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Wladimir I. Lenin 19210814 Brief an die deutschen Kommunisten

Wladimir I. Lenin: Brief an die deutschen Kommunisten

[Ausgewählte Werke, Band 10. Die Kommunistische Internationale. Moskau 1937, S. 283-294]

Werte Genossen!

Ich hatte vor, in einem ausführlichen Artikel meine Ansicht über die Lehren des III. Kongresses der Kommunistischen Internationale darzulegen. Leider war ich bisher wegen Krankheit nicht imstande, diese Arbeit in Angriff zu nehmen. Die Festsetzung des Parteitags Eurer Partei, der VKPD, auf den 22. August veranlasst mich, mich mit diesem Brief zu beeilen, den ich in einigen Stunden beenden muss, um mit der Absendung nach Deutschland nicht zu verspäten.

Soweit ich es beurteilen kann, ist die Lage der Kommunistischen Partei in Deutschland besonders schwierig. Das ist begreiflich.

Erstens, und das ist die Hauptsache, hat die außenpolitische Lage Deutschlands seit Ende 1918 seine innere revolutionäre Krise außerordentlich rasch und scharf zugespitzt und drängte die Avantgarde des Proletariats zur sofortigen Eroberung der Macht. Gleichzeitig hat sich die ausgezeichnet bewaffnete und organisierte, durch die „russische Erfahrung“ gewitzigte deutsche und die ganze internationale Bourgeoisie mit tollem Hass auf das revolutionäre Proletariat Deutschlands gestürzt. Zehntausende der Besten in Deutschland, seiner revolutionären Arbeiter sind erschlagen, zu Tode gefoltert worden von der Bourgeoisie, von ihren Helden, von den Noske und Co., von ihren direkten Dienern, den Scheidemännern u. a., von ihren indirekten und „raffinierten“ (daher für sie besonders wertvollen) Helfershelfern, den Rittern der „2½ Internationale“, mit ihrer gemeinen Charakterlosigkeit, ihren Schwankungen, ihrer Pedanterie und ihrem Spießertum. Die bewaffnete Bourgeoisie stellte den wehrlosen Arbeitern Fallen, mordete sie in Massen hin, mordete ihre Führer, lauerte systematisch einem nach dem anderen auf, wobei sie das konterrevolutionäre Geheul aus den Reihen der Sozialdemokraten beider Schattierungen, der Scheidemänner und Kautskyaner glänzend ausnutzte. Eine wirklich revolutionäre Partei hatten die deutschen Arbeiter im Augenblick der Krise noch nicht, infolge des Verspätens der Spaltung, infolge des Druckes der verfluchten Tradition der „Einheit“ mit der korrupten (die Scheidemann, Legien, David und Co.) und charakterlosen (die Kautsky, Hilferding und Co.) Bande der Lakaien des Kapitals. In jedem ehrlichen, klassenbewussten Arbeiter, der das Baseler Manifest von 1912 für bare Münze nahm, und nicht für „Ausflüchte“ der Schurken der Sorte „2“ und „2½“ hielt, erwachte in unglaublicher Schärfe der Hass gegen den Opportunismus der alten deutschen Sozialdemokratie, und dieser Hass – das edelste, erhabenste Gefühl der Besten aus der geknechteten und ausgebeuteten Masse – machte die Leute blind, nahm ihnen die Möglichkeit, kaltblütig zu überlegen, eine eigene richtige Strategie auszuarbeiten als Antwort auf die glänzende Strategie der bewaffneten, organisierten, durch die „russische Erfahrung“ gewitzigten, von Frankreich, England und Amerika unterstützten Kapitalisten. Dieser Hass trieb sie zu vorzeitigen Aufständen.

Das ist der Grund dafür, warum die Entwicklung der revolutionären Arbeiterbewegung in Deutschland seit Ende 1918 einen besonders schweren und qualvollen Weg gegangen ist. Aber sie ist vorwärtsgeschritten und schreitet unaufhaltsam vorwärts. Die allmähliche Verschiebung nach links, die sich bei den Arbeitermassen, bei der wirklichen Mehrheit der Werktätigen und Ausgebeuteten in Deutschland vollzieht, sowohl bei den in den alten menschewistischen (d. h. der Bourgeoisie dienenden) Gewerkschaften1 Organisierten als auch bei den überhaupt oder fast gar nicht Organisierten, ist eine unbestreitbare Tatsache. Kalt Blut und Ausdauer bewahren; systematisch die Fehler der Vergangenheit korrigieren; unaufhörlich darauf bedacht sein, die Mehrheit der Arbeitermassen sowohl in den Gewerkschaften als auch außerhalb der Gewerkschaften zu erobern; geduldig eine starke und kluge Kommunistische Partei aufbauen, die fähig ist, die Massen bei allen und jeglichen Wendungen der Ereignisse wirklich zu führen; sich eine Strategie ausarbeiten, die der besten internationalen Strategie der (durch die jahrhundertelange Erfahrung im Allgemeinen und durch die „russische Erfahrung“ im Besonderen) „aufgeklärten“ fortgeschrittensten Bourgeoisie gewachsen ist, – das muss man tun, und das wird das deutsche Proletariat tun, das garantiert ihm den Sieg.

Andererseits wird augenblicklich die schwierige Lage der Kommunistischen Partei Deutschlands durch die Absplitterung der kläglichen Kommunisten von links („Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands“) und von rechts (Paul Levi mit seinem Blättchen „Unser Weg“ oder „Sowjet“) noch mehr erschwert.

Die „Linken“ oder „KAPD-isten“ haben von uns auf der internationalen Arena seit dem II. Kongress der Kommunistischen Internationale genügend Verwarnungen erhalten. Solange wenigstens in den wichtigsten Ländern sich noch keine genügend starken, erfahrenen, einflussreichen2 kommunistischen Parteien herausgebildet haben, müssen wir die Teilnahme halb anarchistischer Elemente auf unseren internationalen Kongressen dulden, und sie ist sogar bis zu einem gewissen Grade nützlich. Nützlich insofern, als diese Elemente ein anschauliches „abschreckendes Beispiel“ für unerfahrene Kommunisten bilden, und auch insofern, als sie selbst noch fähig sind, zu lernen. In der ganzen Welt zerfällt der Anarchismus – und nicht seit gestern, sondern seit Beginn des imperialistischen Krieges 1914-1918 – in zwei Richtungen: in eine für die Sowjets und eine gegen die Sowjets, in eine für die Diktatur des Proletariats und eine gegen die Diktatur des Proletariats. Man muss diesen Zerfallsprozess des Anarchismus reifen und ausreifen lassen. In Westeuropa gibt es fast keine Menschen, die einigermaßen große Revolutionen durchgemacht haben; die Erfahrung der großen Revolutionen ist dort fast gänzlich vergessen; der Übergang aber vom Wunsch, revolutionär zu sein, und vom Gerede (und den Resolutionen) über die Revolution zur wirklichen revolutionären Arbeit ist ein sehr schwieriger, langsamer und qualvoller Übergang.

Selbstverständlich kann und darf man jedoch nur mit Maß halb anarchistische Elemente dulden. In Deutschland haben wir sie sehr lange geduldet. Der III. Kongress der Kommunistischen Internationale stellte ihnen ein genau befristetes Ultimatum. Wenn sie jetzt selber die Kommunistische Internationale verlassen haben, um so besser. Erstens haben sie uns der Mühe enthoben, sie auszuschließen. Zweitens ist vor allen schwankenden Arbeitern, vor allen, die aus Hass gegen den Opportunismus der alten Sozialdemokratie zum Anarchismus neigten, jetzt mit besonderer Gründlichkeit und besonderer Anschaulichkeit demonstriert worden, durch genaue Tatsachen bewiesen worden, dass die Kommunistische Internationale Geduld an den Tag gelegt hat, dass sie die Anarchisten keineswegs sofort und unbedingt hinausgejagt hat, dass sie sie aufmerksam angehört und ihnen geholfen hat zu lernen.

Jetzt müssen wir den KAPD-isten weniger Aufmerksamkeit schenken. Mit unserer Polemik gegen sie machen wir nur Reklame für sie. Sie sind allzu unvernünftig; sie ernst zu nehmen, wäre falsch; ihnen böse zu sein, lohnt nicht. Einfluss auf die Massen besitzen sie nicht und werden sie nicht bekommen, wenn wir selber keine Fehler machen werden. Lassen wir diese winzige Richtung eines natürlichen Todes sterben; die Arbeiter werden selbst ihre Unfruchtbarkeit erkennen. Wir wollen die organisatorischen und taktischen Beschlüsse des III. Kongresses der Kommunistischen Internationale gründlicher propagieren und sie in die Tat umsetzen und weniger Reklame für die KAPD-isten durch unsere Polemik mit ihnen machen. Die Kinderkrankheit Radikalismus geht mit dem Wachstum der Bewegung vorüber und wird auch vergehen.

Genau so helfen wir jetzt auch unnötigerweise Paul Levi, machen ihm unnötigerweise Reklame durch unsere Polemik gegen ihn. Er will ja nichts anderes, als dass wir mit ihm diskutieren. Nach dem Beschluss des III. Kongresses der Kommunistischen Internationale muss man ihn vergessen und die ganze Aufmerksamkeit, alle Kräfte konzentrieren auf die friedliche (ohne Stunk, ohne Polemik, ohne Aufwühlung der Streitigkeiten von gestern), sachliche, positive Arbeit im Geist der Beschlüsse unseres III. Kongresses. Gegen diesen allgemeinen und einstimmig gefassten Beschluss des Kongresses versündigt sich meiner Meinung nach nicht wenig der Artikel des Genossen K. Radek: „Der III. Weltkongress über die Märzaktion und die weitere Taktik“ (im Zentralorgan der VKPD „Die Rote Fahne“ vom 14. und 15. Juli 1921). Dieser Artikel, den mir ein Genosse aus den Kreisen der polnischen Kommunisten zugeschickt hat, ist ohne jede Notwendigkeit – und zum direkten Schaden der Sache – nicht nur gegen Paul Levi zugespitzt (das wäre noch ganz unwichtig), sondern auch gegen Klara Zetkin. Klara Zetkin aber hat selbst in Moskau, während des III. Kongresses, den „Friedensvertrag“ mit dem ZK („Zentrale“) der VKPD über eine gemeinschaftliche, unfraktionelle Arbeit geschlossen! Und dieser Vertrag ist von uns allen gebilligt worden. Genosse K. Radek ist in seinem unangebrachten polemischen Übereifer so weit gegangen, dass er eine direkte Unwahrheit sagt, wenn er Zetkin den Gedanken unterstellt, dass sie „jede allgemeine Aktion der Partei auf den Tag verlegt, wo die großen Massen aufstehen werden“. Selbstverständlich erweist Genosse Karl Radek mit solchen Methoden Paul Levi einen Dienst, wie er ihn sich besser nicht wünschen könnte. Paul Levi will ja nichts anderes, als dass die Streitigkeiten sich endlos hinziehen, dass möglichst viele Leute in die Streitigkeiten hineingezogen werden, dass man Zetkin durch polemische Verletzungen jenes „Friedensvertrages“, den sie selbst geschlossen hat und der von der ganzen Kommunistischen Internationale gutgeheißen worden ist, von der Partei abzustoßen suche. Genosse Karl Radek hat mit seinem Artikel ein ausgezeichnetes Beispiel dafür geliefert, wie man „von links“ Paul Levi hilft.

Hier muss ich den deutschen Genossen erklären, warum ich Paul Levi auf dem III. Kongress so lange verteidigt habe. Erstens, weil ich Levi durch Radek in der Schweiz im Jahre 1915 oder 1916 kennengelernt habe. Levi war schon damals Bolschewik. Und ich kann mich eines gewissen Misstrauens gegenüber denen nicht erwehren, die erst nach dem Sieg des Bolschewismus in Russland und einer Reihe von Siegen auf der internationalen Arena zu ihm gekommen sind. Aber selbstverständlich ist dieser Grund ein verhältnismäßig unwichtiger, denn ich kenne immerhin Paul Levi persönlich sehr wenig. Unvergleichlich wichtiger war der zweite Grund, nämlich der, dass Levi mit seiner Kritik an der Märzaktion 1921 in Deutschland in vielem im Wesen der Sache Recht hat (natürlich nicht darin, dass die Märzaktion ein „Putsch“ gewesen sei: diese Behauptung Paul Levis ist Unsinn).

Allerdings hat Levi alles Mögliche und viel Unmögliches getan, um seine Kritik zu schwächen und zu verderben, um sich und den anderen das Verständnis für das Wesen der Sache durch eine Menge von Kleinigkeiten zu erschweren, in denen er offenbar Unrecht hat. Levi hat seiner Kritik eine unzulässige und schädliche Form gegeben. Levi, der den anderen eine vorsichtige und ernst durchdachte Strategie predigt, hat selbst mehr Dummheiten angestellt als irgendein grüner Junge, indem er sich so voreilig, so unvorbereitet, in so absurder Weise, so unsinnig in den „Kampf“ stürzte, dass er bestimmt den „Kampf“ verlieren musste (und auf lange Jahre sich die Arbeit unmöglich gemacht oder erschwert hat), obwohl dieser „Kampf“ gewonnen werden konnte und musste. Levi hat wie ein „anarchistischer Intellektueller“ (wenn ich nicht irre, nennt man das zu deutsch Edelanarchist) gehandelt, anstatt wie ein organisiertes Mitglied der proletarischen Kommunistischen Internationale vorzugehen. Levi hat die Disziplin gebrochen.

Durch diese Reihe von unglaublich dummen Fehlern hat Levi die Konzentrierung der Aufmerksamkeit auf das Wesen der Sache erschwert. Das Wesen der Sache aber, d. h. die Einschätzung und Korrektur der zahlreichen von der VKPD während der Märzaktion 1921 begangenen Fehler hatte und hat eine gewaltige Bedeutung. Um diese Fehler (die von manchen als Perle der marxistischen Taktik gepriesen wurden) zu klären und zu korrigieren, musste man während des III. Kongresses der Kommunistischen Internationale auf dem rechten Flügel stehen. Sonst wäre die Linie der Kommunistischen Internationale falsch gewesen.

Ich verteidigte Paul Levi und musste ihn verteidigen, weil ich Gegner Paul Levis vor mir hatte, die ganz einfach über „Menschewismus“ und „Zentrismus“ schrien und die Fehler der Märzaktion und die Notwendigkeit, sie zu klären und zu korrigieren, nicht einsehen wollten. Diese Leute verwandelten den revolutionären Marxismus in eine Karikatur, den Kampf gegen den „Zentrismus“ in einen lächerlichen Sport. Diese Leute konnten der ganzen Sache den größten Schaden zufügen, denn „niemand in der Welt ist imstande, die revolutionären Marxisten zu kompromittieren, – es sei denn sie selbst“.

Ich sagte diesen Leuten: nehmen wir an, Levi sei Menschewik geworden. Ich kenne ihn persönlich wenig, ich werde mich nicht dagegen sträuben, wenn man mir das beweisen wird. Aber zunächst ist das noch nicht bewiesen. Zunächst ist nur bewiesen, dass er den Kopf verloren hat. Deswegen allein einen Menschen zum Menschewik zu stempeln, ist eine kindische Albernheit. Die Herausbildung erfahrener, sehr einflussreicher Parteiführer ist eine langwierige, schwere Sache. Aber anders wird die Diktatur des Proletariats, die „Einheit des Willens“ des Proletariats eine Phrase bleiben. Bei uns in Russland dauerte die Herausbildung einer Gruppe von Führern 15 Jahre (1903-1917), 15 Jahre Kampf gegen den Menschewismus, 15 Jahre Verfolgung durch den Zarismus, 15 Jahre, zu denen die Jahre der ersten Revolution (1905), einer großen und mächtigen Revolution, zählten. Und trotzdem hat es bei uns traurige Fälle des „Kopfverlierens“ sogar bei ausgezeichneten Genossen gegeben. Wenn die westeuropäischen Genossen sich einbilden, dass sie gegen solche „traurigen Fälle“ gesichert sind, so ist das eine solche Kinderei, dass man unbedingt den Kampf gegen sie führen muss.

Levi musste wegen Disziplinbruch ausgeschlossen werden. Die Taktik musste auf Grund der eingehendsten Klärung und Korrektur der Fehler der Märzaktion von 1921 bestimmt werden. Wenn Levi nachher sein Verhalten nicht ändern wird, so wird er die Richtigkeit seines Ausschlusses bestätigen, dann wird für die schwankenden oder unsicheren Arbeiter die völlige Richtigkeit der Beschlüsse des III. Kongresses über Paul Levi um so stärker, um so überzeugender erwiesen sein.

Und da ich auf dem Kongress die Fehler Levis sehr vorsichtig behandelte, so kann ich jetzt mit um so größerer Gewissheit sagen, dass Levi sich beeilt hat, die schlimmsten Erwartungen zu bestätigen. Vor mir liegt die Nr. 6 seines Blättchens „Unser Weg“ (vom 15. 7. 1921). Aus der Erklärung der Redaktion, die an der Spitze der Zeitschrift zu finden ist, geht hervor, dass Paul Levi die Beschlüsse des III. Kongresses bekannt sind. Und seine Antwort auf sie? Menschewistische Schlagworte vom „großen Bann“, vom „kanonischen Recht“, darüber, dass er diese Beschlüsse „in vollständiger Freiheit diskutieren“ wird. Was für eine Freiheit kann noch vollständiger sein, als wenn jemand von dem Namen eines Mitglieds der Partei und eines Mitglieds der Kommunistischen Internationale befreit worden ist! Und schreiben werden bei ihm, bei Levi, man höre nur, Parteimitglieder, und zwar anonym!

Zuerst – Unterwühlen der Partei, Schläge aus dem Hinterhalt, Stören der Parteiarbeit.

Dann – sachliche Diskussion über die Kongressbeschlüsse.

Das ist ausgezeichnet.

Damit vernichtet Levi sich selbst endgültig.

Paul Levi möchte den Streit verlängern.

Es wäre der größte strategische Fehler, diesen Wunsch zu erfüllen. Ich würde den deutschen Genossen raten: die Polemik gegen Levi und sein Blättchen in der Tagespresse der Partei zu verbieten. Man soll ihm keine Reklame machen. Man soll ihm nicht erlauben, die Aufmerksamkeit der kämpfenden Partei von dem Wichtigen auf das Unwichtige abzulenken. In Fällen der äußersten Notwendigkeit soll man in Wochenschriften, in Monatsschriften oder Broschüren polemisieren und nach Möglichkeit den KAPD-isten und Paul Levi nicht das Vergnügen bereiten, das sie empfinden, wenn sie bei Namen genannt werden; man soll vielmehr einfach von „einigen nicht sehr klugen Kritikern, die sich unbedingt für Kommunisten halten wollen“ sprechen.

Mir wird mitgeteilt, dass in der letzten Sitzung des Zentralausschusses sogar der Linke Friesland sich gezwungen sah, gegen Maslow scharf aufzutreten, der Radikalismus spielen und sich im Sport der „Zentristenhetze“ üben wollte. Die Unvernunft (milde gesagt) des Verhaltens dieses Maslow hat sich auch hier in Moskau gezeigt. In der Tat, die deutsche Partei sollte diesen Maslow und zwei, drei seiner Gesinnungsfreunde und Mitstreiter, die den „Friedensvertrag“ offenbar nicht einhalten wollen und sich sehr unklug ereifern, auf ein, zwei Jahre nach Sowjetrussland schicken. Wir würden für sie nützliche Arbeit finden. Wir würden sie verdauen. Der Nutzen aber für die internationale und für die deutsche Arbeiterbewegung wäre ein offensichtlicher.

Die deutschen Kommunisten müssen um jeden Preis die inneren Streitigkeiten beenden, die streitsüchtigen Elemente auf beiden Seiten entfernen, Paul Levi und die KAPD-isten vergessen und an die wirkliche Arbeit herangehen.

Und Arbeit gibt es viel.

Die taktische und die organisatorische Resolution des III. Kongresses der Kommunistischen Internationale bedeuten meines Erachtens für die Bewegung einen großen Schritt vorwärts. Man muss alle Kräfte anspannen, um diese beiden Resolutionen in die Tat umzusetzen. Das ist schwer, aber das kann und muss geschehen.

Zuerst mussten die Kommunisten der ganzen Welt ihre Prinzipien verkünden. Das ist auf dem I. Kongress geschehen. Das war der erste Schritt.

Der zweite Schritt war der organisatorische Aufbau der Kommunistischen Internationale und die Ausarbeitung der Aufnahmebedingungen, der Bedingungen der tatsächlichen Trennung von den Zentristen, von den direkten und indirekten Agenten der Bourgeoisie innerhalb der Arbeiterbewegung. Das ist auf dem II. Kongress geschehen.

Auf dem III. Kongress musste man die sachliche, positive Arbeit aufnehmen, unter Berücksichtigung der praktischen Erfahrungen des bereits begonnenen kommunistischen Kampfes konkret bestimmen, in welcher Weise taktisch und organisatorisch weitergearbeitet werden soll. Diesen dritten Schritt haben wir denn auch getan. Wir haben ein Heer von Kommunisten in der ganzen Welt. Es ist noch schlecht geschult, schlecht organisiert. Von größtem Schaden für die Sache wäre das Vergessen dieser Wahrheit oder die Furcht, sie anzuerkennen. Dieses Heer muss man in sachlicher Weise, indem man mit der größten Vorsicht und Strenge sich selbst prüft und die Erfahrung der eigenen Bewegung studiert, gründlich schulen, gründlich organisieren, bei allen möglichen Manövern, den verschiedensten Schlachten, offensiven und defensiven Operationen prüfen. Ohne diese lange und harte Schule kann man nicht siegen.

In der internationalen kommunistischen Bewegung war im Sommer 1921 der „springende Punkt“, dass einige der besten und einflussreichsten Teile der Kommunistischen Internationale diese Aufgabe nicht ganz richtig begriffen haben, ein klein wenig den „Kampf gegen den Zentrismus“ übertrieben, ein klein wenig jene Grenze überschritten haben, hinter der dieser Kampf sich in einen Sport verwandelt, hinter der die Kompromittierung des revolutionären Marxismus beginnt.

Das war der „springende Punkt“ auf dem III. Kongress.

Die Übertreibung war nicht groß. Aber ihre Gefahr war ungeheuer. Der Kampf gegen diese Übertreibung war schwer, denn die Übertreibung begingen die wirklich besten, treuesten Elemente, ohne die wohl überhaupt die Kommunistische Internationale nicht bestehen würde. In den in der Zeitung „Moskau“3 in deutscher, französischer und englischer Sprache veröffentlichten taktischen Abänderungsanträgen, die von der deutschen, ungarischen und italienischen Delegation unterzeichnet sind, ist diese Übertreibung in aller Schärfe hervorgetreten, um so schärfer, als die Abänderungsanträge zu dem (nach langer und allseitiger Vorbereitungsarbeit) bereits fertiggestellten Resolutionsentwurf eingebracht wurden. Die Ablehnung dieser Abänderungsanträge war ein Ausrichten der Linie der Kommunistischen Internationale, war ein Sieg über die Gefahr der Übertreibung.

Eine Übertreibung aber würde, wenn man sie nicht korrigiert, die Kommunistische Internationale bestimmt zugrunde richten. Denn „niemand in der Welt kann die revolutionären Marxisten kompromittieren, es sei denn sie selbst“. Niemand in der Welt ist imstande, den Sieg der Kommunisten über die II. und . Internationale (das aber bedeutet unter den Verhältnissen Westeuropas und Amerikas im 20. Jahrhundert, nach dem ersten imperialistischen Krieg, den Sieg über die Bourgeoisie) zu verhindern, wenn die Kommunisten selbst ihn nicht verhindern.

Eine Übertreibung aber, wenn auch nur eine ganz geringe, kann den Sieg verhindern.

Den Kampf gegen den Zentrismus übertreiben, heißt den Zentrismus retten, seine Stellung, seinen Einfluss auf die Arbeiter festigen.

Den siegreichen Kampf gegen den Zentrismus zu führen, haben wir im internationalen Ausmaß in der Zeit vom II. zum III. Kongress gelernt. Das ist durch die Tatsachen bewiesen. Diesen Kampf werden wir zu Ende führen (Ausschluss Levis und der Partei Serratis).

Aber den Kampf gegen unrichtige Übertreibungen bei der Bekämpfung des Zentrismus zu führen, haben wir im internationalen Ausmaß noch nicht gelernt. Diesen unseren Mangel haben wir jedoch erkannt, wie das der Verlauf und der Ausgang des III. Kongresses gezeigt hat. Und gerade deshalb, weil wir unseren Mangel erkannt haben, werden wir uns von ihm befreien.

Dann aber werden wir unbesiegbar sein, denn ohne die Stütze innerhalb des Proletariats (vermittels der bürgerlichen Agenten der II. und . Internationale) ist die Bourgeoisie in Westeuropa und in Amerika nicht imstande, die Macht zu behaupten.

Eine sorgfältigere, gründlichere Vorbereitung auf die neuen, immer entscheidenderen Kämpfe, sowohl auf die Verteidigungs- als auch auf die Angriffskämpfe, – das ist das Grundlegende und Wichtigste in den Beschlüssen des III. Kongresses.

Der Kommunismus wird in Italien zu einer aktiven Massenkraft, wenn die Kommunistische Partei Italiens unermüdlich und unbeirrt den Kampf gegen die opportunistische Politik Serratis führen und gleichzeitig einen engen Kontakt mit den proletarischen Massen in den Gewerkschaften, bei den Streiks, im Kampf gegen die konterrevolutionäre Bewegung der Faschisten haben wird, wenn sie die Massenaktionen der Arbeiterklasse zusammenfassen und ihre spontanen Ausbrüche in sorgfältig vorbereitete Kämpfe verwandeln wird …“

Die Vereinigte Kommunistische Partei Deutschlands wird um so erfolgreicher Massenaktionen durchführen können, je besser sie ihre Kampflosungen der wirklichen Lage der Dinge anpassen, je gründlicher sie diese Lage studieren wird und je mehr diese Aktionen koordiniert sein werden …“

Das sind die wichtigsten Stellen der taktischen Resolution des III. Kongresses.

Die Eroberung der Mehrheit des Proletariats für uns – das ist „die wichtigste Aufgabe“ (Überschrift des § 3 der Resolution über die Taktik).

Diese Eroberung der Mehrheit verstehen wir natürlich nicht formal, wie das die Ritter der Spießer„demokratie“ von der 2½. Internationale tun. Als in Rom, im Juli 1921, das gesamte Proletariat den Kommunisten Gefolgschaft leistete gegen die Faschisten, sowohl das reformistische Proletariat aus den Gewerkschaften als auch das zentristische aus der Partei Serratis, da war das die Eroberung der Mehrheit der Arbeiterklasse für uns.

Das war noch lange, lange nicht die entscheidende Eroberung, sondern nur eine teilweise, nur eine vorübergehende, nur eine lokale Eroberung. Aber das war eine Eroberung der Mehrheit. Eine solche Eroberung ist möglich, sogar dann, wenn die Mehrheit des Proletariats formal Führern aus der Bourgeoisie oder Führern, die eine bürgerliche Politik treiben (wie es alle Führer der II. und 2½. Internationale sind), Gefolgschaft leistet oder wenn die Mehrheit des Proletariats schwankt. Eine solche Eroberung schreitet unaufhaltsam in der ganzen Welt, überall und in jeder Weise vorwärts. Bereiten wir sie gründlicher und sorgfältiger vor, lassen wir keinen einzigen ernsten Fall außer Acht, wo die Bourgeoisie das Proletariat zwingt, sich zum Kampf zu erheben, lernen wir richtig die Momente bestimmen, wo die Massen des Proletariats sich unvermeidlich zusammen mit uns erheben müssen.

Dann wird unser Sieg sicher sein, wie schwer auch einzelne Niederlagen und einzelne Märsche in unserem großen Feldzug noch sein mögen.

Unsere taktischen und strategischen Methoden bleiben noch (wenn man im internationalen Ausmaß urteilt) zurück hinter der ausgezeichneten Strategie der Bourgeoisie, die am Beispiel Russlands gelernt hat und sich nicht „überrumpeln“ lassen wird. Aber wir haben mehr, unendlich mehr Kräfte auf unserer Seite, die Taktik und die Strategie lernen wir, wir haben in dieser „Wissenschaft“ auf Grund der Erfahrungen mit den Fehlern der Märzaktion von 1921 Fortschritte gemacht. Wir werden uns diese „Wissenschaft“ vollständig zu eigen machen.

Unsere Parteien sind in den allermeisten Ländern noch lange, lange keine wirklichen kommunistischen Parteien, keine wirklichen Avantgarden der wirklich revolutionären und allein revolutionären Klasse, mit restloser Teilnahme aller Parteimitglieder am Kampf, an der Bewegung, am tagtäglichen Leben der Massen. Aber wir kennen diesen unseren Mangel, wir haben ihn mit der größten Schärfe in der Resolution des III. Kongresses über die Arbeit der Partei aufgedeckt. Und wir werden diesen Mangel überwinden.

Genossen! Deutsche Kommunisten! Erlaubt mir, mit dem Wunsch zu schließen, dass Euer Parteitag am 22. August mit fester Hand und für immer mit dem Kleinkampf gegen die nach links und rechts Abgespaltenen Schluss macht. Genug des innerparteilichen Kampfes! Nieder mit jedem, der direkt oder indirekt ihn noch in die Länge ziehen will. Wir kennen jetzt unsere Aufgaben viel klarer, konkreter, anschaulicher als gestern; wir fürchten uns nicht, unsere Fehler offen aufzuzeigen, um sie zu korrigieren. Wir werden jetzt der Partei alle Kräfte für ihre bessere Organisation, für die Hebung der Qualität und des Inhalts ihrer Arbeit, für die Herstellung eines engeren Kontakts mit den Massen, für die Ausarbeitung einer immer richtigeren und präziseren Taktik und Strategie der Arbeiterklasse hingeben.

Mit kommunistischem Gruß

N. Lenin

14. August 1921

1 Im russischen Manuskript fehlt das Wort „Gewerkschaften“. Die Red. [Fußnote der Sämtlichen Werke, Band 26]

2 Im gedruckten russischen Text war das Wort „einflussreichen“ ausgelassen. Die Red. [Fußnote der Sämtlichen Werke, Band 26]

3 Eine während des III. Kongresses der K. I. in deutscher, englischer und französischer Sprache erscheinende Tageszeitung. Die Red.

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