Dritte Folge (Schluss)

III. Folge (Schluss)

Gehen wir nun zum politischen Programm der „Volksfreunde“ über, mit deren theoretischen Ansichten wir uns, wie es scheint, schon übermäßig viel beschäftigt haben. Mit welchen Maßnahmen wollen sie „das Feuer löschen“? Worin erblicken sie den Ausweg, wenn der von den Sozialdemokraten gewiesene angeblich nicht der richtige ist?

Die Reorganisation der Bauernbank“, – schreibt Herr Juschakow im Artikel: „Das Ministerium für Landwirtschaft“ (Nr. 10 des „Russkoje Bogatstwo“) – „Gründung einer Verwaltung für Kolonisationswesen, Ordnung der Verpachtung der staatlichen Ländereien im Interesse der Volkswirtschaft … Bearbeitung und Regulierung der Pachtfrage – das ist das Programm der Wiederherstellung der Volkswirtschaft und ihrer Bewahrung vor ökonomischer Vergewaltigung (sic!) durch die im Entstehen begriffene Plutokratie.“

Und im Artikel: „Fragen der ökonomischen Entwicklung“ wird dieses Programm der „Wiederherstellung der Volkswirtschaft“ durch die folgenden „ersten, aber notwendigen Schritte“ ergänzt:

Beseitigung jedwelcher Hindernisse, in die heutzutage die Dorfgemeinschaft verstrickt ist; ihre Befreiung aus der Vormundschaft, der Übergang zu gemeinschaftlichem Anbau (Vergesellschaftung des landwirtschaftlichen Gewerbes) und Entwicklung der Verarbeitung der aus dem Boden gewonnenen Rohstoffe durch die Dorfgemeinschaft.“

Und die Herren Kriwenko und Karyschew fügen hinzu:

Billiger Kredit, Artelform der Wirtschaft, Sicherung des Absatzes, die Möglichkeit, ohne Unternehmervorteil auszukommen (darüber besonders weiter unten), Erfindung billigerer Motoren und anderer technischer Verbesserungen“, schließlich – „Museen, Lager, Kommissionärkontors.“

Man sehe sich dieses Programm genau an; dann wird man erkennen, dass diese Herren sich ganz und gar auf den Boden der gegenwärtigen Gesellschaft stellen (d. h. auf den Boden der kapitalistischen Zustände, wessen sie sich nicht bewusst sind) und die Sache dadurch erledigen wollen, dass sie diese Gesellschaft flicken und reparieren, ohne zu begreifen, dass alle ihre Fortschritte – billiger Kredit, Verbesserung der Technik, Banken usw., – nur imstande sind, die Bourgeoisie zu stärken und zu fördern.

N.on hat natürlich völlig recht – und das ist eine seiner wertvollsten Behauptungen, gegen die zu protestieren die „Volksfreunde“ nicht umhin konnten, – wenn er sagt, dass auf dem Boden der gegenwärtigen Zustände keinerlei Reformen Hilfe bringen können, dass weder Kredite noch Übersiedlungen, weder die Reform der Abgaben noch der Übergang des gesamten Grund und Bodens in die Hände der Bauern etwas Wesentliches ändern werden, sondern dass sie, im Gegenteil, die kapitalistische Wirtschaft, die heute durch überflüssige „Bevormundung“, durch Überreste leibeigenschaftlicher Steuern, durch die Fesselung der Bauern an Grund und Boden usw. aufgehalten wird, stärken und entwickeln müssen. „Die Ökonomen“ – schreibt er – „von der Art des Fürsten Wassiltschikow (nach seinen Ideen zweifellos ein „Volksfreund“), die eine extensive Entwicklung des Kredits wünschen, wollen dasselbe wie die „liberalen“, d. h. die bürgerlichen Ökonomen, „sie erstreben die Entwicklung und Festigung der kapitalistischen Verhältnisse“. Sie begreifen nicht den Antagonismus unserer Produktionsverhältnisse (in der „Bauernschaft“ ebensowohl wie bei den anderen Schichten), und anstatt zu versuchen, diesem Antagonismus freie Bahn zu verschaffen, anstatt sich direkt jenen anzuschließen, die kraft dieses Antagonismus geknechtet werden, und zu versuchen, ihnen zu helfen, sich zum Kampf zu erheben – anstatt dessen träumen sie davon, dem Kampf ein Ende zu machen durch Maßnahmen, die für alle berechnet sind und auf Versöhnung und Vereinigung hinzielen. Es ist begreiflich, was für ein Ergebnis alle diese Mittel zeitigen können: es genügt, sich an die oben angeführten Beispiele der Differenzierung1 zu erinnern, um sich davon zu überzeugen, dass nur der imstande sein wird, sich alle diese KrediteA, Verbesserungen, Banken und ähnlichen „Fortschritte“ zunutze zu machen, der bei einer richtigen, stabilen Wirtschaft gewisse „Ersparnisse“ besitzt, d. h. der Vertreter einer verschwindenden Minderheit, des Kleinbürgertums. Und wie immer man auch die Bauernbank und andere ähnliche Institutionen reorganisieren mag, so wird man damit doch nicht im Geringsten an der grundlegenden und hauptsächlichen Tatsache rühren, dass die Masse der Bevölkerung expropriiert ist und immer noch expropriiert wird und dass sie nicht einmal die Mittel besitzt, sich selbst zu ernähren, geschweige denn eine richtige Wirtschaft zu führen.

Dasselbe muss auch von den „Artels“ und dem „gemeinschaftlichen Anbau“ gesagt werden. Herr Juschakow bezeichnet den letztgenannten als „Vergesellschaftung des landwirtschaftlichen Gewerbes“. Das kann natürlich nur seltsam anmuten, weil zur Vergesellschaftung die Organisation der Produktion nicht innerhalb der Grenzen irgendeines Dörfchens genügt, sondern weil dazu die „Haifische“ expropriiert werden müssen, welche die Produktionsmittel monopolisiert haben und die gesellschaftliche Wirtschaft Russlands lenken, und dazu ist Kampf, Kampf und nochmals Kampf nötig, nicht aber hohle kleinbürgerliche Moral.

Und deshalb verwandeln sich derartige Maßnahmen bei ihnen in sanfte liberale halbe Maßregeln, die von der Wohltätigkeit einer philanthropischen Bourgeoisie abhängen und dadurch, dass sie die Ausgebeuteten vom Kampf ablenken, mehr Schaden bringen, als der Nutzen von jener möglichen Verbesserung der Lage einzelner Personen beträgt, die auf der allgemeinen Grundlage der kapitalistischen Verhältnisse elendiglich und schwankend sein muss. Welch unverschämten Grad das Vertuschen des Antagonismus im russischen Leben bei diesen Herren erreicht – das natürlich mit den besten Absichten geschieht, um den tatsächlichen Kampf zu beendigen, d. h. eben mit jenen Absichten, mit denen der Weg zur Hölle gepflastert ist – das zeigt die folgende Betrachtung des Herrn Kriwenko:

Die Intelligenz leitet die Unternehmungen der Fabrikanten und kann auch die Volksindustrie leiten.“

Ihre ganze Philosophie läuft auf eine Wehklage darüber hinaus, dass es einen Kampf und eine Ausbeutung gibt, dass sie aber auch nicht zu sein „brauchte“, wenn … wenn es keine Ausbeuter gäbe. Was wollte der Verfasser mit seiner sinnlosen Phrase eigentlich sagen? Kann man denn bestreiten, dass die russischen Universitäten und anderen Lehranstalten alljährlich eine solche „Intelligenz“ (??) hervorbringen, die nur jemanden sucht, der sie ernährt? Kann man denn bestreiten, dass die zum Unterhalt dieser „Intelligenz“ notwendigen Mittel in Russland gegenwärtig nur bei der bürgerlichen Minderheit vorhanden sind? Wird die bürgerliche Intelligenz in Russland dadurch verschwinden, dass die „Volksfreunde“ sagen, dass sie nicht der Bourgeoisie zu dienen „brauchte“? Ja, sie „brauchte nicht“, wenn sie nicht bürgerlich wäre. Sie „brauchte“ nicht bürgerlich zu sein, „wenn“ es in Russland keine Bourgeoisie und keinen Kapitalismus gäbe! Und es gibt Leute, die sich ihr ganzes Leben lang mit solchem „wenn“ und „aber“ behelfen! Diese Herren weigern sich übrigens nicht nur, dem Kapitalismus eine entscheidende Bedeutung beizumessen, sondern sie wollen überhaupt im Kapitalismus nichts Schlimmes erblicken. Wenn man gewisse „Defekte“ beseitigt, so werden sie sich möglicherweise unter ihm gar nicht übel einrichten. Man höre gefälligst die folgende Erklärung des Herrn Kriwenko:

Die kapitalistische Produktion und die Kapitalisierung der Gewerbe stellen keineswegs Tore dar, durch die sich die verarbeitende Industrie vom Volke nur entfernen kann. Sie kann sich selbstverständlich entfernen, sie kann aber auch ins Volksleben eingehen und der Landwirtschaft und dem Bergbau näher rücken. Dabei sind einige Kombinationen möglich, und dazu können sowohl andere als auch dieselben Tore dienen“ (S. 161).

Herr Kriwenko hat, verglichen mit Herrn Michailowski, einige sehr gute Eigenschaften. Z. B. Offenheit und Geradlinigkeit. Wo Herr Michailowski ganze Seiten mit glatten und geschickten Phrasen vollschreiben und um den Gegenstand herum tänzeln würde, ohne ihn selbst zu berühren, dort nimmt der aufs Sachliche gerichtete und praktische Herr Kriwenko kein Blatt vor den Mund und breitet ohne Gewissensregung alle Absurditäten seiner Anschauungen vor dem Leser aus. Man sehe bitte: „Der Kapitalismus kann ins Volksleben eingehen“. D. h. der Kapitalismus ist möglich ohne Trennung des Werktätigen von den Produktionsmitteln! Das ist wirklich ausgezeichnet; wir stellen uns jetzt wenigstens mit völliger Klarheit vor, was die „Volksfreunde“ wollen. Sie wollen die Warenwirtschaft ohne Kapitalismus, einen Kapitalismus ohne Expropriation und ohne Ausbeutung, nur mit einem Kleinbürgertum, das unter dem Schutze humaner Großgrundbesitzer und liberaler Beamten friedlich dahinvegetiert. Und mit dem ernsten Gesicht eines Ministerialbeamten, der Russland zu beglücken beabsichtigt, gehen sie daran, Kombinationen solcher Art zu machen, bei denen zugleich die Wölfe satt werden und die Schafe unversehrt bleiben. Um sich über den Charakter dieser Kombinationen eine Vorstellung zu machen, müssen wir uns dem Artikel desselben Verfassers in der Nr. 122 zuwenden („Über die kulturellen Eigenbrötler“):

Die staatliche und die Artelreform der Industrie“ – urteilt Herr Kriwenko, der sich scheinbar vorstellt, dass man ihn bereits „gerufen hat“ um die „praktischen Wirtschaftsprobleme zu lösen“ – „stellt keineswegs alles dar, was man im gegebenen Fall vorschlagen kann. Z. B. ist auch eine solche Kombination möglich“.

Und weiter wird nun erzählt, wie in die Redaktion des „Russkoje Bogatstwo“ ein Techniker mit dem Projekt der technischen Ausbeutung des Dongebietes in Form einer Aktienunternehmung mit kleinen Aktien (nicht über 100 Rubel) gekommen sei. Dem Verfasser des Projekts wurde vorgeschlagen, es beispielsweise etwa folgendermaßen abzuändern:

„ … dass die Aktien nicht Privatpersonen, sondern Landgemeinden gehören würden, wobei der Teil ihrer Bevölkerung, der in den Unternehmungen arbeiten würde, den gewöhnlichen Arbeitslohn erhielte, während die Landgemeinden dieser Bevölkerung die Verbindung mit dem Grund und Boden garantieren würden“.

Nicht wahr, was für eine administrative Genialität! Mit welch rührender Einfachheit und Leichtigkeit wird der Kapitalismus ins Volksleben eingeführt und werden seine schädlichen Folgen beseitigt! Man muss es nur es so einrichten, dass die Reichen im Dorfe durch Vermittlung der Landgemeinde Aktien kaufenB und den Ertrag des Unternehmens erhalten, in dem ein „Teil der Bevölkerung“ arbeiten würde, dessen Verbindung mit Grund und Boden gesichert wäre, eine „Verbindung“, die nicht die Möglichkeit bietet, von diesem Grund und Boden zu leben (wer würde sonst für den „gewöhnlichen Arbeitslohn“ arbeiten wollen?), aber ausreicht, um den Menschen an einen bestimmten Ort zu fesseln, ihn zum Sklaven gerade des am Orte befindlichen kapitalistischen Unternehmens zu machen und ihm die Möglichkeit zu rauben, den Dienstherrn zu wechseln. Von einem Dienstherrn, einem Kapitalisten spreche ich mit vollem Recht, weil derjenige, der dem Werktätigen Arbeitslohn bezahlt, nicht anders genannt werden kann.

Vielleicht macht mir der Leser schon Vorwürfe, weil ich bei einem solchen Unsinn, der offenbar keinerlei Beachtung verdient, so lange verweile. Aber mit Verlaub! Obwohl es Unsinn ist, ist es doch ein Unsinn, den zu untersuchen nützlich und nötig ist, weil er die tatsächlichen sozial-ökonomischen Verhältnisse Russlands widerspiegelt und infolgedessen bei uns zu den am meisten verbreiteten sozialen Ideen gehört, mit denen die Sozialdemokraten noch lange werden rechnen müssen. Die Sache ist die, dass der Übergang von der fronwirtschaftlichen, feudalen Produktionsweise zur kapitalistischen in Russland eine solche Lage des Werktätigen hervorrief und teilweise auch heute noch hervorruft, wo der Bauer, weil er nicht imstande war, von seinem Boden zu leben und von ihm Abgaben zugunsten des Großgrundbesitzers zu entrichten (und er entrichtet sie noch bis heute), gezwungen war, zu „Nebenverdiensten“ seine Zuflucht zu nehmen. Diese Nebenverdienste trugen anfangs, in der guten alten Zeit, entweder den Charakter einer selbständigen gewerblichen Arbeit (z. B. das Fuhrmannsgewerbe), oder einer unselbständigen, die aber infolge der äußerst schwachen Entwicklung der Gewerbe verhältnismäßig annehmbar bezahlt wurde. Dieser Zustand gewährleistete, verglichen mit dem heutigen Zustand, einen gewissen Wohlstand der Bauernschaft, den Wohlstand eines leibeigenen Volkes, das unter der Obhut von Hunderttausenden adeliger Polizeimeister und des im Entstehen begriffenen Aufkäufers des russischen Bodens, des Bourgeois, friedlich dahinvegetierte.

Und nun idealisieren die „Volksfreunde“ dieses System, indem sie seine Schattenseiten kurzerhand übergehen. Sie träumen von ihm – „träumen“ deshalb, weil es in Wirklichkeit schon längst nicht mehr besteht, weil es schon längst vernichtet worden ist durch den Kapitalismus, der die Expropriation der Ackerbau treibenden Bauernschaft im Massenmaßstabe hervorgerufen und die früheren „Verdienste“ dank dem Überflusse an angebotenen „Arbeitshänden“ in die schrankenloseste Ausbeutung verwandelt hat.

Unsere Ritter des Kleinbürgertums wollen gerade die Aufrechterhaltung der „Verbindung“ des Bauern mit dem Grund und Boden, wollen aber nicht die Leibeigenschaft, die allein diese Verbindung gewährleistet und die erst durch die Warenwirtschaft und den Kapitalismus gebrochen worden ist, die diese Verbindung unmöglich gemacht haben. Sie wollen Nebenverdienste, die den Bauern nicht von der Scholle losreißen, die – bei Arbeit für den Markt – keine Konkurrenz erzeugen, kein Kapital entstehen lassen und ihm nicht die Masse der Bevölkerung botmäßig machen würden. Treu der subjektiven Methode in der Soziologie3, wollen sie das Gute überall her „nehmen“; in Wirklichkeit jedoch führt dieser kindische Wunsch nur zu einer reaktionären Träumerei, die die Wirklichkeit ignoriert, führt er zum Unvermögen, die tatsächlich fortschrittlichen, revolutionären Seiten der neuen Zustände zu begreifen und zu verwerten, und zur Sympathie für Maßnahmen, die die guten alten Zustände der halb leibeigenen, halb freien Arbeit verewigen, jene Zustände, denen alle Schrecken der Ausbeutung und Unterdrückung eigen waren und die keinerlei Möglichkeit eines Auswegs boten.

Um die Richtigkeit dieser Erklärung, die die „Volksfreunde“ zu den Reaktionären zählt, zu beweisen, berufe ich mich auf zwei Beispiele.

In der Moskauer Semstwostatistik können wir die Beschreibung der Wirtschaft einer gewissen Frau K. (im Kreise Podolsk) lesen, die (die Wirtschaft, und nicht die Beschreibung) sowohl die Moskauer Statistiker als auch Herrn W. W. entzückte, wenn mich das Gedächtnis nicht trügt (er hat darüber, wie erinnerlich, in irgendeinem Artikel in einer Zeitschrift geschrieben).

Diese hochberühmte Wirtschaft der Frau K. dient dem Herrn W. Orlow „als Tatsache, die auf Grund der Praxis überzeugend bestätigt“ die Richtigkeit seiner Behauptung, dass „dort, wo die Bauernwirtschaft sich in einem ordentlichen Zustande befindet, auch die Wirtschaft der privaten Grundbesitzer besser betrieben wird“. Aus der Erzählung Herrn Orlows über das Gut dieser Frau geht hervor, dass sie die Wirtschaft mittels der Arbeit der örtlichen Bauern führt, die als Entgelt für das Mehl und andere Sachen, die ihnen im Winter geliehen wurden, das Land der Gutsbesitzerin bearbeiten, wobei sich die Besitzerin gegenüber den Bauern außerordentlich fürsorglich verhält und ihnen hilft, so dass dies jetzt die besten Bauern im Umkreis sind, denen das Brot „fast bis zur neuen Ernte reicht (früher reichte es nicht einmal bis zum Nikolaustag)“.

Es fragt sich, ob ein „derartiger Zustand die Gegensätzlichkeit der Interessen des Bauern und des Grundbesitzers“ ausschließt, wie N. Kablukow (Bd. V, S. 175) und W. Orlow (Bd. II, S. 55–59 u. a.) annehmen. Offensichtlich ist das nicht der Fall, denn Frau K. lebt von der Arbeit ihrer Bauern. Die Ausbeutung ist folglich keineswegs beseitigt. Wegen eines guten Verhaltens gegenüber den Ausgebeuteten die Ausbeutung nicht zu sehen, ist verzeihlich bei Frau K., aber keineswegs bei einem Ökonomen und Statistiker, der sich, wenn er über diesen Fall in Entzücken gerät, gänzlich auf die Stufe jener Menschenfreunde im Westen stellt, die die guten Beziehungen zwischen Kapitalist und Arbeiter preisen und mit Entzücken die Fälle wiedergeben, wo der Fabrikant für die Arbeiter sorgt, für sie Konsumläden, Wohnungen usw. errichtet. Von der Existenz (und folglich der „Möglichkeit“) derartiger „Tatsachen“ auf das Fehlen des Interessengegensatzes zu schließen, heißt vor lauter Bäumen den Wald nicht sehen. Das erstens.

Zweitens aber sehen wir aus der Erzählung des Herrn Orlow, dass die Bauern der Frau K. „dank der ausgezeichneten Ernten (die Gutsbesitzerin gab ihnen gutes Saatgut) sich Vieh angeschafft haben“ und eine „richtige“ Wirtschaft führen. Man stelle sich vor, dass diese „richtigen Landwirte“ nicht nur „fast“, sondern ganz richtige Landwirte geworden seien: das Brot reiche ihnen nicht nur „fast“ bis zur neuen Ernte, und nicht nur „der Mehrzahl“, sondern das Brot reiche allen und völlig. Man stelle sich vor, dass diese Bauern genügend Land, dass sie auch „einen Weideplatz und eine Viehtreibe“ hätten, die ihnen heute fehlen (eine schöne richtige Wirtschaft!) und die sie bei Frau K. gegen Arbeitsdienst pachten. Glaubt Herr Orlow wirklich, dass dann – d. h., wenn die Bauernwirtschaft tatsächlich im richtigen Zustande wäre – diese Bauern alle Arbeiten auf dem Gute der Frau K. sorgfältig, rechtzeitig und rasch ausführen“ würden, wie sie es heute tun? oder wird vielleicht die Erkenntlichkeit gegenüber der guten Herrin, die so mütterlich die richtigen Bauern auspresst, ein nicht weniger starker Impuls sein als die Ausweglosigkeit der gegenwärtigen Lage der Bauern, die eben ohne Weide und Viehtreibe nicht auskommen können?

Es ist offenbar, dass dies eben im Wesen die Ideen der „Volkfreunde“ sind: als echte Ideologen des Kleinbürgertums wollen sie nicht die Aufhebung der Ausbeutung, sondern ihre Milderung, wollen sie nicht Kampf, sondern Versöhnung. Ihre großzügigen Ideale, von deren Gesichtspunkt aus sie gegen die engherzigen Sozialdemokraten so heftig los donnern, gehen nicht über eine „richtige“ Bauernschaft hinaus, die ihre „Pflichten“ gegenüber den Großgrundbesitzern und den Kapitalisten erfüllt, wenn sich die Großgrundbesitzer und Kapitalisten ihnen gegenüber gerecht verhalten.

Ein anderes Beispiel. Herr Juschakow hat in seinem ziemlich bekannten Artikel „Die Normen des Grundbesitzes des Volkes in Russland“ („Russkaja Mysl“, 1885, Nr. 9) seine Ansichten darüber auseinandergesetzt, welchen Umfang der Grundbesitz des „Volkes“ haben sollte, d. i. in der Terminologie unserer Liberalen ein Grundbesitz, der den Kapitalismus und die Ausbeutung ausschließt. Jetzt, nach der ausgezeichneten Erklärung der Sache durch Herrn Kriwenko, wissen wir, dass er ebenfalls vom Standpunkt der „Einführung des Kapitalismus ins Volksleben“ ausgegangen ist. Als Minimum des „Volks“grundbesitzes nahm er solche Bodenanteile, die „die Versorgung mit Getreide und die Zahlungen“C decken würden, während das Übrige ja durch „Verdienste“ erzielt werden könne… Mit anderen Worten, er söhnte sich geradezu aus mit einem Zustand, wo der Bauer bei Aufrechterhaltung der Verbindung mit dem Grund und Boden einer doppelten Ausbeutung unterzogen würde: einmal durch den Großgrundbesitzer auf Grund des „Anteillandes“ und einmal durch den Kapitalisten auf dem Wege des „Verdienstes“. Dieser Zustand der Kleinproduzenten, die einer zweifachen Ausbeutung unterzogen werden und sich dabei in solchen Lebensbedingungen befinden, die notwendigerweise einen Zustand von Eingeschüchtertsein und Gedrücktsein erzeugen müssen, und jedwelche Hoffnungen nicht nur auf den Sieg, sondern auch auf den Kampf der ausgebeuteten Klasse rauben – diese halb mittelalterliche Lage ist das nec plus ultra4 des Horizonts und der Ideale der „Volksfreunde“. Und nun, wo der Kapitalismus, der sich im Verlaufe der ganzen Geschichte Russlands seit der Reform mit gewaltiger Schnelligkeit entwickelt, diesen Pfeiler des alten Russland – die patriarchalische, halb leibeigene Bauernschaft – mit der Wurzel auszureißen, sie aus den mittelalterlichen, halb feudalen Verhältnissen herauszureißen und in neue, rein kapitalistische zu stellen begann – indem er sie zwang, die lange bewohnten Orte zu verlassen und auf der Suche nach Arbeit in ganz Russland herumzuziehen, indem er ihre Versklavung durch den örtlichen „Arbeitgeber“ sprengte und zeigte, worin die Grundlage der Ausbeutung überhaupt, der Klassenausbeutung und nicht der Ausplünderung des betreffenden Individuums liegt –, als der Kapitalismus begann, die übrige eingeschüchterte und auf den Zustand des Viehs herabgedrückte bäuerliche Bevölkerung massenweise in den Kreislauf eines stets komplizierter werdenden gesellschaftlich-politischen Lebens hineinzuziehen, – da erhoben unsere Ritter ein Geschrei und ein Gestöhn über den Fall und den Zusammenbruch der Pfeiler. Und sie fahren auch heute fort, dieser guten alten Zeit nachzujammern und nachzuseufzen, obwohl man, wie es scheint, heute schon blind sein muss, um die revolutionäre Seite dieses neuen Lebenssystems nicht zu sehen, um nicht zu sehen, wie der Kapitalismus eine neue soziale Macht erzeugt, die mit dem alten Regime der Ausbeutung durch nichts verknüpft ist und die Möglichkeit des Kampfes gegen dasselbe hat.

Bei den „Volksfreunden“ ist indessen auch nicht die Spur eines Wunsches nach irgendeiner grundlegenden Änderung der gegenwärtigen Ordnung zu bemerken. Sie begnügen sich völlig mit liberalen Maßnahmen auf der gegebenen Basis, und Herr Kriwenko offenbart auf dem Felde der Erfindung derartiger Maßnahmen wahre Administrationstalente eines vaterländischen Pompadour

Überhaupt erfordert diese Frage“ – urteilt er über die Notwendigkeit einer „ausführlichen Untersuchung und grundlegenden Umgestaltung“ „unserer Volksindustrie“ – „eine spezielle Betrachtung und Einteilung der Produktionszweige in solche Produktionsgruppen, die dem Volksleben angepasst sind (sic!!), und in solche, deren Anwendung auf irgendwelche ernsthafte Schwierigkeiten stößt".

Das Muster einer derartigen Einteilung in Gruppen liefert uns derselbe Herr Kriwenko, der die Gewerbe in solche einteilt, die nicht kapitalisiert werden, in solche, wo die Kapitalisierung bereits stattgefunden hat, und in solche, die „mit der Großindustrie um die Existenz ringen“ können.

Im ersten Falle“ – entscheidet der Administrator, – „kann die Kleinproduktion frei existieren“ – und frei sein vom Markte, dessen Schwankungen die Kleinproduzenten in Bourgeoisie und Proletariat spalten? Frei von der Erweiterung der lokalen Märkte und ihrer Zusammenziehung zu einem großen Markt? Frei vom Fortschritt der Technik? Oder kann dieser Fortschritt der Technik vielleicht – unter der Warenwirtschaft – auch ein nicht kapitalistischer sein? In diesem Falle verlangt der Verfasser die „Organisation der Produktion auch in großem Maßstabe“:

Es ist klar“ – schreibt er – „dass hier bereits Organisation der Produktion auch in großem Maßstabe, Grund- und Umlaufkapital, Maschinen usw. nötig sind, oder die Ausgleichung dieser Bedingungen durch irgendetwas anderes: durch billigen Kredit, Beseitigung überflüssiger Vermittlung, Artelform der Wirtschaft, die Möglichkeit, ohne Unternehmernutzen auszukommen, durch die Sicherstellung des Absatzes, Erfindung billigerer Motoren und anderer technischen Verbesserungen oder endlich durch eine gewisse Herabsetzung der Arbeitslöhne, wenn diese durch andere Vorteile wettgemacht wird.“

Eine überaus charakteristische Betrachtung zur Charakteristik der „Volksfreunde“ mit ihren großen Idealen in Worten und ihrem schablonenhaften Liberalismus in der Tat. Wie man sieht, beginnt unser Philosoph mit nicht mehr und nicht weniger als mit der Möglichkeit, ohne Übervorteilen auszukommen, und mit der Organisation einer Großwirtschaft. Ausgezeichnet: das ist gerade das, was auch die Sozialdemokraten wollen. Wie wollen nun aber die „Volksfreunde“ dies erreichen? Denn zur Organisation einer Großproduktion ohne Unternehmer ist erstens die Aufhebung des Warencharakters der gesellschaftlichen Wirtschaft und ihr Ersatz durch eine gemeinwirtschaftliche, kommunistische Organisation nötig, in der nicht, wie jetzt, der Markt, sondern die Produzenten selbst, die Gesellschaft der Arbeiter selbst der Regulator der Produktion ist, wo die Produktionsmittel nicht Privatpersonen, sondern der gesamten Gesellschaft gehören. Ein solcher Ersatz der privaten Form der Aneignung durch die genossenschaftliche erfordert offenbar die vorhergehende Umgestaltung der Form der Produktion, erfordert die Verschmelzung der zersplitterten, kleinen, abgesonderten Produktionsprozesse der Kleinproduzenten in einen einzigen gesellschaftlichen Produktionsprozess, erfordert, mit einem Wort, gerade jene materiellen Vorbedingungen, die vom Kapitalismus geschaffen werden. Doch die „Volksfreunde“ beabsichtigen ja keineswegs, sich auf den Kapitalismus zu stützen. Wie gedenken sie aber zu handeln? Das ist unbekannt. Sie erwähnen nicht einmal die Aufhebung der Warenwirtschaft: ihre großen Ideale können offenbar über den Rahmen dieses Systems der gesellschaftlichen Produktion absolut nicht hinausgehen. Ferner wird man doch zwecks Aufhebung des Unternehmergewinns die Unternehmer expropriieren müssen, deren „Nutzen“ gerade daraus entspringt, dass sie die Produktionsmittel monopolisiert haben. Zu dieser Expropriation der Stützen unseres Vaterlandes bedarf es doch einer revolutionären Volksbewegung gegen das bürgerliche Regime, einer Bewegung, zu der nur das Arbeiterproletariat fähig ist, das durch nichts an diese Ordnung gebunden ist. Doch den „Volksfreunden“ kommt der Gedanke an irgendeinen Kampf gar nicht in den Sinn, und sie ahnen gar nichts von der Möglichkeit und Notwendigkeit irgendwelcher anderer gesellschaftlicher Faktoren, außer den Verwaltungsorganen dieser Unternehmer selbst. Es ist klar, dass sie keineswegs beabsichtigen, gegen den „Unternehmernutzen“ ernsthaft aufzutreten: Herr Kriwenko hat einfach geschwatzt. Und er verbessert sich sofort: man könne ja eine solche Sache wie die „Möglichkeit, ohne Unternehmergewinn auszukommen“ auch „durch irgend etwas anderes“ ausgleichen, nämlich durch Kredit, Organisation des Absatzes, Verbesserungen der Technik. Alles ist also ganz glücklich abgelaufen: an Stelle einer für die Herren Unternehmer so kränkenden Sache, wie es die Aufhebung ihrer geheiligten Rechte auf „Nutzen“ ist, sind solche sanfte liberale Maßnahmen getreten, die dem Kapitalismus nur die besten Werkzeuge zum Kampfe in die Hände liefern, die unsere kleine „Volks“-Bourgeoisie nur stärken, festigen und zur Entwicklung bringen werden. Und um nicht den geringsten Zweifel darüber zu lassen, dass die „Volksfreunde“ nur die Interessen dieser Kleinbourgeoisie verteidigen, gibt Herr Kriwenko noch die folgende bemerkenswerte Erklärung. Es erweise sich, dass man die Aufhebung der Unternehmergewinne „ausgleichen“ kann durch die … „Herabsetzung der Arbeitslöhne“!!! Auf den ersten Blick kann es scheinen, dass er da einfach daneben getreten ist. Doch nein, das ist die konsequente Durchführung der Ideen des Kleinbürgertums. Der Verfasser beobachtet eine derartige Tatsache wie den Kampf des Großkapitals gegen das kleine, und in seiner Eigenschaft als wahrer „Volksfreund“ stellt er sich natürlich auf die Seite des kleinen … Kapitals. Er hat dabei gehört, dass eines der mächtigsten Kampfmittel der Kleinkapitalisten die Herabsetzung der Arbeitslöhne ist – eine Tatsache, die ganz richtig beobachtet und, neben der Verlängerung des Arbeitstages, in einer Menge von Produktionszweigen auch in Russland festgestellt wurde. Da er die kleinen … Kapitalisten um jeden Preis retten will, schlägt er nun eine „gewisse Herabsetzung der Arbeitslöhne“ vor, „wenn sie durch andere Vorteile ausgeglichen wird“! Die Herren Unternehmer, von deren „Nutzen“ anfangs scheinbar schreckliche Dinge gesprochen wurden, können ganz ruhig sein. Ich glaube, sie würden diesen genialen Administrator, der gegen die Unternehmer – eine Herabsetzung der Löhne projektiert, sogar gern als Finanzminister einsetzen.

Es lässt sich noch ein weiteres Beispiel dafür bringen, wie bei den human-liberalen Administratoren des „Russkoje Bogatstwo“ der reinblütige Bourgeois durchblickt, sobald nur irgendwelche praktischen Fragen berührt werden. In der „Chronik des inneren Lebens“ in Nr. 12 des „Russkoje Bogatstwo“ ist vom Monopol die Rede. „Monopol und Syndikat“ – erklärt der Verfasser – „das sind die Ideale einer entwickelten Industrie“. Und er ist im Weiteren darüber erstaunt, dass diese Einrichtungen auch bei uns auftauchen, obwohl es bei uns keine „scharfe Konkurrenz der Kapitale“ gebe.

Weder die Zucker-, noch die Naphthaindustrie haben überhaupt schon eine besonders hohe Entwicklung erreicht. Sowohl der Verbrauch von Zucker als auch der von Benzin sind bei uns fast noch im Anfangsstadium, wenn man die Aufmerksamkeit auf das verschwindend geringe Quantum dieser Produkte lenkt, das bei uns im Vergleich zu anderen Ländern auf einen Konsumenten entfällt. Es sollte scheinen, dass das Feld für die Entwicklung dieser Industriezweige noch sehr groß ist und noch eine Masse von Kapitalien aufsaugen kann“.

Es ist bezeichnend, dass der Verfasser gerade hier, bei einer praktischen Frage, die beim „Russkoje Bogatstwo“ so beliebte Idee der Einschränkung des inneren Marktes vergessen hat. Er ist gezwungen zuzugeben, dass diesem Markte noch eine gewaltige Entwicklung, nicht aber eine Einschränkung bevorsteht. Er gelangt zu dieser Schlussfolgerung durch den Vergleich mit dem Westen, wo der Konsum größer ist. Weshalb? Deshalb, weil die Kultur höher ist. Worin bestehen aber die materiellen Grundlagen dieser Kultur, wenn nicht in der Entwicklung der kapitalistischen Technik, im Wachstum der Warenwirtschaft und des Warenaustausches, die die Menschen in häufigere Verbindung miteinander bringen und die mittelalterliche Absonderung der einzelnen Gegenden aufheben? War nicht z. B. in Frankreich vor der großen Revolution, als die Spaltung seiner halb leibeigenen Bauernschaft in Agrarbourgeoisie und Proletariat noch nicht stattgefunden hatte, die Kultur nicht höher als bei uns? Und wenn der Verfasser das russische Leben aufmerksamer betrachtet hätte, hätte er z. B. die Tatsache bemerken müssen, dass in Gegenden mit entwickeltem Kapitalismus die Bedürfnisse der bäuerlichen Bevölkerung bedeutend größer sind als in den rein landwirtschaftlichen Gegenden. Das wird einstimmig von allen Erforschern unserer hausindustriellen Gewerbe in allen Fällen festgestellt, wo diese Gewerbe eine so hohe Entwicklung erreichen, dass sie dem ganzen Leben der Bevölkerung den Stempel des Gewerbefleißes aufdrücken.D

Die „Volksfreunde“ lenken auf derartige „Kleinigkeiten“ nicht die geringste Aufmerksamkeit, denn sie erklären sich die Sache hier „einfach“ durch die Kultur oder das komplizierter werdende Leben im Allgemeinen, wobei sie sich nicht einmal die Frage der materiellen Grundlagen dieser Kultur und dieser Komplizierung stellen. Wenn sie sich aber auch nur der Ökonomik unseres Dorfes zuwenden würden, so müssten sie zugeben, dass der innere Markt gerade durch die Differenzierung der Bauernschaft in Bourgeoisie und Proletariat geschaffen wird.

Sie nehmen demnach an, dass das Wachstum des Marktes noch keineswegs das Wachstum der Bourgeoisie bedeutet.

Das Monopol“ – setzt der oben zitierte Chroniker des inneren Lebens seine Betrachtungen fort – „wird bei uns angesichts der schwachen Entwicklung der Produktion im Allgemeinen und infolge des Fehlens von Unternehmungsgeist und Initiative ein neues Hindernis für die Entwicklung der Kräfte des Landes sein“.

Bei der Behandlung des Tabakmonopols berechnet der Verfasser, dass „es dem Volksumlauf 154 Mill. Rubel entziehen wird“. Hier wird bereits direkt übersehen, dass die Grundlage unserer wirtschaftlichen Verhältnisse eben die Warenwirtschaft ist, deren Leiterin bei uns, wie überall, die Bourgeoisie ist. Und anstatt von der Beengung der Bourgeoisie durch das Monopol zu sprechen, spricht der Verfasser vom „Lande“; anstatt vom kapitalistischen, vom Warenumlauf zu sprechen, vom „Volks“umlauf.E Ein Bourgeois ist niemals imstande, den Unterschied zwischen diesen Begriffen zu erfassen, so gewaltig dieser auch sei. Um zu zeigen, bis zu welchem Grade dieser Unterschied tatsächlich in die Augen springt, berufe ich mich auf eine Zeitschrift, die in den Augen der „Volksfreunde“ Autorität besitzt, auf die „Otjetschestwennyje Sapiski“. In Nr. 2 vom Jahre 1872 lesen wir in dem Artikel „Die Plutokratie und ihre Grundlagen“:

Gemäß der Charakteristik Marlos besteht das wesentlichste Merkmal der Plutokratie in der Liebe zur liberalen Staatsform, oder wenigstens zum Prinzip des freien Erwerbes. Wenn wir dieses Merkmal nehmen und uns vorstellen, was vor so etwa acht bis zehn Jahren vorhanden war, so sehen wir, dass wir auf dem Gebiete des Liberalismus gewaltige Fortschritte gemacht haben … Was für eine Zeitung oder Zeitschrift ihr auch zur Hand nehmt, alle vertreten offensichtlich mehr oder weniger das demokratische Prinzip, alle kämpfen für die Interessen des Volkes. Doch neben den demokratischen Anschauungen und selbst unter ihrem Schutze (das beachte man) werden in einem fort, absichtlich oder unabsichtlich, plutokratische Bestrebungen verfolgt“.

Der Verfasser zitiert als Beispiel die Adresse der Petersburger und der Moskauer Kaufmannschaft an den Finanzminister, worin dieser hochgeehrte Stand der russischen Bourgeoisie dem Minister dafür dankt, dass „er die Finanzlage Russlands auf einer möglichst großen Erweiterung der einzig fruchtbringenden privaten Tätigkeit begründet hat“. Und der Verfasser des Artikels folgert daraus: „Plutokratische Elemente und Neigungen sind in unserer Gesellschaft zweifellos vorhanden, und in genügender Zahl“.

Ihr seht also – eure Vorfahren konnten selbst in den längst vergangenen Zeiten, als die Eindrücke von der großen Befreiungsreform (die nach der Entdeckung des Herrn Juschakow ruhige und richtige Entwicklungswege für die „Volksproduktion“ freigelegt haben soll, in Wirklichkeit aber nur die Wege für die Entwicklung der Plutokratie freigemacht hat) noch lebendig und frisch waren, nicht umhin, den plutokratischen, d. h. bürgerlichen Charakter des privaten Unternehmungsgeistes in Russland zuzugeben.

Warum habt ihr denn das vergessen? Warum erwähnt ihr, wenn ihr vom „Volksumlauf“ und der Entwicklung der „Kräfte des Landes“ dank der Entwicklung des „Unternehmungsgeistes und der Initiative“ sprecht, nicht das Antagonistische dieser Entwicklung, den ausbeuterischen Charakter dieses Unternehmungsgeistes und dieser Initiative? Man kann und muss sich selbstverständlich gegen die Monopole und ähnliche Einrichtungen aussprechen, da sie die Lage des Werktätigen zweifellos verschlechtern – man soll aber nicht vergessen, dass der Werktätige außer durch all diese mittelalterlichen Ketten noch durch stärkere, neuere, kapitalistische Ketten gefesselt ist. Zweifellos wird die Beseitigung der Monopole dem ganzen „Volke“ nützlich sein, weil jetzt, wo die kapitalistische Wirtschaft zur Grundlage der Ökonomik des Landes geworden ist, diese Überreste mittelalterlicher Zustände dem kapitalistischen Elend nur noch ein schlimmeres Elend hinzufügen: das mittelalterliche. Es ist zweifellos unbedingt notwendig, sie zu beseitigen – und je schneller, je radikaler dies geschieht, desto besser wird es sein –, um durch die Säuberung der bürgerlichen Gesellschaft von den landesherrschaftlichen Ketten, die sie als Erbe übernommen hat, der Arbeiterklasse die Hände frei zu machen und ihr den Kampf gegen die Bourgeoisie zu erleichtern.

Eben so muss man sprechen und die Dinge bei ihrem Namen nennen: dass die Beseitigung der Monopole und aller anderen mittelalterlichen Einschränkungen (deren Namen aber in Russland Legion ist) für die Arbeiterklasse zur Erleichterung ihres Kampfes gegen die bürgerliche Ordnung unbedingt notwendig ist. Das ist alles. Nur Bourgeois können über der Solidarität der Interessen des gesamten „Volkes“ gegen die mittelalterlichen, fronwirtschaftlichen Einrichtungen den tiefen und unversöhnlichen Antagonismus zwischen Bourgeoisie und Proletariat innerhalb dieses „Volkes“ vergessen.

Es wäre übrigens dumm zu glauben, man könne damit die „Volksfreunde“ beschämen, die darüber, was das Dorf braucht, beispielsweise solche Dinge reden:

Als vor einigen Jahren“ – erzählt Herr Kriwenko – „einige Zeitungen die Frage behandelten, welche Berufe und was für gebildete Leute das Dorf brauche, ergab sich ein sehr großes und mannigfaltiges Verzeichnis, das fast das ganze Leben umfasste: nach den Ärzten und Ärztinnen kamen die Feldschere, nach ihnen die Advokaten, nach den Advokaten Lehrer, Organisatoren von Bibliotheken und Buchhandlungen, Agronomen, Forstwirte und überhaupt Leute, die sich mit Landwirtschaft befassen, Techniker von verschiedenartigster Spezialität (ein sehr weitläufiges und fast noch unberührtes Gebiet), Organisatoren und Leiter von Kreditinstitutionen, Warenlagern usw.“

Verweilen wir wenigstens bei jenen „Intellektuellen“ (??), deren Tätigkeit sich direkt auf das wirtschaftliche Gebiet bezieht, bei diesen Forstwirten, Agronomen, Technikern usw. Wie sind diese Leute in der Tat dem Dorfe nötig! Welchem Dorfe aber? Es versteht sich, dem Dorfe der Grundherren, dem Dorfe der tüchtigen Landwirte, die „Ersparnisse“ besitzen und die Dienste aller dieser Handwerker, die Herr Kriwenko als „Intellektuelle“ zu bezeichnen beliebt, bezahlen können. Dieses Dorf hungert in der Tat seit langem sowohl nach Technikern als auch nach Kredit und nach Warenlagern, wovon die ganze ökonomische Literatur zeugt. Aber es gibt auch ein anderes Dorf, das weit zahlreicher ist und an das sich öfter zu erinnern den „Volksfreunden“ .nichts schaden würde – das Dorf der verelendeten und mittellosen, bis aufs Hemd ausgezogenen Bauernschaft, die nicht nur keine „Ersparnisse“ zur Bezahlung der Arbeit der „Intellektuellen“, sondern nicht einmal Brot in solcher Menge besitzt, dass sie dabei nicht Hungers sterbe. Und diesem Dorfe wollt ihr mit Warenlagern helfen!! Was werden sie dorthin, in diese Warenlager, bringen, unsere Bauern, die nur ein oder gar kein Pferd besitzen? Ihre Kleider? Sie haben sie bereits im Jahre 1891 bei den ländlichen und städtischen Wucherern versetzt, die damals in Ausführung eures human-liberalen Rezeptes in ihren Häusern, Kneipen und Läden wirkliche „Warenlager“ einrichteten. Es bleiben höchstens noch etwa die „Arbeitshände“ übrig. Doch für diese Ware haben selbst die russischen Bürokraten bis jetzt noch keine „Warenlager“ erfunden …

Es fällt schwer, sich einen augenfälligeren Beweis für die äußerste Abgeschmacktheit dieser „Demokraten“ vorzustellen als diese Teilnahme für die technischen Fortschritte in der „Bauernschaft“ und das Übersehen der massenhaften Expropriation derselben „Bauernschaft“. Herr Karyschew erzählt z. B. in Nr. 2 des „Russkoje Bogatstwo“ („Flüchtige Skizzen“, § 12) mit dem Entzücken eines liberalen Kretins einen Fall von „Vervollkommnungen und Verbesserungen“ in der bäuerlichen Wirtschaft – „die Verbreitung besserer Samensorten in der Bauernwirtschaft“ – von amerikanischem Hafer, Wasa-Roggen, Clydesdale-Hafer usw. „An manchen Orten verwenden die Bauern für die Samen kleine Landparzellen, auf denen nach sorgfältiger Bearbeitung ausgewählte Exemplare von Körnern mit der Hand gepflanzt werden“. „Viele und höchst mannigfaltige Neuerungen“ sind „auf dem Gebiete verbesserter Werkzeuge und Maschinen“F zu beobachten – Häufelpflüge, leichte Pflüge, Dreschmaschinen, Garbenbinder, Sortiermaschinen. Es wird eine „Zunahme der Mannigfaltigkeit der Arten der Düngemittel“ – Phosphate, leimhaltiger Dünger, Taubenmist usw. – festgestellt. „Die Korrespondenten bestehen auf der Notwendigkeit, in den Dörfern lokale Semstwolager zum Verkaufe von Phosphaten einzurichten“, und Herr Karyschew wird, das Werk von Herr W. W. „Die progressiven Strömungen in der Bauernschaft“ zitierend (auf das sich auch Herr Kriwenko beruft), ob aller dieser berühmten Fortschritte schon ganz pathetisch:

Einen ermutigenden und zugleich einen betrübenden Eindruck hinterlassen alle diese Mitteilungen, die wir nur kurz darlegen konnten … Einen ermutigenden deshalb, weil dieses Volk, verarmt, verschuldet, zu einem bedeutenden Teil um die Pferde gekommen, die Hände nicht ruhen lässt, sich nicht der Verzweiflung hingibt, die Beschäftigung nicht wechselt, sondern der Scholle treu bleibt, da es versteht, dass in ihr, in ihrer richtigen Behandlung seine Zukunft, seine Kraft und sein Reichtum liegt“. (Aber natürlich! Es versteht sich von selbst, dass ja gerade dieser verarmte und kein Pferd besitzende Bauer die Phosphate, Sortiermaschinen, Dreschmaschinen und die Samen von Clydesdale-Hafer kauft! Oh, sancta simplicitas!5 Doch das schreibt ja keine „höhere Tochter“, sondern ein Professor, ein Doktor der politischen Ökonomie!! Nein, wie ihr wollt, aber mit der heiligen Einfalt allein lässt sich hier die Sache nicht erklären). „Er sucht fieberhaft Methoden dieser richtigen Behandlung, sucht neue Wege, Methoden der Bearbeitung, Samen, Werkzeuge, Düngemittel, alles, was dazu beiträgt, seine Ernährerin, die Scholle, fruchtbar zu machen, die ihn dafür früher oder später hundertfach entschädigen wird.G … Einen traurigen Eindruck hinterlassen die erwähnten Mitteilungen deshalb“ (ihr glaubt vielleicht, der „Volksfreund“ werde wenigstens hier jene massenhafte Expropriation der Bauernschaft erwähnen, welche die Konzentration des Grund und Bodens in den Händen der tüchtigen Landwirte, seine Verwandlung in Kapital, in die Grundlage einer besseren Wirtschaft, begleitet und hervorruft – jene Expropriation, die eben „freie" und „billige“ „Hände“ auf den Markt wirft, die die Erfolge des einheimischen „Unternehmungsgeistes“ auf dem Gebiete all dieser Dreschmaschinen, Sortiermaschinen und Garbenbinder begründen? Keine Spur davon – deshalb, weil) … gerade wir selbst geweckt werden müssen. Wo ist unsere Unterstützung dieses Bestrebens des Bauern, seine Wirtschaft zu heben? Für uns gibt es Wissenschaft, Literatur, Museen, Lager, Kommissionärbüros“. (Recht so, meine Herren, so steht es auch nebeneinander: „Wissenschaft“ und „Kommissionärbüros“ … Man muss die „Volksfreunde“ nicht dann studieren, wenn sie gegen die Sozialdemokraten kämpfen, weil sie in diesem Falle eine Uniform anziehen, die aus den Lappen der „Ideale der Väter“ zusammengenäht ist, sondern dann, wenn sie in ihrem Alltagsgewande erscheinen, wenn sie die Fragen des täglichen Lebens im Einzelnen behandeln, und dann kann man diese Ideologen des Kleinbürgertums in ihrer ganzen Pracht und in ihrem ganzen Dufte beobachten.) „Gibt es etwas Ähnliches für den Bauern? Es gibt natürlich Ansätze dazu, aber es geht mit ihrer Entwicklung nicht recht vorwärts. Der Bauer will ein Beispiel sehen – wo sind unsere Versuchsfelder und Musterwirtschaften? Der Bauer sucht das gedruckte Wort – wo ist unsere populäre Agrarliteratur? Der Bauer sucht Düngemittel, Werkzeuge, Samen – wo haben wir Semstwolager für alles das, wo Großeinkaufsmöglichkeiten, Bequemlichkeiten des Kaufs und der Verbreitung?… Wo seid ihr denn, ihr privaten und Semstwofunktionäre? Geht und arbeitet, die Zeit ist längst gekommen, und

Herzlichen Dank wird euch sagen

das russische Volk!“6

N. Karyschew („Russkoje Bogatstwo“ Nr. 2, S. 19.)

Das sind sie, diese Freunde der kleinen „Volks“-Bourgeois, in der ganzen Selbstzufriedenheit mit ihren kleinbürgerlichen Fortschritten!

Es sollte scheinen, dass es, selbst abgesehen von der Analyse der Ökonomik unseres Dorfes, genügt, diese in die Augen springende Tatsache aus unserer neueren Wirtschaftsgeschichte zu beobachten – die von allen festgestellten Fortschritte in der Bauernwirtschaft bei gleichzeitiger gewaltiger Expropriation der „Bauernschaft“ –, um sich davon zu überzeugen, wie unsinnig die Vorstellung von der „Bauernwirtschaft“ als etwas in sich solidarisches und gleichartiges Ganzes ist, um sich zu überzeugen vom kapitalistischen Charakter all dieser Fortschritte! Doch die „Volksfreunde“ bleiben für alles das taub. Nachdem sie die guten Seiten des alten russischen sozialrevolutionären Narodnikitums verloren haben, halten sie an einem seiner größten Fehler fest – am Nichtverstehen des Klassenantagonismus innerhalb der Bauernschaft.

Der Narodnik der 70er Jahre“ – äußert Hourvich sehr treffend – „hatte nicht den geringsten Begriff vom Klassenantagonismus innerhalb der Bauernschaft selbst und beschränkte diesen Antagonismus ausschließlich auf die Beziehungen zwischen dem ,Ausbeuter' – dem Kulak oder Halsabschneider – und seinem Opfer, dem Bauer, der von kommunistischem Geiste durchtränkt. ist.H

Gljeb Uspenski, der auf die allgemeine Illusion mit einem ironischen Lächeln antwortete, stand mit seinem Skeptizismus allein. Bei seiner ausgezeichneten Kenntnis der Bauernschaft und bei all seinem gewaltigen künstlerischen Talent, das in das Wesen der Erscheinungen selbst eindrang, konnte er nicht umhin zu sehen, dass der Individualismus zur Grundlage der wirtschaftlichen Beziehungen nicht nur zwischen dem Wucherer und dem Schuldner, sondern zwischen den Bauern überhaupt geworden ist. – Siehe seinen Artikel „Die Nivellierung“ in „Russkoje Bogatstwo“, 1882, Nr. 1 (L. c. S. 106).“

Doch wenn es erlaubt und sogar natürlich war, in den 60er und 70er Jahren – als es noch relativ so wenige genaue Daten über die Ökonomik des Dorfes gab, als die Differenzierung des Dorfes noch nicht so klar zutage getreten war – in diese Illusion zu verfallen, so muss man jetzt doch absichtlich die Augen schließen, um diese Differenzierung nicht zu sehen. Es ist äußerst kennzeichnend, dass gerade in jüngster Zeit, wo die Verelendung der Bauernschaft ihren Höhepunkt erreicht zu haben schien, überall von fortschrittlichen Strömungen in der Bauernschaft zu hören war. Herr W. W. (ebenfalls ganz zweifellos ein „Volksfreund“) schrieb über diesen Gegenstand ein ganzes Buch. Und man kann ihn nicht der tatsächlichen Unrichtigkeit beschuldigen. Im Gegenteil, die Tatsache des technischen und agrikulturellen Fortschrittes der Bauernschaft kann keinem Zweifel unterliegen, doch genau so unzweifelhaft ist auch die Tatsache der massenhaften Expropriation der Bauernschaft. Und nun konzentrieren die „Volksfreunde“ ihre ganze Aufmerksamkeit darauf, wie der „Bauer“ fieberhaft nach neuen Methoden der Bodenbearbeitung sucht, die ihm helfen, seine Ernährerin, die Scholle, fruchtbar zu machen, wobei sie die Kehrseite der Medaille, die fieberhafte Trennung desselben „Bauern“ vom Grund und Boden außer acht lassen. Sie stecken wie die Strauße den Kopf in den Sand, um nicht offen die Wirklichkeit anzuschauen, um nicht zu sehen, dass sie Zeugen sind gerade des Prozesses der Verwandlung jenes Grund und Bodens, von dem die Bauernschaft getrennt wird, in Kapital und des Prozesses der Herstellung des inneren Marktes.I Man versuche, das Vorhandensein dieser zwei polaren Prozesse in der Bauernschaft unserer Dorfgemeinschaft zu widerlegen, man versuche, sie anders als durch den bürgerlichen Charakter unserer Gesellschaft zu erklären! Aber davon ist keine Spur! Halleluja zu singen und sich in humanen und wohlwollenden Phrasen zu ergehen – das ist das Alpha und Omega ihrer ganzen „Wissenschaft“, ihrer ganzen politischen „Tätigkeit“.

Und dieses zaghafte liberale Herumflicken an den gegenwärtigen Zuständen erheben sie sogar zu einer ganzen Philosophie. „Ein kleines praktisches Werk“ – meint Herr Kriwenko tiefsinnig – „ist weit besser als eine große Untätigkeit.“ – Sowohl neu als klug. Und ferner – fährt er fort – „ist ein kleines Werk keineswegs gleichbedeutend mit einem kleinen Ziele“. Als Beispiel einer solchen „Erweiterung der Tätigkeit“, wobei aus einem kleinen Werk ein „richtiges und gutes“ wird, wird die Tätigkeit einer Dame bei der Einrichtung von Schulen angeführt, ferner die Tätigkeit von Rechtsanwälten unter der Bauernschaft, die die Ränkeschmiede verdrängt, der Vorschlag der Rechtsanwälte, die Bezirksgerichtssitzungen zwecks besserer Verteidigung der Angeklagten in der Provinz an Ort und Stelle abzuhalten, schließlich die uns bereits bekannte Einrichtung von Lagern für die ländliche Hausindustrie: die Erweiterung der Tätigkeit (bis zum Ausmaß eines großen Ziels) soll hier in der Einrichtung von Lagern „mit den vereinten Kräften der Semstwos an den besonders belebten Punkten“ bestehen.

Das sind natürlich lauter sehr hochtrabende, humane und liberale Dinge, „liberal“ deshalb, weil sie das kapitalistische Wirtschaftssystem von all seinen mittelalterlichen Hindernissen befreien und damit dem Arbeiter den Kampf gegen dieses System selbst erleichtern werden, das durch derartige Maßnahmen natürlich nicht nur nicht angetastet, sondern im Gegenteil gestärkt werden wird. Und von allem dem lesen wir schon seit langem in allen russischen liberalen Schriften. Dagegen aufzutreten würde sich gar nicht lohnen, wenn nicht die Herrn aus „Russkoje Bogatstwo“ dazu zwängen, die es unternommen haben, diese „zagen Anfänge des Liberalismus“ gegen die Sozialdemokraten ins Treffen zu führen und ihnen als Beispiel hinzustellen, wobei die Sozialdemokraten noch dazu der Lossage von den „Idealen der Väter“ beschuldigt werden. Und da müssen wir schon sagen, dass es zumindest ergötzlich ist, den Sozialdemokraten mit dem Vorschlag und dem Hinweis auf eine so gemäßigte und akkurate liberale (nämlich der Bourgeoisie dienende) Tätigkeit entgegenzutreten.

Wegen der Väter und ihrer Ideale aber muss bemerkt werden, dass die russischen Narodniki, so irrtümlich, so utopisch ihre alten Theorien auch waren, derartigen „zagen Anfängen des Liberalismus“ gegenüber sich jedenfalls unbedingt ablehnend verhielten. Ich entlehne diesen Ausdruck einer Notiz des Herrn N. K. Michailowski „Über die russische Ausgabe des Buches von Karl Marx“ („Otjetschestwennyje Sapiski“, 1872, Nr. 4), einer Notiz, die sehr lebendig, mutig und frisch geschrieben ist (verglichen mit seinen jetzigen Schriften) und heftig gegen den Vorschlag protestierte, man solle unsere jungen Liberalen nicht kränken.

Doch das war vor langer Zeit, vor so langer Zeit, dass die „Volksfreunde" das alles samt und sonders gründlich vergessen konnten und nun durch ihre Taktik augenscheinlich gezeigt haben, dass vom politischen Radikalismus bis zum politischen Opportunismus nur ein Schritt ist, wenn eine materialistische Kritik der politischen Einrichtungen fehlt und wenn der Klassencharakter des modernen Staates nicht begriffen wird.

Einige Musterbeispiele dieses Opportunismus:

Die Umgestaltung des Ministeriums für Staatseigentum in ein Ministerium für Landwirtschaft“ – erklärt Herr Juschakow – „kann auf den Gang unserer ökonomischen Entwicklung einen tiefgehenden Einfluss ausüben, kann sich aber auch nur als eine gewisse Verschiebung in der Bürokratie erweisen“ (Nr. 10 des „Russkoje Bogatstwo“).

Alles hängt folglich davon ab, wer „berufen" wird, die „Volksfreunde“ oder die Vertreter der Interessen der Großgrundbesitzer und Kapitalisten. Die Interessen selbst können auch unberührt bleiben.

Der Schutz des ökonomisch Schwachen vor dem ökonomisch Starken stellt die erste natürliche Aufgabe der staatlichen Einmischung dar“, fährt ebendort derselbe Herr Juschakow fort, und ihn wiederholt in denselben Ausdrücken der Chronist des inneren Lebens in Nr. 2 des „Russkoje Bogatstwo“. Und um keinen Zweifel daran zu lassen, dass er diesen philanthropischen UnsinnJ genau so auffasst wie seine würdigen Genossen, die westeuropäischen liberalen und radikalen Ideologen des Kleinbürgertums, fügt er dem oben Gesagten hinzu:

Die Landbills Gladstones, die Bismarcksche Arbeiterversicherung, die Fabrikinspektion, die Idee unserer Bauernbank, die Organisation der Umsiedlungen, die Maßnahmen gegen das Großbauerntum – das alles sind Versuche der Anwendung eben dieses Prinzips der staatlichen Einmischung zum Schutze des ökonomisch Schwachen.“

Das ist schon insofern gut, weil es offen ist. Der Verfasser sagt hier direkt, dass er ebenso auf dem Boden der gegebenen gesellschaftlichen Verhältnisse stehen will wie die Herren Gladstone und Bismarck, genau so die heutige Gesellschaft (die bürgerliche, was er nicht versteht, wie es auch die westeuropäischen Anhänger der Gladstone und Bismarck nicht verstehen) reparieren und flicken, nicht aber gegen sie kämpfen will. In vollster Harmonie mit dieser ihrer grundlegenden theoretischen Anschauung steht auch der Umstand, dass sie das Werkzeug zur Durchführung von Reformen in einem Organ erblicken, das auf dem Boden dieser heutigen Gesellschaft hervorgewachsen ist und die Interessen der in ihr herrschenden Klassen beschützt – im Staate. Sie halten ihn geradezu für allmächtig und über allen Klassen stehend, da sie von ihm nicht nur die „Unterstützung“ des Werktätigen, sondern auch die Herstellung einer wahren, richtigen Ordnung erwarten (wie wir von Herrn Kriwenko gehört haben). Es versteht sich übrigens, dass man von ihnen als reinsten Ideologen des Kleinbürgertums auch gar nichts anderes erwarten kann. Es ist dies ja auch eines der grundlegenden und charakteristischen Merkmale des Kleinbürgertums, durch das es eben auch zu einer reaktionären Klasse wird: dass der durch die Produktionsverhältnisse selbst abgesonderte und isolierte, an einen bestimmten Ort und an einen bestimmten Ausbeuter gefesselte Kleinproduzent nicht imstande ist, den Klassencharakter der Ausbeutung und der Unterdrückung zu begreifen, unter der er manchmal nicht weniger leidet als der Proletarier, und dass er nicht zu begreifen imstande ist, dass in der bürgerlichen Gesellschaft auch der Staat nur ein Klassenstaat sein kann.K

Warum hat denn aber, geehrteste Herren „Volksfreunde“, die Regierung bis jetzt – und seit der Zeit jener Befreiungsreform mit besonderer Energie – nur die Bourgeoisie und den Kapitalismus „unterstützt, beschützt und geschaffen“? Warum ist denn diese so unschöne Tätigkeit dieser absolutistischen, angeblich über den Klassen stehenden Regierung gerade mit jener geschichtlichen Periode zusammengefallen, die im inneren Leben durch die Entwicklung der Warenwirtschaft, des Handels und der Industrie charakterisiert ist? Warum glaubt ihr, dass diese letzteren Veränderungen im inneren Leben das Sekundäre seien, die Politik der Regierung dagegen das Primäre, trotzdem die ersten Veränderungen so tief eingriffen, dass die Regierung sie nicht einmal bemerkte und ihnen eine Unmasse von Hindernissen entgegenstellte, trotzdem dieselbe „absolute“ Regierung, unter anderen Bedingungen des inneren Lebens, eine andere Klasse „unterstützt“, „beschützt“ und „schafft“?

O, derartige Fragen legen sich die „Volksfreunde“ niemals vor! Das ist doch alles Materialismus und Dialektik, „Hegelianertum“, „Mystik und Metaphysik“. Sie nehmen kurzerhand an, dass die Regierung alles aufs Beste einrichten könne, wenn man sie freundlich und liebenswürdig darum bittet. So weit aber die Liebenswürdigkeit in Frage kommt, muss man dem „Russkoje Bogatstwo“ Gerechtigkeit widerfahren lassen: es ist wahr, dass es sich selbst unter der russischen liberalen Presse durch die Unfähigkeit auszeichnet, eine auch nur irgendwie unabhängige Stellung zu wahren. Man urteile selbst:

Die Beseitigung der Salzsteuer, die Aufhebung der Kopfsteuer und die Herabsetzung der Loskaufszahlungen“ bezeichnet Herr Juschakow als „ernsthafte Erleichterung für die Volkswirtschaft“. Aber natürlich! War aber die Beseitigung der Salzsteuer nicht von der Einführung einer Menge neuer indirekter Steuern und der Erhöhung der alten begleitet? War die Aufhebung der Kopfsteuer nicht begleitet von der Erhöhung der Zahlungen der früheren Staatsbauern unter dem Vorwände ihrer Überführung auf das Loskaufssystem? Ist nicht noch jetzt, nach der berüchtigten Herabsetzung der Loskaufszahlungen (durch die der Staat den Bauern nicht einmal jenen Gewinn zurückgab, den er aus den Loskaufsoperationen gezogen hat), ein Missverhältnis zwischen den Zahlungen und der Ertragsfähigkeit des Bodens bestehen geblieben, das ein direktes Fortbestehen des Leihzinses aus der Zeit der Leibeigenschaft ist? Macht nichts! Wichtig ist hier ja nur „der erste Schritt“, „das Prinzip“, im Weiteren aber … im Weiteren wird man noch bitten können!

Doch das alles waren erst die Blüten. Nun kommen auch die Früchte:

Die achtziger Jahre haben die auf dem Volke ruhenden Lasten erleichtert“ (und zwar durch die oben genannten Maßnahmen) „und haben damit das Volk vor dem endgültigen Ruin gerettet.“

Ebenfalls eine in ihrer lakaienhaften Schamlosigkeit klassische Phrase, die man höchstens neben die oben angeführte Erklärung des Herrn Michailowski stellen kann, dass wir noch ein Proletariat schaffen müssen. Man kann nicht umhin, sich dabei an die Geschichte der Evolution des russischen Liberalen zu erinnern, die Schtschedrin so treffend beschrieben hat. Dieser Liberale beginnt damit, dass er bei der Obrigkeit um Reformen bittet, „nach Möglichkeit“; er fährt damit fort, dass er beharrlich bittet: „Nun, wenigstens etwas“, und endigt mit der ewigen und unerschütterlichen Position: „der Gemeinheit angepasst“. Nun, muss man denn von den „Volksfreunden“ nicht wirklich sagen, dass sie diese ewige und unerschütterliche Position eingenommen haben, wo sie unter dem frischen Eindruck des Hungers von Millionen des Volkes, zu dem sich die Regierung zuerst mit krämerhafter Knauserigkeit und dann mit ebenso krämerhafter Feigheit verhielt, öffentlich erklären, die Regierung habe das Volk vom endgültigen Ruin gerettet?!! Es werden noch einige Jahre mit einer noch schnelleren Expropriation der Bauernschaft vergehen, die Regierung wird der Bildung eines Ministeriums für Landwirtschaft die Aufhebung einer oder zweier direkten Steuern und die Einführung einiger neuer indirekter hinzufügen; dann wird der Hunger 40 Millionen des Volkes erfassen – und diese Herren werden genau so schreiben: seht her, es hungern 40 und nicht 50 Millionen, und das deshalb, weil die Regierung die auf dem Volke ruhenden Lasten erleichtert und das Volk vor dem endgültigen Ruin gerettet hat, das deshalb, weil sie auf die „Volksfreunde“ gehört und ein Ministerium für Landwirtschaft eingeführt hat!

Ein anderes Beispiel:

In Nr. 2 des „Russkoje Bogatstwo“ redet der Chronist des inneren Lebens davon, dass Russland „glücklicherweise“ (sic!) ein zurückgebliebenes Land sei, „das Elemente zur Begründung seines Wirtschaftssystems auf dem Prinzip der SolidaritätL bewahrt hat“, und er erklärt, es sei deshalb imstande, „in den internationalen Beziehungen als Vertreter der wirtschaftlichen Solidarität“ aufzutreten, und diese Aussicht erhöhe Russlands unbestreitbare „politische Machtfülle“!!

Dieser Gendarm Europas, der beständige und treueste Hort jeglicher Reaktion, der über das russische Volk die große Schande gebracht hat, dass es, zu Hause selbst unterdrückt, als Werkzeug der Unterdrückung der Völker Westeuropas diente – dieser Gendarm wird als Vertreter der wirtschaftlichen Solidarität hingestellt!

Das übersteigt schon alle Maße! Die Herren „Volksfreunde“ stecken alle Liberalen in den Sack. Sie bitten die Regierung nicht nur, sie lobpreisen sie nicht nur, sie beten die Regierung geradezu an. Den Kopf bis zur Erde neigend, beten sie mit einem solchen Eifer, dass selbst einem Außenstehenden angst und bange wird, wenn er hört, wie die alleruntertänigsten Stirnen aufschlagen.

Erinnert man sich da nicht an die deutsche Definition des Philisters?

Was ist der Philister?

Ein hohler Darm,

Voll Furcht und Hoffnung,

Dass Gott erbarm’!

Diese Definition passt für unsere Verhältnisse nicht ganz. Gott … Gott steht bei uns erst an zweiter Stelle. Die Obrigkeit dagegen – das ist eine andere Frage. Und wenn wir in diese Definition anstelle des Wortes „Gott“ das Wort „Obrigkeit“ setzen, so erhalten wir einen ganz genauen Ausdruck für das ideelle Gepäck, das moralische Niveau und die Zivilcourage der russischen human-liberalen „Volksfreunde“.

Zu dieser höchst abgeschmackten Anschauung über die Regierung kommt bei den „Volksfreunden“ auch die entsprechende Stellung zur sogenannten „Intelligenz“. Herr Kriwenko schreibt:

Die Literatur“ … muss „die Erscheinungen nach ihrem sozialen Sinne bewerten und jeden aktiven Versuch zum Guten ermuntern. Sie hat wiederholt behauptet und fährt fort, immer wieder zu behaupten, es herrsche Mangel an Lehrern, Ärzten, Technikern; sie sagt, dass das Volk krank, verarmt“ (zu wenig Techniker?), „des Lesens und Schreibens unkundig sei usw., und wenn Leute erscheinen, die es satt haben, am grünen Tisch zu sitzen, an Liebhaberaufführungen teilzunehmen und bei Adelsmarschällen Fischpasteten zu essen, Leute, die mit seltener Selbstverleugnung“ (man denke: sie haben doch den grünen Tisch, die Theateraufführungen und die Pasteten zurückgewiesen!) „und trotz einer Menge von Hindernissen an die Arbeit gehen, so soll sie diese Leute willkommen heißen.“

Zwei Seiten weiter kanzelt er mit dem geschäftigen Ernst eines durch Erfahrung klug gewordenen alten Kommissknopfs jene Leute ab, die

„ … unschlüssig sind, ob sie als Landeshauptleute, Stadtoberhäupter, Vorsitzende und Mitglieder von Semstwoverwaltungen, wie sie vom neuen Gesetz vorgesehen, tätig sein sollen oder nicht. In einer Gesellschaft mit entwickelter Erkenntnis der bürgerlichen Erfordernisse und Pflichten“ (hört, meine Herren, das ist wirklich der Reden der berühmten russischen Pompadours, der eines Baranow oder Kossitsch würdig!) „wären weder derartige Schwankungen noch eine solche Haltung denkbar, weil eine solche Gesellschaft jede Reform, falls sie irgendeine lebensfähige Seite enthält, in ihrer Art assimilieren, d. h. verwerten und ihre zweckmäßigen Seiten zur Entwicklung bringen würde; die unnötigen Seiten aber würde sie in einen toten Buchstaben verwandeln; und wenn die Reform überhaupt nichts Lebensfähiges enthielte, so würde sie überhaupt ein Fremdkörper bleiben“.

Der Teufel soll sich da zurechtfinden! Welch ein Groschenopportunismus tritt da mit solcher Selbstgefälligkeit auf! Die Aufgabe der Literatur bestehe darin, Salonklatsch über die bösen Marxisten zu sammeln, sich vor der Regierung für die Rettung des Volkes vor dem endgültigen Ruin zu verbeugen, Leute willkommen zu heißen, die es satt haben, am grünen Tische zu sitzen, das „Publikum“ zu lehren, sich nicht einmal von solchen Posten wie dem eines Landeshauptmanns fernzuhalten… Was lese ich denn? Die „Nedelja“ oder die „Nowoje Wremja “? Nein, das ist das „Russkoje Bogatstwo“, das Organ der vorgeschrittenen russischen Demokraten…

Und solche Herren reden von „Idealen der Väter“, erheben darauf Anspruch, dass sie, gerade sie, die Traditionen jener Zeiten hochhalten, als Frankreich über ganz Europa die Ideen des Sozialismus verbreitete und die Aufnahme dieser Ideen in Russland die Theorien und Lehren eines Herzen und Tschernyschewski hervorbrachte. Das ist überhaupt schon eine Unverschämtheit, die tief empörend und kränkend wäre, wenn das „Russkoje Bogatstwo“ nicht allzu ergötzlich wäre, wenn derartige Erklärungen auf den Seiten einer solchen Zeitschrift nicht nur homerisches Lachen hervorriefen. Ihr beschmutzt ja diese Ideale! In der Tat, worin bestanden diese Ideale bei den ersten russischen Sozialisten, den Sozialisten jener Epoche, die Kautsky so treffend mit den Worten charakterisierte: … „als jeder Sozialist ein Dichter und jeder Dichter ein Sozialist war“.

Der Glaube an die besondere Struktur, an das System der Dorfgemeinschaft im russischen Leben; daraus – der Glaube an die Möglichkeit einer bäuerlichen sozialistischen Revolution – das hat sie begeistert, hat Dutzende und Hunderte von Menschen zum heroischen Kampf gegen die Regierung erhoben. Und ihr könnt die Sozialdemokraten nicht beschuldigen, sie seien nicht imstande, das gewaltige historische Verdienst dieser besten Leute ihrer Zeit zu würdigen, nicht imstande, ihr Andenken hoch zu achten. Doch ich frage euch: wo ist er aber jetzt, dieser Glaube? Er fehlt, er fehlt so sehr, dass, als Herr W. W. im vergangenen Jahre davon zu reden versucht hatte, die Dorfgemeinschaft erziehe das Volk zu solidarischer Tätigkeit, diene als Hebel der altruistischen Gefühle usw. – dass da selbst Herr Michailowski eine Gewissensregung empfand und Herrn W. W. schamhaft vorzuhalten begann, dass es keine solche Untersuchung gebe, die den Zusammenhang unserer Dorfgemeinschaft mit dem Altruismus beweist. Und es gibt tatsächlich keine solche Untersuchung. Aber geht doch: es gab eine Zeit, wo die Menschen ohne jede Untersuchung glaubten, und grenzenlos glaubten.

Wie? Warum? Aus welchem Grunde? …

Jeder Sozialist war ein Dichter und jeder Dichter ein Sozialist.“

Und ferner – fügt derselbe Herr Michailowski hinzu – seien alle gewissenhaften Forscher darin einig, dass sich das Dorf spaltet, indem einerseits die Masse des Proletariats, anderseits ein Häuflein von „Kulaken“ ausgesondert wird, die die übrige Bevölkerung unter ihrem Stiefel halten. Und wiederum hat er recht: das Dorf spaltet sich tatsächlich. Nicht genug, das Dorf hat sich schon längst völlig gespalten. Zusammen mit ihm hat sich auch der alte russische bäuerliche Sozialismus gespalten, der seinen Platz einerseits an den proletarischen Sozialismus abtrat, anderseits in einen öden kleinbürgerlichen Radikalismus ausartete. Anders denn als Ausartung kann diese Verwandlung nicht bezeichnet werden. Aus der Lehre von der besonderen Struktur des bäuerlichen Daseins, von den ganz eigenen Wegen unserer Entwicklung ist irgendein dünnflüssiger Eklektizismus entstanden, der nicht bestreiten kann, dass die Warenwirtschaft zur Grundlage der wirtschaftlichen Entwicklung geworden ist, dass sie sich zum Kapitalismus ausgewachsen hat: ein Eklektizismus, der den kapitalistischen Charakter aller Produktionsverhältnisse und die Notwendigkeit des Klassenkampfes unter diesem System nicht einmal sehen will. Aus einem politischen Programm, das darauf abzielte, die Bauernschaft zur sozialistischen Revolution gegen die Grundlagen der heutigen Gesellschaft zu erhebenM, ist ein Programm geworden, das darauf abzielt, an der Lage der Bauernschaft, bei Aufrechterhaltung der Grundlagen der heutigen Gesellschaft, herum zu flicken, sie zu „verbessern“.

Eigentlich könnte schon all das Gesagte eine Vorstellung davon geben, was für eine „Kritik“ von diesen Herren aus dem „Russkoje Bogatstwo“ zu erwarten ist, wenn sie versuchen, die Sozialdemokraten „zu zertrümmern“. Es wird nicht einmal der Versuch gemacht, die sozialdemokratische Auffassung der russischen Wirklichkeit offen und gewissenhaft darzulegen (soweit die Zensur in Frage kommt, wäre dies durchaus möglich, besonders wenn man die ökonomische Seite betonen, wenn man sich an dieselben allgemeinen zum Teil äsopischen Ausdrücke halten würde, in denen auch die ganze „Polemik“ der Herren vom „R. B.“ geführt wurde) und sie sachlich zu widerlegen, die Richtigkeit der praktischen Schlussfolgerungen aus ihr zu widerlegen. Statt dessen ziehen sie es vor, die Sache abzutun mit inhaltslosen Phrasen über abstrakte Schemas und den Glauben an sie, über die Überzeugung von der Notwendigkeit für jedes Land, durch diese Phase hindurchzugehen … und ähnlichen Blödsinn, den wir zur Genüge schon bei Herrn Michailowski kennen gelernt haben. Dabei kommen direkte Entstellungen vor. Herr Kriwenko erklärt z. B., dass Marx „…es für uns, falls wir es wünschen“ (?II Also hängt nach Marx die Evolution der sozial-ökonomischen Verhältnisse vom Willen und Bewusstsein der Menschen ab?? Was ist das, maßlose Unwissenheit oder beispiellose Frechheit?!) „und bei entsprechender Tätigkeit, für möglich anerkannt hat, die kapitalistischen Peripetien zu vermeiden und einen anderen, zweckmäßigeren Weg zu beschreiten (sic!!!).“

Diesen Unsinn konnte unser Ritter nur mit Zuhilfenahme einer direkten Unterschlagung schreiben. Herr Kriwenko zitiert den bekanntenBrief von K. Marx“ („Juriditscheski Wjestnik“, 1888, Nr. 10), und zwar jene Stelle, wo Marx von seiner Hochachtung für Tschernyschewski spricht, der es für Russland als möglich bezeichnet hatte, „die Leiden des kapitalistischen Systems nicht durchzumachen“, und fügt, nachdem er die Anführungszeichen geschlossen, d. h. mit der genauen Wiedergabe der Worte von Marx aufgehört hat (sie endigen so: „er [Tschernyschewski] spricht sich im Sinne der zweit genannten Entscheidung aus“), hinzu: „Und ich, sagt Marx, teile (Sperrung von Herrn Kriwenko) diese Ansichten“. (S. 186, Nr. 12).

Bei Marx aber heißt es in Wirklichkeit:

Und mein geehrter Kritiker hatte zumindest ebenso viel Grund, aus meiner Hochachtung gegenüber diesem großen russischen Gelehrten und Kritiker“ den Schluss zu ziehen, dass ich dessen Ansichten über diese Frage teile, so wie er umgekehrt aus meinem polemischen Ausfall gegen den russischen ,Belletristen' und Panslawisten den Schluss ziehen konnte, dass ich diese Ansichten verwerfe“ („Juriditscheskij Wjestnik“, 1888, Nr. 10, S. 271).

Marx sagt also, dass Michailowski nicht das Recht hatte, in ihm deshalb einen Gegner der Idee der besonderen Entwicklung Russlands zu sehen, weil er sich mit Achtung gegenüber jenen Leuten verhielt, die für diese Idee eintraten; Herr Kriwenko aber deutet das so, als ob Marx diese besondere Entwicklung „anerkannt“ habe. Eine direkte Entstellung. Die zitierte Erklärung Marxens zeigt ganz klar, dass er einer sachlichen Antwort ausweicht: „Herr Michailowski hätte nach Belieben eine der zwei widersprechenden Bemerkungen zur Grundlage nehmen können, d. h. er hatte keinen Grund, seine Schlussfolgerungen aus meiner Ansicht über die russischen Angelegenheiten überhaupt auf die eine oder die andere Art zu stützen.“ Und damit diese Bemerkungen keinen Anlass zu falschen Auslegungen geben, gab Marx in demselben „Brief“ direkt die Antwort auf die Frage, welche Anwendung seine Theorie auf Russland haben könne. Diese Antwort zeigt mit besonderer Deutlichkeit, dass Marx einer Beantwortung der Frage im Wesentlichen und einer Untersuchung der russischen Angaben auswich, die allein die Frage entscheiden können.

Wenn Russland“ – antwortete er – „danach strebt, eine kapitalistische Nation nach dem Vorbilde der westeuropäischen Nationen zu werden – und im Laufe der letzten Jahre hat es sich in diesem Sinne viel Schaden zugefügt –, dann wird es das nicht erreichen, ohne vorher einen guten Teil seiner Bauern in Proletarier zu verwandeln.“

Es scheint, das sei nun völlig klar: die Frage bestand eben darin, ob Russland darnach strebt, eine kapitalistische Nation zu werden, ob die Verelendung seiner Bauernschaft den Prozess der Bildung kapitalistischer Zustände, eines kapitalistischen Proletariats bedeutet; und Marx erklärt, dass Russland, „wenn“ es dies erstrebe, dabei notwendigerweise einen guten Teil der Bauern werde in Proletarier verwandeln müssen. Mit anderen Worten, die Marxsche Theorie besteht in der Erforschung und Erklärung der Evolution der wirtschaftlichen Verhältnisse bestimmter Länder, und ihre „Anwendung“ auf Russland kann nur darin bestehen, mit Hilfe der herausgearbeiteten Mittel der materialistischen Methode und der theoretischen politischen Ökonomie die russischen Produktionsverhältnisse und ihre Evolution zu untersuchen.N

Die Ausarbeitung der neuen methodologischen und politisch-ökonomischen Theorie bedeutete einen solchen gewaltigen Fortschritt in der Gesellschaftswissenschaft, einen solchen gewaltigen Schritt des Sozialismus vorwärts, dass für die russischen Sozialisten fast sogleich nach dem Erscheinen des „Kapital“ die Frage des „Schicksals des Kapitalismus in Russland“ zur theoretischen Hauptfrage wurde; um diese Frage herum spielten sich die heißesten Debatten ab, von ihr hing die Entscheidung über die wichtigsten programmatischen Grundsätze ab. Und es ist bemerkenswert: als (vor etwa zehn Jahren) eine besondere Gruppe von Sozialisten auftauchte, die die Frage der kapitalistischen Evolution Russlands im positiven Sinne entschied und sich bei dieser Entscheidung auf die Daten der russischen ökonomischen Wirklichkeit stützte, stieß sie auf keine direkte und bestimmte sachliche Kritik, auf keine Kritik, die dieselben allgemeinen methodologischen und theoretischen Grundsätze akzeptiert und die in Betracht kommenden Daten anders erklärt hätte.

Die „Volksfreunde“, die gegen die Marxisten einen ganzen Feldzug unternommen haben, argumentieren ebenfalls nicht an Hand einer Untersuchung der faktischen Daten. Wie wir im ersten Artikel gesehen haben, tun sie die Frage mit Phrasen ab. Dabei lässt sich Herr Michailowski die Gelegenheit nicht entgehen, seinen Witz an dem Umstande zu schärfen, dass unter den Marxisten keine Einstimmigkeit besteht, dass sie untereinander nicht vollkommen einig sind. Und „unser bekannter“ N. K. Michailowski freut sich ganz gewaltig seiner eigenen geistreichen Bemerkung über die „wahren“ und die „nicht wahren“ Marxisten. Dass unter den Marxisten keine völlige Einstimmigkeit besteht, trifft zu. Doch ist erstens diese Tatsache bei Herrn Michailowski unrichtig dargestellt, zweitens aber beweist sie nicht die Schwäche, sondern gerade die Stärke und Lebensfähigkeit der russischen Sozialdemokratie. Die Sache ist die, dass die jüngste Zeit besonders dadurch gekennzeichnet ist, dass die Sozialisten auf verschiedenen Wegen zu sozialdemokratischen Anschauungen gelangen und deshalb in vielen Teilfragen, sowohl in der Methode der Argumentation als auch der ins Einzelne gehenden Erklärung dieser oder jener Erscheinung des russischen Lebens auseinandergehen, obwohl sie in der grundlegenden und wichtigsten These, dass Russland eine aus dem Leibeigenschaftssystem hervorgewachsene bürgerliche Gesellschaft darstellt, dass seine politische Form ein Klassenstaat ist und dass der einzige Weg zur Beseitigung der Ausbeutung der Werktätigen im Klassenkampf des Proletariats besteht, unbedingt einig sind. Ich kann deshalb Herrn Michailowski im Voraus mit der Erklärung erfreuen, dass beispielsweise auch über die Fragen, die in diesen flüchtigen Bemerkungen gestreift wurden – die Agrarreform, die Ökonomik der Bauernwirtschaft und der Hausindustrie, das Pachtwesen usw. – in den Grenzen der soeben genannten grundlegenden und allen Sozialdemokraten gemeinsamen Auffassung verschiedene Meinungen bestehen. Die Einstimmigkeit von Leuten, die sich mit der einmütigen Anerkennung „großer Wahrheiten“ zufrieden geben – etwa der Art, dass die Agrarreform Russland ruhige Wege einer richtigen Entwicklung eröffnen könnte, dass der Staat nicht die Vertreter der Interessen des Kapitalismus, sondern die „Volksfreunde“ berufen könnte, dass die Dorfgemeinschaft die Landwirtschaft, zusammen mit der verarbeitenden Industrie, die der Hausindustrielle zu einer Großproduktion gestalten könnte, vergesellschaften könnte, dass die Volkspacht die Wirtschaft des Volkes unterstützen würde – diese rührende und ergreifende Einmütigkeit wurde von den Meinungsverschiedenheiten von Leuten abgelöst, welche eine Aufhellung der tatsächlichen, gegebenen ökonomischen Organisation Russlands als eines Systems gewisser Produktionsverhältnisse sowie seiner tatsächlichen ökonomischen Entwicklung und seines politischen und anderen Überbaus suchen.

Und wenn eine solche Arbeit, die von verschiedenen Standpunkten aus zur Anerkennung jener gemeinsamen These führt, die unbedingt auch die solidarische politische Tätigkeit bestimmt und deshalb alle, die sie anerkennen, berechtigt und verpflichtet, sich als „Sozialdemokraten“ zu betrachten und zu bezeichnen, – wenn eine solche Arbeit für Meinungsverschiedenheiten in einer Menge von Teilfragen, die in verschiedenem Sinne entschieden werden, noch ein weites Feld übrig lässt, so beweist das natürlich nur die Kraft und die Lebensfähigkeit der russischen Sozialdemokratie.O

Dabei sind die Bedingungen dieser Arbeit so schlecht, wie man sie sich schlimmer nicht vorstellen kann: es gibt kein und kann kein Organ geben, das die einzelnen Arbeiten vereinigen würde; die privaten Verbindungen sind unter unseren Polizeiverhältnissen äußerst erschwert. Es ist verständlich, dass die Sozialdemokraten nicht in gehöriger Weise sich verständigen und in den Details zur Übereinstimmung gelangen können, dass sie also einander widersprechen …

Nicht wahr, das ist doch in der Tat lustig?

In der „Polemik“ des Herrn Kriwenko mit den Sozialdemokraten kann der Umstand Erstaunen hervorrufen, dass er von irgendwelchen „Neomarxisten" redet. Mancher Leser wird glauben, unter den Sozialdemokraten sei eine Art Spaltung eingetreten, von den alten Sozialdemokraten hätten sich die „Neomarxisten" abgesondert. Nichts dergleichen. Niemand ist irgendwo und irgendwann im Namen des Marxismus öffentlich mit einer Kritik der Theorien und des Programms der russischen Sozialdemokraten und mit der Verteidigung eines anderen Marxismus aufgetreten. Die Sache ist die, dass die Herren Kriwenko und Michailowski verschiedenes Salongeschwätz über die Marxisten gehört und verschiedene Liberale gesehen haben, die ihre liberale Hohlheit mit dem Marxismus verdecken; und mit dem ihnen eigenen Scharfsinn und Takt machten sie sich mit diesem ideellen Gepäck an die „Kritik“ der Marxisten, Da ist es nicht verwunderlich, dass diese „Kritik“ aus einer ganzen Kette von Kuriositäten oder schmutzigen Ausfällen besteht.

Um konsequent zu sein“ – urteilt Herr Kriwenko –, „muss man darauf eine bejahende Antwort geben" (auf die Frage, „ob man nicht um die Entwicklung der kapitalistischen Industrie bemüht sein muss") und „sich weder am Aufkauf bäuerlichen Landes noch an der Eröffnung von Krämerläden und Kneipen stoßen“, muss man „sich über den Erfolg der zahlreichen Gastwirte in der Duma freuen und den noch zahlreicheren Aufkäufern des bäuerlichen Getreides helfen".

Das ist wirklich sehr ergötzlich. Versucht einem solchen „Volksfreunde“ zu sagen, dass die Ausbeutung des Werktätigen in Russland überall eine ihrem Wesen nach kapitalistische Ausbeutung ist, dass die tüchtigen Landwirte des Dorfes und die Aufkäufer zu den Vertretern des Kapitalismus gezählt werden müssen, gemäß diesen und diesen politisch-ökonomischen Merkmalen, die den kapitalistischen Charakter der Differenzierung der Bauernschaft beweisen. Er wird ein Geschrei erheben, wird dies als eine unglaubliche Ketzerei bezeichnen und von der blinden Übernahme westeuropäischer Formeln und abstrakter Schemas zu lärmen beginnen (wobei er den tatsächlichen Inhalt der „ketzerischen“ Argumentation aufs Sorgfältigste umgehen wird). Wenn es aber nötig ist, jene „Schrecken“ zu zeichnen, die die bösen Marxisten mit sich bringen, dann kann man die hochtrabende Wissenschaft und die reinen Ideale beiseite lassen, dann kann man zugeben, dass die Aufkäufer des bäuerlichen Getreides und des bäuerlichen Landes tatsächlich Vertreter des Kapitalismus und nicht nur „Liebhaber“ der Nutzung fremden Gutes sind.

Versucht diesem „Volksfreunde“ zu beweisen, dass die russische Bourgeoisie nicht nur schon heute die Arbeit des Volkes überall in ihren Händen hält, weil die Produktionsmittel ausschließlich in ihrer Hand konzentriert sind, sondern dass sie auch auf die Regierung einen Druck ausübt und so den bürgerlichen Charakter der Regierungspolitik hervorruft, erzwingt und bestimmt – er wird völlig in Raserei geraten, wird über die Allmächtigkeit unserer Regierung und darüber zu schreien beginnen, dass sie nur infolge eines verhängnisvollen Missverständnisses und eines unglückseligen Zufalls stets die Vertreter der Interessen des Kapitalismus anstatt der „Volksfreunde“ „berufe“, dass sie den Kapitalismus künstlich züchte … Im Stillen aber müssen sie selbst zugeben, dass die Gastwirte in der Duma, d. h. eines jener Elemente dieser angeblich über den Klassen stehenden Regierung, eben Vertreter des Kapitalismus sind. Werden aber wirklich, meine Herren, die Interessen des Kapitalismus bei uns in Russland nur in der „Duma“ und von den „Gastwirten“ allein vertreten? …

Schmutzige Ausfälle haben wir bei Herrn Michailowski mehr als zur Genüge gesehen, und wir begegnen ihnen bei Herrn Kriwenko wieder, der z. B., um die verhasste Sozialdemokratie zu vernichten, erzählt, wie „manche in Betriebe gehen (wenn sich übrigens gute technische oder Bürostellen darbieten), wobei sie ihren Eintritt ausschließlich mit der Idee der Beschleunigung des kapitalistischen Prozesses motivieren“. Es ist natürlich nicht nötig, solche, schon ganz unanständige Dinge auch nur zu beantworten. Hier kann man nur einen Punkt machen.

Fahrt in diesem Geiste fort, meine Herren, fahrt nur tapfer fort! Die kaiserliche Regierung – dieselbe, die, wie wir soeben von euch gehört haben, bereits Maßnahmen zur Rettung des Volkes vor dem endgültigen Ruin getroffen hat (wenn diese Maßnahmen auch Mängel aufweisen), wird, um euch davor zu bewahren, dass man euch der Niedertracht und Unwissenheit überführt, Maßnahmen ergreifen, die aber frei von jeglichen Mängeln sein werden. Die „gebildete Gesellschaft“ wird so wie ehedem in der Zwischenpause zwischen Fischpastete und grünem Tisch mit Vorliebe vom geringeren Bruder reden und humane Projekte zur „Verbesserung“ seiner Lage entwerfen; ihre Vertreter werden mit Vergnügen von euch vernehmen, dass sie eine hohe Erkenntnis der bürgerlichen Erfordernisse und Pflichten an den Tag legen, wenn sie die Stellen von Landeshauptleuten oder irgendwelchen anderen Aufsehern über die Taschen der Bauern einnehmen. Fahrt fort! Euch ist nicht nur die Ruhe sicher, sondern auch Billigung und Lob… aus dem Munde der Herren Burenin.

Zum Schluss wird es wohl nicht überflüssig sein, auf eine Frage zu antworten, die wahrscheinlich schon bei mehr als einem Leser aufgetaucht ist. Lohnte es sich, mit solchen Herren so lange zu diskutieren? Lohnte es sich, auf diesen Strom von liberalem und von der Zensur geschütztem Schmutz zu antworten, den sie als Polemik zu bezeichnen beliebten?

Mir scheint, dass es sich lohnte, natürlich nicht um ihretwillen und nicht um des „gebildeten“ Publikums willen, sondern wegen der nützlichen Lehre, die die russischen Sozialisten aus diesem Feldzug für sich ziehen können und müssen. Dieser Feldzug liefert den augenfälligsten und überzeugendsten Beweis dafür, dass jene Zeit der sozialen Entwicklung Russlands, in der Demokratismus und Sozialismus in ein unzertrennliches und unteilbares Ganzes verschmolzen (wie dies beispielsweise zur Zeit Tschernyschewskis der Fall war) unwiederbringlich der Vergangenheit angehört. Jetzt fehlt bereits jeder Boden für die Auffassung – die sich unter den russischen Sozialisten auch heute noch da und dort weiter erhält und sich auf ihre Theorie und ihre Praxis höchst schädlich auswirkt –, als ob es in Russland keinen tiefen, qualitativen Unterschied zwischen den Ideen der Demokraten und denen der Sozialisten gäbe.

Ganz im Gegenteil: zwischen diesen Ideen liegt ein ganzer Abgrund, und für die russischen Sozialisten wäre es höchste Zeit, dies zu erkennen und die Unvermeidlichkeit und die gebieterische Notwendigkeit des gänzlichen und endgültigen Bruchs mit den Ideen der Demokraten zu begreifen.

In der Tat, betrachten wir, wie er, dieser russische Demokrat, in jenen Zeiten war, als die erwähnte Idee entstand, und was er geworden ist. Die „Volksfreunde“ liefern uns für diese Parallele genügend Material.

Außerordentlich interessant ist in dieser Hinsicht der Ausfall des Herrn Kriwenko gegen Herrn Struve, der in einem deutschen Organ gegen den Utopismus des Herrn Nik.–on auftrat (sein Beitrag „Zur Beurteilung der kapitalistischen Entwicklung Russlands“ erschien im „Sozialpolitischen Zentralblatt“, III, Nr. 1 vom 2. Oktober 1893). Herr Kriwenko fällt über Herrn Struve her, weil dieser die Ideen derjenigen, die „für die Dorfgemeinschaft und den Bodenanteil eintreten“, angeblich zum „nationalen Sozialismus“ zähle (der nach seinen Worten „rein utopischer Natur“ ist). Diese angebliche schreckliche Beschuldigung des Sozialismus bringt den hochgeehrten Verfasser in grenzenlose Wut:

Gab es“ – ruft er aus – „wirklich niemand anderen (außer Herzen, Tschernyschewski und den Narodniki), der für die Dorfgemeinschaft und die Bodenanteile eintrat? Und die Verfasser der Verordnung über die Bauern, die die Dorfgemeinschaft und die wirtschaftliche Selbständigkeit der Bauern zur Grundlage der Reform gemacht haben, und die Erforscher unserer Geschichte und des modernen Lebens, die zugunsten dieser Prinzipien sprechen, und fast unsere ganze ernsthafte und anständige Presse, die ebenfalls für diese Prinzipien eintritt, – sind sie wirklich alle Opfer eines Irrtums, der ,nationaler Sozialismus' genannt wird?“

Beruhigen Sie sich, verehrtester Herr „Volksfreund“! Sie sind ob der schrecklichen Beschuldigung des Sozialismus so sehr erschrocken, dass sie sich nicht einmal die Mühe gegeben haben, den „kleinen Artikel“ Struves aufmerksam zu lesen. Und in der Tat, was wäre es für eine schreiende Ungerechtigkeit, diejenigen, die „für die Dorfgemeinschaft und den Bodenanteil“ eingetreten sind, des Sozialismus zu beschuldigen! Erlaubt doch, was gibt es denn hier Sozialistisches? Sozialismus wird doch der Protest und der Kampf gegen die Ausbeutung des Werktätigen genannt, ein Kampf, der die vollständige Beseitigung dieser Ausbeutung bezweckt während „für den Bodenanteil eintreten“ bedeutet, ein Anhänger des Loskaufs des gesamten Bodens, über den die Bauern verfügten, durch die Bauern zu sein. Selbst wenn man nicht für den Loskauf, sondern für die entschädigungslose Überlassung alles Grund und Bodens, der sich vor der Reform im Besitze der Bauern befand, an diese eintritt – selbst dann gibt es hier rein nichts Sozialistisches, weil gerade dieses bäuerliche Eigentum an Grund und Boden (das sich im Verlaufe der feudalen Periode herausgebildet hat), so wie überall in Westeuropa auch bei uns in RusslandP die Grundlage der bürgerlichen Gesellschaft ist. „Für die Dorfgemeinschaft eintreten“, d. h. gegen die polizeiliche Einmischung in die gewohnheitsmäßigen Methoden der Verfügung über den Boden protestieren, – was ist daran Sozialistisches, wo doch jeder weiß, dass sich die Ausbeutung des Werktätigen mit dieser Dorfgemeinschaft ausgezeichnet verträgt und in ihrem Innern entsteht? Das heißt doch, das Wort „Sozialismus“ bis zur Unmöglichkeit auszudehnen: man wird da wohl auch noch Herrn Pobjedonoszew zu den Sozialisten zählen müssen!

Herr Struve begeht keineswegs eine solche entsetzliche Ungerechtigkeit. Er spricht vom „utopischen Charakter des nationalen Sozialismus“ der Narodniki, und wen er zu den Narodniki zählt, geht daraus hervor, dass er Plechanows „Unsere Differenzen“7 als Polemik gegen die Narodniki bezeichnet. Plechanow hat zweifellos mit Sozialisten polemisiert, mit Leuten, die mit der „ernsten und anständigen“ russischen Presse nichts gemein haben. Und deshalb hatte Herr Kriwenko nicht das geringste Recht, auf sein Konto zu buchen, was sich auf die Narodniki bezieht. Wenn er aber die Meinung des Herrn Struve über jene Richtung, der er selbst angehört, unbedingt zu erfahren wünschte, so bin ich erstaunt, warum er die folgende Stelle aus dem Artikel des Herrn Struve nicht beachtet und sie nicht für das „Russkoje Bogatstwo“ übersetzt hat:

In dem Maße, wie die kapitalistische Entwicklung fortschreitet“ – schreibt der Verfasser –, „muss die soeben beschriebene Weltanschauung“ (die der Narodniki) „an Boden verlieren. Entweder wird sie zu einer ziemlich blassen, kompromissfähigen und kompromisssüchtigen ReformrichtungQ herabsinken, wozu schon längst vielversprechende Anfänge vorhanden sind, oder sie anerkennt die tatsächliche Entwicklung als unvermeidlich und zieht jene theoretischen und praktischen Schlussfolgerungen, die notwendigerweise daraus entspringen, mit anderen Worten: sie hört auf, utopisch zu sein."

Wenn Herr Kriwenko nicht errät, wo es bei uns Anfänge dieser nur zu Kompromissen fähigen Richtung gibt, so würde ich ihm empfehlen, einen Blick zu werfen in das „Russkoje Bogatstwo“, auf die theoretischen Anschauungen dieser Zeitschrift, die einen kläglichen Versuch darstellen, Bruchstücke der Lehre des Narodnikitums mit der Anerkennung der kapitalistischen Entwicklung Russlands zusammen zu leimen, auf ihr politisches Programm, das die Hebung und Wiederherstellung der Wirtschaft der Kleinproduzenten auf dem Boden der gegebenen kapitalistischen Ordnung zum Ziele hat.R

Das ist überhaupt eine der kennzeichnendsten und bemerkenswertesten Erscheinungen unseres sozialen Lebens in der letzten Zeit: die Ausartung des Narodnikitums zu einem kleinbürgerlichen Opportunismus.

In der Tat, wenn wir den Inhalt des Programms des „Russkoje Bogatstwo“ betrachten, alle diese Regelungen der Umsiedlung und des Pachtwesens, alle diese billigen Kredite, Museen, Lager, technischen Verbesserungen, Artels und Gemeindeäcker – so sehen wir, dass dieses Programm tatsächlich in der gesamten „ernsten und anständigen Presse“, d. h. in der ganzen liberalen Presse, die nicht zu den Organen der Anhänger der Leibeigenschaft oder zu den Reptilien gehört, gewaltig verbreitet ist. Die Idee von der Notwendigkeit, Nützlichkeit, Dringlichkeit und „Unschädlichkeit“ aller dieser Maßnahmen hat in der gesamten Intelligenz tiefe Wurzeln geschlagen und eine außerordentlich weite Verbreitung gefunden: man begegnet ihr sowohl in Provinzblättern und -zeitungen als auch in allen Forschungswerken, Sammelwerken, Beschreibungen usw., usw. der Semstwos. Ohne Zweifel, wenn man das als Narodnikitum nimmt, so ist es ein gewaltiger und unbestreitbarer Erfolg.

Nur ist das eben keineswegs Narodnikitum (in der alten, gewohnten Bedeutung des Wortes), und dieser Erfolg und diese gewaltige Verbreitung wurden erkauft um den Preis der Entartung des Narodnikitums, um den Preis der Verwandlung des Sozialrevolutionären Narodnikitums, das in scharfer Opposition zu unserem Liberalismus stand, in einen in Kultur machenden Opportunismus, der mit diesem Liberalismus verschmilzt und nur die Interessen des Kleinbürgertums zum Ausdruck bringt.

Um sich vom zuletzt Gesagten zu überzeugen, lohnt es sich, sich den oben angeführten Bildern der Differenzierung der Bauern und der Hausindustriellen zuzuwenden, denn diese Bilder zeigen keineswegs irgendwie vereinzelte oder neue Tatsachen, sondern stellen einfach den Versuch dar, jene „Schule“ der „Haifische“ und der „Landarbeiter“ politisch-ökonomisch zum Ausdruck zu bringen, deren Bestehen in unserem Dorfe auch von den Gegnern nicht bestritten wird. Es versteht sich, dass die „narodnikischen“ Maßnahmen nur imstande sind, das Kleinbürgertum zu stärken, oder aber (Artels und Gemeindeäcker) klägliche Linderungsmittel darstellen und traurige Experimente bleiben müssen, wie sie überall in Europa von der liberalen Bourgeoisie so liebevoll kultiviert werden, aus dem einfachen Grunde, weil sie die „Schule“ selbst nicht im Geringsten antasten. Aus demselben Grunde können gegen derartige Fortschritte selbst die Herren Jermolow und Witte nichts einzuwenden haben. Ganz im Gegenteil. Erweist ihnen nur den Gefallen, meine Herren! Sie werden euch sogar Geld „für Versuche“ geben, nur um die „Intelligenz“ von der revolutionären Tätigkeit (den Antagonismus zu betonen, ihn dem Proletariat zu erklären, zu versuchen, diesem Antagonismus freie Bahn im direkten politischen Kampf zu schaffen) abzulenken durch derartige Flickerei am Antagonismus, durch Versöhnung und Vereinigung. Tut ihnen den Gefallen!

Verweilen wir etwas bei dem Prozess, der zu einer solchen Entartung des Narodnikitums geführt hat. Bei ihrem ersten Entstehen, in ihrer anfänglichen Gestalt war diese Theorie ziemlich harmonisch – von der Annahme eines besonderen Systems des Volkslebens ausgehend, glaubte sie an kommunistische Instinkte beim „Dorfgemeinschafts“-Bauern und erblickte deshalb in der Bauernschaft einen direkten Kämpfer für den Sozialismus –, doch es mangelte ihr einerseits die theoretische Ausarbeitung, die Bestätigung durch die Tatsachen des russischen Lebens, andererseits die Erfahrung bei der Anwendung eines solchen politischen Programms, das auf diesen hypothetischen Eigenschaften des Bauern beruhen würde.

Die Entwicklung der Theorie verlief denn auch in diesen zwei Richtungen, in der theoretischen und in der praktischen. Die theoretische Arbeit bezweckte hauptsächlich die Untersuchung jener Form des Grundbesitzes, in der sie die Anfänge des Kommunismus erblicken wollten; und diese Arbeit lieferte ein sehr mannigfaltiges und sehr reiches Tatsachenmaterial. Doch dieses Material, das vorwiegend die Form des Grundbesitzes betraf, verhüllte den Forschern vollständig die Ökonomik des Dorfes. Das war umso natürlicher, als erstens die Forscher keine feste Theorie über die Methode der Gesellschaftswissenschaft besaßen, eine Theorie, die die Notwendigkeit der Ausscheidung und der besonderen Erforschung der Produktionsverhältnisse erklärt hätte; zweitens aber lieferte das Tatsachenmaterial direkte und unmittelbare Hinweise auf die nächstliegenden Bedürfnisse der Bauernschaft, auf die nächstliegenden Nöte, die auf der Bauernschaft so drückend lasteten. Und die ganze Aufmerksamkeit der Forscher konzentrierte sich auf das Studium dieser Nöte, des Landhungers, der hohen Steuern, der Rechtlosigkeit, der Hoffnungslosigkeit und Ausweglosigkeit der Lage der Bauern. All das wurde mit einem solchen Reichtum an Material, bis zu den geringfügigsten Details beschrieben, erforscht und erklärt, dass sich unser Staat natürlich tausendmal von der Notwendigkeit der Beseitigung dieser Nöte hätte überzeugen müssen, wenn er kein Klassenstaat wäre, wenn er sich in seiner Politik nicht von den Interessen der herrschenden Klasse, sondern von einer unparteiischen Behandlung der „Volksnöte“ leiten ließe. Die naiven Forscher, die an die Möglichkeit glaubten, die Gesellschaft und den Staat „umzustimmen“, vergruben sich völlig in die Details der von ihnen gesammelten Tatsachen und ließen eines außer acht: die politisch-ökonomische Struktur des Dorfes, den wichtigsten Hintergrund jener Wirtschaft, die von diesen unmittelbaren, nächstliegenden Nöten tatsächlich niedergedrückt wurde. Natürlich ergab sich als Resultat, dass sich der Schutz der Interessen einer durch Landhunger usw. darnieder liegenden Wirtschaft als Schutz der Interessen jener Klasse erwies, die diese Wirtschaft in ihren Händen hielt und die allein auch unter den gegebenen sozial-ökonomischen Verhältnissen innerhalb der Dorfgemeinschaft und unter dem gegebenen Wirtschaftssystem des Landes sich halten und entwickeln konnte.

Die theoretische Arbeit, die auf das Studium jener Einrichtung gerichtet war, die als Grundlage und Schutzwall für die Beseitigung der Ausbeutung dienen sollte, führte zur Ausarbeitung eines Programms, das die Interessen des Kleinbürgertums zum Ausdruck brachte, d. h. gerade jener Klasse, auf der diese ausbeuterische Ordnung beruht!

Gleichzeitig entwickelte sich die praktische revolutionäre Tätigkeit ebenfalls in einer ganz unerwarteten Richtung. Der Glaube an die kommunistischen Instinkte des Bauern verlangte von den Sozialisten natürlich, die Politik hintanzustellen und „ins Volk zu gehen“. Die Verwirklichung dieses Programms nahm eine Menge sehr energischer und talentvoller Leute in Angriff, die sich in der Praxis von der Naivität der Vorstellungen von den kommunistischen Instinkten des Bauern überzeugen mussten. Es wurde übrigens entschieden, dass es nicht am Bauern liege, sondern an der Regierung, und die gesamte Tätigkeit wurde auf den Kampf gegen die Regierung gelenkt, einen Kampf, den nun allein die Intellektuellen und die ihnen sich zuweilen anschließenden Arbeiter führten. Anfangs wurde dieser Kampf im Namen des Sozialismus geführt, wobei er sich auf die Theorie stützte, dass das Volk für den Sozialismus reif sei und dass man durch einfache Machtergreifung nicht nur die politische, sondern auch die soziale Revolution vollziehen könne. In der letzten Zeit verliert diese Theorie offenbar bereits jeglichen Kredit, und der Kampf der Gruppe „Volkswille“ gegen die Regierung wird zu einem Kampf von Radikalen für politische Freiheit.

Auf der anderen Seite führte diese Tätigkeit demzufolge zu Ergebnissen, die ihrem Ausgangspunkt direkt entgegengesetzt waren; auch da ergab sich ein Programm, das nur die Interessen der radikalen bürgerlichen Demokratie zum Ausdruck bringt. Dieser Prozess ist eigentlich noch nicht vollendet, doch ist er, wie es scheint, schon völlig entschieden. Eine solche Entwicklung des Narodnikitums war ganz natürlich und unvermeidlich, da ihrer Lehre die rein mythologische Vorstellung von einem besonderen System (Dorfgemeinschaft) der Bauernwirtschaft zu Grunde lag; durch die Berührung mit der Wirklichkeit zerstob diese Mythe und aus dem bäuerlichen Sozialismus entstand eine radikal-demokratische Vertretung der kleinbürgerlichen Bauernschaft.

Ich wende mich den Beispielen für die Evolution eines Demokraten zu:

Man muss dafür sorgen“ – meint Herr Kriwenko –, „dass an die Stelle des Allgemein-Menschen kein allgemein-russischer Waschlappen tritt, der nur von der dumpfen Wallung guter Gefühle erfüllt, jedoch weder einer wahren Selbstverleugnung noch dazu fähig ist, im Leben irgendetwas Dauerhaftes zu gestalten.“

Eine ausgezeichnete Moral; sehen wir zu, worauf sie angewandt wird. „In dieser Beziehung“ – fährt Herr Kriwenko fort – „kenne ich die folgende kränkende Tatsache“: es lebte im Süden Russlands eine Jugend,

beseelt von den besten Absichten und von der Liebe zum geringeren Mitmenschen; dem Bauern wurde jegliche Aufmerksamkeit und Ehrung erwiesen; man setzte ihn beinahe auf den ersten Platz, man aß mit ihm aus einem Teller, bewirtete ihn mit Eingemachtem und Backwerk; man bezahlte ihm alles besser als den anderen, man gab ihm Geld, sowohl Darlehen als auch ,Trinkgeld', oder auch einfach so; man erzählte ihm von den westeuropäischen Zuständen und den westeuropäischen Assoziationen usw. In demselben Orte lebte auch ein junger Deutscher namens Schmidt, ein Verwalter, oder richtiger, einfach ein Gärtner, ein Mensch ohne jegliche humanitären Ideen, eine echte, engherzige, formale deutsche Seele (sic??l!)“ usw.

Und nun seien drei bis vier Jahre über diesen Ort dahingegangen, und sie seien auseinander gekommen. Es vergingen etwa noch zwanzig Jahre, und der Verfasser erfuhr bei einem Besuche der Gegend, dass „Herr Schmidt“ (der für seine nützliche Tätigkeit aus einem Gärtner Schmidt in einen Herrn Schmidt umgetauft wird) die Bauern die Weingärtnerei gelehrt habe, die ihnen jetzt einen „gewissen Ertrag“ von je 75 bis 100 Rubel im Jahr abwerfe, weswegen von ihm eine „gute Erinnerung“ übriggeblieben sei, während

von den Herren, die dem Bauer gegenüber nur gute Gefühle hegten und nichts Wesentliches (!) für ihn taten, nicht einmal eine Erinnerung verblieben ist.“

Wenn wir die Zeit berechnen, so stellt sich heraus, dass sich die geschilderten Ereignisse auf die Jahre von 1869 bis 1870 beziehen, d. h. gerade ungefähr auf jene Zeit, in die die Versuche der russischen Sozialisten des Narodnikitums fallen, die progressivste und größte Besonderheit der „europäischen Zustände“, die Internationale, auf Russland zu übertragen.

Es ist klar, dass die Erzählung des Herrn Kriwenko einen schon allzu krassen Eindruck hinterlässt, und er beeilt sich deshalb, Vorbehalte zu machen.

Ich will damit natürlich nicht sagen“ – erläutert er –, „dass Schmidt besser sei als diese Herren, sondern ich sage, wieso er bei allen seinen übrigen Mängeln trotzdem in diesem Orte und in der Bevölkerung eine dauerhaftere Spur hinterlassen hat.“ (Ich sage nicht, er sei besser, sondern ich sage, er habe eine dauerhafte Spur hinterlassen, – was ist das für ein Blödsinn?!). „Ich sage auch nicht, er habe etwas Wichtiges getan, sondern im Gegenteil, ich führe das von ihm Geleistete als Musterbeispiel eines ganz verschwindend kleinen, beiläufigen und ihn nichts kostenden, aber eines zweifellos lebensfähigen Werkes an.“

Wie man sieht, ein sehr zweideutiger Vorbehalt; doch das Wesen der Sache liegt nicht in seiner Zweideutigkeit, sondern darin, dass der Verfasser, der die Resultatlosigkeit der einen Tätigkeit dem Erfolg der anderen gegenüberstellt, den grundlegenden Unterschied zwischen den Richtungen dieser zwei Arten von Tätigkeit offenbar nicht einmal ahnt. Das ist der ganze Witz, und deshalb ist diese Erzählung für die Bestimmung der Physiognomie des heutigen Demokraten so kennzeichnend.

Denn diese Jugend, die dem Bauern von „den westeuropäischen Zuständen und den westeuropäischen Assoziationen“ erzählte, wollte diesen Bauern offenbar dazu bringen, die Formen des sozialen Lebens umzugestalten (diese meine Schlussfolgerung kann im gegebenen Fall auch unrichtig sein, doch wird, glaube ich, jeder zugeben, dass sie gerechtfertigt ist, da sie sich unvermeidlich aus der oben zitierten Erzählung des Herrn Kriwenko ergibt), wollte ihn zur sozialen Revolution gegen die moderne Gesellschaft erheben, die eine so schamlose Ausbeutung und Unterdrückung des Werktätigen hervorruft, – während zugleich über alle möglichen liberalen Fortschritte allgemein gejubelt wird. „Herr Schmidt“ aber wollte als wahrer Unternehmer nur den anderen Unternehmern helfen, ihre Wirtschaftsangelegenheiten zu ordnen, sonst nichts. Wie kann man nun diese zwei Tätigkeiten, die in diametral entgegengesetzter Richtung verlaufen, vergleichen und einander gegenüberstellen? Das ist doch genau dasselbe, wie wenn man den Misserfolg der Tätigkeit einer Person, die ein Bauwerk zu zerstören bestrebt ist, mit dem Erfolg der Tätigkeit einer Person, die es festigen wollte, vergleichen würdet. Um einen Vergleich zu ziehen, der einen gewissen Sinn hat, müsste man näher betrachten, weshalb der Versuch dieser Jugend, die ins Volk ging, um die Bauern zur Revolution zu erheben, so erfolglos war, ob nicht etwa deshalb, weil sie von der irrigen Vorstellung ausging, dass gerade die „Bauernschaft“ der Vertreter der werktätigen und ausgebeuteten Bevölkerung sei, während sie in Wirklichkeit keine besondere Klasse darstellt (das ist eine Illusion, die höchstens etwa als Widerspiegelung des Einflusses der Epoche der Aufhebung der Leibeigenschaft erklärlich ist, als die Bauernschaft tatsächlich als Klasse auftrat, aber nur als Klasse der Gesellschaft in der Zeit der Fronherrschaft), da sich in ihrem Inneren selbst die Klasse der Bourgeoisie und die des Proletariats herausbilden – mit einem Wort, man müsste die alten sozialistischen Theorien und ihre Kritik durch die Sozialdemokraten untersuchen. Statt dessen aber fährt Herr Kriwenko aus der Haut und beweist, dass das Werk des „Herrn Schmidt“ ein „zweifellos lebensfähiges Werk“ sei. Erlauben Sie doch, verehrtester Herr „Volksfreund“, wozu rennen Sie offene Türen ein? Wer zweifelt denn daran? Einen Weingarten anzulegen und aus ihm 75 bis 100 Rubel Ertrag zu ziehen – was kann in der Tat lebensfähiger sein?S

Und der Verfasser beginnt zu erklären, dass, wenn ein Landwirt bei sich einen Weingarten anlegt, dies eine isolierte Tätigkeit, wenn es aber einige Landwirte sind, eine verallgemeinerte und verbreitete Tätigkeit sei, die das kleine Werk in ein wirkliches, richtiges Werk verwandle, so wie, als Beispiel, A. H. Engelhardt nicht nur bei sich Phosphate verwandte, sondern sie auch bei den anderen in die Produktion einführte.

Nicht wahr, was für ein großartiger Demokrat!

Nehmen wir noch ein Beispiel aus dem Gebiete der Betrachtungen über die Agrarreform. Wie verhielt sich zu ihr ein Demokrat der oben erwähnten Epoche, als Demokratismus und Sozialismus voneinander unzertrennlich waren – Tschernyschewski? Da er nicht in der Lage war, seine Meinung offen zu sagen, schwieg er, und mit Umschweifen kennzeichnete er die sich vorbereitende Reform folgendermaßen:

Nehmen wir an, ich sei an der Ergreifung von Maßnahmen zur Anlegung eines Mundvorrates interessiert, aus welchem euer Mittagessen bestritten wird. Es versteht sich von selbst, dass, wenn ich dies eigentlich aus Neigung zu euch täte, mein Eifer auf der Voraussetzung beruhen würde, dass der Vorrat euch gehört und dass das aus ihm hergestellte Mittagessen gesund und euch bekömmlich ist. Stellt euch aber meine Gefühle vor, wenn ich erfahre, dass der Vorrat gar nicht euch gehört und dass für jedes aus ihm hergestellte Mittagessen von euch Geld genommen wird, dass nicht nur das Mittagessen selbst nichts wert ist (das wurde vor der Reform geschrieben; die Herren Juschakow aber versichern heute, dass das Grundprinzip der Reform die Sicherstellung der Bauern gewesen sei!!), sondern das ihr ohne äußerste Einschränkung überhaupt nicht zahlen könnt? Was für Gedanken kommen mir bei diesen so seltsamen Entdeckungen? … Wie dumm war ich, dass ich mich um ein Werk bemühte, für dessen Nützlichkeit die Bedingungen nicht gesichert sind! Wer außer einem Dummkopf kann sich um die Aufrechterhaltung des Eigentums in gewissen Händen bemühen, ohne sich vorher versichert zu haben, dass das Eigentum in diese Hände gerät und unter günstigen Bedingungen in sie gerät?.. Es ist besser, der ganze Vorrat, der einem mir lieben Mitmenschen nur Schaden bringt, gehe verloren! Es ist besser, das ganze Werk, das euch nur den Ruin bringt, gehe zugrunde!“

Ich unterstreiche jene Stellen, die reliefartig das tiefe und ausgezeichnete Verständnis Tschernyschewskis für die zeitgenössische Wirklichkeit, das Verständnis dafür zeigen, was die bäuerlichen Loskaufsgelder sind, und die Erkenntnis des Antagonistischen in den russischen Gesellschaftsklassen. Es ist ferner wichtig zu bemerken, dass er diese rein revolutionären Ideen in der unter Zensur stehenden Presse darzulegen verstand. In seinen illegalen Schriften schrieb er dasselbe, nur ohne Umschweife. Im „Prolog zum Prolog“ spricht Wolgin (dem Tschernyschewski seine Gedanken in den Mund legt):

Möge das Werk der Befreiung der Bauern in die Hände der Partei der Großgrundbesitzer übergeben werden. Der Unterschied ist nicht groß“.T

und auf die Bemerkung des Gesprächspartners, der Unterschied sei im Gegenteil gewaltig, da die Partei der Großgrundbesitzer gegen die Zuteilung von Grund und Boden an die Bauern sei, antwortete er entschieden:

Nein, nicht gewaltig, sondern verschwindend klein. Er wäre gewaltig, wenn die Bauern das Land ohne Loskauf erhielten. Einem Menschen eine Sache zu nehmen oder sie ihm zu belassen, das ist ein Unterschied; wenn man aber von ihm Geld für sie verlangt, so kommt es auf dasselbe hinaus. Der Plan der Gutsbesitzerpartei unterscheidet sich vom Plan der Fortschrittler nur dadurch, dass er einfacher und kürzer ist. Deshalb ist er sogar besser. Es wird wahrscheinlich weniger Verschleppungen geben und auch weniger Lasten für die Bauern. Wer von den Bauern Geld besitzt, der kann sich Land kaufen. Wer keines hat, den wird man auch vergebens verpflichten, es zu kaufen. Das wird sie nur ruinieren. Loskauf ist dasselbe wie Kauf.“

Es bedurfte eben der Genialität eines Tschernyschewski, um damals, schon in der Epoche der Durchführung der Agrarreform (als sie selbst in Westeuropa noch nicht genügend geklärt war), ihren grundlegenden kapitalistischen Charakter so klar zu begreifen, um zu erkennen, dass schon damals in der russischen „Gesellschaft“ und im „Staate“ soziale Klassen herrschten und regierten, die dem Werktätigen unwandelbar feindlich sind und die den Ruin und die Expropriation der Bauernschaft unbedingt vorherbestimmten. Und dabei verstand Tschernyschewski, dass die Existenz einer Regierung, die unsere antagonistischen sozialen Verhältnisse verschleiert, ein schreckliches Übel ist, das die Lage der Werktätigen besonders verschlechtert.

Die Wahrheit zu sagen“ – fährt Wolgin fort –, „mögen sie lieber ohne Land befreit werden“. (D. h., wenn bei uns die für die Leibeigenschaft eintretenden Großgrundbesitzer so mächtig sind, so mögen sie lieber offen auftreten und aufrichtig alles aussprechen, als dieselbe Interessiertheit an der Leibeigenschaft hinter den Kompromissen einer heuchlerischen absolutistischen Regierung zu verbergen.)

Die Frage steht so, dass ich keinen Grund sehe, mich selbst wegen der Frage in Hitze zu bringen, ob die Bauern befreit werden oder nicht; umso weniger wegen der Frage, wer sie befreien wird, die Liberalen oder die Großgrundbesitzer. Meines Erachtens ist das ganz gleich. Die Großgrundbesitzer sind sogar besser.“

Aus den „Briefen ohne Adresse“:

Man redet davon, die Bauern zu befreien … Wo sind die Kräfte für ein solches Werk? Die Kräfte fehlen noch. Man darf ein Werk nicht in Angriff nehmen, wenn die Kräfte dazu fehlen. Seht nur, wozu das führt: man beginnt zu befreien. Was dabei herauskommen wird – urteilt selbst, was herauskommen wird, wenn man ein Werk unternimmt, das man nicht bewältigen kann. Man verpfuscht das Werk – es kommt eine Abscheulichkeit heraus.“

Tschernyschewski verstand, dass der russische fronherrlich-bürokratische Staat nicht die Kraft besaß, die Bauern zu befreien, d. h. die Vertreter der Leibeigenschaft zu stürzen, dass er nur imstande war, eine „Abscheulichkeit“, einen jämmerlichen Kompromiss zwischen den Interessen der Liberalen (Loskauf ist dasselbe wie Kauf) und denen der Großgrundbesitzer zustande zu bringen, einen Kompromiss, der die Bauern mit dem Gespenst von Sicherstellung und Freiheit betrog, sie in Wirklichkeit aber ruinierte und mit Haut und Haar den Großgrundbesitzern auslieferte. Und er protestierte, verfluchte die Reform, wünschte ihren Misserfolg, wünschte, dass die Regierung bei ihrer Seiltänzerei zwischen Liberalen und Großgrundbesitzern zu Fall komme und sich ein Bankrott ergebe, der Russland auf den Weg des offenen Kampfes der Klassen führen würde.

Heute aber, wo die genialen Prophezeiungen Tschernyschewskis Tatsache geworden sind, wo eine dreißigjährige Geschichte jegliche ökonomischen und politischen Illusionen schonungslos zerstört hat – heute lobpreisen unsere modernen „Demokraten“ die Reform, erblicken in ihr die Sanktion der „Volks“produktion, sind so schlau, sie als Beweis für die Möglichkeit eines angeblichen anderen Weges heranzuziehen, auf welchem man die den Werktätigen feindlichen sozialen Klassen herumkriegen würde. Ich wiederhole, die Einstellung zur Agrarreform ist der offensichtlichste Beweis dafür, dass unsere Demokraten im Innersten verbürgerlicht sind. Diese Herren haben nichts gelernt, aber vergessen haben sie sehr, sehr viel.

Als Parallele nehme ich die „Otjetschestwennyje Sapiski“ vom Jahre 1872. Ich brachte oben bereits Zitate aus dem Artikel „Die Plutokratie und ihre Grundlagen“ über jene Erfolge auf dem Gebiete des Liberalismus (der die plutokratischen Interessen verhüllt), die die russische Gesellschaft schon im ersten Jahrzehnt nach der „großen, befreienden“ Reform erzielt hat.

Wenn es früher oft Leute gab“ – schrieb der nämliche Verfasser in demselben Artikel –, „die wegen der Reformen heulten und die Vergangenheit beweinten, so gibt es jetzt bereits keine solchen Leute mehr. Alle haben an den neuen Zuständen Gefallen gefunden, alle sind fröhlich und ruhig.“

Und der Verfasser zeigt im Weiteren, wie auch die Literatur „selbst ein Organ der Plutokratie geworden ist“, da sie „unter dem Deckmantel der Demokratie“ plutokratische Interessen und Ansprüche vertritt. Man sehe sich diese Erwägung aufmerksam an. Der Verfasser ist unzufrieden damit, dass „alle“ mit den neuen, durch die Reform geschaffenen Zuständen zufrieden sind, dass „alle“ (die Vertreter der „Gesellschaft“ und der „Intelligenz“ natürlich, nicht aber die Werktätigen) fröhlich und ruhig sind, trotz der offensichtlich antagonistischen, kapitalistischen Eigenschaften dieser neuen Zustände; das Publikum bemerkt nicht, dass der Liberalismus nur „die Freiheit des Erwerbs“ verhüllt, versteht sich: des Erwerbs auf Kosten der Masse der Werktätigen und zu ihrem Schaden. Und er protestiert. Gerade dieser Protest, der für den Sozialisten kennzeichnend ist, ist in seinen Betrachtungen wertvoll. Man bemerkte, dass dieser Protest gegen die vom Demokratismus verhüllte Plutokratie der allgemeinen Theorie der Zeitschrift widerspricht: sie leugnen ja jedwede bürgerlichen Momente, Elemente und Interessen in der Agrarreform, verneinen den Klassencharakter der russischen Intelligenz und des russischen Staates, bestreiten, dass der Kapitalismus in Russland eine Basis hat – und dennoch können sie nicht umhin, den Kapitalismus und das Bürgerliche zu empfinden und zu fühlen. Und insofern die „Otjetschestwennyje Sapiski“, weil sie den antagonistischen Charakter der russischen Gesellschaft empfanden, gegen den bürgerlichen Liberalismus und Demokratismus kämpften – insofern taten sie ein Werk, das allen unseren ersten Sozialisten gemein war, die, wenn sie auch diesen antagonistischen Charakter nicht zu begreifen vermochten, sich doch seiner bewusst waren und gegen die Organisation der Gesellschaft selbst kämpfen wollten, die den Antagonismus hervorgerufen hatte; insofern waren die „Otjetschestwennyje Sapiski“ progressiv (versteht sich, vom Standpunkt des Proletariats). Die „Volksfreunde“ haben diesen Antagonismus vergessen, haben jedes Gefühl dafür verloren, wie sich „unter dem Deckmantel des Demokratismus“ auch bei uns, im heiligen Russland, reinblütige Bourgeois verstecken; und deshalb sind sie jetzt reaktionär (im Verhältnis zum Proletariat), da sie den Antagonismus vertuschen und nicht von Kampf, sondern von einer versöhnenden kulturmacherischen Tätigkeit reden.

Hat denn etwa, meine Herren, der russische klardenkende Liberale, der demokratische Vertreter der Plutokratie der sechziger Jahre, in den neunziger Jahren aufgehört, ein Ideologe der Bourgeoisie zu sein, nur deshalb, weil sich seine Stirn mit einem leisen Wölklein von Betrübnis des Bürgers überzogen hat?

Hört denn etwa „die Freiheit des Erwerbs“ im großen Maßstabe, die Freiheit der Aufnahme großer Kredite, des Erwerbs großer Kapitalien, der Anwendung großer technischer Verbesserungen, bei Gleichbleiben der sozial-ökonomischen Verhältnisse, auf, liberal, d. h. bürgerlich zu sein, nur deshalb, weil sie durch die Freiheit der Aufnahme kleiner Kredite, des Erwerbs kleiner Kapitalien, der Anwendung kleiner technischer Verbesserungen ersetzt wird?

Ich wiederhole, die Sache ist nicht die, dass sie unter dem Einfluss einer radikalen Änderung der Ansichten oder eines radikalen Umschwungs unserer Zustände zu einer anderen Meinung gekommen wären. Nein, sie wollen sich einfach nicht erinnern.

Nachdem sie diesen einzigen Zug, der ihre Vorfahren einst trotz der ganzen Nichtstichhaltigkeit ihrer Theorien, trotz ihrer naiv-utopischen Auffassung von der Wirklichkeit zu fortschrittlichen Leuten gemacht hatte, eingebüßt haben, haben die „Volksfreunde“ während dieser ganzen Zeitspanne rein nichts gelernt. Und doch hätte sie, sogar abgesehen von der politisch-ökonomischen Analyse der russischen Wirklichkeit, allein schon die politische Geschichte Russlands während der letzten dreißig Jahre sehr vieles lehren sollen.

Damals, in der Epoche der „sechziger Jahre“, wurde die Macht der Anhänger der Leibeigenschaft gebrochen: sie erlitten allerdings keine endgültige, immerhin aber eine so entscheidende Niederlage, dass sie von der Szene verschwinden mussten. Die Liberalen dagegen erhoben das Haupt. Es ergoss sich ein Strom liberaler Phrasen von Fortschritt, Wissenschaft, Wohlfahrt, Kampf gegen die Unwahrheit, von Volksinteressen, Volksgewissen, Volkskräften usw. usw., derselben Phrasen, mit denen man auch heute, in Augenblicken besonderer Verzagtheit, unsere radikalen Heulmeier in ihren Salons, unsere liberalen Phrasenhelden bei ihren Jubiläumsessen, auf den Seiten ihrer Zeitschriften und Zeitungen zu Übelkeit reizt. Die Liberalen erwiesen sich als stark genug, die „neuen Zustände“ auf ihre Weise umzugestalten, natürlich bei weitem nicht vollständig, aber in hohem Maße. Obwohl damals in Russland das „klare Licht des offenen Klassenkampfes“ noch fehlte, war es doch immerhin heller als heute, so dass selbst jene Ideologen der werktätigen Klasse, die von diesem Klassenkampfe keinen Begriff hatten und die es vorzogen, von einer besseren Zukunft zu träumen, anstatt die schändliche Gegenwart zu erklären – dass selbst sie nicht umhin konnten zu erkennen, dass sich hinter dem Liberalismus die Plutokratie versteckt, dass diese neuen Zustände bürgerliche Zustände sind. Gerade die Beseitigung der Vertreter der Leibeigenschaft, die die Aufmerksamkeit nicht auf noch schreiendere Tagesnöte gelenkt und die Betrachtung der neuen Zustände in ihrer (verhältnismäßig) reinen Form nicht gehindert hatten, gestattete das zu erkennen. Doch unsere damaligen Demokraten, die den plutokratischen Liberalismus zu verurteilen vermochten, vermochten anderseits nicht, ihn zu begreifen und wissenschaftlich zu erklären, vermochten nicht, seine Notwendigkeit angesichts der kapitalistischen Organisation unserer Volkswirtschaft zu verstehen, vermochten nicht, das Fortschrittliche dieser neuen Lebensordnung gegenüber der alten fronwirtschaftlichen zu begreifen; sie vermochten nicht, die revolutionäre Rolle des durch diese Ordnung geschaffenen Proletariats zu verstehen, sie beschränkten sich auf das „Anschnauben“ dieser Ordnung der „Freiheit“ und „Humanität“, betrachteten ihren bürgerlichen Charakter als Zufälligkeit und erwarteten, dass sich im „Volkssystem“ noch andere gesellschaftliche Verhältnisse herausstellen werden.

Und nun hat ihnen die Geschichte diese anderen sozialen Verhältnisse gezeigt. Die Vertreter der Leibeigenschaft, nicht völlig geschlagen durch die Reform, die zur Wahrung ihrer Interessen so schamlos entstellt wurde, lebten (auf eine Stunde) wieder auf und zeigten augenfällig, welche diese unsere anderen sozialen Verhältnisse, außer den bürgerlichen, sind; sie zeigten es in der Form einer so hemmungslosen, unglaublich sinnlosen und brutalen Reaktion, dass unsere Demokraten Angst bekamen, verstummten und, anstatt vorwärts zu schreiten und von ihrem naiven Demokratismus, der den bürgerlichen Charakter zu fühlen, nicht aber ihn zu begreifen vermochte, zu den Ansichten der Sozialdemokratie zu gelangen – anstatt dessen zu den Liberalen zurückgingen und jetzt darauf stolz sind, dass ihr Gewinsel … d. h., ich wollte sagen ihre Theorien und Programme, von der „ganzen ernsthaften und anständigen Presse“ geteilt werden. Es sollte scheinen, die Lehre sei sehr nachhaltig gewesen: allzu offensichtlich wurde die Illusion der alten Sozialisten über die besonderen Grundlagen des Volkslebens, über die sozialistischen Instinkte des Volkes, über den zufälligen Charakter des Kapitalismus und der Bourgeoisie; es sollte scheinen, man könnte nun der Wirklichkeit direkt ins Auge sehen und offen zugeben, dass es in Russland keinerlei andere sozial-ökonomischen Verhältnisse gab und gibt, außer den bürgerlichen und den absterbenden fronwirtschaftlichen Verhältnissen, dass es deshalb auch keinen anderen Weg zum Sozialismus geben kann als über die Arbeiterbewegung. Doch diese Demokraten haben nichts gelernt, und die naiven Illusionen des kleinbürgerlichen Sozialismus haben der praktischen Nüchternheit kleinbürgerlicher Fortschritte Platz gemacht.

Jetzt sind die Theorien dieser Ideologen des Kleinbürgertums, wenn sie als Vertreter der Interessen der Werktätigen auftreten, direkt reaktionär. Sie vertuschen den Antagonismus in den heutigen russischen sozialen und ökonomischen Verhältnissen und beurteilen die Sache so, als ob man mit allgemeinen, für alle berechneten Maßnahmen zum „Aufschwung“, zur „Hebung“ usw., helfen, als ob man versöhnen und vereinigen könne. Diese Theorien sind reaktionär, da sie unseren Staat als irgend etwas über den Klassen Stehendes und deshalb als geeignet und fähig hinstellen, der ausgebeuteten Bevölkerung irgendwelche ernsthafte und ehrliche Hilfe zu erweisen.

Und schließlich sind diese Theorien deshalb reaktionär, weil sie die Notwendigkeit des Kampfes, und zwar eines verzweifelten Kampfes der Werktätigen selbst zu ihrer Befreiung absolut nicht erfassen; die „Volksfreunde“ meinen z. B., dass sie vielleicht selbst alles in Ordnung bringen können. Die Arbeiter können beruhigt sein. Schon ist ja in die Redaktion des „Russkoje Bogatstwo“ ein Techniker gekommen, und es hat nicht viel gefehlt, so hätten sie schon eine der „Kombinationen“ zur „Einführung des Kapitalismus in das Volksleben“ vollständig ausgearbeitet. Die Sozialisten müssen mit allen kleinbürgerlichen Ideen und Theorien entschieden und endgültig brechen – das ist die wichtigste Nutzanwendung, die aus diesem Feldzug gezogen werden muss.

Wohlgemerkt: ich spreche vom Bruch mit den kleinbürgerlichen Ideen, nicht aber mit den „Volksfreunden“ und nicht mit ihren Ideen, weil es dort, wo niemals eine Verbindung bestand, keinen Bruch geben kann. Die „Volksfreunde“ sind nur die einen Vertreter einer der Richtungen dieser Sorte kleinbürgerlich-sozialistischer Ideen. Und wenn ich beim gegebenen Fall die Schlussfolgerung ziehe, dass es notwendig ist, mit den kleinbürgerlich-sozialistischen Ideen, mit den Ideen des alten russischen bäuerlichen Sozialismus überhaupt zu brechen, so deshalb, weil der gegenwärtige Feldzug der durch das Wachstum des Marxismus erschreckten Vertreter der alten Ideen gegen die Marxisten sie veranlasste, die kleinbürgerlichen Ideen besonders vollständig und plastisch zu zeigen. Wenn wir diese Ideen dem modernen Sozialismus, den heutigen Daten über die russische Wirklichkeit gegenüberstellen, so sehen wir mit erstaunlicher Deutlichkeit, bis zu welchem Grade diese Ideen verdunstet sind, wie sie jede feste theoretische Grundlage verloren haben und zu einem traurigen Eklektizismus, zum banalsten in Kultur machenden opportunistischen Programm herabgesunken sind. Man kann einwenden, dies sei nicht die Schuld der alten Ideen des Sozialismus überhaupt, sondern nur die der in Betracht kommenden Herren, die ja auch niemand zu den Sozialisten zähle; doch scheint mir ein derartiger Einwand völlig unzutreffend zu sein. Ich habe überall versucht, die Notwendigkeit dieser Ausartung der alten Theorien zu zeigen, ich war überall bestrebt, möglichst wenig Platz der Kritik dieser Herren im Besonderen und möglichst viel Platz den allgemeinen und grundlegenden Lehrsätzen des alten russischen Sozialismus zu widmen. Und wenn die Sozialisten finden sollten, dass diese Lehrsätze von mir unrichtig oder ungenau oder unvollständig dargelegt worden sind, so kann ich darauf nur mit der ergebensten Bille antworten; bitte sehr, meine Herren, stellt sie selbst dar, vervollständigt sie in der nötigen Weise!

Niemand würde sich über die Möglichkeit, eine Polemik mit Sozialisten zu führen, wirklich mehr freuen als die Sozialdemokraten.

Glaubt ihr denn wirklich, es sei für uns so angenehm, auf die „Polemik“ solcher Herren zu antworten? Glaubt ihr wirklich, wir hätten uns damit befasst, wenn von ihrer Seite nicht eine direkte, zwingende und scharfe Herausforderung vorgelegen hätte?

Glaubt ihr denn wirklich, dass wir uns nicht Gewalt antun müssen, um diese widerliche Mischung von staatsliberalen Phrasen und kleinbürgerlicher Moral zu lesen, nochmals zu lesen und uns in sie hineinzulesen?

Doch nicht wir sind ja daran schuld, dass gegenwärtig solche Herren sich daran machen, diese Ideen zu begründen und darzulegen. Ich bitte ferner zu bemerken, dass ich von der Notwendigkeit des Bruchs mit den kleinbürgerlichen Ideen des Sozialismus spreche. Die untersuchten kleinbürgerlichen Ideen sind unbedingt reaktionär, insoweit sie als sozialistische Theorien auftreten.

Wenn wir aber verstehen, dass es hier in Wirklichkeit rein gar nichts Sozialistisches gibt, d. h. dass alle diese Theorien die Ausbeutung des Werktätigen durchaus nicht erklären und deshalb absolut nicht imstande sind, zu seiner Befreiung beizutragen; dass alle diese Theorien in Wirklichkeit die Interessen des Kleinbürgertums widerspiegeln und vertreten – wenn wir das verstehen, dann werden wir uns ihnen gegenüber anders verhalten, dann werden wir die Frage stellen müssen: wie muss sich die Arbeiterklasse zum Kleinbürgertum und seinem Programm verhalten? Und auf diese Frage kann man nicht antworten, ohne den zwiespältigen Charakter dieser Klasse berücksichtigt zu haben (bei uns in Russland ist diese Zwiespältigkeit infolge der geringeren Entwicklung des Antagonismus zwischen Klein- und Großbourgeoisie besonders groß). Diese Klasse ist fortschrittlich, insofern sie allgemein-demokratische Forderungen aufstellt, d. h. gegen jedwelche Überreste der mittelalterlichen Epoche und der Leibeigenschaft kämpft, sie ist reaktionär, insoweit sie für die Aufrechterhaltung ihrer Lage als Kleinbürgertum kämpft und versucht, das Rad der allgemeinen Entwicklung des Landes in der kapitalistischen Richtung aufzuhalten und zurückzudrehen. Derartige reaktionäre Forderungen, wie etwa z. B. die berüchtigte Unveräußerlichkeit der Bodenanteile wie auch viele andere Projekte einer Vormundschaft über die Bauernschaft, verstecken sich gewöhnlich unter dem schönen Vorwand des Schutzes der Werktätigen; doch in Wirklichkeit verschlechtern sie ihre Lage natürlich nur und erschweren gleichzeitig ihren Kampf für ihre Befreiung. Diese zwei Seiten des kleinbürgerlichen Programms müssen streng auseinandergehalten werden, und über dem Bestreiten jedwelchen sozialistischen Charakters dieser Theorien sowie über dem Kampfe gegen ihre reaktionären Seiten darf man ihren demokratischen Teil nicht vergessen. Ich werde an einem Beispiel erklären, wieso die völlige Ablehnung der kleinbürgerlichen Theorien durch die Marxisten den Demokratismus in ihrem Programm nicht nur nicht ausschließt, sondern im Gegenteil seine noch dringendere Betonung erfordert. Weiter oben sind die drei Hauptprinzipien erwähnt worden, die den Vertretern des kleinbürgerlichen Sozialismus stets als Steckenpferde ihrer Theorien gedient haben: der Landhunger, die hohen Steuern, das Joch der Bürokratie.

In der Forderung nach Beseitigung dieser Übel liegt absolut nichts Sozialistisches, denn sie erklären die Expropriation und Exploitation nicht im Geringsten, und ihre Beseitigung tastet das Joch des Kapitals über die Arbeit keineswegs an. Doch ihre Beseitigung wird dieses Joch von dem es verstärkenden mittelalterlichen Beiwerk reinigen, wird der Arbeiterklasse den offenen Kampf gegen das Kapital erleichtern und wird deshalb als demokratische Forderung die tatkräftigste Unterstützung der Arbeiter finden. Die Zahlungen und Steuern – das ist, allgemein gesprochen, eine Frage, der besondere Bedeutung beizumessen nur Kleinbürger imstande sind; doch bei uns stellen die Steuern der Bauern in mancher Hinsicht einfach einen Rest der Leibeigenschaft dar: ein solcher sind z. B. die Loskaufsgelder, die sofort und unbedingt abgeschafft werden müssen: dann die Steuern, die nur auf die Bauern und Kleinbürger fallen und von denen die „Adeligen“ befreit sind. Die Sozialdemokraten werden die Forderung nach Beseitigung dieser Überbleibsel mittelalterlicher Verhältnisse, die den wirtschaftlichen und politischen Stillstand bedingen, stets unterstützen. Dasselbe muss auch vom Bodenhunger gesagt werden. Ich habe mich bereits weiter oben beim Beweis des bürgerlichen Charakters des über ihn erhobenen Geschreis lange aufgehalten. Außer Zweifel steht indessen, dass z. B. die Agrarreform durch die Abtrennung der Bodenstücke die Bauern zugunsten der Großgrundbesitzer direkt beraubt hat, wodurch die Reform dieser gewaltigen reaktionären Macht sowohl direkt (Besitzergreifung von bäuerlichem Boden) als auch indirekt (durch geschickte Abgrenzung der Landanteile) einen Dienst erwiesen hat. Und die Sozialdemokraten werden in der energischsten Weise auf der sofortigen Zurückgabe des den Bauern weggenommenen Bodens, auf der völligen Expropriation des Großgrundbesitzes, dieses Horts der fronwirtschaftlichen Einrichtungen und Traditionen, bestehen. Dieser letzte Punkt, der mit der Nationalisierung des Grund und Bodens zusammenfällt, hat nichts Sozialistisches an sich, weil die bei uns bereits im Entstehen begriffenen Farmerverhältnisse sich dabei nur schneller und üppiger entfalten würden; doch ist dieser Punkt äußerst wichtig im demokratischen Sinne, als die einzige Maßnahme, welche die Macht der adligen Großgrundbesitzer endgültig bezwingen könnte. Schließlich von der Rechtlosigkeit der Bauern als einer Ursache der Expropriation und Exploitation der Bauern zu sprechen, können natürlich nur die Herren Juschakow und W. W., doch ist das Joch der Bürokratie über der Bauernschaft nicht nur unzweifelhaft, ja es ist nicht nur einfach ein Joch, sondern eine direkte Malträtierung der Bauern, die als „gemeiner Pöbel“ behandelt werden, dem es von Natur aus zukommt, sich den adeligen Großgrundbesitzern zu fügen, dem der Genuss der allgemeinen Bürgerrechte nur als besondere Gnade (ÜbersiedlungenU z. B.) gewährt wird, mit dem jeder Pompadour umspringen kann wie mit Leuten, die im Arbeitshaus stecken. Und die Sozialdemokraten schließen sich der Forderung nach gänzlicher Wiedereinsetzung der Bauernschaft in die Bürgerrechte, nach völliger Aufhebung jedwelcher Privilegien des Adels, nach Beseitigung der bürokratischen Bevormundung der Bauernschaft und Gewährung der Selbstverwaltung an sie unbedingt an.

Überhaupt haben die russischen Kommunisten und Anhänger des Marxismus mehr als irgend andere Anlass, sich Sozialdemokraten zu nennen und in ihrer Tätigkeit die gewaltige Bedeutung des Demokratismus nie zu vergessen.V

In Russland sind die Überreste der mittelalterlichen, halb feudalen Einrichtungen noch so unendlich stark (verglichen mit Westeuropa), sie lasten als so drückendes Joch auf dem Proletariat und auf dem gesamten Volke – wobei sie das Wachstum des politischen Denkens in allen Ständen und Klassen aufhalten, – dass man auf der ungeheuren Wichtigkeit des Kampfes gegen jegliche fronwirtschaftlichen Einrichtungen, gegen den Absolutismus, das Ständesystem und die Bürokratie, auf der Wichtigkeit dieses Kampfes für die Arbeiter beharren muss. Es ist notwendig, den Arbeitern ganz eingehend zu zeigen, was für eine schreckliche reaktionäre Macht diese Einrichtungen darstellen, wie sie das Joch des Kapitals über die Arbeit verstärken, wie erniedrigend sie auf den Werktätigen lasten, wie sie das Kapital in seinen mittelalterlichen Formen festhalten, die infolgedessen den neuesten, industriellen Formen der Ausbeutung der Arbeit nicht Platz machen und damit dieser Ausbeutung die schrecklichen Schwierigkeiten des Kampfes für die Befreiung hinzufügen. Die Arbeiter müssen wissen, dass sie ohne den Sturz dieser Säulen der ReaktionW keine Möglichkeit besitzen, einen erfolgreichen Kampf gegen die Bourgeoisie zu führen, da, solange sie vorhanden sind, das russische landwirtschaftliche Proletariat, dessen Hilfe eine notwendige Bedingung für den Sieg der Arbeiterklasse ist, niemals aus der Lage eines niedergedrückten und eingeschüchterten Volkes herauskommen wird, das nur zu stumpfer Verzweiflung, nicht aber zu bewusstem und beharrlichem Protest und Kampf fähig ist. Und deshalb ist der an der Seite der radikalen Demokratie geführte Kampf gegen den Absolutismus und die reaktionären Stände und Einrichtungen eine direkte Pflicht der Arbeiterklasse, an die die Sozialdemokraten sie auch mahnen müssen, ohne dabei auch nur einen Augenblick aufzuhören, ihr gleichzeitig einzuflößen, dass der Kampf gegen alle diese Einrichtungen nur als Mittel zur Erleichterung ihres Kampfes gegen die Bourgeoisie notwendig ist, dass die Verwirklichung der allgemein-demokratischen Forderungen für den Arbeiter nur notwendig ist als Säuberung des Weges, der zum Siege über den Hauptfeind der Werktätigen führt – über eine ihrer Natur nach rein demokratische Einrichtung, das Kapital, das bei uns in Russland besonders gern bereit ist, seinen Demokratismus zu opfern und ein Bündnis mit den Reaktionären zu schließen, um die Arbeiter darnieder zu halten und um das Aufkommen der Arbeiterbewegung stärker zu behindern.

Das Ausgeführte bestimmt wohl zur Genüge das Verhältnis der Sozialdemokraten zum Absolutismus und zur politischen Freiheit sowie auch ihr Verhältnis zu der in der letzten Zeit besonders erstarkenden Strömung, die auf die „Vereinigung“ und ein „Bündnis“ aller Fraktionen der Revolutionäre zur Eroberung der politischen Freiheit gerichtet ist.

Das ist eine ziemlich originelle und charakteristische Strömung.

Originell ist sie deshalb, weil die Vorschläge über ein „Bündnis“ nicht von einer bestimmten Gruppe oder von bestimmten Gruppen mit bestimmten Programmen, die in bestimmten Fragen übereinstimmen, ausgehen. Wenn dem so wäre, so wäre die Frage eines Bündnisses eine Frage jedes einzelnen Falles, eine konkrete Frage, die von den Vertretern der vereinigten Gruppen zu entscheiden wäre. Dann könnte es gar keine besondere Strömung nach „Vereinigung“ geben. Doch eine solche Strömung ist vorhanden, und sie geht einfach von Leuten aus, die vom Alten abgelassen haben, die sich aber in das Neue noch in keiner Weise eingepasst haben: die Theorie, auf die sich die Kämpfer gegen den Absolutismus bis jetzt stützten, bricht sichtlich zusammen, wobei auch die für den Kampf notwendigen Bedingungen der Solidarität und Organisiertheit zerstört werden. Und nun glauben die Herren „Vereiniger“ und Befürworter eines „Bündnisses“ also, eine solche Theorie könne am leichtesten in der Weise geschaffen werden, dass man sie ausschließlich auf den Protest gegen den Absolutismus und die Forderung nach politischer Freiheit reduziert, wobei alle übrigen sozialistischen und nichtsozialistischen Fragen umgangen werden. Es versteht sich, dass dieser naive Irrtum schon bei den ersten Versuchen einer derartigen Vereinigung unvermeidlich sich selbst widerlegen wird.

Charakteristisch aber ist diese „Vereinigungs“-Strömung deshalb, weil sie eines der letzten Stadien des Prozesses der Verwandlung des streitbaren, revolutionären Narodnikitums in einen politisch-radikalen Demokratismus zum Ausdruck bringt, welchen Prozess ich weiter oben zu skizzieren versuchte. Eine dauerhafte Vereinigung aller nicht-sozialdemokratischen revolutionären Gruppen unter der genannten Fahne wird nur dann möglich sein, wenn ein festes Programm der demokratischen Forderungen ausgearbeitet wird, das mit den Vorurteilen der alten russischen Eigenbrötelei aufräumt. Die Sozialdemokraten betrachten natürlich die Schaffung einer derartigen demokratischen Partei als einen nützlichen Schritt vorwärts, und ihre gegen das Narodnikitum gerichtete Tätigkeit soll dabei mithelfen, soll zur Überwindung jeglicher Vorurteile und Mythen, zur Sammlung der Sozialisten unter dem Banner des Marxismus und zur Bildung einer demokratischen Partei durch die übrigen Gruppen beitragen.

Eine „Vereinigung“ mit dieser Partei könnte es für die Sozialdemokraten, die eine selbständige Organisation der Arbeiter in einer besonderen Arbeiterpartei für nötig halten, natürlich nicht geben, doch würden die Arbeiter jedem Kampfe der Demokraten gegen die reaktionären Einrichtungen die tatkräftigste Unterstützung erweisen.

Die Ausartung des Narodnikitums in eine ganz banale Theorie des kleinbürgerlichen Radikalismus, von der (Ausartung) die „Volksfreunde“ ein so deutliches Zeugnis ablegen, zeigt uns, was für einen gewaltigen Fehler diejenigen begehen, die den Arbeitern die Idee des Kampfes gegen den Absolutismus bringen, ohne ihnen gleichzeitig den antagonistischen Charakter unserer sozialen Verhältnisse, kraft derer auch die Ideologen der Bourgeoisie für die politische Freiheit eintreten, zu erklären, ohne sie über die geschichtliche Rolle des russischen Arbeiters, die Rolle des Kämpfers für die Befreiung der gesamten werktätigen Bevölkerung, aufzuklären.

Man liebt es, den Sozialdemokraten den Vorwurf zu machen, sie wollten angeblich die Marxsche Theorie in ihren ausschließlichen Besitz nehmen, während seine ökonomische Theorie ja von allen Sozialisten akzeptiert werde. Doch es fragt sich, was für einen Sinn es denn hat, den Arbeitern die Wertform, das Wesen der bürgerlichen Ordnung und die revolutionäre Rolle des Proletariats klarzulegen, wenn sich bei uns in Russland die Ausbeutung des Werktätigen überhaupt und überall keineswegs durch die kapitalistische Organisation der Volkswirtschaft, sondern, sagen wir, durch den Bodenhunger, die Steuern und das Joch der Bürokratie erklären lässt?

Was für einen Zweck hat es, den Arbeitern die Theorie des Klassenkampfes zu erklären, wenn diese Theorie nicht einmal sein Verhältnis zum Fabrikanten erklären kann (unser Kapitalismus wird von der Regierung künstlich gezüchtet), schon ganz zu schweigen von der Masse des „Volkes“, das nicht zu der Klasse der Fabrikarbeiter gehört, die sich herausgebildet hat?

Wie kann man die ökonomische Theorie von Marx mit ihrer Schlussfolgerung über die revolutionäre Rolle des Proletariats als Organisator des Kommunismus auf dem Wege über den Kapitalismus akzeptieren, wenn man bei uns außerhalb des Kapitalismus und ohne das von ihm erzeugte Proletariat Wege zum Kommunismus suchen will?

Es ist offensichtlich, dass unter derartigen Bedingungen der Aufruf an den Arbeiter zum Kampfe für die politische Freiheit gleichbedeutend damit ist, ihn dazu aufzurufen, für die vorgeschrittene Bourgeoisie die Kastanien aus dem Feuer zu holen, weil sich nicht bestreiten lässt (es ist kennzeichnend, dass selbst die Narodniki und die Anhänger der Partei „Volkswille“ dies nicht bestritten haben), dass die politische Freiheit vor allem den Interessen der Bourgeoisie dienen und den Arbeitern keine Erleichterung ihrer Lage, sondern nur.,. nur die Erleichterung der Bedingungen für den Kampf… gegen dieselbe Bourgeoisie bringen wird. Ich sage das gegen diejenigen Sozialisten, die sich, ohne die Theorie der Sozialdemokraten zu akzeptieren, mit ihrer Agitation doch an die Arbeiterschichten wenden, nachdem sie sich durch die Erfahrung davon überzeugt haben, dass nur bei ihr revolutionäre Elemente zu finden sind. Diese Sozialisten bringen ihre Theorie in Widerspruch mit der Praxis und begehen einen sehr ernsthaften Fehler, da sie die Arbeiter von ihrer direkten Aufgabe, der Organisation einer sozialistischen Arbeiterpartei,X ablenken.

Dieser Fehler entstand naturgemäß damals, als die Klassengegensätze in der bürgerlichen Gesellschaft noch gänzlich unentwickelt, von der Leibeigenschaft zurückgedrängt waren, als die Leibeigenschaft den solidarischen Protest und den Kampf der gesamten Intelligenz hervorrief, wobei die Illusion vom besonders demokratischen Geiste unserer Intelligenz und vom Fehlen eines tiefgreifenden Unterschiedes zwischen den Ideen der Liberalen und denen der Sozialisten entstand. Jetzt, wo die ökonomische Entwicklung schon so weit fortgeschritten ist, dass selbst die Leute, die früher dem Kapitalismus in Russland die Existenzgrundlage abgesprochen haben, zugeben, dass wir gerade den kapitalistischen Entwicklungsweg betreten haben – jetzt sind da keinerlei Illusionen mehr möglich. Die Zusammensetzung der „Intelligenz“ tritt ebenso deutlich hervor wie die Zusammensetzung der mit der Schaffung materieller Werte beschäftigten Gesellschaft: wenn in dieser der Kapitalist herrscht und regiert, so gibt in jener ein stets rascher zunehmender Haufen von Karrieristen und Söldlingen den Ton an, und die „Intelligenz“ ist zufrieden und ruhig, fremd jedwelchen Träumereien; sie weiß sehr gut, was sie will. Unsere Radikalen und Liberalen bestreiten diese Tatsache nicht nur nicht, sondern sie betonen sie, im Gegenteil, besonders stark, wobei sie sich übermäßig anstrengen, die Amoralität dieses Zustandes zu beweisen, ihn zu verurteilen, zu beseitigen, an das Schamgefühl zu appellieren und diesem Zustande so ein Ende zu machen. Dieser naive Glaube, die bürgerliche Intelligenz veranlassen zu können, sich ihres bürgerlichen Charakters zu schämen, ist ebenso lächerlich wie das Bestreben der kleinbürgerlichen Ökonomen, unsere Bourgeoisie (mit Berufung auf die Erfahrung der „älteren Brüder“), dadurch zu schrecken, dass sie dem Ruin des Volkes, der Armut, der Arbeitslosigkeit und dem Hunger der Massen entgegengeht; dieses Gericht über die Bourgeoisie und ihre Ideologen erinnert an jenes Gericht über den Hecht, das ihn dazu verurteilte, ins Wasser geworfen zu werden. Jenseits dieser Grenze fängt die liberale und radikale „Intelligenz“ an, die eine zahllose Menge von Phrasen über Fortschritt, Wissenschaft, Wahrheit, Volk usw. macht, die es liebt, die 60er Jahre zu beweinen, als es keine Zwistigkeiten, keinen Verfall, keine Verzweiflung und Apathie gab und alle Herzen für die Demokratie entbrannten.

Mit der ihnen eigenen Naivität wollen diese Herren ganz und gar nicht begreifen, dass die damalige Solidarität von den damaligen materiellen Bedingungen hervorgerufen wurde, die nicht wiederkehren können: die Leibeigenschaft beengte gleichermaßen alle, sowohl den Fronvogt, der ein schönes Geld angehäuft hatte und nun nach seinem Behagen leben wollte, als auch den tüchtigen Landwirt, der seinen Fronherrn wegen der Eintreibung der Abgaben, der Einmischungen in seine Angelegenheiten und der Losreißung von seiner Wirtschaft hasste, und ebenso das Hofgesinde und den verarmten Bauer, der als Leibeigener an den Kaufmann verkauft wurde; unter ihr litten sowohl der Kaufmann und Fabrikant als auch der Arbeiter, sowohl der Hausindustrielle als auch der Handwerksmeister. Zwischen allen diesen Leuten bestand überhaupt nur der eine Zusammenhang, dass sie alle der Leibeigenschaft feindlich gesinnt waren: über die Grenzen dieser Solidarität hinaus begann der schärfste ökonomische Gegensatz. Bis zu welchem Grade muss man doch in süßen Träumen befangen sein, um diesen Gegensatz, der eine so gewaltige Entwicklung erfahren hat, bis heute noch nicht zu sehen, um die Rückkehr der Zeiten der Solidarität zu erflehen, während die Wirklichkeit den Kampf fordert und verlangt, dass jeder, der nicht ein freiwilliger oder unfreiwilliger Handlanger der Bourgeoisie sein will, auf die Seite des Proletariats trete.

Wenn man den üppigen Phrasen über die „Volksinteressen“ nicht aufs Wort glaubt und versucht, tiefer zu schürfen, so wird man sehen, dass man die reinsten Ideologen des Kleinbürgertums vor sich hat, das von der Hebung, Unterstützung und Wiederherstellung seiner Wirtschaft (der Wirtschaft des „Volkes“, wie sie in ihrer Sprache heißt) mittels verschiedener unschuldiger Fortschritte träumt und absolut nicht zu begreifen imstande ist, dass alle diese Fortschritte auf dem Boden der gegebenen Produktionsverhältnisse die Massen nur immer gründlicher proletarisieren werden. Man muss den „Volksfreunden“ dafür dankbar sein, dass sie viel zur Klarstellung des Klassencharakters unserer Intelligenz beigetragen und dadurch die Theorie der Marxisten von der Kleinbürgerlichkeit unserer Kleinproduzenten erhärtet haben; sie müssen das Aussterben der alten Illusionen und Mythen, die die russischen Sozialisten so lange verwirrt haben, unvermeidlich beschleunigen. Die „Volksfreunde“ haben diese Theorien derart abgegriffen, abgenutzt und beschmutzt, dass vor den russischen Sozialisten, die sich an diese Theorien gehalten haben, unabweisbar das Dilemma steht: entweder diese Theorien neu zu überprüfen oder sie vollständig zu verwerfen und dem ausschließlichen Gebrauch jener Herren zu überlassen, die mit selbstzufriedener Feierlichkeit urbi et orbi8 den Ankauf verbesserter Werkzeuge durch reiche Bauern verkünden, die mit ernsthafter Miene versichern, man müsse jene Leute willkommen heißen, die es satt haben, am grünen Tisch zu sitzen. Und in ähnlichem Sinne reden sie über „Volkssystem“ und „Intelligenz“ nicht nur ernsthaft, sondern auch mit gewaltigen, anspruchsvollen Phrasen von großen Idealen, von der idealen Lösung der Lebensfragen! …

Die sozialistische Intelligenz kann nur dann auf eine fruchtbringende Arbeit rechnen, wenn sie diesen Illusionen ein Ende macht und daran geht, ihre Stütze in der wirklichen, nicht aber in der erwünschten Entwicklung Russlands, in den wirklichen, nicht aber in den möglichen sozial-ökonomischen Verhältnissen zu suchen. Ihre theoretische Arbeit muss dabei in der konkreten Erforschung aller Formen des wirtschaftlichen Antagonismus in Russland, in der Erforschung ihres Zusammenhangs und ihrer folgerichtigen Entwicklung bestehen; sie muss diesen Antagonismus überall bloßlegen, wo er durch die politische Geschichte, durch die Besonderheiten der Rechtsordnung und durch theoretische Vorurteile verhüllt wird. Sie muss ein abgerundetes Bild unserer Wirklichkeit als eines bestimmten Systems von Produktionsverhältnissen geben, muss die Notwendigkeit der Exploitation und Expropriation der Werktätigen unter diesem System und jenen Ausweg aus diesen Zuständen zeigen, den die wirtschaftliche Entwicklung weist.

Diese Theorie, begründet auf der detaillierten und eingehenden Erforschung der russischen Geschichte und Wirklichkeit, muss auf die Fragen, die das Proletariat stellt, eine Antwort geben, und wenn sie den wissenschaftlichen Anforderungen entspricht, so wird jedes Erwachen des sich auflehnenden Denkens des Proletariats dieses Denken unvermeidlich in das Flussbett der sozialdemokratischen Anschauungen leiten. Je weiter die Ausarbeitung dieser Theorie fortschreitet, umso schneller werden die sozialdemokratischen Anschauungen an Boden gewinnen, da auch die schlausten Hüter der heutigen Ordnung nicht imstande sind, das Erwachen des proletarischen Denkens zu verhindern. Und zwar deshalb nicht zu verhindern imstande sind, weil diese Ordnung selbst notwendigerweise und unvermeidlich eine stets zunehmende Expropriation der Produzenten und ein sich beschleunigendes Anwachsen des Proletariats und seiner Reservearmee mit sich bringt. Diese Erscheinung geht Hand in Hand mit dem Wachsen des gesellschaftlichen Reichtums, der gewaltigen Zunahme der Produktivkräfte und der Vergesellschaftung der Arbeit durch den Kapitalismus. Wie viel auch noch zur Ausarbeitung einer solchen Theorie zu tun übrig geblieben ist – eine Bürgschaft dafür, dass die Sozialisten diese Arbeit vollenden werden, ist die Verbreitung des Materialismus in ihren Reihen, der einzigen wissenschaftlichen Methode, die verlangt, dass jedes Programm eine genaue Formulierung des tatsächlichen Prozesses sei; eine Bürgschaft dafür ist auch der Erfolg der Sozialdemokratie, die diese Ideen akzeptiert, ein Erfolg, der unsere Liberalen und Demokraten derart in Unruhe versetzt hat, dass ihre dicken Zeitschriften, wie ein Marxist bemerkte, aufgehört haben, langweilig zu sein.

Mit dieser Betonung der Notwendigkeit, Wichtigkeit und gewaltigen Größe der theoretischen Arbeit der Sozialdemokraten will ich keineswegs sagen, diese Arbeit müsse an erster Stelle, vor der praktischen, kommen,Y noch weniger, dass die zweite bis zur Vollendung der ersten aufgeschoben werden soll. So könnten nur Anbeter der „subjektiven Methode in der Soziologie“ oder Anhänger des utopischen Sozialismus schlussfolgern. Selbstverständlich, wenn die Aufgabe der Sozialisten darin gesehen wird, „andere (außer den tatsächlichen) Entwicklungswege“ des Landes zu suchen, so ist es natürlich, dass die praktische Arbeit erst dann möglich wird, wenn geniale Philosophen diese „anderen Wege“ finden und zeigen; und umgekehrt, sind diese Wege gefunden und gezeigt, dann hört die theoretische Arbeit auf und beginnt die Tätigkeit jener, die das „Vaterland“ auf den „neuentdeckten“ „anderen Weg“ führen sollen. Ganz anders steht die Frage, wenn die Aufgabe der Sozialisten darin bestehen soll, die ideellen Führer des Proletariats in seinem wirklichen Kampfe gegen die wirklichen, tatsächlichen Feinde zu sein, die den wirklichen Weg der gegebenen sozialökonomischen Entwicklung beschritten haben. Unter dieser Bedingung verschmelzen theoretische und praktische Arbeit in eine Arbeit, die der Veteran der deutschen Sozialdemokratie, Liebknecht, so treffend mit den Worten gekennzeichnet hat:

Studieren, Propagandieren, Organisieren.9

Ohne die oben erwähnte theoretische Arbeit kann man kein ideeller Führer sein, wie man es auch nicht sein kann, ohne diese Arbeit den Bedürfnissen der Sache anzupassen, ohne die Ergebnisse dieser Theorie unter den Arbeitern zu propagieren und bei der Organisierung der Arbeiter mitzuhelfen.

Diese Fragestellung sichert die Sozialdemokratie gegen jene Mängel, an denen andere sozialistische Gruppen so oft leiden – gegen Dogmatismus und Sektiererei.

Es kann keinen Dogmatismus geben, wenn zum obersten und einzigen Kriterium einer Lehre ihre Übereinstimmung mit dem wirklichen Prozess der sozialen und ökonomischen Entwicklung gemacht wird; es kann keine Sektiererei geben, wenn die Aufgabe darin besteht, zur Organisierung des Proletariats beizutragen, wenn folglich die Rolle der „Intelligenz“ darin besteht, besondere intellektuelle Führer überflüssig zu machen.

Trotz der Meinungsverschiedenheiten unter den Marxisten in verschiedenen theoretischen Fragen sind deshalb die Methoden ihrer politischen Tätigkeit seit dem ersten Augenblick der Entstellung der Gruppe bis heute dieselben geblieben.

Die politische Tätigkeit der Sozialdemokraten besteht darin, an der Entwicklung und Organisierung der Arbeiterbewegung Russlands mitzuarbeiten und sie aus dem Stadium zersplitterter, führender Ideen entbehrender Protestversuche, „Rebellionen“ und Streiks herauszuführen zum organisierten Kampf der gesamten russischen Arbeiterklasse gegen die bürgerliche Ordnung, für die Expropriation der Expropriateure und für die Aufhebung jener gesellschaftlichen Zustände, in denen die Unterdrückung des Werktätigen wurzelt. Die Grundlage dieser Tätigkeit besteht in der allgemeinen Überzeugung der Marxisten, dass der russische Arbeiter der einzige und natürliche Vertreter der gesamten werktätigen und ausgebeuteten Bevölkerung Russlands ist.Z

Der natürliche – weil die Ausbeutung des Werktätigen in Russland in ihrem Wesen überall kapitalistisch ist, wenn man die absterbenden Überreste der fronherrlichen Wirtschaft beiseite lässt; aber die Ausbeutung der Masse der Produzenten findet in kleinem Maßstabe statt, ist zersplittert und unentwickelt, während die Ausbeutung des Fabrikproletariats im großen Maßstabe stattfindet, vergesellschaftet und konzentriert ist. Im ersten Falle steckt diese Ausbeutung noch in mittelalterlichen Formen, ist sie überhäuft mit verschiedenem politischen, juridischen und sozialen Beiwerk, mit Schlichen und Kniffen, die den Werktätigen und seinen Ideologen hindern, das Wesen der den Werktätigen bedrückenden Zustände zu erkennen, zu erkennen, wo und wie ein Ausweg aus ihnen möglich ist. Im zweit genannten Falle ist dagegen die Ausbeutung bereits vollständig entwickelt und tritt in ihrer reinen Gestalt hervor, ohne jede sie verwirrenden Einzelheiten. Hier kann der Arbeiter nicht umhin zu erkennen, dass ihn das Kapital unterdrückt und dass der Kampf gegen die Klasse der Bourgeoisie geführt werden muss. Und dieser sein Kampf, dessen Ziel die Befriedigung der unmittelbarsten wirtschaftlichen Nöte, die Verbesserung seiner materiellen Lage ist, erfordert von den Arbeitern unvermeidlich eine Organisation, wird unvermeidlich zu einem Krieg nicht gegen eine Person, sondern gegen eine Klasse, eben gegen jene Klasse, die nicht allein in den Fabriken und Werken, sondern allüberall den Werktätigen unterdrückt und unterjocht. Eben deshalb ist der Fabrikarbeiter nicht mehr und nicht weniger als der vorgeschrittene Vertreter der gesamten ausgebeuteten Bevölkerung, und damit er diese seine Aufgabe als Vertreter in einem organisierten, ausdauernden Kampfe verwirkliche, ist es keineswegs erforderlich, dass er sich von irgendwelchen „Perspektiven“ hinreißen lasse; dazu ist nur erforderlich, dass man ihn einfach über seine Lage, über die politisch-ökonomische Struktur des ihn unterdrückenden Systems und über die Notwendigkeit und Unvermeidlichkeit des Klassenantagonismus unter diesem System aufkläre. Diese Stellung des Fabrikarbeiters im Gesamtsystem der kapitalistischen Verhältnisse macht ihn zum einzigen Kämpfer für die Befreiung der Arbeiterklasse, weil nur das höchste Entwicklungsstadium des Kapitalismus, die maschinelle Großindustrie, die für diesen Kampf notwendigen materiellen Bedingungen und sozialen Kräfte hervorbringt. In allen übrigen Fällen, bei rückständigeren Entwicklungsformen des Kapitalismus, fehlen diese materiellen Bedingungen; die Produktion ist in Tausende kleinster Wirtschaften zersplittert (die auch bei den nivellierendsten Formen des in der Dorfgemeinschaft vereinigten Grundbesitzes nicht aufhören, zersplitterte Wirtschaften zu sein), der Ausgebeutete besitzt meistens noch eine zwerghafte Wirtschaft und wird so an dasselbe kapitalistische System gefesselt, gegen das der Kampf geführt werden muss. Das hindert und erschwert die Entwicklung jener sozialen Kräfte, die imstande sind, den Kapitalismus zu stürzen. Die zersplitterte, vereinzelte, in kleinem Maßstab stattfindende Ausbeutung fesselt die Werktätigen an eine Stelle, isoliert sie und macht es ihnen unmöglich, ihre Klassensolidarität zu begreifen, sie gibt ihnen nicht die Möglichkeit, sich zu vereinigen, auch wenn sie erkannt haben, dass die Ursache der Unterdrückung nicht diese oder jene Person, sondern das ganze Wirtschaftssystem ist. Dagegen sprengt der Großkapitalismus unvermeidlich jede Verbindung des Arbeiters mit der alten Gesellschaft, mit einem bestimmten Orte und einem bestimmten Ausbeuter; er vereinigt ihn, zwingt ihn zum Denken und setzt ihn Bedingungen aus, die es ermöglichen, einen organisierten Kampf zu beginnen. Und eben der Arbeiterklasse wenden die Sozialdemokraten alle ihre Aufmerksamkeit und alle ihre Tätigkeit zu. Wenn die vorgeschrittenen Vertreter der Arbeiterklasse sich die Ideen des wissenschaftlichen Sozialismus, die Idee der geschichtlichen Rolle des russischen Arbeiters angeeignet, wenn diese Ideen eine weite Verbreitung erlangt und die Arbeiter feste Organisationen gegründet und diese den heutigen zersplitterten wirtschaftlichen Kampf der Arbeiter in den bewussten Klassenkampf verwandelt haben werden – dann wird der russische Arbeiter an der Spitze aller demokratischen Elemente den Absolutismus stürzen und das russische Proletariat (Schulter an Schulter mit dem Proletariat der ganzen Welt) auf dem direkten Wege des offenen politischen Kampfes der siegreichen kommunistischen Revolution entgegen führen.

1 Diese Beispiele führt Lenin in jenen Teilen dieser seiner Arbeit an, die in die vorliegende Ausgabe nicht aufgenommen worden sind. Siehe Sämtliche Werke, Band I. „Über Differenzierung (Schichtenbildung) in der Bauernschaft“; siehe auch im vorliegenden Band den Artikel: „Die Agrarfrage in Russland am Ende 19. Jahrhunderts, S. 3 bis 80 D. Red.

A Diese Idee – die Unterstützung der „Volkswirtschaft“ d. h. der Wirtschaft der Kleinproduzenten, durch Kredit, beim Vorhandensein kapitalistischer Verhältnisse (und ihr Vorhandensein können, wie wir gesehen haben, die „Volksfreunde“ schon nicht mehr bestreiten) – diese sinnlose Idee, welche eine Unkenntnis des Abc der theoretischen politischen Ökonomie verrät, zeigt mit voller Deutlichkeit, wie abgeschmackt die Theorien dieser Herren sind, die zwischen zwei Stühlen zu sitzen versuchen.

2 Der Zeitschrift „Russkoje Bogatstwo“. D. Red.

BIch spreche von Ankauf von Aktien durch die Reichen – trotz des Vorbehalts des Verfassers, dass die Aktien den Landgemeinden gehören würden – deshalb, weil er ja doch vom Ankauf von Aktien gegen Geld spricht, und das besitzen nur die Reichen. Deshalb ist es ganz gleich, ob die Sache durch Vermittlung der Landgemeinden geschehen wird oder nicht – zahlen werden nur die Reichen können, genau so, wie der Ankauf oder die Pacht von Grund und Boden durch die Gemeinde die Monopolisierung dieses Landes durch die Reichen nicht im Geringsten beseitigt. Ferner muss den Ertrag (die Dividende) ebenfalls derjenige erhalten, der bezahlt hat – sonst wird die Aktie keine Aktie sein. Und ich verstehe den Vorschlag des Verfassers in dem Sinne, dass ein gewisser Teil des Gewinnes für die „Sicherstellung der Verbindung mit dem Grund und Boden für die Arbeiter“ abgezogen werden wird. Wenn jedoch der Verfasser nicht das meint, (obwohl es aus seinen Worten unvermeidlich hervorgeht), sondern dass die Reichen Geld für die Aktien zahlen würden, ohne Dividenden zu erhalten,– dann läuft sein Projekt einfach darauf hinaus, dass die Besitzenden mit den Besitzlosen teilen sollen. Das gleicht jenem anekdotenhaften Mittel zur Vertilgung der Fliegen, das erfordert, dass man die Fliegen fange und in ein Gefäß stecke, worauf sie sofort krepieren.

3 Über die subjektive Methode der Soziologie s. den 11. Band der vorliegenden Ausgabe. D. Red.

C Um das Verhältnis zwischen dieser Ausgabe und dem übrigen Teil des bäuerlichen Budgets zu zeigen, berufe ich mich auf die selben 24 Budgets über den Bezirk Ostrogoschsk. Die durchschnittlichen Ausgaben betragen pro Familie 495 Rubel 39 Kop. (Natural- und Geldausgaben zusammengenommen). Davon entfallen 109 Rubel 10 Kop. auf den Unterhalt des Viehs, 135 Rubel 80 Kop. auf Lebensmittel aus pflanzlichen Nährstoffen und auf Steuern, die übrigen 250 Rubel 49 Kop. auf sonstige Ausgaben, nicht pflanzliche Lebensmittel, Kleidung, Inventar, Pacht usw. Herr Juschakow schließt den Unterhalt des Viehs in die Kosten der Heumahd und der Nebennutzungen ein.

4 Der Gipfelpunkt. D. Red.

D Als Beweis dafür berufe ich mich z. B. auf die Pawlower Hausindustriellen, im Vergleich mit den Bauern der umliegenden Dörfer. Siehe die Werke Grigorjews und Annenskis. Ich nehme mit Absicht wiederum ein Dorf als Beispiel, wo angeblich ein besonderes „Volkssystem“ vorhanden ist.

E Ein Wortgebrauch, der dem Verfasser umso mehr als Schuld angerechnet werden muss, als das „Russkoje Bogatstwo“ das Wort „Volk“ im Gegensatz zu bürgerlich zu gebrauchen liebt.

F Ich erinnere den Leser an die Verteilung dieser verbesserten Werkzeuge im Bezirk Nowousensk: 37 Prozent der Bauern (arme), 10 000 Höfe von 28 000, besitzen 7 Werkzeuge von 5724, d. h. Prozent! 4/5 der Werkzeuge sind von den reichen Bauern monopolisiert, die nur ¼ der Höfe ausmachen.

5Heilige Einfalt! D. Red.

G Sie haben ganz recht, verehrter Herr Professor, dass die verbesserte Wirtschaft jenes „Volk“, das sich nicht „der Verzweiflung hingibt“ und „der Scholle treu bleibt“, hundertfach entschädigen wird. Bemerken Sie aber nicht, o großer Doktor der politischen Ökonomie, dass sich der „Bauer“ zur Erwerbung aller dieser Phosphate von der Masse der hungernden Bettler durch den Besitz freier Gelder unterscheiden muss; dass Geld aber doch ein Produkt gesellschaftlicher Arbeit ist, das Privatpersonen in die Hände fällt; dass die Aneignung der „Entschädigung“ für diese verbesserte Wirtschaft eine Aneignung fremder Arbeit sein wird; dass nur die erbärmlichsten Lobhudler der Bourgeoisie die Quelle dieser reichen Entschädigung im persönlichen Eifer des Unternehmers erblicken können, der „die Hände nicht ruhen lässt“ und „seine Ernährerin, die Scholle, fruchtbarer macht"?

6 Aus dem Gedicht Nekrassows: „Der Sämann“. D. Red.

H „Innerhalb der Dorfgemeinde sind antagonistische soziale Klassen entstanden“, schreibt Hourvich an anderer Stelle (S. 104). Ich zitiere Hourvich nur in Ergänzung zu den oben erwähnten faktischen Daten.

I Das Suchen „neuer Methoden der Bearbeitung“ wird gerade deshalb „fieberhaft“, weil der tüchtige Landwirt eine größere Wirtschaft führen muss, die mit Hilfe der alten Methoden nicht zu bewältigen ist – gerade deshalb, weil zum Suchen neuer Methoden die Konkurrenz zwingt, da die Landwirtschaft immer mehr und mehr den Charakter der Warenproduktion, kapitalistischen Charakter annimmt.

J Ein Unsinn deshalb, weil die Kraft des „ökonomisch Starken“ u. a. darin besteht, dass er die politische Macht in seinen Händen hält. Ohne sie könnte er seine ökonomische Herrschaft nicht aufrechterhalten

KDeshalb sind auch die „Volksfreunde“ die schlimmsten Reaktionäre, wenn sie erklären, die natürliche Aufgabe des Staates sei der Schutz des ökonomisch Schwachen (so sollte die Sache ihrer faden Altweibermoral nach sein), während die ganze russische Geschichte und die Innenpolitik davon zeugen, dass die Aufgabe unseres Staates die ist, nur die für die Leibeigenschaft eintretenden Fronherren und Großgrundbesitzer und die Großbourgeoisie zu schützen und jeden Versuch der „ökonomisch Schwachen“, sich zu verteidigen, in brutalster Weise zu unterdrücken. Und das ist ja seine natürliche Aufgabe, weil der Absolutismus und die Bürokratie durch und durch vom Geiste der Fronherren und der Bourgeoisie durchtränkt sind, weil die Bourgeoisie auf ökonomischem Gebiet unumschränkt herrscht und regiert und den Arbeiter in einem Zustande erhält, in dem er sich nicht rühren kann.

L Zwischen wem? Dem Großgrundbesitzer und dem Bauern? Dem tüchtigen Landwirt und dem Landstreicher? Dem Fabrikanten und dem Arbeiter? Um dieses klassische „Prinzip der Solidarität“ zu begreifen, muss man sich daran erinnern, dass die Solidarität zwischen Arbeiter und Unternehmer durch die „Herabsetzung des Arbeitslohnes“ erreicht wird.

M Darauf liefen im Grunde genommen alle unsere alten revolutionären Programme hinaus, angefangen etwa mit den Bakunisten und den Rebellen, über die Narodniki bis zu den Anhängern der Partei „Volkswille“, bei denen ja ebenfalls die Überzeugung, dass die Bauernschaft in die kommende Landesversammlung eine erdrückende Zahl von Sozialisten entsenden werde, bei weitem nicht den letzten Platz einnahm.

N Diese Schlussfolgerung konnte, ich wiederhole, für keinen unklar sein, der „Das Kommunistische Manifest“, „Das Elend der Philosophie“ und das „Kapital“ gelesen hat, und nur für Herrn Michailowski hat es einer besonderen Erläuterung bedurft.

O Aus dem einfachen Grunde, weil diese Fragen bis jetzt überhaupt nicht gelöst wurden. Als Lösung der Pachtfrage kann man doch wirklich nicht die Behauptung bezeichnen, dass „die Volkspacht die Volkswirtschaft unterstützt“, oder eine solche Darstellung des Systems der Bearbeitung der Gutsländereien mit bäuerlichem Inventar: „Der Bauer erwies sich stärker als der Großgrundbesitzer“, der „seine Unabhängigkeit zugunsten des selbständigen Bauern geopfert hat“; „der Bauer hat die Großproduktion den Händen des Gutsbesitzers entrissen"; „das Volk bleibt Sieger im Kampfe um die Form der landwirtschaftlichen Kultur“. Diese liberale Seichbeutelei findet man in dem Buch „unseres bekannten“ Herrn W. W.: „Das Schicksal des Kapitalismus“.

P Beweis – die Differenzierung der Bauernschaft.

7 Dieses Werk Plechanows, das die Richtung „Volkswille" und die Ansichten der Narodniki kritisierte, erschien 1884. D. Red.

Q Ziemlich blasse, kompromissfähige und kompromisssüchtige Reformrichtung“ kann man russisch auch mit „in Kultur machenden Opportunismus“ wiedergeben.

R Der Versuch Herrn Kriwenkos, gegen Herrn Struve zu kämpfen, macht überhaupt einen kläglichen Eindruck. Es ist dies eine Art kindlicher Ohnmacht, irgendetwas Sachliches einzuwenden, und eine ebenfalls kindliche Erbitterung. Herr Struve erklärt z. B., Herr Nik.–on sei „Utopist“. Er zeigt dabei ganz klar, warum er ihn so nennt: 1. deshalb, weil er die „tatsächliche Entwicklung Russlands“ ignoriert; 2. deshalb, weil er sich an die „Gesellschaft“ und den „Staat“ wendet, ohne den Klassencharakter unseres Staates zu begreifen. Was kann nun Herr Kriwenko dagegen einwenden? Bestreitet er, dass unsere Entwicklung tatsächlich eine kapitalistische ist? Erklärt er, dass sie irgendeine andere sei? Dass unser Staat kein Klassenstaat sei? Nein, er zieht es vor, diese Fragen völlig zu umgehen und in einem lächerlichen Zorn gegen irgendwelche, von ihm selbst verfertigte „Schablonen“ zu kämpfen. Noch ein Beispiel. Herr Struve macht Herrn Nik.–on außer der Verständnislosigkeit gegenüber dem Klassenkampf große Fehler in seiner Theorie zum Vorwurf, die sich auf das Gebiet der „rein ökonomischen Tatsachen“ beziehen. Er verweist unter anderem darauf, dass Herr Nik.–on, wenn er von der geringen Größe unserer nicht landwirtschaftlichen Bevölkerung spricht, „nicht bemerkt, dass die kapitalistische Entwicklung Russlands gerade diesen Unterschied von 80 Prozent (Landbevölkerung Russlands) und 44 Prozent (Landbevölkerung Amerikas) ausgleichen wird: darin besteht sozusagen seine geschichtliche Mission“. Herr Kriwenko gibt erstens diese Stelle falsch wieder, indem er von „unserer" (?) Mission, die Bauern landlos zu machen, spricht, während einfach von der Tendenz des Kapitalismus zur Verringerung der Landbevölkerung die Rede ist; und zweitens beginnt er, ohne ein Wort über das Wesen der Frage zu verlieren (ist ein Kapitalismus möglich, der nicht zur Verminderung der Landbevölkerung führt?), Unsinn zu schwatzen über „Bibelkundige“ usw. Siehe Beilage II. (Die „Beilagen“ zu „Was sind die ,Volksfreunde‘ usw.“ sind in Bd. 1 der Sämtlichen Werke abgedruckt. D. Red.)

S Ihr solltet versuchen, mit dem Vorschlag dieses „lebensfähigen“ Werkes jener Jugend zu kommen, die dem Bauer von den westeuropäischen Assoziationen erzählte! Wie würde sie euch empfangen, was für eine ausgezeichnete Antwort würde sie euch erteilen! Ihr würdet ihre Ideen ebenso tödlich zu fürchten beginnen, wie ihr jetzt den Materialismus und die Dialektik fürchtet!

T Ich zitiere nach dem Artikel Plechanows „N. G. Tschernyschewski“ im „Sozialdemokrat“.

U Man kann nicht umhin, hier an die echt russische Frechheit eines Vertreters der Leibeigenschaft zu erinnern, mit der Herr Jermolow, heute Landwirtschaftsminister, in seinem Buche „Missernte und Volkselend“ sich gegen die Umsiedlungen wendet. Man könne sie vom staatlichen Standpunkt nicht als rationell betrachten, wenn im europäischen Russland die Großgrundbesitzer noch freie Arbeitshände brauchen. – Wozu sind denn auch wirklich die Bauern da, wenn nicht dazu, mit ihrer Arbeit die Tagediebe von Großgrundbesitzern und ihre „hochgestellten“ Handlanger zu ernähren?

V Das ist ein sehr wichtiger Punkt. Plechanow hat durchaus recht, wenn er sagt, dass unsere Revolutionäre „zwei Feinde“ haben: „die noch nicht ganz überwundenen alten Vorurteile einerseits und die engherzige Auffassung des neuen Programms anderseits“. Siehe Beilage III (im Band I der Sämtlichen Werke. D. Red.).

W Eine besonders bedrohliche reaktionäre Einrichtung, die die Aufmerksamkeit unserer Revolutionäre verhältnismäßig wenig auf sich gelenkt hat, ist die einheimische Bürokratie,die de facto den russischen Staat regiert. Diese Bürokratie, die sich hauptsächlich aus den Ständelosen rekrutiert, ist sowohl nach ihrem Ursprung als auch nach der Bestimmung und dem Charakter ihrer Tätigkeit im Innersten bürgerlich, doch haben ihr der Absolutismus und die gewaltigen politischen Privilegien der adeligen Großgrundbesitzer besonders schädliche Eigenschaften eingeflößt. Diese Bürokratie ist stets wie eine Wetterfahne, sie erblickt ihre höchste Aufgabe in der Vereinigung der Interessen des Gutsbesitzers und der Bourgeoisie. Es sind das Judasse, die die Sympathien der Vertreter der Leibeigenschaft und die Beziehungen zu ihnen zur Betrügung der Arbeiter und Bauern ausnutzen, indem sie unter dem Vorgeben des „Schutzes des ökonomisch Schwachen“ und der „Vormundschaft“ über ihn, um ihn vor dem Kulaken und Wucherer zu schützen, Maßnahmen durchführen, die die Werktätigen auf das Niveau des „gemeinen Pöbels“ erniedrigen und sie mit Haut und Haar dem feudalen Großgrundbesitzer ausliefern, wodurch er gegenüber der Bourgeoisie in umso höherem Grade wehrlos wird. Diese Bürokratie, das ist der gefährlichste Heuchler, der durch die Erfahrung der westeuropäischen Meister der Reaktion gewitzigt ist und seine Araktschejewschen Begierden hinter dem Feigenblatt von volksliebenden Phrasen geschickt versteckt.

X Man kann auf zwei Wegen zu der Schlussfolgerung von der Notwendigkeit, den Arbeiter zum Kampfe gegen den Absolutismus zu erheben, gelangen: entweder indem man den Arbeiter als den einzigen Kämpfer für die sozialistische Gesellschaft betrachtet, in welchem Falle man in der politischen Freiheit eine ihm den Kampf erleichternde Bedingung erblickt. So betrachten die Sozialdemokraten die Sache. Oder man kann sich an ihn einfach als an den Menschen wenden, der unter den heutigen Zuständen am meisten leidet, der nichts mehr zu verlieren hat und der am entschiedensten gegen den Absolutismus auftreten kann. Doch das wird eben bedeuten, ihn zu zwingen, den bürgerlichen Radikalen nachzulaufen, die wegen der Solidarität des gesamten „Volkes“ gegen den Absolutismus den Antagonismus zwischen Bourgeoisie und Proletariat nicht sehen wollen.

8 Der ganzen Welt. D. Red.

YIm Gegenteil. An erster Stelle steht unbedingt stets die praktische Arbeit der Propaganda und Agitation, aus dem Grunde, weil erstens die theoretische Arbeit nur die Antworten auf jene Fragen erteilt, die von der zweiten gestellt werden. Zweitens aber werden die Sozialdemokraten durch von ihnen unabhängige Umstände allzu oft gezwungen, sich allein auf die theoretische Arbeit zu beschränken, um nicht jeden Augenblick zu schätzen, wo eine praktische Arbeit möglich ist.

9 Diese drei Worte bei Lenin deutsch. D. Red.

Z Der Mensch der Zukunft ist in Russland der Bauer, glaubten die Vertreter des bäuerlichen Sozialismus, die Narodniki, im weitesten Sinne jenes Wortes. Der Mensch der Zukunft ist in Russland der Arbeiter, glauben die Sozialdemokraten. So ist der Standpunkt der Marxisten in einer unveröffentlichten Schrift formuliert worden.