Betriebe ist, den kann man zu seinem Gehilfen machen. Die linken Kommunisten aber nehmen dazu eine ganz andere, eine geringschätzige Stellung ein, und als wir am 4. April die erste Beratung mit den linken Kommunisten abhielten, wo übrigens nachgewiesen wurde, dass diese Frage eine lange Geschichte hat, lange diskutiert worden ist, bereits der Vergangenheit angehört, sagte ich, dass wir, wenn wir unsere Aufgaben richtig verstehen, bei den Organisatoren der Trusts Sozialismus lernen müssen.

Über diese Worte waren die linken Kommunisten furchtbar empört, und einer von ihnen – Genosse Ossinski – beschäftigte sich in einem ganzen Artikel damit, diese Worte zu zerpflücken.7 Darauf laufen seine Argumente hinaus. Wir wollen sie ja nicht belehren, sondern bei ihnen lernen. Wir „rechte" Bolschewiki, wir wollen bei den Organisatoren der Trusts lernen, aber die wirklichen linken Kommunisten wollen sie belehren. Und was wollt ihr ihnen beibringen? Vielleicht den Sozialismus? Diesen Kaufleuten, diesen Geschäftsleuten wollt ihr Sozialismus beibringen? Gebt euch damit ab, wenn ihr wollt, wir aber werden euch dabei nicht helfen. Das ist eine vergebliche Sache. Diesen Ingenieuren, Geschäftsleuten, Kaufleuten brauchen wir nichts beizubringen. Es ist zwecklos, ihnen den Sozialismus beizubringen. Wenn wir eine bürgerliche Revolution hätten, dann hätten wir bei ihnen nichts zu lernen, – es sei denn, wie man etwas erraffen kann, und damit Schluss. Weiter brauchten wir bei ihnen nichts zu lernen. Nein, das ist noch, keine sozialistische Revolution. Das ist das, was wir in Frankreich 1793 hatten, das ist etwas, wo es noch keinen Sozialismus, gibt, das ist nur die Einleitung zum Sozialismus.

Man muss die Gutsbesitzer, die Bourgeoisie stürzen, und Millionen Mal werden die Bolschewiki vor der Geschichte, werden alle ihre Handlungen, wird ihr ganzer Kampf, ihre Gewaltanwendung gegen die Gutsbesitzer und Kapitalisten, die Expropriation, die gewaltsame Unterdrückung ihres Widerstandes gerechtfertigt werden. Im Großen und Ganzen war das eine gewaltige Aufgabe, aber das war nur der erste Schritt. Hier geht es darum, zu welchem Zweck wir sie unterdrückt haben. Etwa um zu sagen, dass wir jetzt, nachdem wir sie vollkommen zu Boden geschlagen haben, uns vor ihrem Kapitalismus verbeugen werden? Nein, jetzt werden wir bei ihnen lernen, weil es uns an Kenntnissen mangelt, weil wir diese Kenntnisse nicht haben. Das Wissen des Sozialismus haben wir, aber die Kenntnisse der Organisation von Millionen, die Kenntnis der Organisation und der Verteilung der Produkte usw. – die haben wir nicht. Das haben uns die alten bolschewistischen Führer nicht gelehrt. Dessen kann die Partei der Bolschewiki in ihrer Geschichte sich nicht rühmen. Diese Schule haben wir noch nicht durchgemacht. Und wir sagen: mag einer noch so ein großer Gauner sein, wenn er aber einen Trust organisiert hat, wenn er ein Kaufmann ist, der mit der Produktion und der Verteilung für Millionen und aber Millionen zu tun hatte, so müssen wir bei ihm lernen. Wenn wir das nicht von ihnen lernen, so werden wir keinen Sozialismus bekommen, dann wird die Revolution auf der Stufe stehenbleiben, die sie erreicht hat. Nur die Entwicklung des Staatskapitalismus, nur die sorgfältigste Organisation der Rechnungslegung: und Kontrolle, nur die strengste Organisation und Arbeitsdisziplin werden uns zum Sozialismus bringen. Ohne das ist kein Sozialismus möglich.

Es hat keinen Sinn, die lächerliche Aufgabe zu übernehmen, die Organisatoren der Trusts zu belehren. Wir brauchen sie nichts zu lehren. Wir müssen sie expropriieren. Das kriegen wir schon fertig. Weiter nichts. Das ist absolut nicht schwer. Das haben wir zur Genüge gezeigt, haben wir bewiesen.

Und jeder Arbeiterdelegation, mit der ich zu tun hatte, wenn sie zu mir kam und sich darüber beschwerte, dass eine Fabrik stillgelegt wird, sagte ich: wollt ihr, dass eure Fabrik konfisziert werde? Gut, Formulare der Dekrete sind da, wir werden sie sofort unterschreiben. Aber sagt: habt ihr es verstanden, die Produktion in eure Hände zu nehmen, habt ihr ausgerechnet, was ihr produziert, kennt ihr den Zusammenhang zwischen eurer Produktion und dem russischen und internationalen Markt. Und hier zeigte es sich, dass sie das noch nicht gelernt hatten. In den bolschewistischen Broschüren aber steht noch nichts darüber„ und auch in den menschewistischen Broschüren wird nichts darüber gesagt.

Am besten steht es damit bei den Arbeitern, die diesen Staatskapitalismus durchführen: bei den Lederarbeitern, Textilarbeitern, in der Zuckerindustrie, weil sie mit der Nüchternheit des Proletariers ihre Produktion kennen, sie erhalten und erweitern wollen –, weil gerade darin der meiste Sozialismus besteht. Sie sagen: wir werden jetzt mit einer solchen Aufgabe noch nicht fertig, wir werden die Kapitalisten hinsetzen, ihnen ein Drittel der Posten einräumen und werden bei ihnen lernen. Und wenn ich bei den linken Kommunisten die ironischen Worte lese: es steht noch nicht fest, wer den anderen ausnutzen wird8, so scheint mir ihre Kurzsicht seltsam zu sein. Gewiss, wenn wir nach der Eroberung der Macht im Oktober, nach dem Siegeszug gegen die gesamte Bourgeoisie in der Zeit vom Oktober bis zum April daran zweifeln können, wer den anderen ausnutzen wird – der Arbeiter die Organisatoren der Trusts oder die Geschäftsleute und geriebenen Gauner die Arbeiter? – wenn dem so wäre, dann müssten wir unsere Sachen packen, uns nach Hause scheren und Miljukow und Martow den Platz einräumen. Aber dem ist nicht so. Der klassenbewusste Arbeiter wird nicht daran glauben, und lächerlich ist die Furcht vor der Kleinbourgeoisie. Sie wissen, dass der Sozialismus dort anfängt, wo die Großproduktion beginnt, dass die Kaufleute und Geschäftsleute diese Sache auf Grund ihrer eigenen Erfahrung erlernt haben.

Wir sagten: nur diese materiellen Bedingungen, die Bedingungen der maschinellen Großindustrie der deutschen Betriebe, die für Dutzende Millionen arbeiten, nur sie sind die Grundlage des Sozialismus. Diese Sache in einem kleinbürgerlichen, bäuerlichen Lande zu erlernen, ist schwer, aber möglich. Und wir sagen: unsere Lage ist so, dass wir in Bezug auf die Rechnungslegung und Kontrolle hinter den Kapitalisten und Gutsbesitzern zurückgeblieben sind. Nehmt die russischen Gutsbesitzer in ihrer Masse. Sie sind gestürzt, entkräftet. Haben wir es aber gleichzeitig so eingerichtet, dass sie am Aufbau des Sozialismus arbeiten müssen? Ich weiß sehr gut, dass sie zusammen mit den Leuten von der „Nowaja Schisn" und ihren Nachbetern glauben, dass die Revolution planmäßig vor sich gehen müsse, dass jeder Schritt der Revolution in strengster Proportion vor sich gehen müsse, dass jeder Schritt nach genauer Berechnung vollzogen werden müsse – und dass das in der deutschen Revolution ungefähr so sein werde. Nein, das wird nicht der Fall sein. Die Revolution wird den Bürgerkrieg mit sich bringen, das aber ist eine um so schwierigere Sache, je zivilisierter, je entwickelter ein Staat ist. In Deutschland herrscht der Staatskapitalismus, deshalb wird die Revolution in Deutschland hundertmal verheerender, verhängnisvoller sein als in einem kleinbürgerlichen Lande, – und auch dort wird es gewaltige Schwierigkeiten, ein gewaltiges Chaos und Disproportionen geben. Deshalb sehe ich auch nicht den geringsten Grund für Verzweiflung und Kleinmut darin, dass die russische Revolution zuerst die leichte Aufgabe des Sturzes der Gutsbesitzer und der Bourgeoisie gelöst hat und jetzt vor der schwierigeren sozialistischen Aufgabe steht: die allgemeine Rechnungslegung und Kontrolle zu organisieren, eine Aufgabe, mit der der wirkliche Sozialismus anfängt, eine Aufgabe, für die die Mehrheit der Arbeiter und aufgeklärten Werktätigen eintritt. Die Mehrheit der Arbeiter, die besser organisiert ist und die Schule der Gewerkschaften durchgemacht hat, steht ganz bei uns.

Die Fragen, die die Herrschaften aus dem „Wperjod" mit ihrem Spott zu erledigen versuchen, die Fragen des Akkordlohnes und des Taylorsystems9, hat diese Mehrheit noch früher als wir in den Gewerkschaftsräten gestellt. Noch bevor die Sowjetmacht mit ihren Sowjets da war, haben die Arbeiter damit begonnen, Normen der Arbeitsdisziplin auszuarbeiten. Diese Leute haben gezeigt, dass sie in ihrer proletarischen Bescheidenheit die Verhältnisse der Fabrikarbeit kennen; sie haben das Wesen des Sozialismus besser erfasst als diejenigen, die mit revolutionären Phrasen um sich warfen, in Wirklichkeit aber bewusst oder unbewusst auf das Niveau der Kleinbourgeoisie herabsanken, die den Standpunkt vertrat: den Reichen muss man zum Teufel jagen, aber sich der Rechnungslegung und Kontrolle einer Organisation zu unterwerfen, ist nicht interessant. Das ist für die kleinen Eigentümer überflüssig, das brauchen sie nicht, aber gerade darin liegt die Bürgschaft für die Dauerhaftigkeit und den Sieg unserer Revolution.

Genossen, ich will nicht auf weitere Einzelheiten eingehen und Zitate aus der Zeitung „Ljewy Kommunist" anführen, aber Ich möchte nur in zwei Worten sagen: es ist Zeit, Alarm zu schlagen, wenn die Leute sich soweit verstiegen haben, dass sie die Einführung der Arbeitsdisziplin als einen Rückschritt bezeichnen. Ich muss sagen, dass ich darin etwas unerhört Reaktionäres sehe, eine solche Gefahr für die Revolution, dass ich, wenn ich nicht wüsste, dass das eine einflusslose Gruppe behauptet und dass das in jeder beliebigen Versammlung klassenbewusster Arbeiter widerlegt werden wird, gesagt hätte: die russische Revolution ist verloren.

Die linken Kommunisten schreiben: „Die Einführung der Arbeitsdisziplin in Verbindung mit der Wiederherstellung der Leitung der Produktion durch die Kapitalisten kann nicht die Produktivität der Arbeit wesentlich steigern, wird aber die Selbständigkeit, Aktivität und Organisiertheit des Proletariats als Klasse verringern. Sie droht die Arbeiterklasse zu versklaven, wird die Unzufriedenheit sowohl der rückständigen Schichten als auch der Avantgarde des Proletariats wecken"10. Das ist nicht wahr. Wenn dem so wäre, dann würde unsere russische Revolution mit ihren sozialistischen Aufgaben, ihrem sozialistischen Wesen vor dem Zusammenbruch stehen. Aber das ist nicht wahr. Die deklassierte kleinbürgerliche Intelligenz versteht nicht, dass für den Sozialismus die Hauptschwierigkeit in der Sicherung der Arbeitsdisziplin besteht. Darüber haben die Sozialisten längst geschrieben, darüber haben die Sozialisten in der fernen Vergangenheit am meisten nachgedacht und die größte Sorgfalt und schärfste Analyse darauf konzentriert. Sie verstanden, dass hier für die sozialistische Revolution die wirklichen Schwierigkeiten beginnen. Es hat auch bisher wiederholt Revolutionen gegeben, die erbarmungslos die Bourgeoisie stürzten, nicht weniger energisch als wir. Als wir aber soweit kamen, dass wir die Sowjetmacht schufen, da zeigten wir damit, dass wir den Übergang zur Arbeitsdisziplin vollziehen, dass das ein Staat ist, der wirklich der Staat der Arbeit sein muss. Wenn man uns sagt, dass man die Diktatur des Proletariats in Worten anerkennt, in Wirklichkeit aber Phrasen zusammenschreibt, so zeigt das eigentlich, dass man von der Diktatur des Proletariats keine Ahnung hat; denn das bedeutet keineswegs bloß den Sturz der Bourgeoisie oder der Gutsbesitzer. Das hat es in allen Revolutionen gegeben. Unsere Diktatur des Proletariats bedeutet die Sicherung der Ordnung, der Disziplin, der Produktivität der Arbeit, der Rechnungslegung und Kontrolle, der proletarischen Sowjetmacht, die fester, stärker ist, als die frühere. Und gerade das werdet ihr nicht entscheiden, gerade das haben wir nicht gelehrt, gerade das brauchen die Arbeiter, gerade deshalb ist es gut, ihnen einen Spiegel vorzuhalten, in dem man alle diese Mängel ganz klar erkennen kann. Ich glaube, dass das eine nützliche Aufgabe ist, denn sie wird alle denkenden, alle klassenbewussten Arbeiter und Bauern zwingen, alle ihre wichtigsten Kräfte darauf zu konzentrieren. Ja, damit, dass wir die Gutsbesitzer und die Bourgeoisie stürzten, haben wir die Bahn frei gemacht, aber noch nicht das Gebäude des Sozialismus errichtet. Und auf dem von einer Generation gereinigten Boden treten immer in der Geschichte neue Generationen auf, wenn der Boden nur fruchtbar ist, auf ihm aber gedeihen Bourgeois in Hülle und Fülle. Wenn man uns sagt, dass die Einführung der Arbeitsdisziplin in Verbindung mit der Wiederherstellung der Kapitalisten als Leiter eine Gefahr für die Revolution sei, so sage ich: diese Leute haben gerade den sozialistischen Charakter unserer Revolution nicht begriffen, sie wiederholen gerade das, was sie leicht mit der Kleinbourgeoisie in ein Lager bringt, die die Disziplin, Organisation, Rechnungslegung und Kontrolle fürchtet, wie der Teufel den Weihrauch.

Wenn sie sagen: ihr schlagt vor, die Kapitalisten als Leiter einzusetzen, zusammen mit den proletarischen Leitern. Jawohl, wir setzen sie ein, weil sie Kenntnisse der praktischen Organisation haben, die uns fehlen. Der klassenbewusste Arbeiter wird niemals vor einem solchen Leiter Angst bekommen, weil er weiß, dass die Sowjetmacht seine Macht ist, weil er weiß, dass er die praktische Arbeit und Organisation erlernen will.

Wir haben unter dem Zaren Tausende und unter Kerenski Hunderttausende organisiert. Das ist nichts, das zählt in der Politik nicht. Das war eine vorbereitende Arbeit, eine Vorschulklasse. Und solange die fortgeschrittenen Arbeiter es nicht lernen werden, Dutzende von Millionen zu organisieren, werden sie keine Sozialisten und keine Schöpfer der sozialistischen Gesellschaft sein und werden die notwendigen organisatorischen Kenntnisse nicht erlangen. Der Weg der Organisation ist ein langer Weg, und die Aufgaben des sozialistischen Aufbaus erfordern hartnäckige, langwierige Arbeit und entsprechende Kenntnisse, an denen es uns mangelt. Auch die nächste fortgeschrittenere Generation wird wohl kaum den völligen Übergang zum Sozialismus vollziehen.

Erinnert euch daran, was die früheren Sozialisten über die kommende sozialistische Revolution geschrieben haben. Es ist zu bezweifeln, dass man zum Sozialismus übergehen kann, ohne bei den Organisatoren der Trusts zu lernen, denn sie haben sich mit dieser Produktion in großem Maßstab beschäftigt. Wir brauchen ihnen keinen Sozialismus zu lehren, wir müssen sie expropriieren, müssen ihre Sabotage brechen. Diese zwei Aufgaben haben wir erfüllt. Wir müssen sie zwingen, sich der Arbeiterkontrolle unterzuordnen. Unsere Kritiker unter den linken Kommunisten haben uns den lächerlichen Vorwurf gemacht, dass wir mit unserer Taktik sie nicht zum Kommunismus führen, sondern zurückgegangen sind. Ja, wir sind mit der Rechnungslegung und Kontrolle zurückgeblieben, weil es sehr schwer war, diesen Widerstand zu brechen, und die Bourgeoisie und ihre Techniker und ihre bürgerlichen Fachleute in unseren Dienst zu stellen. Ihre Kenntnisse, ihre Erfahrung und Arbeit aber brauchen wir. Ohne sie ist es unmöglich, sich jene Kultur wirklich anzueignen, die durch die alten gesellschaftlichen Verhältnisse beschaffen worden ist und die materielle Basis des Sozialismus geblieben ist. Wenn die linken Kommunisten das nicht bemerkt haben, so nur deshalb, weil sie das wirkliche Leben nicht sehen, sondern ihre Losungen auf Grund einer Gegenüberstellung des idealen Sozialismus und Staatskapitalismus ausklügeln. Wir aber müssen den Arbeitern sagen: ja, das ist ein Schritt rückwärts, aber er soll uns helfen, ein Mittel zu finden: organisiert euch bis auf den letzten Mann, organisiert die Rechnungslegung und Kontrolle über den Verbrauch und sorgt dafür dass wir nicht hunderte Millionen direkt von der Druckerpresse herauswerfen, und dass jeder Hundertrubelschein, der mit Unrecht in die Hände irgend jemandes fällt, wieder in die Staatskasse zurückkehre. Das kann man durch keinerlei revolutionären Enthusiasmus, durch keinerlei Vernichtung der Bourgeoisie tun. Das kann man nur durch Selbstdisziplin, nur durch Organisierung der Arbeit des Proletariats und der Bauern, nur durch Rechnungslegung und Kontrolle tun. Das haben wir noch nicht, und dafür haben wir als Tribut ein höheres Gehalt bezahlt als die kapitalistischen Organisatoren gezahlt haben. Das haben wir nicht gelernt, müssen es aber erlernen. Das ist der Weg zum Sozialismus, der einzige Weg, um den Arbeitern die praktischen Kenntnisse der Verwaltung riesiger Betriebe, der Organisierung, der Großproduktion und der Massenverteilung beizubringen.

Genossen, ich weiß sehr gut, wie leicht es ist, über Rechnungslegung, Kontrolle und Selbstdisziplin zu reden, wenn ein Mensch darüber spricht, der eine bestimmte gesellschaftliche Stellung einnimmt. Und wie viel Material für Scharfsinnigkeiten kann man daraus schöpfen und erklären: als eure Partei nicht an der Macht war, da hat sie den Arbeitern ein Land von Milch und Honig versprochen, als aber diese Leute zur Macht gelangten, da begann die übliche Wandlung: man fängt an von Rechnungslegung, Disziplin, Selbstdisziplin, Kontrolle usw. zu reden. Ich, weiß sehr gut, was für ein dankbares Material das für Publizisten vom Schlage der Miljukow und Martow ist.

Ich weiß sehr gut, was das für ein reichhaltiges Material für Leute ist, die sich für Zeilenhonorar oder effektvolle Dinge interessieren und geneigt sind, die geringsten Argumente aufzugreifen, die aber unter den klassenbewussten Arbeitern, wenig; Sympathie finden.

Jetzt, wo wir vor einer Frage stehen, die für den Aufbau des Sozialismus von ungeheurer Wichtigkeit ist, finde ich die Rezension eines so hervorragenden Publizisten wie Bucharin über mein Büchlein11, und zwar eine wohlwollende Rezension; aber alles, was an Wertvollem in dieser Rezension war, verlor für mich jeden Wert, als ich die Rezension ganz zu Ende las. Ich sah, dass Bucharin das, was man sehen musste, übersehen hat. Und das geschah deshalb, weil er seine Rezension im April schrieb, aber zitierte, was bereits für den April veraltet war, was der Vergangenheit angehörte, nämlich, dass man den alten Staat zerschlagen muss. Das haben wir bereits getan, das war eine Aufgabe von gestern, wir müssen aber vorwärtsschreiten und nicht auf die Vergangenheit, sondern in die Zukunft blicken und einen Kommunestaat schaffen. Er schrieb von dem, was bereits in den Sowjetorganisationen verwirklicht ist, verschwieg aber, was die Rechnungslegung, Kontrolle und Disziplin betrifft. Wie gleicht die Geistesverfassung dieser Leute, wie gleicht ihre Psychologie den Stimmungen der Kleinbourgeoisie! Den Reichen zum Teufel jagen, aber keine Kontrolle. So denken sie. Das nimmt sie gefangen und trennt den klassenbewussten Proletarier von der Kleinbourgeoisie und sogar von den extremsten Revolutionären. Das ist der Fall, wenn der Proletarier sagt: organisieren wir uns, nehmen wir uns zusammen, sonst wird uns irgend so ein kleiner Schmierfink, der eine Million zählt, stürzen.

Hier haben wir den Trennungsstrich zwischen dem klassenbewussten Proletarier und dem Kleinbürger. Hier trennt sich die Revolution von der Kleinbourgeoisie. Und wie können solche Menschen so blind sein und nichts darüber sagen?

Ich erlaube mir, noch an einige meiner Zitate zu erinnern. Ich habe gesagt, dass die Menschen ohne Gewalt auskommen können, wenn sie sich daran gewöhnen werden, so zu handeln. Natürlich kann eine solche Gewohnheit nur das Ergebnis einer langen Erziehung sein.

Wenn die linken Kommunisten das hören, dann fassen sie sich an den Kopf und sagen: weshalb haben wir das übersehen? Bucharin, weshalb haben Sie das nicht kritisiert? Wir haben unsere Stärke bei der Zertretung der Gutsbesitzer und der Bourgeoisie gezeigt, jetzt müssen wir unsere Stärke bei der Selbstdisziplin und Organisation zeigen, weil das auf Grund der Erfahrung der vergangenen Jahrtausende bekannt ist. Und man muss dem Volke sagen, dass nur darin die Stärke unserer Sowjetmacht, unserer Diktatur, unserer proletarischen Autorität besteht. Die Kleinbürger aber flüchten vor dieser Wahrheit unter den Schild der revolutionären Phraseologie.

Man muss seine Kraft zeigen. Ja, die kleinen Besitzer, die kleinen Eigentümer sind bereit, uns Proletariern zu helfen, die Gutsbesitzer und Kapitalisten zu stürzen. Sie lieben nicht die Organisation, die Disziplin, sie sind ihre Feinde. Und hier müssen wir gegen diese Eigentümer, diese Besitzer den entschiedensten, rücksichtslosesten Kampf führen, einen Kampf von anderem Maßstab, einen Kampf, der um so schwieriger ist, weil er prinzipiell falsch zu sein scheint, obwohl in Wirklichkeit erst hier der Sozialismus beginnt.

Und wenn ich mich gegen die Leute wende, die behaupten, Sozialisten zu sein, und den Arbeitern den Himmel auf Enden versprechen, so sage ich, dass der Kommunismus eine andere Arbeitsproduktivität voraussetzt als die jetzige.

Ja, das ist eine Tatsache. Der Kapitalismus hinterlässt uns als Erbe, besonders in einem rückständigen Lande, eine Unmenge von Gewohnheiten, mit denen man alles, was dem Staat gehört, als etwas ansieht, das man beschädigen kann. Diese Psychologie des ganzen kleinbürgerlichen Lebens spürt man. Und auf diesem Gebiet ist der Kampf sehr schwierig. Nur das organisierte Proletariat kann alles aushalten. Ich schrieb: „Bis zum Eintritt der „höheren" Phase des Kommunismus fordern die Sozialisten die strengste Kontrolle durch die Gesellschaft und den Staat".

Das habe ich vor dem Oktoberumsturz geschrieben und darauf bestehe ich auch jetzt.

Jetzt ist die Zeit gekommen, wo wir, nach der Unterdrückung der Bourgeoisie, nach der Unterdrückung der Sabotage, die Möglichkeit bekommen haben, uns damit zu beschäftigen. Solange das nicht der Fall war, waren die Rotarmisten die Helden des Tages und die Helden der Revolution, die ihr großes historisches Werk verrichteten. Sie ergriffen die Waffen gegen den Willen der besitzenden Klassen. Sie verrichteten dieses gewaltige historische Werk. Sie ergriffen die Waffen, um die Ausbeuter zu stürzen und ihre Waffen in ein Werkzeug zum Schutz der Arbeiter zu verwandeln, um das Maß der Produktion und Arbeit und das Maß des Verbrauchs zu überwachen.

Wir haben das nicht getan, darin aber besteht das Wesen und die Grundlage des Sozialismus. Wenn jemandem diese Arbeit langweilig und uninteressant zu sein scheint, dann den Vertretern der kleinbürgerlichen Trägheit.

Wenn unsere Revolution hier stehenbliebe, dann würde sie nicht anders als die Revolution von 1793 in die Geschichte eingehen. Aber man wird uns sagen: das war im 18. Jahrhundert. Für das 18. Jahrhundert war das genug, aber für das 20. Jahrhundert wenig. „Rechnungslegung und Kontrolle ist das Wichtigste, was zum „Ingangsetzen", zum richtigen Funktionieren der ersten Phase der kommunistischen Gesellschaft erforderlich ist". Das schrieb ich vor dem Oktoberumsturz. Ich wiederhole, dass man diese Sache nicht in Angriff nehmen konnte, bevor Alexejew, Kornilow, Kerenski nicht unterdrückt worden waren. Jetzt ist der militärische Widerstand der Bourgeoisie gebrochen. Unsere Aufgabe ist: alle Saboteure unter unserer Kontrolle, unter der Kontrolle der Sowjetmacht auf bestimmte Posten zu stellen, Verwaltungsorgane zu schaffen, damit die Rechnungslegung und Kontrolle gut funktioniere. Das Land leidet schwer darunter, dass nach dem Kriege die elementarsten Voraussetzungen für die Existenz fehlen. Unsere Feinde, die gegen uns kämpfen, sind für uns nur deshalb gefährlich, weil wir mit der Rechnungslegung und Kontrolle noch nicht fertig geworden sind. Wenn ich Hunderttausende von Klagen höre, wenn im Lande Hunger herrscht, wenn man sieht und weiß, dass diese Klagen berechtigt sind, dass wir Brot haben, es aber nicht herbeischaffen können, – wenn wir da mit solchen Maßnahmen, wie unserem Eisenbahndekret, auf Spott und Widerspruch bei den linken Kommunisten stoßen, so ist das Unsinn. Sie haben zweimal daran erinnert.

In der Beratung mit den linken Kommunisten am 4. April sagte ich: gebt uns euren Entwurf des Dekrets, ihr seid doch Bürger der Sowjetrepublik, Mitglieder der Sowjetinstitutionen„ ihr seid doch keine hinterhältigen Kritiker wie die Bourgeois, Kaufleute und Saboteure, die kritisieren, um ihre Wut auszulassen. Ihr seid, ich wiederhole es nochmals, Leiter der Sowjetorganisationen. Versucht selbst einen Entwurf für das Dekret: auszuarbeiten. Sie können uns einen solchen Entwurf nicht ausarbeiten, und werden das auch niemals tun, weil unser Eisenbahndekret richtig ist, weil das Dekret, indem es die Diktatur einführt, mit Sympathie von den Massen der klassenbewussten Arbeiter des Eisenbahnwesens aufgenommen wird, aber bei denjenigen Verwaltungsbeamten auf Opposition stößt, die ihre Taschen füllen und Bestechungsgelder nehmen; weil nur diejenigen in Bezug auf dieses Dekret schwanken, die zwischen der Sowjetmacht und ihren Feinden schwanken. Das Proletariat aber, das in der Großindustrie Disziplin gelernt hat, weiß, dass es keinen Sozialismus geben kann, solange die Großindustrie nicht organisiert sein und nicht eine noch strengere Disziplin herrschen wird. – Dieses Proletariat in der Eisenbahnerbewegung ist mit uns. Es wird den Kampf gegen die Anarchie der kleinen Besitzer aufnehmen und zeigen, dass die russische Revolution, die es versteht, glänzende Siege zu erringen, es auch verstehen wird, ihre eigene Unorganisiertheit zu besiegen, und unter den Losungen des 1. Mai, vom Standpunkt der Aufgaben des Augenblicks, imstande sein wird, die Losung des ZK zu würdigen, die lautet: „Wir haben das Kapital besiegt, wir werden auch unsere eigene Unorganisiertheit besiegen".12 Nur dann werden wir zum völligen Sieg des Sozialismus gelangen.

II. Schlusswort zum Referat über die nächsten Aufgaben

Vor allen Dingen muss ich auf die Rede des Genossen Bucharin eingehen. Ich habe bereits in der ersten Rede hervorgehoben, dass wir zu neun Zehnteln mit ihm einverstanden sind, und deshalb glaube ich, muss man die Tatsache bedauern, dass wir zu einem Zehntel mit ihm nicht übereinstimmen. Er befindet sich zu einem Zehntel in einer Lage, wo er in der Hälfte seiner Rede entschieden von denjenigen, die gegen ihn aufgetreten sind, abrücken muss. Und wie gut auch seine Absichten und die seiner Gruppe sein mögen, so wird doch die Unrichtigkeit ihrer Grundsätze gerade dadurch bewiesen, dass er immer Zeit darauf verwenden muss, um sich zu rechtfertigen und sich in der Frage des Staatskapitalismus abzugrenzen.

Genosse Bucharin ist ganz im Unrecht. Und ich werde das in der Presse aussprechen, weil diese Frage außerordentlich wichtig ist. Nun will ich nur einige Worte über den Vorwurf der linken Kommunisten sagen, dass bei uns eine Abweichung zum Staatskapitalismus zu beobachten sei. Jetzt stellt Genosse Bucharin die unrichtige Behauptung auf, dass es unter der Sowjetmacht keinen Staatskapitalismus geben könne. Er widerspricht sich also selbst, wenn er sagt, dass es unter der Sowjetmacht keinen Staatskapitalismus geben könne. Das ist ein offenbarer Unsinn. Eine ganze Reihe von Betrieben und Werken, die unter der Kontrolle der Sowjetmacht stehen und dem Staat gehören – das allein zeigt schon den Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus, und Genosse Bucharin will nicht konkret darauf eingehen, sondern erinnert daran, wie wir in der Zimmerwalder Linken saßen und gegen ihn schrieben. Aber das war anno dazumal, und jetzt daran zu erinnern, ein halbes Jahr nach dem Bestehen der Sowjetmacht und nach den Erfahrungen, die wir gemacht haben, machen konnten, nachdem wir expropriiert, konfisziert und nationalisiert haben, nach alledem an das zu erinnern, was wir 1915 geschrieben haben, – ist lächerlich … Jetzt können wir nicht umhin, die Frage des Staatskapitalismus und des Sozialismus zu stellen, die Frage, wie wir uns in der Übergangsepoche zu verhalten haben, – hier in der Sowjetmacht haben wir ein Stück Kapitalismus und Sozialismus nebeneinander. Diese Frage will Genosse Bucharin nicht begreifen, und mir scheint, dass wir sie nicht auf einmal ausschalten können. Genosse Bucharin schlägt das auch nicht vor und bestreitet nicht, dass dieser Staatskapitalismus höher steht als jener Überrest der Kleineigentümer-Stimmungen und wirtschaftlichen Lebensbedingungen, die sehr verbreitet sind, was auch Genosse Bucharin nicht widerlegt hat. Und man kann das auch nicht widerlegen, wenn man das Wort Marxist nicht vergessen hat.

Der Standpunkt des Genossen Gey, dass das Proletariat in Europa verpestet, dass das Proletariat in Deutschland verdorben sei13, ist lächerlich. Das ist ein Standpunkt der nationalen Barbarei, eines solchen Stumpfsinns, dass ich gar nicht mehr weiß, wie man noch weitergehen kann. Das Proletariat in Europa ist keineswegs mehr verpestet als in Russland, aber der Beginn der Revolution ist dort schwieriger, weil dort an der Spitze des Staates nicht solche Idioten wie Romanow oder solche Schwätzer wie Kerenski stehen, sondern ernste Führer des Kapitalismus, was bei uns nicht der Fall war.

Ich gehe nun zu den Hauptargumenten über, mit denen man meinen Artikel und meine Rede von allen Seiten überschüttet hat. Besonders schlecht ist es dabei der Losung ergangen: „Raube das Geraubte", einer Losung, an der ich beim besten Willen nichts Unrichtiges finden kann, wenn man dabei geschichtliche Ereignisse im Auge hat. Wenn wir die Worte: „Expropriation der Expropriateure" gebrauchen, warum soll man da nicht ohne lateinische Worte auskommen?

Ich glaube, dass die Geschichte uns absolut recht geben wird, aber vorher werden noch die werktätigen Massen auf unsere Seite treten. Wenn jedoch die Losung „Raube das Geraubte" ohne jede Einschränkung in der Tätigkeit der Sowjets zum Ausdruck gekommen ist, und wenn sich erweist, dass wir in einer so praktischen und grundlegenden Frage wie Hunger und Arbeitslosigkeit, auf die größten Schwierigkeiten stoßen, so ist es hier angebracht zu sagen, dass nach den Worten: „Raube das Geraubte" das Unterscheidungsmerkmal der proletarischen Revolution beginnt, die sagt: zähle das Geraubte zusammen, lass es nicht verschleudern, wenn man aber direkt oder indirekt danach die Hand ausstreckt, so erschieße diejenigen, die die Disziplin verletzen …

Wenn man dagegen zu schreien anfängt, wenn man darüber schreit, dass das Diktatur sei, wenn man von Napoleon III., Julius Cäsar zu schreien anfängt, … vom mangelnden Ernst der Arbeiterklasse spricht …14 wenn man Trotzki anklagt, so haben wir hier jenen Wirrwarr in den Köpfen, jene politische Stimmung, die gerade die kleinbürgerliche Zügellosigkeit an den Tag legt, die nicht gegen die Losung „Raube das Geraubte" protestierte, sondern gegen die Losung: „zähle alles zusammen und verteile es richtig". Wir werden keinen Hunger in Russland haben, wenn wir ausrechnen werden, wie viel Brot wir haben, wenn wir eine Bestandsaufnahme aller Lebensmittel durchführen und die Verletzung der festgesetzten Ordnung aufs Strengste bestrafen werden. Hier gehen die Meinungen auseinander. Das ist darauf zurückzuführen, dass nur das Proletariat ernsthaft für die sozialistische Revolution ist, während die Kleinbourgeoisie dabei schwankt, was wir immer gesehen, immer in Rechnung gestellt haben. Und mit diesen Schwankungen arbeitet sie gegen uns. Das wird uns nicht wankelmütig machen, und wir werden unseren Weg weitergehen, in der festen Überzeugung, dass die Hälfte des Proletariats mit uns sein wird, weil es sehr gut weiß, wie die Fabrikanten das Geraubte geraubt haben, damit die Armen es ja nicht benutzen.

Von Diktatur, Napoleon III., Julius Cäsar usw. zu reden, heißt mit Worten jonglieren. Hier kann man einem in dieser Hinsicht einen blauen Dunst vormachen, aber in der Provinz, in jeder Fabrik, in jedem Dorf weiß man sehr gut, dass wir in diesem Punkte zurückgeblieben sind, niemand wird dort diese Losung bestreiten, jeder weiß, was sie bedeutet. Und dass wir alle unsere Kräfte auf die Organisierung des Rechnungswesens, der Kontrolle und der richtigen Verteilung richten werden, darüber kann ebenfalls kein Zweifel bestehen.

Genosse Bucharin sagte: „Ich rücke ab von denen, die mich küssen". Aber das sind so viele, dass Genosse Bucharin sich ihrer nicht erwehren kann. Man sagt uns nicht, was man vorschlägt, weil man nicht weiß, was man vorschlagen soll. Und wisst ihr, was ihr vorschlagen sollt? Ich habe euch Vorwürfe gemacht, sowohl in der Presse als auch in Reden. In der Frage des Eisenbahndekrets hatten wir das Vergnügen, an den 4. April zu erinnern, worauf ihr euch in eurer Zeitschrift beruft, und ich habe gesagt, wenn ihr mit diesem Dekret nicht ganz zufrieden seid, dann schlagt ein anderes Dekret vor. Aber in der ersten Nummer keine Silbe darüber und auch in der zweiten Nummer, deren Korrekturbogen man mir liebenswürdigerweise zur Durchsicht übergab, – keine Silbe. Und in der Rede des Genossen Bucharin ebenfalls keine Silbe darüber. Vollkommene Übereinstimmung. Sowohl Genosse Bucharin als auch Genosse Martow setzen sich auf ihr Steckenpferd, das Dekret über die Eisenbahnen, – und reiten auf ihm herum. Sie reden von Diktatur, Napoleon III., Julius Cäsar usw. und liefern Material für hundert Zeitungsnummern, die niemand lesen wird. Das liegt doch den Dingen etwas näher. Es betrifft die Arbeiter und die Eisenbahnen. Ohne Eisenbahnen wird es nicht nur keinen Sozialismus geben, sondern alle werden einfach vor Hunger krepieren wie die Hunde, während neben uns Getreide liegt. Das wissen alle sehr gut. Warum hat man darauf nicht geantwortet? Ihr schließt die Augen davor. Ihr streut den Arbeitern Sand in die Augen. Die Leute von der „Nowaja Schisn" und die Menschewiki bewusst, Genosse Bucharin aus Irrtum. Ihr verdunkelt den Arbeitern die Hauptfrage, wenn ihr vom Aufbau redet. Was kann man ohne Eisenbahnen bauen? Und wenn ich einen Kaufmann sehe, der mir bei irgendeiner Bewegung oder beim Empfang von Delegationen mitteilt, dass bei dieser oder jener Eisenbahn eine Besserung zu beobachten sei, so ist dieses Lob für mich unendlich wertvoller als 20 Resolutionen von Kommunisten und irgendwelchen Leuten und als verschiedene Reden.

Und wenn Männer der Praxis – Ingenieure, Kaufleute usw. – sagen: bringt diese Regierung auch nur ein wenig, auch nur halbwegs die Eisenbahnen in Ordnung, so werden wir anerkennen, dass das eine Regierung ist. Und diese Einschätzung der Staatsmacht ist überaus wichtig. Denn die Eisenbahnen sind die Hauptsache, sind eine der Äußerungen des engsten Zusammenhanges zwischen Stadt und Land, zwischen der Industrie und der Landwirtschaft, auf dem der Sozialismus sich ganz aufbaut. Um diesen Zusammenhang zwecks planmäßiger Arbeit im Interesse der gesamten Bevölkerung herzustellen, bedarf es der Eisenbahnen.

All die Phrasen von Diktatur usw., über die zwischen all diesen Martow und Karelin Übereinstimmung herrscht und die von der Kadettenpresse immer wiedergekäut werden, sind keinen Pfifferling wert.

Ich habe euch als Beispiel die Arbeiterorganisationen genannt, die das tun, und den Staatssozialismus anderer Betriebe, anderer Industriezweige. Bei den Tabakarbeitern, den Lederarbeitern gibt es mehr Staatskapitalismus als bei anderen, und mehr Ordnung, und bei ihnen ist der Weg zum Sozialismus mehr gesichert. Das kann man nicht verheimlichen, denn hier wird behauptet, dass die Bourgeoisie euch nichts verkaufen wird. Und solche lächerlichen Phrasen zu dreschen wie Gey, dass er jeden mit dem Gewehr dazu zwingen werde15, ist doch ein völliger Unsinn und ein Beweis dafür, dass man nicht versteht, wozu das Gewehr dient. Da könnte man glauben, dass das Gewehr etwas Schlechtes sei, wenn nicht der Kopf des Anarchisten Gey etwas Schlechtes wäre. Das Gewehr war etwas sehr Gutes, als man den Kapitalisten, der gegen uns Krieg führte, erschießen musste, als man die Diebe beim Stehlen ertappen und erschießen musste. Und wenn Genosse Bucharin sagte, dass es Leute gibt, die 4000 Rubel beziehen, dass man sie an die Wand stellen und erschießen muss, so ist das richtig. Man muss sie ausfindig machen. Bei uns gibt es nicht sehr viele Posten, wo man 4000 Rubel bekommen kann. Man reißt sich um sie. Wir haben keine Fachleute, darum dreht es sich, deshalb müssen wir 1000 Leute, erstklassige Fachleute auf ihren Gebieten heranziehen, die ihr Fach schätzen, die die Großproduktion lieben„ weil sie wissen, dass sie auf einer hohen Technik beruht. Und wenn man hier sagt, dass man den Sozialismus aufbauen kann, ohne bei der Bourgeoisie in die Lehre zu gehen, so weiß ich, dass das die Psychologie von Bewohnern Zentralafrikas ist. Wir können uns keinen anderen Sozialismus vorstellen als den, der sich auf den Grundlagen aller Lehren aufbaut, die die große kapitalistische Kultur geschaffen hat. Sozialismus ohne Post, Telegraph, Maschinen ist eine leere Phrase. Aber auf einmal kann man nicht die bürgerliche Umgebung und die bürgerlichen Gewohnheiten beseitigen, dazu bedarf es jener Organisation, auf der sich die gesamte moderne Wissenschaft und Technik aufbaut. Bei dieser Gelegenheit an das Gewehr zu erinnern, ist eine kapitale Dummheit. Die Organisiertheit des ganzen Volkes; macht es möglich, dass die ganze Bevölkerung Einkommensteuer zahlt, dass die Arbeitspflicht eingeführt wird, dass jeder registriert wird; solange einer nicht registriert ist, müssen wir ihm zahlen … Wenn Bucharin sagte, dass er hier kein Prinzip sehe, so gehört das nicht hierher. Marx dachte an einen Loskauf von der Bourgeoisie als Klasse. Er schrieb in England, als es dort noch keinen Imperialismus gab, als dort ein friedlicher Übergang zum Sozialismus möglich war das ist keineswegs eine Berufung auf den früheren Sozialismus. Es handelt sich jetzt nicht um die Bourgeoisie, sondern um die Heranziehung der Fachleute. Ich habe ein Beispiel genannt, man kann Tausende anführen. Hier haben wir einfach eine Heranziehung von Leuten, die man heranziehen kann entweder durch Zahlung hoher Löhne oder durch eine ideelle Organisation, denn ihr werdet es hier nicht vermeiden, dass das ganze Lehrgeld den Fachleuten bezahlt wird. Wir wissen aus dem Beispiel, das ich angeführt habe … Bisher habt ihr ja nur schweigend kritisiert. Die linken Sozialrevolutionäre wissen doch ausgezeichnet, dass hohe Gehälter bezahlt werden. Auch die linken Kommunisten und die Leute von der „Nowaja Schisn" wissen das.16

Hier aber kritisieren sie nicht. Und das nennt man aufrichtige Kritik an der Sowjetmacht! Als sie sahen, dass man anfing, ihren Ingenieuren Anderthalbtausend zu bezahlen, da schwiegen sie. Es ist viel nützlicher, solchen Ingenieuren zu zahlen. Und hier kann keine Rede sein von Julius Cäsar oder von Diktatur. Das ist gerade politische Erziehung der Volksmassen. Wenn ich aber sage, dass wir 1500-2000 Rubel monatlich zu zahlen anfangen, so ist das – ein Schritt rückwärts. Und dann treten auf die Bildfläche Julius Cäsar und Napoleon III. und Brest-Litowsk und alles mögliche. Aber über eure Fachleute, eure Ingenieure keine Silbe, Stillschweigen. Und wenn man sagt, wenn Bucharin sagt, dass das keine Verletzung des Prinzips sei, so sage ich, dass wir hier eine Verletzung des Prinzips der Pariser Kommune haben. Der Staatskapitalismus besteht nicht in Geld, sondern in den gesellschaftlichen Verhältnissen. Wenn wir auf Grund des Eisenbahndekrets Gehälter von 2000 Rubel zahlen, so ist das Staatskapitalismus. Wenn Genosse Bucharin auf die Zimmerwalder Resolution von 1915 hingewiesen hat, so beweist das, dass er aus dieser schlecht verdauten Theorie nicht herauskommt. Machen sie sich frei davon, Genosse Bucharin.

Nun hat Genosse Bucharin erklärt, dass ich über die kleinbürgerliche Zügellosigkeit herfalle.

Ich habe nicht die werktätige Bauernschaft angegriffen, als ich von der kleinbürgerlichen Zügellosigkeit sprach. Lassen wir die werktätige Bauernschaft beiseite, nicht von ihr ist die Rede. Aber unter der Bauernschaft gibt es eine werktätige Bauernschaft und eine kleinbürgerliche Bauernschaft, die wie ein kleiner Eigentümer auf fremde Kosten lebt, die werktätige Bauernschaft dagegen wird von anderen ausgebeutet, will aber selbst in den Genuss der Früchte ihrer Arbeit kommen. Wenn man deshalb angefangen hat, über die werktätige Bauernschaft herzufallen, so ist Genosse Karelin im Unrecht. Die arme Bauernschaft, die beim Raub des Geraubten nichts gewinnt, ist auf unserer Seite. Dort werden unsere Losungen Erfolg haben. Wir wissen sehr gut und beobachten, wie man auf dem Lande die Losung „Raube das Geraubte" auffasst. Wenn man mit der Agitation von der Diktatur und den Phrasen vom Brester Frieden usw. dorthin geht, so werden diejenigen, die gegen uns sprechen, allein dastehen und keine Unterstützung finden. Das Proletariat, die Masse der Bauernschaft, die ruiniert ist und sich in Bezug auf die Individualwirtschaft in einer hoffnungslosen Lage befindet, wird auf unserer Seite sein, weil sie ausgezeichnet versteht, dass man Russland durch einfachen Raub nicht behaupten kann. Das wissen wir alle sehr gut. Und jeder sieht und fühlt das bei sich zu Hause.

Hier gehen wir zusammen mit den wirtschaftlichen Bedürfnissen und der Stimmung der werktätigen Massen. Und wenn die deklassierte Intelligenz der linken Kommunisten Blitz und Donner gegen uns schleudert, so müssen wir überzeugt sein, wie sehr sie uns auch schmähen mögen, dass diese Losung der sozialistischen Revolution die einzig richtige Losung ist, die die werktätigen Massen verstehen und anwenden müssen, damit wir die sozialistische Revolution stärken und zu Ende führen. Um diese Frage wird man in keiner Arbeiterversammlung herumkommen, man wird euch mit diesem Dekret, mit dieser Frage verfolgen. Wir erheben keinen Anspruch auf Unfehlbarkeit, wir haben viele schlechte Dekrete. Verbessert sie. Ihr habt verschiedene Zeitschriften und Literatengruppen, sagt doch, was in dem Eisenbahndekret schlecht ist. Wir haben euch vorgeschlagen, das in der Beratung vom 4. April zu tun. Heute haben wir bereits den 29. April. 25 Tage sind vergangen, aber die ganze Gruppe dieser ausgezeichneten Schriftsteller schweigt, weil sie nichts sagen kann.

Ihr wisst, dass unser Dekret über die Eisenbahnen trotz aller seiner Fehler, die wir zu korrigieren bereit sind, das Wesentlichste, was wir brauchen, erfasst hat. Es stützt sich auf diejenige Masse der Arbeiter, die der strengsten Disziplin ergeben ist, die durch die Befehlsgewalt einer einzelnen Person zusammengefasst werden muss, welche von den Sowjets ernannt und abgesetzt wird. Das erfordert während der Arbeit die widerspruchslose Durchführung der Anordnungen dort, wo es notwendig ist, dass die große Produktion wie eine Maschine arbeite, und dass in dieser Zeit tausende Menschen vom einem einzigen Willen geleitet werden und sich dem Befehl eines Sowjetleiters unterwerfen… Und aus diesem Anlass an Napoleon und Julius Cäsar erinnern, bedeutet entweder, dass man den Verstand verloren oder sich endgültig in den Zeilen jener Zensusliteratur verirrt hat, die sich mit nichts anderem abgibt, als mit Beschimpfungen der Bolschewiki. Das Dekret über die Eisenbahnen, Genossen, ist ein Schritt, der zeigt, dass wir den richtigen Weg beschritten haben, dass wir uns den Weg frei gemacht haben. Und in meiner Rede habe ich euch mitgeteilt, warum wir diesen Weg beschritten haben. Wir haben im Rat der Volkskommissare keine Betrachtungen angestellt über Napoleon den Großen und Julius Cäsar, aber hundertmal darüber nachgedacht, wie man das Eisenbahnwesen bessern kann, und wir wissen auf Grund von Äußerungen aus der Provinz, auf Grund einer Menge von Unterredungen mit Eisenbahnerorganisationen, dass das proletarische Element für uns ist, dass es Disziplin sucht und Ordnung erwartet. Es sieht, wie die Menschen in Zentralrussland hungern. Aber Brot ist da. Infolge der Unordnung im Transportwesen ist es jedoch schwer, es herbeizuschaffen.

Und wenn es schwankende Menschen gibt, die irre geworden sind, mit kleinbürgerlichen Stimmungen, die durch die persönliche Befehlsgewalt erschreckt worden sind, hysterische Anfälle bekommen und nicht mit uns gehen, worauf ist das zurückzuführen? Darauf, dass es einen rechten Flügel gibt, dass man hysterische Anfälle bekommen hat, besonders die linken Sozialrevolutionäre? Hier haben wir ein völliges Durcheinander, aus dem niemand klug wird. Und um keinen fruchtlosen Streit zu führen, sagen wir, nehmt die Hauptfrage und geht konkret an sie heran.

Wenn man hier von Versöhnung mit der Bourgeoisie redet, wie Karelin und Martow, so ist das Unsinn. Ich erinnere euch daran, wie Kautsky in seiner autoritativen Broschüre sich das Leben am Tage nach der sozialen Revolution vorstellte. Ich will ungefähr wiedergeben, was er geschrieben hat: Die Organisatoren der Trusts werden nicht untätig da zu sitzen brauchen.17 Das schrieb ein Mensch, der versteht, dass es keine Kleinigkeit ist, Dutzende Millionen von Menschen für die Produktion und die Verteilung der Produkte zu organisieren! Das haben wir nicht gelernt und konnten es auch nirgendwo lernen. Die Organisatoren der Trusts aber wissen, dass der Sozialismus ohne diese Kenntnisse unmöglich ist. Und auch wir müssen das wissen. Deshalb sind alle Phrasen von Versöhnung und Kompromissen mit der Bourgeoisie nichts als leeres Geschwätz. Ihr könnt die These Kautskys nicht widerlegen, dass man die große Produktion aus eigener Erfahrung kennen muss.

1 Um möglichst vielen die Möglichkeit zu geben, die Rede Lenins „Über die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht" zu hören, wurde die Sitzung des Allrussischen Zentralexekutivkomitees vom 29. April im Polytechnischen Museum abgehalten. Die Sitzung wurde um 10 Uhr abends eröffnet. Die Versammelten begrüßten Lenin mit stürmischem Beifall. In der Diskussion traten auf: von den Maximalisten F. Swetlow, von den linken Sozialrevolutionären W. Karelin, von den rechten Sozialrevolutionären Lichatsch, von den Menschewiki J. Martow, von den Sozialdemokraten-Internationalen G. Lindow, von den Bolschewiki L. Sosnowski, von den Anarchisten A. Gey und schließlich N. Bucharin. Mit Ausnahme von Lindow und Sosnowski, die auf dem Standpunkt Lenins standen, kritisierten alle Redner das Referat. Nach dem Schlusswort Lenins wurden die von Lenin aufgestellten Thesen vom Allrussischen Zentralexekutivkomitee bestätigt. Die endgültige Redaktion wurde dem Präsidium des Allrussischen Zentralexekutivkomitees und dem Referenten übertragen. Lenin summierte die in seinem Aufsatz „Die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht" und in dem Referat aufgestellten Forderungen in 6 Thesen, die mit geringen Ergänzungen in der Sitzung des ZK der Partei am 3. Mai einstimmig angenommen wurden. Die „Sechs Thesen über die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht" erschienen als Beilage zu der Broschüre: „N. Lenin. Die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht".

2 Der II. Parteitag der linken Sozialrevolutionäre (Internationalisten) fand vom 17.–25. April 1918 statt.

3 Lenin zitiert den Artikel W. L.s: „Eine Lehre" („Snamja Truda" Nr. 188 vom 25. April 1918).

4 Gemeint ist der dritte Punkt der Thesen von I. Issuw, die auf Grund seines Referats angenommen wurden: „Die politische Lage und die Aufgaben der Partei", das er in der Plenartagung des Moskauer Gebietskomitees der Vereinigten Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands hielt. Auf diesen Punkt der Thesen kommt Lenin abermals in dem Artikel „Über ,linke' Kinderei und Kleinbürgerlichkeit" zurück und zitiert ihn wörtlich.

5 Die in der Zeitschrift „Kommunist" Nr. 1 vom 20. April 1918 erschienenen „Thesen über die gegenwärtige Lage" wurden am 4. April in einer gemeinsamen Sitzung der Gruppe linker Kommunisten und Mitglieder des ZK verlesen und diskutiert. Die ersten 6 Punkte der Thesen geben eine Analyse des Brester Friedens und eine Kritik der Politik der „Atempause".

Eine ausführliche Analyse der Thesen gibt Lenin in seinem Artikel „Über ,linke' Kinderei und Kleinbürgerlichkeit".

6 Lenin meint folgende Stelle in den „Thesen über den gegenwärtigen Augenblick": „Die Verteidigung des sozialistischen Vaterlandes wird sich dann in Wirklichkeit als die Verteidigung eines kleinbürgerlichen Vaterlandes erweisen, das dem Einfluss des internationalen Kapitals unterworfen ist." („Kommunist" Nr. 1 vom 20. April 1918.)

7 Lenin meint offenbar folgende Stelle aus dem Artikel N. Ossinskis„Über den Aufbau des Sozialismus", der in Nr. 1 der Zeitschrift „Kommunist" erschien: „Die gesamte Initiative bei der Organisierung und Leitung des Betriebs wird den ,Organisatoren der Trusts' gehören; denn wir wollen sie ja nicht lehren, sie nicht zu einfachen Arbeitern machen, sondern wollen bei ihnen lernen." Dieser Artikel Ossinskis richtete sich gegen die von Lenin in seinem Aufsatz „Die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht" aufgestellten Thesen.

8 Gemeint ist folgende Stelle in dem Artikel A. Lomows „Wirtschaftliche Notizen" im „Kommunist" Nr. 1: „Die Frage bestand darin, wie man die Fachleute heranziehen soll, und sie wurde in dem Sinne entschieden, dass die Arbeiter- und Bauernregierung sie verwendet, ohne ihnen eine leitende Stellung einzuräumen. Jetzt ändert sich die Situation. An die Stelle der Ausnutzung tritt die Gefahr, dass man selbst ausgenutzt wird."

9 Lenin meint den Artikel A. Martynows „Die bolschewistische Nationalisierung der Industrie?" in der Zeitung „Wperjod" vom 14. April 1918 und folgende Stelle aus den Thesen I. Issuws über „Die politische Lage und die Aufgaben der Partei": „…Unter der Flagge der Nationalisierung der Industrie wird eine Politik der Großzüchtung von Industrietrusts getrieben. Unter der Flagge der Wiederherstellung der Produktivkräfte des Landes werden Versuche gemacht, den achtstündigen Arbeitstag aufzuheben, die Akkordarbeit, das Taylorsystem, schwarze Listen und ,Wolfspässe' wiedereinzuführen. Diese Politik beschwört die Gefahr herauf, dass das Proletariat seine wichtigsten Errungenschaften auf wirtschaftlichem Gebiet einbüßt und zu einem Opfer unbeschränkter Ausbeutung durch die Bourgeoisie gemacht wird."

10 Zitat aus den „Thesen über die gegenwärtige Lage".

11 N. Bucharins Rezension des Buches von Lenin „Staat und Revolution" erschien in Nr. 1 des „Kommunist" vom 20. April 1918.

12 Die Losung des ZK der Partei zum 1. Mai lautete: „Nach dem Sieg über die Kapitalisten müssen wir unsere eigene Unorganisiertheit besiegen. Nur so können wir uns vom Hunger und der Arbeitslosigkeit retten."

13 Der Anarchist A. Gey erklärte in der Sitzung des Allrussischen Zentralexekutivkomitees vom 29. April in der Diskussion zum Referat Lenins. „Über die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht" folgendes: „Das westeuropäische Proletariat ist verpestet, hypnotisiert. Das westeuropäische Proletariat fühlt sich politisch als Träger eines Stücks der Macht und als Teil desselben Staates, den es jetzt verteidigt, während das russische Proletariat kein Staatsgefühl kennt, der russische Arbeiter und Bauer durch den Staat nicht verpestet und hypnotisiert sind… Deshalb glaube ich übrigens, dass die Hoffnung auf die Unterstützung durch das deutsche Proletariat eine Utopie ist; denn das deutsche Proletariat wird erst später unter all den übrigen Völkern sein, die das Banner der sozialen Revolution erheben werden."

14 Satz verstümmelt. Die Red.

15 A. Gey erklärte in der Sitzung des Allrussischen Zentralexekutivkomitees vom 29. April in der Diskussion zum Referat „Über die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht" folgendes: „Mit den Saboteuren darf man nicht so reden, wie die Bolschewiki es tun. Wir werden ja sehen, wie sie sabotieren werden, wenn wir nach Übernahme der Produktion in unsere Hände ihnen die Knie auf die Brust setzen, wenn wir ihnen das Gewehr vorhalten und sagen: ,Wollt ihr arbeiten, wie früher, wollt ihr eure Kenntnisse zurückgeben, die ihr euch auf Kosten des Volkes erworben habt? Wenn ihr es nicht wollt, dann nehmt Abschied vom Leben!' Und dann wollen wir sehen, wie sie sabotieren werden."

16 Der Text dieses Absatzes ist teilweise stark verstümmelt. Die Red.

17 Kautsky schrieb in seiner Broschüre: „Am Tage nach der sozialen Revolution" folgendes: „Dementsprechend werden daher die organisatorischen Talente unter seinen Angestellten vom Kapital besonders hochgeschätzt und belohnt. So wachsen zahlreiche organisatorische Talente heran, die auch ein proletarisches Regime mit Nutzen wird verwenden können. Wir werden die Fabrikdirektoren und Trustleiter nicht zur Untätigkeit verdammen!" (K. Kautsky: „Die soziale Revolution"; II. „Am Tage nach der sozialen Revolution", 3. Auflage, Berlin, Verlag „Vorwärts", S. 47.)

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