Kapitel III. Die Erkenntnistheorie des Empiriokritizismus und des dialektischen Materialismus (Schluss)

Kapitel III. Die Erkenntnistheorie des Empiriokritizismus und des dialektischen Materialismus (Schluss)

1. Was ist Materie? Was ist Erfahrung?

2. Plechanows Irrtum bezüglich des Begriffs „Erfahrung".

3. Von Kausalität und Notwendigkeit in der Natur.

4. Das „Prinzip der Denkökonomie" und die Frage der „Einheit der Welt".

5. Raum und Zeit.

6. Freiheit und Notwendigkeit.

1. Was ist Materie? Was ist Erfahrung?

Mit der ersten dieser Fragen rücken den Materialisten ständig die Idealisten, Agnostiker, darunter auch die Machisten, auf den Leib; mit der zweiten die Materialisten den Machisten. Versuchen wir klarzulegen, worum es sich hier handelt.

Was die Frage der Materie betrifft, so sagt Avenarius:

,Physisches' – ,Materie' im metaphysischen absoluten Begriff gibt es aber innerhalb der geläuterten, ,vollen Erfahrung' nicht, weil die ,Materie' in jenem Begriff nur ein Abstraktum ist: sie wäre die Gesamtheit der Gegenglieder unter Abstraktion von jedem Zentralglied. Wie in der Prinzipialkoordination, und das heißt eben in der ,vollen Erfahrung', ein Gegenglied ohne Zentralglied aber undenkbar ist, so wäre auch eine ,Materie' im metaphysischen absoluten Begriff ein völliges Unding." („Bemerkungen", S. 234 u. 235, § 119.)

Aus diesem Kauderwelsch ist eines ersichtlich: Avenarius bezeichnet das Physische oder die Materie als Absolutum und Metaphysik, denn nach seiner Theorie der Prinzipialkoordination (oder der „vollen Erfahrung" – wieder etwas neues!) ist das Gegenglied vom Zentralglied, die Umgebung vom Ich, das Nicht-Ich vom Ich (wie J. G. Fichte sagte) nicht zu trennen. Wir haben schon an geeigneter Stelle gesagt, dass diese Theorie ein verkleideter subjektiver Idealismus ist; auch ist es klar, welchen Charakter die Angriffe von Avenarius auf die „Materie" haben: der Idealist leugnet das vom Psychischen unabhängige physische Sein und verwirft daher auch den Begriff, den die Philosophie für ein solches Sein ausgearbeitet hat. Avenarius leugnet nicht, dass die Materie das „Physische“ ist (d. h. das bekannteste und dem Menschen unmittelbar Gegebene, an dessen Existenz niemand außer den Bewohnern der Irrenanstalten zweifelt), er verlangt nur, dass „seine" Theorie der unauflöslichen Verbindung von Umgebung und Ich anerkannt werde.

Mach drückt denselben Gedanken einfacher und ohne philosophische Schnörkel aus:

Was wir Materie nennen, ist ein gewisser gesetzmäßiger Zusammenhang der Elemente (Empfindungen)." („Analyse der Empfindungen", S. 270.)

Mach glaubt, durch diese Behauptung eine „radikale Änderung" der gewöhnlichen Denkweise hervorgerufen zu haben. In Wirklichkeit ist das aber uralter subjektiver Idealismus, dessen Blöße durch das Wörtchen „Element" verdeckt wird.

Endlich sagt noch der englische Machist Pearson, der den Materialismus wütend bekämpft:

Vom wissenschaftlichen Standpunkt aus ist kein Einwand dagegen zu erheben, dass man gewisse, mehr oder weniger konstante Gruppen von Sinneswahrnehmungen klassifiziert, indem man sie vereinigt und als Materie bezeichnet. – Wir nähern uns somit der Definition von J. St. Mill: die Materie ist die konstante Möglichkeit der Empfindungen; eine solche Definition der Materie ist aber vollkommen verschieden von der, nach welcher die Materie ein sich bewegendes Ding sei."A

Hier fehlt das Feigenblatt „Element", und der Idealist reicht offen dem Agnostiker die Hand.

Der Leser sieht, dass alle diese Betrachtungen der Begründer des Empiriokritizismus sich gänzlich und ausschließlich im Rahmen der uralten erkenntnistheoretischen Frage nach dem Verhältnis von Denken und Sein, von Empfindung und Physischem bewegen. Es gehörte die maßlose Naivität der russischen Machisten dazu, um hier etwas zu finden, was mit „neuester" Naturwissenschaft oder „neuestem Positivismus" auch nur das Geringste zu tun hat. Alle Philosophen, die wir zitiert haben, setzen teils offen, teils versteckt an Stelle der philosophischen Grundrichtung des Materialismus (vom Sein zum Denken, von der Materie zur Empfindung) die entgegenlaufende Linie des Idealismus. Ihre Leugnung der Materie ist die schon längst bekannte Lösung der erkenntnistheoretischen Fragen im Sinne der Leugnung einer äußeren, objektiven Quelle unserer Empfindungen, einer objektiven, unseren Empfindungen entsprechenden Realität. Und umgekehrt drückt sich die Anerkennung jener philosophischen Richtung, die von den Idealisten und Agnostikern geleugnet wird, durch folgende Definition aus: die Materie ist das, was durch seine Wirkung auf unsere Sinnesorgane die Empfindung erzeugt; die Materie ist die objektive, uns in der Empfindung gegebene Realität usw.

Bogdanow, der Engels aus dem Wege geht und so tut, als streite er nur gegen Beltow, ist entrüstet über solche Definitionen, die angeblich „sich als einfache Wiederholungen erweisen" („Empiriomonismus", Buch III, S. XVI), nämlich jener „Formel" (unser „Marxist" vergisst hinzuzufügen, dass diese Formel von Engels ist), dass für die eine Richtung in der Philosophie die Materie das Primäre, der Geist das Sekundäre ist, während es für die andere Richtung umgekehrt ist. Alle russischen Machisten wiederholen begeistert die Bogdanowsche „Widerlegung"! Indessen hätte selbst ein klein wenig Nachdenken diese Leute darüber aufklären können, dass es dem Wesen nach unmöglich ist, eine andere Definition der beiden letzten erkenntnistheoretischen Begriffe zu geben als den Hinweis darauf, welcher von beiden für das Primäre genommen wird. Was heißt das: etwas „definieren"? Es heißt vor allem, einen gegebenen Begriff auf einen anderen, umfassenderen zurückführen. Wenn ich z. B. definiere: der Esel ist ein Tier, so führe ich den Begriff „Esel" auf einen umfassenderen Begriff zurück. Es fragt sich nun, gibt es umfassendere Begriffe, mit denen die Erkenntnistheorie operieren könnte, als die Begriffe Sein und Denken, Materie und Empfindung, Physisches und Psychisches? Nein. Das sind die weitestgehenden, die umfassendsten Begriffe, über die die Erkenntnistheorie dem Wesen der Sache nach (wenn man von den immer möglichen Änderungen der Nomenklatur absieht) bis jetzt nicht hinaus ist. Nur Scharlatanerie oder äußerste Beschränktheit kann eine „Definition" dieser beiden „Reihen" der weitesten Begriffe fordern, die nicht aus „einfacher Wiederholung" bestehen würde: das eine oder das andere wird als das Primäre genommen. Nehmen wir die drei Betrachtungen über die Materie, die wir eben gebracht haben. Worauf lassen sie sich zurückführen? Darauf, dass diese Philosophen vom Psychischen oder vom Ich zum Physischen oder zur Umgebung gehen, als vom Zentralglied zum Gegenglied oder von der Empfindung zur Materie, – oder von der Sinneswahrnehmung zur Materie. Könnten Mach, Avenarius und Pearson dem Wesen der Sache nach eine andere „Definition" der Grundbegriffe geben als den Hinweis auf die Richtung ihrer philosophischen Linie? Könnten sie irgendwie anders, auf besondere Weise bestimmen, was das Ich, was Empfindung, was Sinneswahrnehmung ist? Es genügt, die Frage klar aufzuwerfen, um zu erkennen, was für groben Unsinn die Machisten reden, wenn sie von den Materialisten eine Definition der Materie verlangen, die etwas anderes wäre als eine Wiederholung dessen, dass Materie, Natur, Sein, Physisches das Primäre, während Geist, Bewusstsein, Empfindung, Psychisches das Sekundäre ist.

Die Genialität von Marx und Engels äußerte sich unter anderem darin, dass sie das gelehrte Spiel mit neuen Worten, mit ausgetüftelten Termini und schlauen „Ismen" verachteten und unumwunden erklärten: es gibt eine materialistische und eine idealistische Richtung in der Philosophie und dazwischen verschiedene Schattierungen des Agnostizismus. Die krampfhaften Bemühungen, einen „neuen" Gesichtspunkt in der Philosophie zu finden, zeigen eine ebenso große geistige Armut, wie die Bemühungen, eine „neue" Werttheorie, eine „neue" Rente theorie u. der gl. mehr zu schaffen.

F. Carstanjen, ein Schüler von Avenarius, erzählt, dass dieser sich in einem Privatgespräch geäußert habe: „Ich kenne weder Physisches noch Psychisches, sondern nur ein Drittes." Auf die Bemerkung eines Schriftstellers, dass der Begriff dieses Dritten von Avenarius nicht gegeben worden sei, antwortete Petzoldt: „Wir wissen, warum er gar keinen solchen Begriff aufstellen konnte. Dem ,Dritten' fehlt der Gegenbegriff… Die Frage: Was ist alles (bzw. das Dritte. L.) ? ist unlogisch gestellt."B Dass man diesen Begriff nicht definieren kann, versteht Petzoldt. Aber er versteht nicht, dass der Hinweis auf ein „Drittes" eine einfache Ausflucht ist, denn jeder von uns weiß, was das Psychische und was das Physische ist, aber keiner von uns weiß heute, was das „Dritte" ist. Mit dieser Ausflucht verwischte Avenarius nur die Spuren, während er tatsächlich das Ich (Zentralglied) für das Primäre und die Natur (Umgebung) für das Sekundäre (Gegenglied) erklärt.

Freilich hat auch der Gegensatz zwischen Materie und Bewusstsein nur innerhalb sehr beschränkter Grenzen eine absolute Bedeutung: im gegebenen Falle ausschließlich innerhalb der Grenzen der erkenntnistheoretischen Grundfrage, was als primär und was als sekundär anzuerkennen sei. Außerhalb dieser Grenzen ist die Relativität dieses Gegensatzes unbestritten.

Sehen wir nun zu, wie das Wort „Erfahrung" in der empiriokritizistischen Philosophie angewendet wird. Der § 1 der „Kritik der reinen Erfahrung" verzeichnet folgende „Annahme":

Es stehe ein beliebiger Bestandteil unserer Umgebung in einem solchen Verhältnis zu menschlichen Individuen, dass, wenn jener gesetzt ist, diese eine Erfahrung aussagen: ,es wird etwas erfahren'; ,es ist etwas eine Erfahrung' bzw. ,aus der Erfahrung entsprungen', ,von der Erfahrung abhängig'…"

Die Erfahrung wird also immer mit denselben Begriffen: Ich und Umgebung bestimmt, wobei die „Lehre" von ihrer „unauflöslichen" Verbindung vorläufig noch verborgen bleibt. Dann lesen wir weiter: Der „synthetische Begriff der reinen Erfahrung": nämlich der Erfahrung „als eines Ausgesagten, welches in allen seinen Komponenten rein nur Bestandteile unserer Umgebung zur Voraussetzung habe". (S. 3 u. 4.) Wenn wir annehmen, die Umgebung existiere unabhängig von den „Erklärungen" und „Aussagen" der Menschen, so entsteht die Möglichkeit, die Erfahrung materialistisch zu interpretieren! Der „analytische Begriff der reinen Erfahrung": „als eines Ausgesagten, welchem nichts beigemischt ist, was nicht selbst wieder Erfahrung wäre, – welches mithin in sich selbst nichts anderes als Erfahrung ist." (S. 5.) Erfahrung ist eben Erfahrung! Und da finden sich noch Leute, die diesen pseudogelehrten Kohl für wirklichen Scharfsinn halten!

Es muss noch hinzugefügt werden, dass Avenarius im zweiten Band der „Kritik der reinen Erfahrung" die „Erfahrung" als einen speziellen Fall" des Psychischen betrachtet, sie in sachhafte und gedankenhafte „Werte" teilt und erklärt, dass „die Erfahrung im weiteren Sinne" auch diese letzteren in sich einschließt, und dass die „volle Erfahrung" mit der Prinzipialkoordination identisch sei („Bemerkungen"). Kurz gesagt: der Wunsch ist der Vater des Gedankens. Die „Erfahrung" umhüllt beide philosophische Richtungen, sowohl die materialistische als auch die idealistische, und sanktioniert deren Vermischung. Unsere Machisten nehmen die „reine Erfahrung" vertrauensvoll für bare Münze; in der philosophischen Literatur aber weisen die Vertreter der verschiedensten Richtungen alle gleichmäßig auf den Missbrauch hin, den Avenarius mit diesem Begriff treibt:

Was reine Erfahrung sein soll“ – schreibt Riehl –, „bleibt bei Avenarius unbestimmt, und seine Erklärung hierüber: ,Reine Erfahrung ist Erfahrung, welcher nichts beigemischt ist, als was selbst wieder Erfahrung ist', bewegt sich augenscheinlich im Zirkel."C

Die „reine Erfahrung" bei Avenarius – schreibt Wundt – bedeute einmal beliebiges Phantasma, ein anderes Mal Erfahrungsinhalte, denen in der Aussage der Charakter der „Sachhaftigkeit" beigelegt wird. („Philos. Studien", XIII. Band, S. 92 u. 93.) Avenarius dehne den Begriff der Erfahrung aus. (S. 382.) „Von einer exakten Definition dieser Termini hängt der Sinn dieser ganzen Philosophie ab," sagt F. van Couwelaert. „Es muss gesagt werden, Avenarius selbst hat sich nicht die Mühe genommen, eine genaue Definition zu geben." („Revue neo-scholastique", Fevrier 1907, S. 61.) „Die Unbestimmtheit des Terminus Erfahrung leistet durch die ganze Abhandlung hindurch Avenarius gute Dienste, indem er den Idealismus unter dem Schein seiner Bekämpfung durch schmuggelt," sagt Norman Smith. („Mind", Band XV, S. 29.)

Ich erkläre sonach hiermit öffentlich, dass es der innerste Geist und die Seele meiner Philosophie sei: der Mensch hat überhaupt nichts denn die Erfahrung, und er kommt zu allem, wozu er kommt, nur durch die Erfahrung …"

Nicht wahr, ein eifriger Philosoph der reinen Erfahrung! Diese Worte stammen von dem subjektiven Idealisten J. G. Fichte. („Sonnenklarer Bericht an das größere Publikum usw.", S. 15.) Aus der Geschichte der Philosophie ist bekannt, dass die Interpretation des Begriffs Erfahrung die klassischen Materialisten und Idealisten voneinander trennte. Heute kleidet die Professoren-Philosophie der verschiedensten Schattierungen ihre reaktionäre Gesinnung in Deklamationen über die „Erfahrung". Alle Immanenzphilosophen berufen sich auf die Erfahrung. Mach lobt im Vorwort zur zweiten Auflage seines „Erkenntnis und Irrtum" das Buch von Prof. Wilhelm Jerusalem, in welchem zu lesen steht:

Die Annahme eines göttlichen Urwesens steht aber mit keiner allgemeinen und bewährten Erfahrung im Widerspruch."D

Die Leute sind zu bedauern, die Avenarius u. Co. Glauben schenkten, dass man durch das Wörtchen „Erfahrung" die „veraltete" Unterscheidung von Materialismus und Idealismus überwinden könne. Wenn Valentinow und Juschkewitsch Bogdanow, der vom reinen Machismus etwas abwich, vorwerfen, er treibe mit dem Wort Erfahrung Missbrauch, so offenbaren diese Herren dadurch nur ihre eigene Unwissenheit. In diesem Punkt ist Bogdanow „unschuldig": er hat lediglich die Konfusion von Mach und Avenarius sklavisch übernommen. Wenn er sagt: „das Bewusstsein und die unmittelbare psychische Erfahrung sind identische Begriffe" („Empiriomonismus", II, S. 53), die Materie aber sei „nicht Erfahrung", sondern „etwas Unbekanntes, das alles Bekannte hervorrufe" („Empiriomonismus", III, S. VIII), so interpretiert er die Erfahrung idealistisch. Freilich ist er damit nicht der erste und nicht der letzteE, der idealistische Systemchen auf dem Wörtchen Erfahrung aufbaut. Wenn er den reaktionären Philosophen erwidert, dass die Versuche, über die Grenzen der Erfahrung hinauszugelangen, in Wirklichkeit „nur zu leeren Abstraktionen und widerspruchsvollen Bildern führen, deren Elemente doch wiederum alle aus der Erfahrung genommen werden" (I, S. 48), – so stellt er den leeren Abstraktionen des menschlichen Bewusstseins das gegenüber, was außerhalb des Menschen und unabhängig von seinem Bewusstsein existiert, d. h. er interpretiert die Erfahrung materialistisch.

Ebenso verirrt sich Mach trotz seines idealistischen Ausgangspunktes (die Körper sind Komplexe von Empfindungen oder „Elementen") nicht selten zu der materialistischen Interpretation des Wortes Erfahrung. „Nicht aus uns heraus philosophieren," sagt er in der „Mechanik" (3. Auflage 1897, S. 14), „sondern aus der Erfahrung holen." Die Erfahrung wird hier dem Aus-sich-heraus-philosophieren gegenübergestellt, d. h. als etwas Objektives, dem Menschen von außen Gegebenes, also materialistisch gedeutet. Noch ein Beispiel:

Was wir an der Natur beobachten, prägt sich auch unverstanden und unanalysiert in unseren Vorstellungen aus, welche dann in den allgemeinsten und stärksten Zügen die Naturvorgänge nachahmen. Wir besitzen nun in diesen Erfahrungen einen Schatz, der immer bei der Hand ist…" (Ebenda, S. 27.)

Hier wird die Natur für das Ursprüngliche genommen, Empfindung und Erfahrung für das Abgeleitete. Hielte sich Mach in den Grundfragen der Erkenntnistheorie konsequent an diese Anschauung, so wären der Menschheit eine Unmenge dummer, idealistischer „Komplexe" erspart worden. Ein drittes Beispiel:

Der enge Anschluss des Denkens an die Erfahrung baut die moderne Naturwissenschaft. Die Erfahrung erzeugt einen Gedanken. Derselbe wird fortgesponnen und wieder mit der Erfahrung verglichen und modifiziert…" („Erkenntnis und Irrtum", S. 200.)

Die besondere „Philosophie" Machs wird hier über Bord geworfen, und der Verfasser kommt instinktiv zu dem gewöhnlichen Standpunkt der Naturwissenschaftler, die die Erfahrung materialistisch betrachten.

Das Fazit: das Wort „Erfahrung", auf dem die Machisten ihre Systeme aufbauen, diente schon seit langem zur Verhüllung der idealistischen Systeme und dient jetzt bei Avenarius u. Co. dazu, den eklektischen Übergang vom idealistischen Standpunkt zum materialistischen und umgekehrt zu ermöglichen. Die verschiedenen „Definitionen" dieses Begriffs drücken nur die beiden grundlegenden Richtungen in der Philosophie aus, die Engels so klar aufgedeckt hat.

2. Plechanows Irrtum bezüglich des Begriffs „Erfahrung“

Plechanow schreibt auf Seite X u. XI seines Vorworts zu „Ludwig Feuerbach" (Ausgabe 1905):

Ein deutscher Schriftsteller bemerkt, dass die Erfahrung für den Empiriokritizismus nur Gegenstand der Untersuchung und keineswegs ein Erkenntnismittel sei. Ist das richtig, so verliert die Gegenüberstellung von Empiriokritizismus und Materialismus ihren Sinn, und die Betrachtungen, ob der Empiriokritizismus den Materialismus zu ersetzen berufen sei, erweisen sich als leer und müßig."

Das ist eine einzige Konfusion.

Fr. Carstanjen, einer der orthodoxesten Avenariusanhänger, sagt in seinem Aufsatz über den Empiriokritizismus (Erwiderung an Wundt), dass „für die ,Kritik der reinen Erfahrung' die Erfahrung nicht Erkenntnismittel, sondern nur Untersuchungsobjekt ist".F

Nach Plechanow soll die Gegenüberstellung der Carstanjenschen Auffassung und des Materialismus gar keinen Sinn haben!

Fr. Carstanjen gibt fast wörtlich Avenarius wieder, der in seinen „Bemerkungen" mit Entschiedenheit seine Auffassung der Erfahrung als „des Vorgefundenen" – der Auffassung der „Erfahrung als ,Erkenntnismittel' im Sinne der herrschenden, innerlich völlig metaphysischen Erkenntnistheorien" gegenüberstellt (l. c. § 66 u. 67). Dasselbe sagt, Avenarius folgend, auch Petzoldt in seiner „Einführung in die Philosophie der reinen Erfahrung" (Band I, S. 117). Nach Plechanow hätte die Gegenüberstellung der Anschauungen von Carstanjen, Avenarius und Petzoldt einerseits und des Materialismus andererseits gar keinen Sinn! Entweder hat Plechanow Carstanjen u. Co. nicht „bis zu Ende gelesen" oder seine Berufung auf „einen deutschen Schriftsteller" stammt aus fünfter Hand.

Wie ist diese Behauptung der prominentesten Empiriokritizisten, die Plechanow nicht verstanden hat, zu verstehen? Carstanjen will sagen, dass Avenarius in seiner „Kritik der reinen Erfahrung" die Erfahrung, d. h. alle „menschlichen Aussagen" zum Gegenstand der Untersuchung mache. Avenarius untersuche hier nicht – sagt Carstanjen – (zitierter Aufsatz, S. 50), ob die Aussagen real sind, oder ob sie sich beispielsweise auf Gespenster beziehen. Er gruppiere nur, systematisiere, klassifiziere formal alle möglichen menschlichen Aussagen, sowohl die idealistischen wie die materialistischen (S. 53), ohne auf den Kern der Frage einzugehen. Carstanjen hat vollständig recht, wenn er diesen Standpunkt als „Skeptizismus" κατ' ἐξοχἡν (vorzugsweise) bezeichnet (S. 213). Carstanjen verteidigt u. a. in diesem Aufsatz seinen teuren Meister gegen die (für einen deutschen Professor) schmachvolle Beschuldigung des Materialismus, die Wundt gegen ihn geschleudert hat. Aber ich bitte Sie, wieso sind wir denn Materialisten? – das ist der Sinn der Erwiderung Carstanjens –; wenn wir von der „Erfahrung" sprechen, so durchaus nicht in dem gewöhnlichen landläufigen Sinn, der zum Materialismus führt oder führen könnte, sondern im Sinne der Erforschung aller menschlichen „Erfahrungsaussagen". Carstanjen und Avenarius halten die Auffassung der Erfahrung als Erkenntnismittel für materialistisch (was vielleicht meistens zutreffen mag, aber dennoch unrichtig ist, wie wir es an dem Beispiel von Fichte gesehen haben). Avenarius grenzt sich ab gegen jene „herrschende" „Metaphysik", die sich darauf versteift, das Gehirn für das Organ des Denkens zu halten, ohne die Theorien der Introjektion und der Koordination in Betracht zu ziehen. Unter dem Vorgefundenen versteht Avenarius gerade die unauflösliche Verbindung von Ich und Umgebung, was zu einer verworrenen idealistischen Interpretation der „Erfahrung" verleitet.

Unter dem Worte „Erfahrung" können also ohne Zweifel sowohl materialistische als auch idealistische philosophische Richtungen, auch die Kantsche und die Humesche, versteckt sein; doch sind in dieser Beziehung weder die Bestimmung der Erfahrung als Gegenstand der UntersuchungG noch ihre Bestimmung als Erkenntnismittel entscheidend. Speziell Carstanjens Bemerkungen gegen Wundt haben gar keine Beziehung zu der Frage der Gegenüberstellung von Empiriokritizismus und Materialismus.

Als Kuriosum erwähnen wir, dass Bogdanow und Valentinow in ihrer Antwort an Plechanow bezüglich dieses Punktes nicht im Geringsten bessere Sachkenntnis bewiesen haben. Bogdanow erklärte: es sei „nicht ganz klar" (III, S. XI), „Sache der Empiriokritizisten ist es, diese Formulierung zu untersuchen und die Bedingung entweder anzunehmen oder nicht." Eine bequeme Einstellung: ich bin kein Machist und bin nicht verpflichtet, zu untersuchen, in welchem Sinn irgendein Avenarius oder Carstanjen von der Erfahrung spricht! Bogdanow möchte sich des Machismus (und des machistischen Durcheinanders in Bezug auf die Erfahrung) bedienen, will aber die Verantwortung dafür nicht übernehmen.

Der „reine" Empiriokritizist Valentinow hat Plechanows Bemerkung abgeschrieben und öffentlich einen Cancan getanzt, weil Plechanow den Schriftsteller nicht genannt und nicht erklärt habe, worum es sich handle. (S. 108 u. 109 des zit. Buches.) Dabei hat dieser empiriokritizistische Philosoph selbst die Sache mit keinem Wort beantwortet, obwohl er zugibt, dass er Plechanows Bemerkung „dreimal wenn nicht öfter gelesen habe" (aber er hat sie augenscheinlich nicht verstanden). Ja, diese Machisten!

3. Von Kausalität und Notwendigkeit in der Natur

Das Problem der Kausalität ist für die Bestimmung der philosophischen Richtung des einen oder anderen allerneuesten „Ismus" besonders wichtig, weshalb wir bei diesem Problem etwas länger verweilen müssen.

Beginnen wir mit der Darstellung der materialistischen Erkenntnistheorie in diesem Punkt. Die Ansichten von L. Feuerbach sind von diesem besonders klar in seiner schon früher erwähnten Entgegnung an R. Haym dargelegt:

,Die Natur und der Verstand der Menschen, sagt Haym, fällt ihm (Feuerbach) schlechtweg auseinander, und zwischen beiden tut sich ihm eine Kluft auf, über welche weder von hüben nach drüben noch von drüben nach hüben zu kommen ist.'

Und er gründet diesen Vorwurf hauptsächlich auf den § 48, Wesen der Religion, wo geschrieben steht, dass ,die Natur nur durch sich selbst zu fassen, dass die Notwendigkeit derselben keine menschliche oder logische, metaphysische oder mathematische, d. h. keine abstrakte, dass die Natur allein das Wesen sei, an welches kein menschlicher Maßstab angelegt werden dürfe und könne, obgleich wir ihre Erscheinungen vergleichen und bezeichnen, um sie uns verständlich zu machen, überhaupt menschliche Ausdrücke und Begriffe, wie Ordnung, Zweck, Gesetz auf sie anwenden und in Gemäßheit unserer Sprache auf sie anwenden müssen.'

Was heißt das? Ist damit gesagt: es ist in der Natur keine Ordnung, also dass z. B. auf den Herbst der Sommer, auf den Frühling der Winter, auf den Winter der Herbst folgt? Kein Zweck, also dass z. B. zwischen der Lunge und der Luft, zwischen dem Licht und dem Auge, zwischen dem Schall und dem Ohre keine Übereinstimmung stattfindet? Kein Gesetz, also dass z. B. die Erde bald in einer Ellipse, bald in einem Kreise, bald in einem Jahr, bald in einer Viertelstunde sich um die Sonne bewegt? Welch ein Unsinn! Was will also jener Paragraph? Nichts weiter als unterscheiden zwischen dem, was der Natur, und dem, was dem Menschen angehört, er behauptet nicht, dass den Worten oder Vorstellungen von Ordnung, Zweck, Gesetz nicht etwas Wirkliches in der Natur entspricht, er leugnet nur die Identität von Denken und Sein, er leugnet nur, dass sie so in der Natur, wie im Kopfe oder Sinne des Menschen existieren. Ordnung, Zweck, Gesetz sind Worte, mit denen der Mensch die Werke der Natur in seine Sprache übersetzt, um sie zu verstehen; es sind nicht sinn-, d. h. gegenstandslose Worte; aber gleichwohl muss ich zwischen dem Original und der Übersetzung unterscheiden. Ordnung, Zweck, Gesetz drücken nämlich im Sinne des Menschen etwas Willkürliches aus.

Der Theismus schließt ja ausdrücklich aus der Zufälligkeit der Ordnung, Zweck- und Gesetzmäßigkeit der Natur auf einen willkürlichen Ursprung derselben, auf ein von der Natur unterschiedenes Wesen, welches in die an sich dissolute, gegen alle Bestimmung gleichgültige Natur Ordnung, Zweck- und Gesetzmäßigkeit hineingebracht habe. Der theistische Verstand ist der Verstand im Widerspruch mit der Natur, der für das Wesen der Natur absolut sinn- und verstandlose Verstand. Der theistische Verstand zerreißt die Natur in zwei Wesen, in ein materielles und [ein] formelles oder geistiges." („Werke", Bd. VII, Stuttgart 1903, S. 518–520.)

Feuerbach erkennt also die objektive Gesetzmäßigkeit in der Natur, die objektive Kausalität an, die durch die menschlichen Vorstellungen von Ordnung, Gesetz usw. nur annähernd richtig abgebildet wird. Die Anerkennung der objektiven Gesetzmäßigkeit der Natur ist bei Feuerbach mit der Anerkennung der objektiven Realität der Außenwelt, der Gegenstände, Körper und Dinge, die in unserem Bewusstsein abgebildet werden, unauflöslich verbunden. Die Auffassung Feuerbachs ist eine konsequent materialistische, jede andere Auffassung, richtiger philosophische Richtung in der Frage der Kausalität, die Leugnung der objektiven Gesetzmäßigkeit, der Kausalität, der Notwendigkeit in der Natur, zählt Feuerbach mit Recht zur fideistischen Richtung. Denn es ist in der Tat einleuchtend, dass die subjektivistische Richtung in der Frage der Kausalität, die Ableitung von Ordnung und Naturnotwendigkeit nicht aus der objektiven Außenwelt, sondern aus Bewusstsein, Verstand, Logik u. a. m., nicht nur den menschlichen Verstand von der Natur trennt, nicht nur den ersten der zweiten entgegensetzt, sie macht auch die Natur zu einem Teil des Verstandes, statt den Verstand für einen Teil der Natur zu halten. Die subjektivistische Richtung in der Frage der Kausalität ist philosophischer Idealismus (zu dessen Abarten die Kausalitätstheorien von Hume wie von Kant gehören), d. h. ein mehr oder weniger abgeschwächter, verwässerter Fideismus. Die Anerkennung der objektiven Gesetzmäßigkeit der Natur und der annähernd richtigen Widerspiegelung dieser Gesetzmäßigkeit im Kopf des Menschen ist Materialismus.

Was Engels betrifft, so hatte er, wenn ich nicht irre, keinen Anlass, speziell in der Frage der Kausalität seinen materialistischen Standpunkt den anderen Richtungen gegenüberzustellen. Das war für ihn nicht nötig, nachdem er sich in einer fundamentaleren Frage, nämlich der Frage nach der objektiven Realität der Außenwelt überhaupt, ausdrücklich von allen Agnostikern abgegrenzt hatte. Wer aber halbwegs aufmerksam seine philosophischen Schriften gelesen hat, dem muss doch klar geworden sein, dass Engels auch nicht den Schatten eines Zweifels an der Existenz der objektiven Gesetzmäßigkeit, der Kausalität, der Notwendigkeit in der Natur zuließ. Wir beschränken uns auf wenige Beispiele. Gleich im ersten Kapitel des „Anti-Dühring" sagt Engels:

Um diese Einzelheiten (des Gesamtbildes der Erscheinungen der Welt. L.) zu erkennen, müssen wir sie aus ihrem natürlichen oder geschichtlichen Zusammenhang herausnehmen und sie, jede für sich, nach ihrer Beschaffenheit, ihren besonderen Ursachen und Wirkungen etc. untersuchen." (S. 6.)

Dass dieser natürliche Zusammenhang, der Zusammenhang der Naturerscheinungen, objektiv existiert, ist einleuchtend. Engels betont besonders die dialektische Anschauungsweise über Ursache und Wirkung:

„… dass Ursache und Wirkung Vorstellungen sind, die nur in der Anwendung auf den einzelnen Fall als solche Gültigkeit haben, dass sie aber, sowie wir den einzelnen Fall in seinem allgemeinen Zusammenhang mit dem Weltganzen betrachten, zusammengehen, sich auflösen in der Anschauung der universellen Wechselwirkung, wo Ursachen und Wirkungen fortwährend ihre Stelle wechseln, das was jetzt oder hier Wirkung, dort oder dann Ursache wird und umgekehrt." (S. 8.)

Also, die menschliche Auffassung von Ursache und Wirkung vereinfacht immer einigermaßen den objektiven Zusammenhang der Naturerscheinungen, indem sie diesen nur annähernd widerspiegelt und diese oder jene Seiten des einen und einheitlichen Weltprozesses künstlich isoliert. Wenn wir finden, dass die Denkgesetze mit den Naturgesetzen zusammenstimmen, so ist das, sagt Engels, ganz verständlich, wenn wir in Betracht ziehen, dass Denken und Bewusstsein „Produkte des menschlichen Hirns sind, und dass der Mensch selbst ein Naturprodukt ist". Wobei es sich dann von selbst versteht, dass „die Erzeugnisse des menschlichen Hirns, die in letzter Instanz ja auch Naturprodukte sind, dem übrigen Zusammenhang nicht widersprechen, sondern entsprechen". (S. 22.)

Dass ein natürlicher, objektiver Naturzusammenhang der Welterscheinungen existiert, ist unbestreitbar. Von „Naturgesetzen" und „Naturnotwendigkeiten" spricht Engels beständig, ohne dass er es für nötig hält, die allgemein bekannten Sätze des Materialismus besonders zu erläutern.

Auch in „Ludwig Feuerbach" lesen wir von „den allgemeinen Gesetzen der Bewegung, sowohl der äußeren Welt wie des menschlichen Denkens – zwei Reihen von Gesetzen, die der Sache nach identisch, dem Ausdruck nach aber insofern verschieden sind, als der menschliche Kopf sie mit Bewusstsein anwenden kann, während sie in der Natur und bis jetzt auch großenteils in der Menschengeschichte sich in unbewusster Weise, in der Form der äußeren Notwendigkeit, inmitten einer endlosen Reihe scheinbarer Zufälligkeiten durchsetzen." (S. 38.)

Der alten Naturphilosophie wirft Engels vor, dass sie „die noch unbekannten, wirklichen Zusammenhänge (der Naturerscheinungen) durch ideelle, phantastische ersetzte". (S. 42.) Die Anerkennung der objektiven Gesetzmäßigkeit, der Kausalität, der Notwendigkeit in der Natur ist bei Engels ganz klar ausgesprochen neben der Betonung des relativen Charakters unserer, d. h. der menschlichen, annähernden Abbildungen dieser Gesetzmäßigkeit in diesen oder jenen Begriffen.

Zu J. Dietzgen übergehend, müssen wir vorerst eine der zahllosen Entstellungen durch unsere Machisten feststellen. Einer der Verfasser der „Beiträge ,zur' Philosophie des Marxismus", Herr Hellfond, erklärt uns:

Die Hauptpunkte der Weltanschauung Dietzgens können in folgenden Sätzen zusammengefasst werden: 9. die kausale Abhängigkeit, die wir den Dingen zuschreiben, ist in Wirklichkeit in den Dingen selbst nicht enthalten." (S. 248.)

Das ist purer Unsinn. Herr Hellfond, dessen eigene Anschauungen einen wahren Mischmasch aus Materialismus und Agnostizismus darstellen, hat J. Dietzgen heillos verfälscht. Freilich kann man bei Dietzgen nicht wenig Verworrenheiten, Ungenauigkeiten und Fehler finden, die die Herzen der Machisten erfreuen und die jeden Materialisten veranlassen, Dietzgen für einen nicht ganz konsequenten Philosophen zu halten. Aber dem Materialisten Dietzgen nachsagen, dass er die materialistische Auffassung der Kausalität direkt leugne, das können nur die Hellfond, nur die russischen Machisten.

Die objektive, wissenschaftliche Erkenntnis“ – sagt Dietzgen im „Wesen der menschlichen Kopfarbeit" – „wird ihre Ursachen nicht durch Glauben oder Spekulation, sondern durch Erfahrung, durch Induktion, nicht a priori, sondern a posteriori gewahr. Die Naturwissenschaft sucht ihre Ursachen nicht außer oder hinter den Erscheinungen, sondern in oder mittels derselben." S. 94 u. 95.) „Ursachen sind Produkte des Denkvermögens. Sie sind allerdings nicht dessen reine Produkte, sondern sind gezeugt vom Denkvermögen in Verbindung mit sinnlichem Material. Dies sinnliche Material gibt der also erzeugten Ursache ihre objektive Existenz. Wie wir von der Wahrheit verlangen, dass sie Wahrheit einer objektiven Erscheinung, so verlangen wir von der Ursache, dass sie wirklich, dass sie Ursache einer objektiv gegebenen Wirkung iei." (S. 98 u. 99.) „Die Ursache einer Sache ist ihr Zusammenhang.- (S. 100.)

Daraus ersieht man, dass Hellfonds Behauptung der Wahrheit gerade entgegengesetzt ist. Nach der materialistischen Auffassung, wie sie Dietzgen darlegt, ist die „kausale Abhängigkeit" „in den Dingen selbst" enthalten. Für den machistischen Mischmasch war es nötig, dass Herr Hellfond die materialistische und idealistische Richtung in der Kausalitätsfrage verwirrte.

Wenden wir uns nun dieser zweiten Richtung zu.

Bei Avenarius findet sich eine klare Darstellung der Ausgangspunkte seiner Philosophie in dieser Frage in seinem ersten Werk: „Philosophie als Denken der Welt gemäß dem Prinzip des kleinsten Kraftmaßes". In § 81 lesen wir:

Ebenso wenig… wie die Kraft als Bewegendes, erfahren wir die Notwendigkeit einer Bewegung… Was wir erfahren, ist immer nur: dass eins auf das andere folgt…"

Das ist der Standpunkt Humes in reinster Gestalt: die Empfindung, die Erfahrung sagen uns nichts über irgendeine Notwendigkeit. Ein Philosoph, der (auf Grund des Prinzips der „Denkökonomie") behauptet, die Empfindung sei das einzig existierende, konnte zu keinem anderen Schluss kommen.

Sofern also die Vorstellung der Kausalität – lesen wir weiter – Kraft und Notwendigkeit oder Zwang als integrierende Bestandteile des Folgevorganges verlangt, fällt sie mit diesen." (§ 82.) „Notwendigkeit… drückt also … einen bestimmten Grad der Wahrscheinlichkeit (die Gewissheit) aus, womit der Eintritt der Folge erwartet wird und erwartet werden darf." (§ 83.)

Das ist eine ausgesprochen subjektivistische Auffassung der Frage der Kausalität. Und man kann wirklich, wenn man einigermaßen konsequent bleiben will und die objektive Realität als Quelle unserer Empfindungen nicht anerkennt, zu keinem anderen Ergebnis kommen.

Nehmen wir Mach. In einem besonderen Kapitel „Kausalität und Erklärung" („Die Prinzipien der Wärmelehre", 2. Auflage, 1900, S. 432–439) lesen wir: „Bei alledem bleibt die Humesche Kritik (des Begriffs Kausalität) aufrecht." Kant und Hume lösen das Problem der Kausalität verschieden (mit anderen Philosophen setzt sich Mach nicht einmal auseinander); der Humeschen Lösung „pflichten wir bei". „Eine andere als eine logische (gesperrt von Mach) Notwendigkeit, etwa eine physikalische, existiert eben nicht." Das ist gerade die Auffassung, die Feuerbach so entschieden bekämpft hat. Es fällt Mach nicht ein, seine Verwandtschaft mit Hume zu bestreiten. Nur die russischen Machisten konnten sich so weit verrennen, zu behaupten, der Agnostizismus von Hume sei mit dem Materialismus von Marx und Engels „vereinbar". In der „Mechanik" von Mach heißt es:

In der Natur gibt es keine Ursache und keine Wirkung." (3. Aufl., 1897, S. 474.) „Übrigens habe ich wiederholt dargelegt, dass alle Formen des Kausalgesetzes subjektiven Trieben entspringen, welchen zu entsprechen eine Notwendigkeit für die Natur nicht besteht." (S. 495.)

Es muss hier vermerkt werden, dass die russischen Machisten mit erstaunlicher Naivität die Frage der materialistischen oder idealistischen Richtung aller Betrachtungen über das Kausalgesetz mit der Frage nach dieser oder jener Formulierung dieses Gesetzes verwechseln. Sie glaubten den deutschen empiriokritizistischen Professoren, dass es genüge, „funktionale Beziehung" zu sagen, damit eine Entdeckung des „neuesten Positivismus" daraus werde, dass damit eine Erlösung von dem „Fetischismus" der Ausdrücke, wie „Notwendigkeit", „Gesetz" u. a. m. gewonnen sei. Das ist natürlich Unsinn, und Wundt hatte völlig recht, wenn er sich über diese Wortveränderungen lustig machte (S. 383 und 388 des zit. Aufs, in den „Phil. Studien"), durch die das Wesen der Sache nicht im Geringsten geändert wird. Mach selbst spricht von „allen Formen" des Kausalgesetzes, und in „Erkenntnis und Irrtum" (2. Auflage, S. 278) macht er den selbstverständlichen Vorbehalt, dass der Funktionsbegriff die „Abhängigkeit der Elemente voneinander" nur dann präziser ausdrücken könne, wenn die Möglichkeit erreicht ist, die Ergebnisse der Untersuchung in messbaren Größen auszudrücken, was selbst in solchen Wissenschaften, wie die Chemie, nur teilweise erreicht ist. Unsere Machisten, die die professoralen Entdeckungen vertrauensvoll akzeptieren, scheinen der Meinung zu sein, dass Feuerbach (von Engels gar nicht zu sprechen) nicht wusste, dass die Begriffe: Ordnung, Gesetzmäßigkeit u. a. m. unter bestimmten Bedingungen durch eine bestimmte funktionale Beziehung mathematisch ausdrückbar sind!

Die erkenntnistheoretisch wirklich wichtige Frage, die die philosophischen Richtungen scheidet, besteht nicht darin, welchen Grad von Genauigkeit unsere Beschreibungen der kausalen Zusammenhänge erreicht haben und ob diese Angaben in einer exakten mathematischen Formel ausdrückbar sind, sondern darin, ob die Quelle unserer Erkenntnis dieser Zusammenhänge eine objektive Gesetzmäßigkeit der Natur ist oder die Beschaffenheit unseres Geistes, das diesem eignende Vermögen, bestimmte apriorische Wahrheiten zu erkennen usw. Diese Frage ist es, welche die Materialisten Feuerbach, Marx und Engels unwiderruflich von den Agnostikern (Humeisten) Mach und Avenarius trennt.

An einzelnen Stellen seiner Werke „vergisst" Mach – es wäre sündhaft, ihm Konsequenz vorzuwerfen – manchmal seine Übereinstimmung mit Hume und seine subjektivistische Theorie der Kausalität, indem er „einfach" als Naturwissenschaftler, d. h. vom instinktiv materialistischen Standpunkt aus urteilt. So lesen wir z. B. in der „Mechanik" von der „Gleichförmigkeit …, welche uns die Natur in ihren Vorgängen kennen lehrt". (4. Aufl., S. 194.) Wenn wir in den Naturvorgängen eine Gleichförmigkeit finden, dann existiert also diese Gleichförmigkeit auch objektiv, außerhalb unseres Geistes? Doch gefehlt! Über dieselbe Frage der Gleichförmigkeit der Natur schreibt Mach:

Die Macht, welche zur Vervollständigung der halb beobachteten Tatsache in Gedanken treibt, ist die Assoziation. Dieselbe wird kräftig verstärkt durch Wiederholung. Sie erscheint uns dann als eine fremde, von unserem Willen und der einzelnen Tatsache unabhängige Gewalt, welche Gedanken und (gesperrt von Mach) Tatsachen treibt, beide in Übereinstimmung hält als ein beide beherrschendes Gesetz. Dass wir uns für fähig halten, mit Hilfe eines solchen Gesetzes zu prophezeien, beweist nur (!) die hinreichende Gleichförmigkeit unserer Umgebung, begründet aber durchaus nicht die Notwendigkeit des Zutreffens der Prophezeiung." („Wärmelehre", S. 383.)

Demnach kann und soll man also irgendwelche Notwendigkeit außerhalb der Gleichförmigkeit der Umgebung, d. h. der Natur suchen! Wo aber diese Notwendigkeit suchen, das ist ein Geheimnis der idealistischen Philosophie, die es nicht wagt, das menschliche Erkenntnisvermögen als ein einfaches Widerspiegeln der Natur anzuerkennen. In seinem letzten Werk „Erkenntnis und Irrtum" definiert Mach sogar das Naturgesetz als „Einschränkung der Erwartung" (2. Auflage, S. 450ff.). Der Solipsismus kommt doch zum Vorschein.

Betrachten wir die Stellungnahme anderer Schriftsteller derselben philosophischen Richtung. Der Engländer Karl Pearson drückt sich darüber mit der ihm eigenen Bestimmtheit folgendermaßen aus:

Die Naturgesetze sind bei weitem mehr Erzeugnis des menschlichen Geistes als Tatsachen der Außenwelt." („The Grammar of science", 2. Aufl., S. 36.) „Sowohl die Dichter als auch die Materialisten, die von der Souveränität der Natur über die Menschen sprechen, vergessen nur zu leicht, dass die Bewunderung herausfordernde Ordnung und Kompliziertheit der Phänomene mindestens ebenso ein Produkt der Erkenntnisfähigkeit des Menschen ist, wie es seine Erinnerungen und Gedanken sind." (S. 185.) „Der weit umfassende Charakter des Naturgesetzes schuldet seine Existenz der Erfindungskraft des menschlichen Geistes." (Ebendort.)

Der Mensch ist der Schöpfer des Naturgesetzes", lautet der § 4 des zweiten Kapitels.

Es hat viel mehr Sinn, zu behaupten, dass es der Mensch ist, der der Natur die Gesetze gibt, als dass die Natur dem Menschen die Gesetze gibt."

Der würdige Professor muss allerdings mit saurer Miene zugeben, dass die letztere Auffassung (die materialistische) „leider viel zu viel in unserer Zeit verbreitet ist". (S. 87.) Im vierten Kapitel, das von der Kausalität handelt, findet sich in § 11 die Formulierung folgender These Pearsons:

Die Notwendigkeit gehört der Welt der Begriffe, nicht aber der Welt der Wahrnehmungen an."

Es muss bemerkt werden, dass für Pearson die Wahrnehmungen oder Sinneseindrücke die „außer uns existierende Wirklichkeit" sind.

In der Gleichförmigkeit, mit welcher gewisse Reihen von Wahrnehmungen wiederholt vorkommen, in dieser Schablone der Wahrnehmungen ist keine innere Notwendigkeit. Die notwendige Bedingung der Existenz denkender Wesen aber ist das Vorhandensein einer Schablone der Wahrnehmungen. Die Notwendigkeit liegt also in der Natur des denkenden Wesens, nicht aber in den Wahrnehmungen selbst. Sie ist das Produkt der Erkenntnisfähigkeit." (S. 139.)

Dieser Machist, dem Mach „selbst" mehrmals seine volle Solidarität bekundet, ist auf diese Weise glücklich beim reinen Kantschen Idealismus gelandet. Der Mensch gibt der Natur die Gesetze, nicht aber die Natur dem Menschen! Für uns ist hier nicht die Wiederholung der Kantschen Aprioritätslehre von Wichtigkeit diese bestimmt nicht die idealistische Richtung in der Philosophie, sie ist nur eine besondere Formulierung dieser Richtung), sondern die Tatsache, dass hier Vernunft, Bewusstsein, Denken für das Primäre, die Natur für das Sekundäre erklärt werden. Nicht die Vernunft ist ein Teil der Natur, eines ihrer höchsten Erzeugnisse, die Spiegelung ihrer Vorgänge, die Natur ist vielmehr ein Bestandteil der Vernunft, welche Vernunft dann selbstverständlich aus der gewöhnlichen, einfachen, allbekannten menschlichen Vernunft zu einem, wie Dietzgen sagte, „maßlos Vernünftigen", zu einer mystischen, göttlichen Vernunft erhoben wird. Die Kant-Machsche Formel: „der Mensch gibt der Natur die Gesetze", ist eine Formel des Fideismus. Wenn unsere Machisten große Augen machen, weil sie bei Engels lesen, das grundlegende Unterscheidungsmerkmal des Materialismus bestehe darin, dass die Natur und nicht der Geist als das Primäre angenommen wird, so zeigt das nur, wie wenig sie imstande sind, die wirklich wichtigen philosophischen Richtungen von der professoralen Spielerei mit Gelehrsamkeit und geschraubten Worten zu unterscheiden.

J. Petzoldt, der die Lehre von Avenarius in seinem zweibändigen Werk darlegt und entwickelt, kann als vorzügliches Beispiel der reaktionären Scholastik des Machismus dienen:

Noch immer“ – hundertfünfzig Jahre nach Hume – „lähmen Substanzialität und Kausalität den Mut des Denkers."H

Selbstverständlich sind am „mutigsten" die Solipsisten, die Empfindung ohne organische Materie, Gedanken ohne Gehirn, eine Natur ohne objektive Gesetzmäßigkeit entdeckt haben.

So haftet auch an der letzten der Kausalitätsbezeichnungen, an der noch nicht erwähnten der Notwendigkeit des Geschehens oder der Naturnotwendigkeit, etwas Unklares und Mystisches" – eine Idee des „Fetischismus", des „Antropomorphismus" usw. (S. 32 u. 34.)

Die armen Mystiker Feuerbach, Marx und Engels! Die ganze Zeit über haben sie von der Naturnotwendigkeit gesprochen und dazu noch die Anhänger der Richtung Humes als theoretische Rückschrittler bezeichnet… Petzoldt ist über jeden „Anthropomorphismus" erhaben. Er hat das große „Gesetz der Eindeutigkeit" entdeckt, das alle Unklarheit, jede Spur von „Fetischismus" usw. usw. vertilgt. Ein Beispiel: der Satz vom Kräfteparallelogramm (S. 35). Man könne ihn niemals „beweisen", er müsse vielmehr als eine „Erfahrungstatsache" anerkannt werden. Es sei unerträglich, zuzugeben, dass sich der Körper bei denselben Anstößen das eine Mal anders als das andere Mal bewegen solle.

Wir können der Natur solche Unbestimmtheit und Willkür nicht zugeben, wir müssen von ihr Bestimmtheit, Gesetzmäßigkeit fordern." (S. 35.)

So, so. Wir fordern von der Natur Gesetzmäßigkeit. Die Bourgeoisie fordert von ihren Professoren reaktionäre Haltung.

Unser Denken verlangt von der Natur Bestimmtheit, und die Natur kommt diesem Verlangen stets nach, ja wir werden sehen, dass sie in einem gewissen Sinne genötigt ist, ihm nachzukommen." (S. 36.)

Warum bewegt sich bei dem zentralen Stoß in der Richtung der Linie A–B der Körper nach C, nicht aber nach D oder F usw.?


Warum wählt die Natur keine der unendlich vielen anderen Richtungen?" (S.37.) Darum, weil dann die Bahn der Kugel „vieldeutig" wäre, während die große, empiriokritische Entdeckung von Joseph Petzoldt die Eindeutigkeit fordert.

Mit solch unsagbarem Unsinn füllen die Empiriokritizisten Dutzende von Seiten!

„… Wir haben wiederholt die Anschauung durchblicken lassen, dass unser Satz seine Macht nicht aus einer Summe von Einzelerfahrungen schöpfe, sondern dass wir seine Geltung von der Natur fordern. Und in der Tat, noch ehe er ein Gesetz ist, ist er uns ein Prinzip, mit dem wir an die Wirklichkeit herantreten, ein Postulat. Er gilt vergleichsweise a priori, unabhängig von aller Einzelerfahrung. Nun würde es freilich einer Philosophie der reinen Erfahrung schlecht anstehen, apriorische Wahrheiten zu lehren und damit in die unfruchtbare Metaphysik zurückzufallen. Ihr a priori könnte immer nur ein logisches, nie ein psychologisches und metaphysisches sein." (S. 40.)

Nun ja, natürlich: man braucht nur das Apriori ein logisches zu nennen, damit alles Reaktionäre einer solchen Idee verschwinde und sie auf die Höhe des „neuesten Positivismus" gehoben werde.

Von einer eindeutigen Bestimmtheit der psychischen Erscheinungen zu sprechen, hat keinen Sinn", belehrt uns Petzoldt weiter; die Rolle der Phantasie, die großen Entdeckungen sind hierin nur Ausnahmen, „ein Natur- oder Geistesgesetz aber duldet keine Ausnahme" (S. 65). Wir haben hier den reinsten Metaphysiker vor uns, der von der Relativität des Unterschieds von Zufälligem und Notwendigem keine Ahnung hat.

Man möchte sich vielleicht darauf berufen, fährt Petzoldt fort, dass die geschichtlichen Ereignisse und die Entwicklung des Charakters in der Dichtkunst eine „Motivierung" zulassen.

Sehen wir genau zu, so werden wir nichts von solcher Eindeutigkeit finden. Es gibt kein geschichtliches Ereignis und kein Drama, in dem wir uns unter den gleichen physischen Bedingungen die beteiligten Personen nicht auch anders handelnd vorstellen könnten." (S. 73.)

„… er zeigt nicht bloß, dass die Eindeutigkeit auf psychischem Gebiete tatsächlich fehlt, sondern er gibt uns sogar das Recht, ihr Fehlen von der Wirklichkeit zu fordern (gesperrt von Petzoldt). Unsere Lehre wird dadurch zu dem Range eines Postulats erhoben, d. h. zum Range einer Tatsache, die wir als unerlässliche Bedingung einer viel früheren Erfahrung als ihr logisches a priori erkennen (gesperrt von Petzoldt)." (S. 76.)

Mit diesem „logischen Apriori" operiert Petzoldt in beiden Bänden seiner „Einführung", wie in dem 1906 erschienenen Büchlein „Das Weltproblem von positivistischem Standpunkte aus".I

Wir haben das zweite Beispiel eines hervorragenden Empiriokritizisten vor uns, der unversehens in den Kantianismus hinab gerutscht ist und die reaktionärsten Lehren in etwas veränderter Zubereitung auftischt. Und das ist nicht zufällig, denn die Kausalitätslehre von Mach und Avenarius ist in ihrer Grundlage eine idealistische Lüge, so sehr man bemüht sein mag, dies durch hochtrabende Phrasen von „Positivismus" zu bemänteln. Zwischen der Humeschen und Kantschen Kausalitätslehre ist ein Unterschied sekundärer Art, ein Unterschied zwischen zwei Agnostikern, die im Wesentlichen, d. h. in der Leugnung der objektiven Gesetzmäßigkeit der Natur, übereinstimmen, wodurch sie sich unvermeidlich zu den einen oder andern idealistischen Folgerungen verurteilen. Ein etwas „schamhafterer" Empiriokritizist als J. Petzoldt, Rudolf Willy, der sich seiner Verwandtschaft mit den Immanenzphilosophen schämt, verwirft z. B. die ganze Petzoldtsche „Eindeutigkeitstheorie" als Theorie, die nichts als „logischen Formalismus" bietet. Verbessert aber Rudolf Willy seine Stellung dadurch, dass er sich von Petzoldt lossagt? Keineswegs. Denn er rettet sich aus dem Kantschen Agnostizismus in die Arme des Humeschen Agnostizismus:

Wir wissen ja schon längst (von Hume her)“ – schreibt er –, „dass die ,Notwendigkeit' nur ein rein logisches (kein ,transzendentales') – oder wie ich noch lieber sagen würde (und schon einmal gesagt habe) ein rein sprachliches Merkmal ist."J

Der Agnostiker bezeichnet unsere materialistische Auffassung von der Notwendigkeit als „transzendental", denn jede Annahme der objektiven, in der Erfahrung gegebenen Realität ist vom Standpunkt jener Kantschen und Humeschen „Schulweisheit", die Willy nicht verwirft, sondern läutert, eine unberechtigte „Transzendenz".

Auf denselben Weg des Agnostizismus gerät beständig der französische Vertreter der von uns behandelten philosophischen Richtung, Henri Poincaré, ein großer Physiker und ein kleiner Philosoph, dessen Irrtümer P. Juschkewitsch natürlich für das letzte Wort des neuesten Positivismus ausgibt, eines so „neuen", dass sogar ein neuer „Ismus" notwendig wurde: Empiriosymbolismus.

Für Poincaré (wir werden seine ganze Auffassung in dem Kapitel über die neuere Physik noch besprechen) sind die Naturgesetze Symbole, Konventionen, die sich der Mensch der „Bequemlichkeit" halber schafft! „Die einzige wirklich objektive Realität ist die innere Weltharmonie". Wobei Poincaré als objektiv das bezeichnet, was allgemeingültig ist, was von der Mehrzahl der Menschen oder von allen anerkannt wirdK, d. h. er hebt rein subjektivistisch die objektive Wahrheit auf, wie es alle Machisten tun. Auf die Frage, ob diese Harmonie sich außerhalb unser befinde, antwortet er kategorisch: „zweifellos nein". Es ist einleuchtend, dass die uralte philosophische Richtung des Agnostizismus durch eine neue Terminologie nicht im Geringsten geändert wird, denn das Wesen der „originellen" Theorie Poincarés läuft auf die Leugnung der objektiven Realität und der objektiven Gesetzmäßigkeit in der Natur hinaus (obwohl er durchaus nicht konsequent bleibt). Es ist daher ganz natürlich, dass, im Unterschied zu den russischen Machisten, die die neuen Formulierungen der alten Fehler für neueste Entdeckungen nehmen, die deutschen Kantianer derartige Anschauungen begrüßen als Übertritt in einer wesentlichen philosophischen Frage auf ihre Seite, auf die Seite des Agnostizismus.

Der französische Mathematiker Henri Poincaré“ – lesen wir bei dem Kantianer Philipp Frank – „hat den Standpunkt vertreten, dass viele von den allgemeinsten Sätzen der theoretischen Naturwissenschaft (z. B. das Trägheitsgesetz, der Satz von der Erhaltung der Energie und so weiter), von denen man oft nicht weiß, ob sie empirischen oder apriorischen Ursprungs sind, in Wirklichkeit weder das eine noch das andere sind, sondern rein konventionelle, von der menschlichen Willkür abhängige Festsetzungen."

Und so“ – begeistert sich der Kantianer – „erneuert die neueste Naturphilosophie in überraschender Weise den Grundgedanken des kritischen Idealismus, dass Erfahrung nur einen Rahmen ausfüllt, den der Mensch schon von Natur aus mitbringt."L

Wir haben dieses Beispiel angeführt, um dem Leser ein anschauliches Bild von dem Grad der Naivität unserer Juschkewitsch u. Co. zu geben, die irgendeine „Theorie des Symbolismus" für eine waschechte Neuigkeit halten, während halbwegs sachkundige Philosophen einfach und ohne Umschweife sagen: Übertritt zum Standpunkt des kritischen Idealismus! Denn das Wesen dieses Standpunktes besteht nicht unbedingt darin, dass die Formulierungen Kants wiederholt werden; es ist vielmehr die Anerkennung der grundlegenden Idee, die sowohl Hume wie Kant gemeinsam ist: Leugnung der objektiven Gesetzmäßigkeit der Natur und Ableitung dieser oder jener „Erfahrungsbedingungen", dieser oder jener Prinzipien, Postulate, Prämissen aus dem Subjekt, aus dem menschlichen Bewusstsein, statt aus der Natur. Engels hatte recht, als er sagte, dass es nicht darauf ankommt, welcher der zahlreichen Schulen des Materialismus oder des Idealismus dieser oder jener Philosoph sich anschließt, sondern darauf, ob man die Natur, die Außenwelt, die sich bewegende Materie als das Primäre auffasst, oder den Geist, die Vernunft, das Bewusstsein usw.

Hier noch eine Charakteristik des Machismus in dieser Frage, im Gegensatz zu den übrigen philosophischen Richtungen, die von dem sachkundigen Kantianer E. Lucka stammt. In der Frage der Kausalität „schließt sich Mach ganz an Hume an".M

P. Volkmann leitet die Notwendigkeit des Denkens aus der Notwendigkeit des Naturgeschehens ab, ein Standpunkt, der die Tatsache der Notwendigkeit im Gegensatz zu Mach und in Überinstimmung mit Kant anerkennt, aber die Quelle der Notwendigkeit im Gegensatz zu Kant im Naturgeschehen und nicht im Denken sucht." (S. 424.)

P. Volkmann ist ein Physiker, der ziemlich viel über erkenntnistheoretische Fragen schreibt und, wie die meisten Naturforscher, dem Materialismus zuneigt, wenn auch einem nur inkonsequenten, schüchternen, nicht zu Ende gesprochenen. Die Naturnotwendigkeit anerkennen und daraus die Notwendigkeit des Denkens ableiten, ist Materialismus. Die Ableitung der Notwendigkeit, Kausalität, Gesetzmäßigkeit usw. aus dem Denken ist Idealismus. Die einzige Ungenauigkeit des angeführten Zitats besteht darin, dass Mach zugeschrieben wird, er leugne überhaupt jede Notwendigkeit. Wir haben schon gesehen, dass dies weder auf Mach noch auf die empiriokritische Richtung im Ganzen zutrifft, die, indem sie vom Materialismus entschieden abgewichen ist, unvermeidlich zum Idealismus hinab gleitet.

Es bleibt uns noch übrig, speziell über die russischen Machisten einiges zu sagen. Sie wollen Marxisten sein. Sie haben alle „gelesen", dass Engels den Materialismus von der Humeschen Richtung entschieden abgrenzt, sie mussten sowohl von Mach selbst wie von jedem, dem seine Philosophie halbwegs vertraut ist, gehört haben, dass Mach und Avenarius der Richtung Humes folgen. Und doch sind sie alle darauf bedacht, bei der Frage der Kausalität keine Silbe über Humeismus und Materialismus zu äußern! Es herrscht bei ihnen ein völliges Durcheinander. Einige Beispiele dafür. Herr P. Juschkewitsch predigt einen „neuen" Empiriosymbolismus. Sowohl „die Empfindung des Blauen, Harten usw., diese vermeintlichen Gegebenheiten der reinen Erfahrung", als auch „die Schöpfungen der vermeintlichen reinen Vernunft, wie z. B. Chimäre oder Schachspiel", alles das seien „Empiriosymbole". („Beiträge", S. 179.)

Die Erkenntnis ist empiriosymbolisch und, indem sie sich entwickelt,, schreitet sie fort zu Empiriosymbolen eines immer höheren Grades der Symbolisierung." „Diese Empiriosymbole sind auch die sogenannten Naturgesetze." (Ebenda.) „Die sogenannte wirkliche Realität, das Sein an sich, das ist jenes infinite (ein schrecklich gelehrter Mensch, dieser Juschkewitsch. L.) Grenzsystem der Symbolik, das unsere Erkenntnis anstrebt." (S. 188.) „Der Fluss des Gegebenen", „der im Grunde unserer Erkenntnis liegt", ist „irrational" und „illogisch". (S. 187 u. 194.) Die Energie ist „ebenso wenig ein Ding, eine Substanz, wie Zeit, Raum, Masse und andere Grundbegriffe der Naturwissenschaft: die Energie ist Konstanz, Empiriosymbol, wie andere Empiriosymbole, die – eine Zeitlang – das menschliche Grundbedürfnis befriedigen, die Vernunft, den Logos, in den irrationalen Fluss des Gegebenen hinein zu tragen." (S. 209.)

Im Kostüm eines Harlekins, zusammengesetzt aus Fetzen einer bunten, schreienden, „neuesten" Terminologie, steht vor uns der subjektive Idealist, für den die Außenwelt, die Natur und ihre Gesetze nur Symbole unserer Erkenntnis sind. Der Fluss des Gegebenen entbehrt der Vernunft, der Ordnung, der Gesetzmäßigkeit: unsere Erkenntnis bringt erst Vernunft hinein. Die Himmelskörper, die Erde mit inbegriffen, sind Symbole der menschlichen Erkenntnis. Wenn auch die Naturwissenschaft lehrt, dass die Erde schon lange, bevor die Entstehung des Menschen und der organischen Materie möglich war, existierte, so haben wir doch alles umgestaltet! Wir sind es, die in die Planetenbewegung Ordnung bringen, dies ist ein Produkt unserer Erkenntnis. Da Herr Juschkewitsch spürt, dass durch eine solche Philosophie die menschliche Vernunft zum Urheber, zum Stammvater der Natur erhoben wird, stellt er neben die Vernunft den „Logos", d. h. die Vernunft in Abstraktion, nicht eine Vernunft als Funktion des menschlichen Gehirns, sondern eine Vernunft als etwas, das schon vor jedem Gehirn existiert hat, als etwas Göttliches. Das letzte Wort des „neuesten Positivismus" ist jene alte Formel des Fideismus, die schon Feuerbach entlarvt hat.

Nehmen wir A. Bogdanow. Im Jahre 1899, als er noch halber Materialist war und unter dem Einfluss eines sehr großen Chemikers und sehr verworrenen Philosophen, Wilhelm Ostwalds, eben erst zu schwanken begann, schrieb er:

Der allgemeine kausale Zusammenhang der Erscheinungen ist das letzte, das beste Kind der menschlichen Erkenntnis. Es ist das allgemeine Gesetz, das höchste jener Gesetze, die der menschliche Verstand, um mit den Worten des Philosophen zu sprechen, der Natur vorschreibt" („Grundelemente" usw., S. 41.)

Allah weiß, wo Bogdanow damals sein Zitat hernahm. Tatsache ist, dass die „Worte des Philosophen", die der „Marxist" vertrauensvoll wiederholte, Kants Worte sind. Ein sehr unangenehmer Fall! Um so unangenehmer, als er nicht einmal durch den „einfachen" Einfluss Ostwalds zu erklären ist.

Im Jahre 1904 schrieb Bogdanow, der es inzwischen fertiggebracht hatte, sowohl den naturwissenschaftlichen Materialismus als auch Ostwald zu verlassen:

„… Für den modernen Positivismus ist das Kausalgesetz nur eine Methode, die Erscheinungen in einer kontinuierlichen Reihe erkenntnisgemäß zu verbinden, nur eine Form der Koordination der Erfahrung." („Aus der Psychologie der Gesellschaft", S. 207.)

Dass dieser moderne Positivismus ein Agnostizismus ist, der die objektive Notwendigkeit der Natur, die vor und außerhalb jeder „Erkenntnis" und jedes Menschen existierte, leugnet, davon wusste Bogdanow nichts oder er verschwieg es. Er übernahm von den deutschen Professoren auf Treu und Glauben, was diese als „modernen Positivismus" bezeichneten. Endlich, im Jahre 1905, nachdem er alle vorhergehenden und auch das empiriokritizistische Stadium durchschritten und beim „empiriomonistischen" Stadium angelangt war, schrieb Bogdanow:

Die Gesetze gehören durchaus nicht der Erfahrungssphäre an … sie sind nicht in der Erfahrung gegeben, sondern durch das Denken geschaffen, als ein Mittel, die Erfahrung zu organisieren und sie zu einer harmonischen Einheit zu gestalten." („Empiriomonismus", I, S. 40.)

Die Gesetze sind Abstraktionen der Erkenntnis, und die physikalischen Gesetze haben ebenso wenig physische Eigenschaften, wie die psychologischen Gesetze psychische Eigenschaften." (ibidem.)

Also ist uns das Gesetz, wonach dem Herbst der Winter und dem Winter der Frühling folgt, nicht in der Erfahrung gegeben, sondern es ist durch unser Denken geschaffen, als ein Mittel, zu organisieren, zu harmonisieren, in Übereinstimmung zu bringen … was und womit, Genosse Bogdanow?

Der Empiriomonismus ist nur deshalb möglich, weil die Erkenntnis die Erfahrung aktiv harmonisiert, indem sie ihre zahllosen Widersprüche beseitigt, für sie allgemeine organisierende Formen schafft, und die primäre chaotische Welt der Elemente durch eine abgeleitete geordnete Welt der Beziehungen ersetzt." (S. 57.)

Das ist falsch. Die Idee, die Erkenntnis könne allgemeine Formen „schaffen", das ursprüngliche Chaos durch eine Ordnung ersetzen u. ä. m., ist eine Idee der idealistischen Philosophie. Die Welt ist die gesetzmäßige Bewegung der Materie, und unsere Erkenntnis als höchstes Produkt der Natur ist nur imstande, diese Gesetzmäßigkeit abzubilden.

Das Fazit: unsere Machisten wiederholen, blindlings den „neuesten" reaktionären Professoren vertrauend, die Irrtümer des Kantschen und Humeschen Agnostizismus in der Kausalitätsfrage, ohne zu bemerken, in welch absolutem Widerspruch diese Lehren zum Marxismus, d. h. zum Materialismus, stehen, und wie sie auf der schiefen Ebene zum Idealismus hinab gleiten.

4. Das „Prinzip der Denkökonomie" und die Frage der „Einheit der Welt"

Das ,Prinzip des kleinsten Kraftmaßes', das Mach, Avenarius und viele andere zur Grundlage der Erkenntnistheorie machen, ist … zweifellos eine ,marxistische' Tendenz in der Erkenntnislehre."

So verkündet Basarow in den „Beiträgen …" (S. 69).

Marx hat eine „Ökonomie", Mach hat eine „Ökonomie". Ist es wirklich „zweifellos", dass zwischen der einen und der anderen auch nur der Schatten eines Zusammenhanges besteht?

Das Werk von Avenarius: „Philosophie als Denken der Welt gemäß dem Prinzip des kleinsten Kraftmaßes" (1876) wendet, wie wir gesehen haben, dieses „Prinzip" so an, dass im Namen der „Denkökonomie" nur die Empfindung für existierend erklärt wird. Kausalität und „Substanz" (ein Wort, das die Herren Professoren aus Wichtigtuerei mit Vorliebe statt des klaren und genauen Ausdrucks: Materie gebrauchen) werden im Namen derselben Ökonomie für abgeschafft erklärt, d. h. es ergibt sich die Empfindung ohne Materie, der Gedanke ohne Gehirn. Dieser reinste Unsinn ist ein Versuch, den subjektiven ldealismus neu aufgewärmt wieder aufzutischen. In der philosophischen Literatur wird, wie wir gesehen haben, ebendieser Charakter dieses Hauptwerkes über die berühmte „Denkökonomie" allgemein anerkannt. Dass unsere Machisten den subjektiven Idealismus unter der „neuen" Flagge nicht bemerkt haben, ist eben ein Kuriosum.

Mach beruft sich in dieser Frage in der „Analyse der Empfindungen" (S. 40) unter anderem auf seine Arbeit aus dem Jahre 1872. Diese Arbeit aber ist, wie wir gesehen haben, die Durchführung des Standpunktes des reinen Subjektivismus, indem die Welt auf Empfindungen zurückgeführt wird. Die zwei grundlegenden Werke also, die dieses berühmte „Prinzip" in die Philosophie einführten, führen den Idealismus durch! Worum handelt es sich? Darum, dass das Prinzip der Ökonomie des Denkens, wenn es wirklich „zur Grundlage der Erkenntnistheorie" gemacht wird, zu nichts anderem führen kann als zum subjektiven Idealismus. Es ist doch am „ökonomischsten", zu „denken", dass nur ich und meine Empfindungen existieren – das ist unzweifelhaft der Fall, sobald wir einmal einen solchen ungereimten Begriff in die Erkenntnistheorie einführen.

Ist es „ökonomischer", zu „denken", dass das Atom unteilbar oder dass es aus positiven und negativen Elektronen besteht? Ist es „ökonomischer", zu denken, dass die russische bürgerliche Revolution von den Liberalen durchgeführt wird, oder gegen die Liberalen? Es genügt, die Frage zu stellen, um die Absurdität, den Subjektivismus dieser Anwendung der Kategorie der „Denkökonomie" einzusehen. Das menschliche Denken ist dann „ökonomisch", wenn es die objektive Wahrheit richtig abbildet, und das Kriterium dieser Richtigkeit ist die Praxis, das Experiment, die Industrie. Nur wenn die objektive Realität, d. h. die Grundlage des Marxismus, geleugnet wird, kann man von einer Denkökonomie in der Erkenntnistheorie im Ernst sprechen.

Werfen wir einen Blick auf die späteren Arbeiten Machs, so finden wir eine Interpretation des berühmten Prinzips, die durchweg einer vollkommenen Negierung desselben gleichkommt. In der „Wärmelehre" kehrt Mach z. B. zu seiner Lieblingsidee von der „ökonomischen Natur der Wissenschaft" (2. Auflage, S. 366) zurück. Gleich darauf sagt er aber: Selbstredend wirtschaftet man nicht nur, um zu wirtschaften (S. 366; wiederholt S. 391), „das Ziel der wissenschaftlichen Wirtschaft ist ein möglichst vollständiges ruhiges … Weltbild". (S. 366.)

Ist dem aber so, so wird das „Prinzip der Denkökonomie" nicht nur aus den Grundlagen der Erkenntnistheorie, sondern dem Wesen der Sache nach aus der Erkenntnistheorie überhaupt entfernt. Sagt man, dass es Ziel der Wissenschaft sei, ein vollständiges (die Ruhe hat hier nichts zu schaffen) Weltbild zu geben, dann heißt das einen materialistischen Satz wiederholen. Denn das bedeutet die Anerkennung der objektiven Realität der Welt in Bezug auf unsere Erkenntnis, jene verhält sich zu dieser, wie das Modell zum Bild. Die Ökonomie des Denkens in solchem Zusammenhang ist einfach ein plumpes, pompös komisches Wort, das an Stelle des Wortes „Richtigkeit" gesetzt wird. Wie gewöhnlich, ist hier Mach konfus, die Machisten aber glotzen und beten die Konfusion an!

In „Erkenntnis und Irrtum" lesen wir in dem Kapitel „Beispiele von Forschungswegen":

Die ,vollständige und einfachste Beschreibung' (Kirchhoff 1874), die ,ökonomische Darstellung des Tatsächlichen' (Mach 1872), ,Übereinstimmung des Denkens mit dem Sein und Übereinstimmung der Denkprozesse unter sich' (Graßmann 1844) geben mit geringen Variationen demselben Gedanken Ausdruck."

Ist das nicht ein Muster der Konfusion? Die „Ökonomie des Denkens", aus der Mach im Jahre 1872 die alleinige Existenz von Empfindungen ableitete (eine Auffassung, die er selbst später als idealistisch erkennen musste), wird hier gleichgesetzt der rein materialistischen Aussage des Mathematikers Graßmann über die Notwendigkeit, Denken und Sein in Übereinstimmung zu bringen, gleichgesetzt der einfachsten Beschreibung (der objektiven Realität, deren Existenz Kirchhoff gar nicht bezweifelte!).

Eine solche Anwendung des Prinzips der Denkökonomie ist einfach ein Musterbeispiel der kuriosen philosophischen Schwankungen Machs. Lässt man aber solche Stellen als Kuriosa oder Entgleisungen beiseite, dann wird der idealistische Charakter des „Prinzips der Denkökonomie" unanfechtbar. Der Kantianer Hönigswald z. B. begrüßt in seiner Polemik gegen die Machsche Philosophie dessen „denkökonomisches Prinzip" als Annäherung an den „Kantschen Gedankenkreis".N In der Tat, wenn man die uns in den Empfindungen gegebene objektive Realität nicht anerkennt, wo anders soll dann das „denkökonomische Prinzip" herkommen, als aus dem Subjekt? Die Empfindungen enthalten natürlich keinerlei „Ökonomie". Also ist es das Denken, das etwas liefert, was in den Empfindungen gar nicht vorhanden ist! Also wird das „ökonomische Prinzip" nicht aus der Erfahrung (= Empfindungen) genommen, sondern es geht jeder Erfahrung voraus und ist deren logische Bedingung, wie die Kategorien von Kant es sind. Hönigswald zitiert folgende Stelle aus der „Analyse der Empfindungen":

Wir können … aus unserem eigenen Bestehen, aus unserer körperlichen und geistigen Stabilität, auf die Stabilität, eindeutige Bestimmtheit und Einsinnigkeit der Vorgänge in der Natur schließen." (S. 287.)

Und in der Tat, der subjektiv-idealistische Charakter derartiger Behauptungen unterliegt ebenso wenig einem Zweifel, wie die nahe Verwandtschaft Machs mit Petzoldt, der sich bis zum Apriorismus verstiegen hat.

Der Idealist Wundt bezeichnet Mach, im Hinblick auf das „Prinzip der Ökonomie des Denkens", sehr treffend als einen umgekehrten Kant („Systematische Philosophie"1, Leipzig 1907, S. 128): Kant hat neben den Prinzipien a priori die Erfahrung. Mach hat die Erfahrung und das a priori, denn das denkökonomische Prinzip ist bei Mach dem Wesen der Sache nach ein Prinzip a priori S. 130). Die Verknüpfung ist entweder in den Dingen selbst als ein „objektives Gesetz der Natur" vorgebildet (was Mach entschieden bestreitet), oder sie ist ein „subjektives Prinzip der Beschreibung" (S. 130). Das Ökonomieprinzip Machs ist subjektiv und kommt wie aus der Pistole geschossen, man weiß nicht woher, als eine teleologische Maxime, welche vieldeutig ist. (S. 131.) Man sieht, die Spezialisten in der philosophischen Terminologie sind nicht so naiv, wie unsere Machisten, die bereit sind, aufs Wort zu glauben, dass ein „neues" Wörtchen den Gegensatz von Subjektivismus und Objektivismus, von Idealismus und Materialismus beseitige.

Schließlich berufen wir uns noch auf den englischen Philosophen James Ward, der sich selbst ohne Umschweife einen spiritualistischen Monisten nennt. Er polemisiert nicht gegen Mach, im Gegenteil, er bedient sich, wie wir später sehen werden, der ganzen machistischen Strömung in der Physik für seinen Kampf gegen den Materialismus. Und er erklärt eindeutig, dass das „Kriterium der Vereinfachung" von Mach „ein seinem Wesen nach subjektives, nicht objektives" ist („Naturalism and Agnosticism", 3rd ed., S. 82).

Dass die deutschen Kantianer und die englischen Spiritualisten am Prinzip der Ökonomie des Denkens als Grundlage der Erkenntnistheorie Gefallen finden, kann nach allem oben Gesagten nicht verwunderlich erscheinen. Dass aber Leute, die Marxisten sein wollen, die politische Ökonomie des Materialisten Marx mit der erkenntnistheoretischen Ökonomie von Mach auf eine Stufe stellen, das ist einfach komisch.

Hier sind einige Worte über die „Einheit der Welt" am Platz.

Herr P. Juschkewitsch zeigte bei dieser Frage – zum hundertsten und tausendsten Male – anschaulich jene maßlose Konfusion, die unsere Machisten anrichten. Im „Anti-Dühring" sagt Engels, sich gegen Dühring, der die Einheit der Welt aus der Einheit des Denkens ableitete, wendend:

Die wirkliche Einheit der Welt besteht in ihrer Materialität, und diese ist bewiesen nicht durch ein paar Taschenspielerphrasen, sondern durch eine lange und langwierige Entwicklung der Philosophie und der Naturwissenschaft." (S. 31.)

Herr Juschkewitsch zitiert diese Stelle und „erwidert":

Es ist vor allem unklar, was die Behauptung, die Einheit der Welt bestehe in ihrer Materialität, eigentlich bedeuten soll." (Zit. Buch, S. 59.)

Das ist doch nett, nicht wahr? Dieses Subjekt unternahm es, öffentlich über die marxistische Philosophie zu schwätzen, um nun zu erklären, dass ihm die elementarsten Sätze des Materialismus „unklar" seien! Engels zeigte an dem Beispiel Dührings, dass eine halbwegs konsequente Philosophie die Einheit der Welt entweder aus dem Denken ableiten kann – dann ist sie gegenüber dem Spiritualismus und Fideismus hilflos („Anti-Dühring", S. 30), und die Argumentation einer solchen Philosophie läuft unausweichlich auf Taschenspielerphrasen hinaus –, oder aus jener objektiven Realität, die außer uns existiert und seit langem schon in der Erkenntnistheorie als Materie bezeichnet und von der Naturwissenschaft erforscht wird. Mit einem Menschen, dem so etwas „unklar" ist, ernsthaft zu disputieren, ist Zeitverschwendung, denn er spricht hier von „Unklarheit" nur zu dem Zweck, um einer sachlichen Antwort auf den völlig klaren, materialistischen Satz von Engels nach Taschenspielerart auszuweichen, wobei er einen echt Dühringschen Unsinn über „das Kardinalpostulat der prinzipiellen Homogenität und Verbundenheit des Seins" wiederholt (Juschkewitsch, Bd. I, S. 51) und über die Postulate als „Sätze" spricht, „von denen es ungenau wäre, zu sagen, dass sie aus der Erfahrung abgeleitet seien, denn die wissenschaftliche Erfahrung ist nur darum möglich, weil sie zur Grundlage der Erforschung gemacht werden". (Ebenda.) Das ist ein einziger Galimathias; denn hätte dieser Mensch auch nur ein wenig Achtung vor dem gedruckten Wort, dann würde er in der Idee, dass es Sätze geben könne, die selbst nicht aus der Erfahrung entnommen, ohne die aber eine Erfahrung unmöglich sei, den idealistischen Charakter im Allgemeinen und den Kantschen im Besonderen erkennen müssen. Ein Schwall von Worten, aus den verschiedensten Büchern aufgeschnappt und mit augenscheinlichen Irrtümern des Materialisten Dietzgen verkoppelt – das ist die „Philosophie" der Herren Juschkewitsch.

Wenden wir uns lieber den Betrachtungen eines ernsten Empiriokritizisten, denen Joseph Petzoldts, über die Einheit der Welt zu. Der § 29 des zweiten Bandes seiner „Einführung" ist betitelt: „Das Streben nach einheitlicher Auffassung der Erkenntnisgebiete. Das Postulat der Eindeutigkeit alles Geschehens." Hier einige Muster seiner Ausführungen:

„… Erst in der Einheit ist das natürliche Ziel gefunden, über das keine Denkbarkeit mehr hinausweist, in der das Denken also, falls sie nur allen Tatsachen des betreffenden Gebietes gerecht wird, zur Ruhe kommen kann." (S. 79.) „… Es ist gewiss, dass die Natur keineswegs immer dem Verlangen nach Einheit entspricht, ebenso gewiss aber auch, dass sie trotzdem in vielen Fällen schon heute sein Verlangen nach Ruhe stillt, und für höchstwahrscheinlich muss es bereits nach unseren bisherigen Untersuchungen gelten, dass sie es künftig in allen Fällen stillen wird. Wir beschreiben daher das tatsächliche seelische Verhalten richtiger als ein Drängen nach Dauerzuständen, denn als ein Drängen nach Einheit … Das Prinzip der Dauerzustände reicht weiter und tiefer … Haeckels Vorschlag, neben Pflanzen- und Tierreich ein Reich der Protisten zu stellen, war keine haltbare Lösung, da er zwei neue Schwierigkeiten an die Stelle der einen setzte: war früher nur die Grenze zwischen Tier und Pflanze fraglich, so ließen sich jetzt die Protisten weder gegen die Pflanzen noch gegen die Tiere scharf abgrenzen Es liegt auf der Hand, dass das kein endgültiger Zustand ist. Solche Zweideutigkeit von Begriffen muss auf irgendwelchem Wege einmal beseitigt werden, und wäre es in Ermangelung eines anderen schließlich auch nur auf dem der Übereinkunft der Fachmänner durch einen Majoritätsbeschluss." (S. 80 u. 81.)

Ich glaube, das genügt. Es ist klar, dass der Empiriokritizist Petzoldt nicht um ein Haar besser ist als Dühring. Man soll aber auch dem Gegner Gerechtigkeit widerfahren lassen: Petzoldt zeigt wenigstens so viel wissenschaftliches Gewissen, dass er in jedem seiner Werke den Materialismus als philosophische Richtung entschieden und unentwegt bekämpft. Er erniedrigt sich wenigstens nicht so weit, Materialismus markieren zu wollen und den elementarsten Unterschied der grundlegenden philosophischen Richtungen für „unklar" zu erklären.

5. Raum und Zeit

Da der Materialismus die Existenz einer objektiven Realität anerkennt, d. h. einer sich bewegenden Materie, die unabhängig von unserem Bewusstsein existiert, so muss er unvermeidlich auch die objektive Realität von Raum und Zeit anerkennen, im Unterschied ganz besonders zum Kantianismus, der in dieser Frage auf dem idealistischen Standpunkt steht und Raum und Zeit nicht für eine objektive Realität, sondern für Formen der menschlichen Anschauung hält. Über den fundamentalen Unterschied beider philosophischen Grundlinien auch in dieser Frage sind sich die Schriftsteller der verschiedensten Richtungen, wenn sie nur halbwegs konsequent denken, durchaus im klaren. Beginnen wir bei den Materialisten.

Raum und Zeit sind keine bloßen Erscheinungsformen“ – sagt Feuerbach –, „sie sind Wesensbedingungen … des Seins." (Werke, II, S. 332.)

Indem Feuerbach die durch unsere Empfindungen wahrgenommene sinnliche Welt als objektive Realität anerkennt, verwirft er natürlicherweise auch die phänomenalistische (wie Mach von sich sagen würde) oder agnostizistische (wie Engels sich ausdrückt) Auffassung von Raum und Zeit: wie die Dinge oder Körper nicht einfache Erscheinungen, nicht Empfindungskomplexe, sondern objektive Realitäten sind, die auf unsere Sinne wirken, so sind Raum und Zeit keine einfachen Erscheinungsformen, sondern die objektiv-realen Formen des Seins. In der Welt existiert nichts als die sich bewegende Materie, und die sich bewegende Materie kann sich nicht anders bewegen – als in Raum und Zeit. Die menschlichen Vorstellungen von Raum und Zeit sind relativ, doch setzt sich aus diesen relativen Vorstellungen die absolute Wahrheit zusammen, diese relativen Vorstellungen bewegen sich in ihrer Entwicklung in der Richtung der absoluten Wahrheit, nähern sich dieser an. Durch die Veränderlichkeit der menschlichen Vorstellungen von Raum und Zeit wird die objektive Realität dieser beiden ebenso wenig widerlegt, wie die objektive Realität der Außenwelt durch die Veränderlichkeit der wissenschaftlichen Kenntnisse von der Struktur und den Formen der Bewegung der Materie widerlegt wird.

Engels, der den inkonsequenten und konfusen Materialisten Dühring entlarvt, fängt ihn gerade da, wo er von der Verwandlung des Begriffs der Zeit spricht (eine Frage, die für alle großen modernen Philosophen der verschiedensten Richtungen unbestritten ist) und sich vor einer klaren Antwort auf die Frage drückt: sind Raum und Zeit real oder ideell? sind unsere relativen Vorstellungen von Raum und Zeit Annäherungen an die objektiv-realen Formen des Seins, oder nur Produkte des sich entwickelnden, sich organisierenden, sich harmonisierenden usw. menschlichen Gedankens? Darin und nur darin besteht die grundlegende erkenntnistheoretische Frage, die tatsächlich die Grundrichtungen der Philosophie voneinander scheidet.

Es geht uns hier gar nichts an“ – schreibt Engels –, „welche Begriffe sich im Kopf des Herrn Dühring verwandeln. Es handelt sich nicht um den Zeitbegriff, sondern um die wirkliche Zeit, die Herr Dühring so wohlfeilen Kaufes (d. h. durch Phrasen über die Verwandlung der Begriffe. L.) keineswegs los wird." („Anti-Dühring", 5. Aufl., S. 41.)

Dies, sollte man meinen, ist so klar, dass selbst ein Herr Juschkewitsch das Wesen der Frage hätte begreifen können. Engels hält Dühring entgegen die allgemein anerkannte und für jeden Materialisten selbstverständliche These von der Wirklichkeit, d. h. der objektiven Realität der Zeit, und sagt, dass man sich einer eindeutigen Bejahung oder Verneinung dieser These durch Betrachtungen über die Veränderung der Begriffe von Zeit und Raum nicht entziehen kann. Nicht darum handelt es sich, dass Engels etwa die Notwendigkeit und den wissenschaftlichen Wert der Untersuchungen über die Verwandlung und Entwicklung unserer Zeit- und Raumbegriffe geleugnet hätte, sondern darum, dass wir konsequent die erkenntnistheoretische Frage lösen, nämlich die Frage nach der Quelle und der Bedeutung alles menschlichen Wissens überhaupt. Jeder halbwegs vernünftige philosophische Idealist – und Engels hatte, wenn er von den Idealisten sprach, die genial-konsequenten Idealisten der klassischen Philosophie im Auge – wird ohne weiteres die Entwicklung unserer Zeit- und Raumbegriffe zugeben, ohne deshalb aufzuhören, Idealist zu sein. So könnte er z. B. annehmen, dass die sich entwickelnden Zeit- und Raumbegriffe sich ihrer absoluten Idee nähern usw.

Es ist unmöglich, einen philosophischen Standpunkt, der jeglichem Fideismus und Idealismus feindlich gegenübersteht, konsequent durchzuführen, wenn man nicht entschieden und eindeutig anerkennt, dass unsere sich entwickelnden Zeit- und Raumbegriffe die objektiv-reale Zeit und den objektiv-realen Raum abbilden, dass sie sich hier, wie überhaupt, der objektiven Wahrheit nähern.

Denn die Grundformen alles Seins“ – belehrt Engels Dühring – „sind Raum und Zeit, und ein Sein außer der Zeit ist ebenso großer Unsinn, wie ein Sein außerhalb des Raumes." (Ebenda.)

Wozu brauchte Engels in der ersten Hälfte dieses Satzes eine fast buchstäbliche Wiederholung Feuerbachs und in der zweiten Hälfte die Erinnerung an den von Feuerbach so erfolgreich geführten Kampf gegen den größten Unsinn des Theismus? Er brauchte das, weil Dühring, wie aus demselben Kapitel bei Engels ersichtlich, in seiner Philosophie nicht auskommen konnte, ohne sich einmal an die „Endursache", ein andermal an den „ersten Anstoß" der Welt (ein anderer Ausdruck für Gott, sagt Engels) anzulehnen. Dühring wollte wahrscheinlich nicht weniger aufrichtig als unsere Machisten, die Marxisten sein wollen, Materialist und Atheist sein, aber er verstand nicht, jenen philosophischen Standpunkt konsequent durchzuführen, der dem idealistischen und theistischen Unsinn wirklich jeden Boden unter den Füßen entzogen hätte. Da Dühring die objektive Realität von Zeit und Raum nicht anerkannte oder zumindest nicht klar und eindeutig anerkannte – denn er schwankte und verwickelte sich in dieser Frage –, ist es kein Zufall, sondern unvermeidlich, dass Dühring auf der schiefen Ebene bei der „Endursache" und dem „ersten Anstoß" anlangte, da er sich des objektiven Kriteriums, das ihn gehindert hätte, die Grenzen von Zeit und Raum zu überschreiten, beraubt hatte. Wenn Zeit und Raum nur Begriffe sind, so ist die Menschheit, die sie geschaffen hat, berechtigt, über ihre Grenzen hinauszugehen, und die bürgerlichen Professoren sind berechtigt, von den reaktionären Regierungen dafür Gehalt zu beziehen, dass sie die Berechtigung dieses Hinausgehens verteidigen, dafür, dass sie direkt oder indirekt den mittelalterlichen „Unsinn" rechtfertigen.

Engels wies Dühring nach, dass die Leugnung der objektiven Realität von Zeit und Raum theoretisch eine philosophische Konfusion, praktisch die Kapitulation oder Ohnmacht vor dem Fideismus ist.

Betrachten wir jetzt, was der „neueste Positivismus" über diesen Gegenstand „lehrt". Wir lesen bei Mach:

Raum und Zeit sind wohlgeordnete Systeme von Empfindungsreihen." (Mechanik, 3. Aufl., S. 498.)

Das ist offenkundiger idealistischer Unsinn, eine unvermeidliche Folge der Lehre, dass die Körper Empfindungskomplexe seien. Nicht der Mensch mit seinen Empfindungen existiert in Raum und Zeit, sondern Raum und Zeit existieren in dem Menschen, sind von ihm abhängig, von ihm erzeugt – so sieht die Sache bei Mach aus. Er spürt, dass er in den Idealismus hineingerät und leistet „Widerstand", indem er eine Menge Vorbehalte macht und, wie Dühring, in langatmigen Betrachtungen (siehe besonders „Erkenntnis und Irrtum") über die Veränderlichkeit unserer Zeit- und Raumbegriffe, ihre Relativität usw., die Frage ertränkt. Doch rettet ihn das nicht und kann ihn auch nicht retten, denn wirklich überwinden kann man die idealistische Position in dieser Frage einzig und allein durch die Anerkennung der objektiven Realität von Raum und Zeit. Das aber will Mach um keinen Preis. Er baut eine Erkenntnistheorie von Zeit und Raum auf dem Prinzip des Relativismus auf, – das ist alles. Zu etwas anderem als zum subjektiven Idealismus kann eine solche Konstruktion dem Wesen der Sache nach nicht führen, wie wir dies bereits bei der Behandlung der absoluten und relativen Wahrheit klargemacht haben.

Sich gegen die unvermeidlichen idealistischen Konsequenzen seiner eigenen Prämissen sträubend, wendet sich Mach gegen Kant und verteidigt den Ursprung des Raumbegriffes aus der Erfahrung („Erkenntnis und Irrtum", 2. Auflage, S. 350, 385). Wenn uns aber in der Erfahrung keine objektive Realität gegeben ist (wie Mach lehrt), dann wird durch einen derartigen Einwand gegen Kant die Position des Agnostizismus, die sowohl Kant wie Mach einnehmen, nicht im Geringsten aufgehoben. Nehmen wir den Raumbegriff aus der Erfahrung, ohne dass er ein Abbild der objektiven Realität außer uns ist, so bleibt Machs Theorie nicht weniger idealistisch. Die Existenz der Natur in der Zeit, die nach Millionen Jahren gemessen wird, vor dem Erscheinen des Menschen und der menschlichen Erfahrung, beweist die Absurdität dieser idealistischen Theorie.

In physiologischer Beziehung – schreibt Mach – sind Zeit und Raum Systeme von Orientierungsempfindungen, welche nebst den Sinnesempfindungen die Auslösung biologisch zweckmäßiger Anpassungsreaktionen bestimmen. In physikalischer Hinsicht sind Zeit und Raum besondere Abhängigkeiten der physikalischen Elemente voneinander." (Ebendort, S. 434.)

Der Relativist Mach beschränkt sich darauf, den Begriff der Zeit in verschiedenen Beziehungen zu betrachten. Und wie Dühring, kommt auch er nicht vom Fleck. Wenn die „Elemente" Empfindungen sind, so kann die Abhängigkeit der physikalischen Elemente voneinander nicht außerhalb des Menschen, vor dem Menschen und vor der organischen Materie existiert haben. Wenn die Zeit- und Raumempfindungen dem Menschen eine biologisch zweckmäßige Orientierung geben können, so ist dies ausschließlich unter der Bedingung möglich, dass diese Empfindungen die objektive Realität außerhalb des Menschen abbilden: der Mensch würde sich nicht biologisch einer Umgebung anpassen können, wenn seine Empfindungen ihm nicht eine objektiv richtige Vorstellung von dieser Umgebung gäben. Die Lehre von Raum und Zeit ist mit der Lösung der grundlegenden Frage der Erkenntnistheorie untrennbar verbunden: sind unsere Empfindungen Abbilder der Körper und Dinge, oder sind die Körper Komplexe unserer Empfindungen. Mach pendelt nur zwischen diesen beiden Lösungen hin und her.

In der modernen Physik, sagt Mach, gilt noch die Newtonsche Auffassung von absoluter Zeit und absolutem Raum, von Zeit und Raum als solchen. Diese Auffassung erscheint „uns" sinnlos, fährt Mach fort, augenscheinlich ganz ahnungslos, dass es so etwas wie Materialisten und eine materialistische Erkenntnistheorie auf der Welt gibt. In der Praxis sei allerdings diese Annahme unschädlich geblieben und entging deshalb lange einer ernsten Kritik. (S. 442.)

Diese naive Äußerung über die Unschädlichkeit der materialistischen Auffassung verrät den ganzen Mach. Erstens ist es unrichtig, dass die Idealisten diese Auffassung „lange" nicht kritisiert haben: Mach ignoriert einfach den Kampf der idealistischen und materialistischen Erkenntnistheorie in dieser Frage; er weicht der eindeutigen und klaren Darstellung beider Auffassungen aus. Zweitens, indem Mach die „Unschädlichkeit" der von ihm bestrittenen materialistischen Anschauungen zugibt, erkennt er damit im Grunde ihre Richtigkeit an. Denn wie könnte etwas Unrichtiges im Laufe von Jahrhunderten unschädlich bleiben? Wo ist denn das Kriterium der Praxis geblieben, mit dem Mach zu liebäugeln versucht hat? „Unschädlich" kann die materialistische Auffassung der objektiven Realität von Zeit und Raum nur deshalb sein, weil die Naturwissenschaft über die Grenzen von Zeit und Raum, über die Grenzen der materiellen Welt nicht hinausgeht, sondern diese Beschäftigung den Professoren der reaktionären Philosophie überlässt. Eine solche „Unschädlichkeit" ist gleichbedeutend mit Richtigkeit.

Schädlich" aber ist Machs idealistische Auffassung von Raum und Zeit; denn dadurch werden erstens dem Fideismus sperrangelweit die Türen geöffnet, zweitens wird Mach selbst zu reaktionären Folgerungen verführt. So schrieb Mach z. B. im Jahre 1872:

„… dass man sich die chemischen Elemente nicht in einem Raum von drei Dimensionen vorstellen müsse." („Erhaltung der Arbeit", S. 29, 55.)

Ein solches Verfahren könne uns

darüber belehren, welche unnötige Beschränkung wir uns hier auflegen. Es liegt keine Notwendigkeit vor, sich das bloß Gedachte räumlich, d. h. mit den Beziehungen des Sichtbaren und Tastbaren zu denken, ebenso wenig als es nötig ist, dasselbe in einer bestimmten Tonhöhe zu denken." (S. 27.) „Warum es bis jetzt nicht gelungen ist, eine befriedigende Theorie der Elektrizität herzustellen, das liegt vielleicht mit daran, dass man sich die elektrischen Erscheinungen durchaus durch Molekularvorgänge in einem Räume von drei Dimensionen erklären wollte." (S. 30.)

Eine vom Standpunkt jenes unumwundenen und nicht verworrenen Machismus, den Mach 1872 offen verteidigte, vollkommen unbestreitbare Überlegung: wenn man Moleküle, Atome, kurz die chemischen Elemente nicht empfinden kann, so sind sie eben „das bloß Gedachte". Ist es einmal so, und haben Raum und Zeit keine objektive reale Bedeutung, dann ist es klar, dass man durchaus nicht verpflichtet ist, sich die Atome räumlich vorzustellen! Mögen sich Physik und Chemie auf einen Raum von drei Dimensionen, in dem die Materie sich bewegt, „beschränken", – man kann dennoch, um die Elektrizität zu erklären, deren Elemente in einem nicht dreidimensionalen Raum suchen!

Dass unsere Machisten diesen Unsinn von Mach vorsichtig umgehen, obzwar er ihn 1906 wiederholt („Erkenntnis und Irrtum", 2. Aufl., S. 418), versteht sich von selbst, denn sie wären sonst gezwungen, ganz scharf die Frage nach der idealistischen oder materialistischen Auffassung des Raumes zu stellen, ohne Ausflüchte und ohne Versuche, die Gegensätze zu „versöhnen". Ebenso selbstverständlich ist, dass einer der Führer der Immanenzschule, Anton von Leclair, damals schon, in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, als Mach noch völlig unbekannt war und die „orthodoxen Physiker" sich sogar weigerten, seine Aufsätze zu drucken, gerade diese Betrachtung Machs mit voller Kraft aufgriff, als eine bemerkenswerte Ablehnung des Materialismus und Anerkennnung des Idealismus! Denn zu jener Zeit hatte sich Leclair den „neuen" Namen „Immanenzschule" noch nicht ausgedacht bzw. von Schuppe und Schubert-Soldern oder Rehmke noch nicht entlehnt, sondern bezeichnete sich ohne Umschweife als kritischen Idealisten.O

Dieser unzweideutige Verteidiger des Fideismus, den er in seinen philosophischen Werken direkt predigt, erklärte Mach wegen solcher Betrachtungen sogleich für einen großen Philosophen, für einen „Revolutionär im besten Sinne des Wortes" (S. 252), und da hatte er vollkommen recht. Machs Betrachtung bedeutet ein Überlaufen aus dem Lager der Naturwissenschaft in das Lager des Fideismus. Die Naturwissenschaft, im Jahre 1872 sowohl wie im Jahre 1906, suchte, sucht und findet – wenigstens ertastet – das Atom der Elektrizität, das Elektron, in einem Raum von drei Dimensionen. Für die Naturwissenschaft ist es keine Frage, dass der Stoff ihrer Forschung nirgendswo anders existiert als im dreidimensionalen Raum, und folglich existieren auch die Teilchen dieses Stoffes, und mögen sie auch so klein sein, dass wir sie nicht sehen können, „notwendig" in dem nämlichen dreidimensionalen Raum. Seit dem Jahre 1872 sind mehr als drei Jahrzehnte ungeheurer, schwindelerregender Fortschritte der Wissenschaft hinsichtlich der Struktur der Materie verflossen. Die materialistische Auffassung von Zeit und Raum blieb dennoch „unschädlich", d. h. wie bisher in Übereinstimmung mit der Naturwissenschaft, während die entgegengesetzte Auffassung von Mach u. Co. eine „schädliche" Preisgabe einer Position an den Fideismus war.

In seiner „Mechanik" verteidigt Mach jene Mathematiker, die die Frage des mit n Dimensionen denkbaren Raumes untersuchen, gegen den Vorwurf, dass ihre Untersuchungen zu Monstrositäten führen. Zweifellos eine ganz berechtigte Verteidigung! Betrachten wir aber, welche erkenntnistheoretische Stellung Mach in dieser Verteidigung einnimmt. Die neuere Mathematik, sagt Mach, stellte eine sehr wichtige und auch nützliche Frage über den Raum von n Dimensionen als denkbaren Raum, ein „wirklicher Fall" aber bleibt nur der dreidimensionale Raum. (3. Auflage, S. 483–485). Daher sei es ein vergebliches Bemühen, wenn „manche Theologen, welche in Verlegenheit waren, die Hölle unterzubringen, und die Spiritisten" aus der vierten Dimension Nutzen zu ziehen versuchten.

Sehr schön! Mach möchte sich der Gesellschaft der Theologen und Spiritisten nicht anschließen. Wodurch aber grenzt er sich in seiner Erkenntnistheorie von ihnen ab? Dadurch, dass nur der dreidimensionale Raum ein wirklicher Raum ist! Was soll das aber den Theologen gegenüber für eine Verteidigung sein, wenn man die objektive Realität von Raum und Zeit nicht anerkennt? Es erweist sich, dass man die Methode stillschweigender Entlehnungen beim Materialismus übt, wenn es sich darum handelt, von den Spiritisten abzurücken. Die Materialisten, die die wirkliche Welt, die von uns wahrgenommene Materie, als objektive Realität anerkennen, haben das Recht, daraus zu schließen, dass jede menschliche Konstruktion, die über die Grenzen von Raum und Zeit hinausgeht, zu welchem Zweck es auch immer sei, unwirklich ist. Ihr aber, meine Herren Machisten, versagt der „Wirklichkeit" die objektive Realität, indem ihr gegen den Materialismus kämpft, und schmuggelt sie heimlich wieder ein, wenn es gilt, gegen den folgerichtigen, vor keinen Konsequenzen zurückschreckenden und unverhüllten Idealismus zu kämpfen! Wenn der relative Zeit- und Raumbegriff nichts anderes enthält als Relativität, wenn es keine objektive (= von den Menschen und der Menschheit unabhängige) Realität gibt, die durch diese relativen Begriffe abgebildet wird, warum sollte dann die Menschheit, warum sollte die Mehrzahl der Menschen auf den Begriff von außerzeitlichen und außerräumlichen Wesen kein Recht haben? Wenn Mach berechtigt ist, die Atome der Elektrizität oder die Atome überhaupt außerhalb des dreidimensionalen Raumes zu suchen, warum sollte dann die Mehrheit der Menschheit nicht berechtigt sein, die Atome oder die Grundlagen der Moral außerhalb des dreidimensionalen Raumes zu suchen?

Ein Accoucheur – schreibt Mach an gleicher Stelle –, der eine Geburt durch die vierte Dimension bewerkstelligt hätte, ist noch nicht aufgetreten."

Ein ausgezeichnetes Argument – aber nur für diejenigen, die im Kriterium der Praxis eine Bestätigung der objektiven Wahrheit, der objektiven Realität unserer sinnlichen Welt sehen. Wenn unsere Empfindungen uns ein objektiv richtiges Bild der unabhängig von uns existierenden Außenwelt geben, dann ist das Argument mit dem Accoucheur, die Berufung auf die ganze menschliche Praxis brauchbar. Aber dann taugt der ganze Machismus als philosophische Richtung nichts.

Ich hoffe aber – fährt Mach unter Hinweis auf seine Arbeit aus dem Jahre 1872 fort –, dass mit dem, was ich darüber gedacht, gesagt und geschrieben habe, niemand die Kosten einer Spukgeschichte bestreiten wird."

Es ist unmöglich, zu hoffen, dass Napoleon nicht am 5. Mai 1821 gestorben ist. Ebenso unmöglich ist es, zu hoffen, dass niemand „die Kosten einer Spukgeschichte" mit Hilfe des Machismus bestreiten wird, denn schon haben es die Immanenzphilosophen getan und tun es auch weiter.

Und nicht die Immanenzphilosophen allein, wie wir später sehen werden. Der philosophische Idealismus ist ja nichts anderes als eine verhüllte und aufgeputzte Spukgeschichte. Man schaue sich nur die französischen und englischen Vertreter des Empiriokritizismus an, die weniger schwülstig sind als die deutschen Vertreter dieser philosophischen Strömung. Poincaré sagt, dass die Raum- und Zeitbegriffe relativ seien, und dass folglich (für den Nichtmaterialisten ist das in der Tat „folglich") „nicht die Natur sie uns aufzwingt (impose), sondern wir der Natur, weil wir sie bequem finden". (l. c, p. 6.)

Rechtfertigt das nicht die Begeisterung der deutschen Kantianer? Bestätigt das nicht die Erklärung von Engels, dass eine konsequente philosophische Lehre entweder die Natur oder das menschliche Denken als das Primäre annehmen muss?

Ganz eindeutig ist die Auffassung des englischen Machisten K. Pearson.

Wir können nicht behaupten“ – sagt er –, „dass Raum und Zeit eine reale Existenz haben. Sie befinden sich nicht in den Dingen, sondern in unserer Art (our mode), die Dinge wahrzunehmen." (l. c, Seite 184.)

Das ist offener und aufrichtiger Idealismus.

Wie der Raum, so ist auch die Zeit einer der Pläne (plans), nach welchen die große Sortiermaschine, das menschliche Erkenntnisvermögen, sein Material ordnet." (ib.)

Das Endresultat Pearsons, wie immer in klaren und exakten Thesen gefasst, lautet:

Raum und Zeit sind keine Realitäten der Welt der Erscheinungen (phenomenal world), sondern die Art und Weise (modes), in welcher wir die Dinge wahrnehmen. Sie sind weder unendlich noch unendlich teilbar, indem sie ihrem Wesen nach (essentially) durch den Inhalt unserer Wahrnehmungen begrenzt sind." (S. 191, Zusammenfassung des Kap. 5 von „Raum und Zeit".)

Der gewissenhafte und ehrliche Gegner des Materialismus, Pearson, mit dem Mach – wir wiederholen es – mehrmals seine völlige Übereinstimmung bekundet, und der selbst ausdrücklich von seiner Übereinstimmung mit Mach spricht, erfindet für seine Philosophie keine besonderen Aushängeschilder, sondern nennt ohne die geringsten Umschweife jene Klassiker, von denen er seine philosophische Richtung herleitet: Hume und Kant! (S. 192.)

Und wenn sich in Russland naive Leute gefunden haben, die glaubten, der Machismus habe eine „neue" Lösung des Raum- und Zeitproblems gegeben, so haben in der englischen Literatur die Naturforscher einerseits und die idealistischen Philosophen andererseits gegenüber dem Machisten Pearson sofort und durchaus eindeutig Stellung genommen. Hier z. B. die Äußerung des Biologen Lloyd Morgan:

Die Naturwissenschaft als solche nimmt die Welt der Erscheinungen als eine außerhalb des Verstandes des Beobachters liegende, von ihm unabhängige", während Professor Pearson „eine idealistische Stellung" einnimmt.P

Die Naturwissenschaft als Wissenschaft ist, meiner Ansicht nach, durchaus berechtigt, Raum und Zeit als rein objektive Kategorien zu behandeln. Mich dünkt, ein Biologe ist berechtigt, die Verteilung der Organismen im Raum, ein Geologe – ihre Verteilung in der Zeit zu betrachten, ohne bei einer Erklärung stehen bleiben zu müssen, dass nur von Sinneswahrnehmungen, von angehäuften Sinneswahrnehmungen, von bestimmten Formen der Wahrnehmung die Rede sei. Das alles mag vielleicht richtig sein, doch in der Physik und in der Biologie ist kein Platz dafür." (S. 304.)

Lloyd Morgan ist ein Vertreter jenes Agnostizismus, den Engels „verschämten Materialismus" genannt hat. Wie „versöhnend" die Tendenzen einer solchen Philosophie auch sein mögen, Pearsons Auffassung mit der Naturwissenschaft zu versöhnen, erwies sich denn doch als unmöglich. Nach Pearson sei „zuerst der Geist im Raum, dann aber der Raum im Geiste", sagt ein anderer Kritiker.Q

Darüber kann kein Zweifel sein – erwiderte Pearsons Verteidiger, R. J. Ryle –, dass die Lehre von Raum und Zeit, die mit Kants Namen verbunden ist, die wichtigste, positive Errungenschaft der idealistischen Erkenntnistheorie seit der Zeit Berkeleys ist. Und einer der bemerkenswertesten Züge der „Grammar of science" von Pearson besteht darin, dass wir hier, vielleicht zum ersten Mal in dem Werke eines englischen Gelehrten, eine vollständige Anerkennung der Grundwahrheit der Kantschen Lehre nebst einer kurzen und doch klaren Darstellung derselben finden."R

Was also England betrifft, so gibt es dort weder bei den Machisten selbst noch bei ihren Gegnern im Lager der Naturforscher noch bei ihren Anhängern im Lager der Fachphilosophen auch nur den Schatten eines Zweifels an dem idealistischen Charakter der machistischen Lehre von Raum und Zeit. Das haben nur einige russische Schriftsteller, die Marxisten sein wollen, „übersehen".

Viele Einzelansichten von Engels“ – schreibt z. B. Basarow in den „Beiträgen", S. 67 –, „wie zum Beispiel seine Vorstellungen von dem ,reinen' Raum und der ,reinen' Zeit, sind jetzt veraltet."

Und ob! Die Ansichten des Materialisten Engels sind veraltet, die Ansichten des Idealisten Pearson und des verworrenen Idealisten Mach aber sind die allerneuesten! Das kurioseste dabei ist, dass Basarow nicht einmal bezweifelt, dass die Auffassung von Raum und Zeit, nämlich die Anerkennung oder Leugnung der objektiven Realität derselben in die Reihe der „Einzelansichten" gehöre, im Gegensatz zum „Ausgangspunkt der Weltanschauung", von dem bei diesem Autor im nächsten Satz gesprochen wird. Hier haben wir ein anschauliches Musterstück jener „eklektischen Bettelsuppe", von der Engels sprach, wenn von der deutschen Philosophie der achtziger Jahre die Rede war. Denn den „Ausgangspunkt" der materialistischen Weltanschauung von Marx und Engels ihrer „Einzelansicht" über die objektive Realität von Zeit und Raum gegenüberzustellen, ist ein ebenso krasser Unsinn, wie wenn man den „Ausgangspunkt" der ökonomischen Theorie von Marx seiner „Einzelansicht" über den Mehrwert gegenüberstellen wollte. Engels' Lehre der objektiven Realität von Zeit und Raum trennen zu wollen von seiner Lehre der Verwandlung der „Dinge an sich" in „Dinge für uns", von seiner Anerkennung der objektiven und absoluten Wahrheit, nämlich der uns in der Empfindung gegebenen objektiven Realität, von seiner Anerkennung der objektiven Gesetzmäßigkeit, Kausalität, Naturnotwendigkeit, – heißt eine geschlossene Philosophie in ein Ragout verwandeln. Basarow ist, wie alle Machisten, dadurch konfus geworden, dass er die Veränderlichkeit der menschlichen Zeit- und Raumbegriffe, ihren ausschließlich relativen Charakter mit der Unveränderlichkeit jener Tatsache verwechselte, dass der Mensch und die Natur nur in Zeit und Raum existieren; die außerhalb von Zeit und Raum existierenden, vom Pfaffentum geschaffenen und von der Einbildung der unwissenden eingeschüchterten Massen der Menschheit genährten Wesen dagegen sind die Ausgeburt einer krankhaften Phantasie, Schrullen des philosophischen Idealismus, das untaugliche Produkt einer untauglichen Gesellschaftsordnung. Die Lehre der Wissenschaft von der Struktur der Materie, von der chemischen Beschaffenheit der Nahrung, vom Atom und Elektron kann überholt werden und wird auch mit jedem Tag überholt, aber die Wahrheit, dass der Mensch von Gedanken nicht satt wird und dass er mit platonischer Liebe allein keine Kinder zeugen kann, kann nicht veralten. Eine Philosophie aber, die die objektive Realität von Zeit und Raum leugnet, ist ebenso albern, innerlich faul und falsch, wie die Leugnung dieser letzten Wahrheiten. Die Kniffe der Idealisten und Agnostiker sind im großen ganzen ebenso heuchlerisch, wie eine Pharisäerpredigt über platonische Liebe.

Um diesen Unterschied zwischen der Relativität unserer Raum- und Zeitbegriffe und der absoluten Gegensätzlichkeit der idealistischen und materialistischen Richtungen in der gegebenen Frage auf dem Gebiete der Erkenntnistheorie zu illustrieren, will ich noch ein charakteristisches Zitat aus einem sehr alten und sehr echten „Empiriokritizisten", nämlich dem Hume-Anhänger Schulze-Änesidemus anführen, der im Jahre 1792 schrieb:

Wird von der Beschaffenheit der Vorstellungen und Gedanken in uns auf die Beschaffenheit der Sache außer uns … geschlossen", so sind „Raum und Zeit etwas außer uns Wirkliches und realiter Existierendes (denn das Dasein der Körper lässt sich nur in einem vorhandenen Räume und das Dasein der Veränderungen nur in einer vorhandenen Zeit denken)." (l. c, S. 99 u. 100.)

Sehr richtig! Im Jahre 1792 umreißt der Hume-Anhänger Schulze, der den Materialismus und auch das kleinste Zugeständnis an ihn entschieden zurückweist, das Verhältnis des Zeit- und Raumproblems zu dem Problem der objektiven Realität außer uns auf dieselbe Weise, wie es der Materialist Engels im Jahre 1894 getan hat. (Das letzte Vorwort von Engels zum „Anti-Dühring" ist datiert vom 23. Mai 1894.) Das bedeutet nicht, dass unsere Vorstellungen von Raum und Zeit sich während eines Jahrhunderts nicht geändert hätten, oder dass man nicht umfangreiches, neues Material über die Entwicklung dieser Vorstellungen gesammelt hätte (Material, auf das sowohl Woroschilow-Tschernow wie Woroschilow-Valentinow, vermutlich um Engels zu widerlegen, hinweisen); das bedeutet, dass sich das Verhältnis von Materialismus und Idealismus, als den grundlegenden philosophischen Richtungen, trotz aller „neuen" Namen, mit denen unsere Machisten paradieren, nicht ändern konnte.

Zu der alten Philosophie des Idealismus und Agnostizismus hat auch Bogdanow nichts als „neue" Namen hinzugefügt. Wenn er Herings und Machs Betrachtungen über den Unterschied des physiologischen und geometrischen Raumes oder des Raumes der sinnlichen Wahrnehmung und des abstrakten Raumes wiederholt („Empiriomonismus", I, S. 26), so wiederholt er gänzlich Dührings Irrtum. Die Frage, auf welche bestimmte Art und Weise der Raum von dem Menschen mit Hilfe verschiedener Sinnesorgane wahrgenommen wird und wie auf dem Wege einer langen geschichtlichen Entwicklung aus diesen Wahrnehmungen die abstrakten Raumbegriffe herausgearbeitet werden, ist etwas ganz anderes als die Frage, ob diesen Wahrnehmungen und Begriffen der Menschheit eine objektive, von ihr unabhängige Realität entspricht. Diese zweite Frage, die allein eine philosophische Frage ist, „übersah" Bogdanow in der Menge der Einzeluntersuchungen, die die erste Frage betreffen, und deshalb verstand er nicht, den Materialismus von Engels dem Durcheinander von Mach klar gegenüberzustellen.

Sowohl Zeit als Raum seien „eine Form der sozialen Übereinstimmung der Erfahrungen verschiedener Menschen" (ebendort, S. 34), ihre „Objektivität" sei die „allgemeine Geltung".

Das ist absolut falsch. Allgemeine Geltung hat auch die Religion, die ein Ausdruck der sozialen Übereinstimmung der Erfahrung des größeren Teils der Menschheit ist. Doch entspricht die Lehre der Religion z. B. über die Vergangenheit der Erde und über die Erschaffung der Welt keiner objektiven Realität. Der Lehre der Wissenschaft aber, dass die Erde schon existierte vor jeder Sozialität, vor der Menschheit, vor der organischen Materie, existierte im Laufe einer bestimmten Zeit, in einem in Bezug auf andere Planeten bestimmten Räume, – dieser Lehre (obwohl sie auf jeder Stufe der wissenschaftlichen Entwicklung ebenso relativ ist wie jede Stufe der Religionsentwicklung auch) entspricht eine objektive Realität. Nach Bogdanow passen sich die verschiedenen Raum- und Zeitformen der menschlichen Erfahrung und der menschlichen Erkenntnisfähigkeit an. In Wirklichkeit verhält es sich gerade umgekehrt: unsere „Erfahrung" und unsere Erkenntnis passen sich immer mehr dem objektiven Raum Und der objektiven Zeit an, indem sie diese immer richtiger und gründlicher abspiegeln.

6. Freiheit und Notwendigkeit

Auf Seite 140 u. 141 der „Beiträge" zitiert A. Lunatscharski Engels' Betrachtung im „Anti-Dühring" über diese Frage und schließt sich vollständig der „erstaunlich prägnanten und treffenden" Charakteristik der Sache an, wie sie Engels auf der entsprechenden „wunderbaren Seite"S dieses Werkes gegeben hat.

Wunderbar ist hier allerdings gar manches. Und am „wunderbarsten" ist, dass sowohl A. Lunatscharski als auch eine Menge anderer Machisten, die Marxisten sein wollen, die erkenntnistheoretische Bedeutung der Engelsschen Betrachtungen über Freiheit und Notwendigkeit „übersehen" haben. Sie haben es gelesen, abgeschrieben, aber den Zusammenhang haben sie nicht verstanden. Engels schreibt:

Hegel war der erste, der das Verhältnis von Freiheit und Notwendigkeit richtig darstellte. Für ihn ist die Freiheit die Einsicht in die Notwendigkeit. ,Blind ist die Notwendigkeit nur, insofern dieselbe nicht begriffen wird.' Nicht in der geträumten Unabhängigkeit von den Naturgesetzen liegt die Freiheit, sondern in der Erkenntnis dieser Gesetze, und in der damit gegebenen Möglichkeit, sie planmäßig zu bestimmten Zwecken wirken zu lassen. Es gilt dies mit Beziehung sowohl auf die Gesetze der äußeren Natur wie auf diejenigen, welche das körperliche und geistige Dasein des Menschen selbst regeln – zwei Klassen von Gesetzen, die wir höchstens in der Vorstellung, nicht aber in der Wirklichkeit voneinander trennen können. Freiheit des Willens heißt daher nichts anderes als die Fähigkeit, mit Sachkenntnis entscheiden zu können. Je freier also das Urteil eines Menschen in Beziehung auf einen bestimmten Fragepunkt ist, mit desto größerer Notwendigkeit wird der Inhalt dieses Urteils bestimmt sein… Freiheit besteht also in der auf Erkenntnis der Naturnotwendigkeiten gegründeten Herrschaft über uns selbst und über die äußere Natur." (S. 112 u. 113.)

Analysieren wir, auf welchen erkenntnistheoretischen Voraussetzungen sich diese ganze Betrachtung gründet.

Erstens erkennt Engels von allem Anfang seiner Betrachtungen die Naturgesetze, die Gesetze der äußeren Natur, die Naturnotwendigkeit, also alles das an, was Mach, Avenarius, Petzoldt u. Co. für „Metaphysik" erklären. Hätte Lunatscharski über Engels' „wunderbare" Betrachtung richtig nachgedacht, so müsste er den grundlegenden Unterschied zwischen der materialistischen Erkenntnistheorie und dem Agnostizismus und Idealismus sehen, die die Gesetzmäßigkeit der Natur leugnen, oder sie als bloß „logische" usw. usf. bezeichnen.

Zweitens gibt sich Engels nicht damit ab, „Definitionen" der Freiheit und Notwendigkeit auszuklügeln, jene scholastischen Definitionen, für die sich reaktionäre Professoren (wie Avenarius) und ihre Schüler (wie Bogdanow) am meisten interessieren. Engels nimmt die Einsicht und den Willen des Menschen einerseits und die Naturnotwendigkeit andererseits und sagt einfach statt jeder Bestimmung, statt jeder Definition, dass die Naturnotwendigkeit das Primäre, Wille und Bewusstsein des Menschen das Sekundäre sind. Letztere müssen sich der ersteren unvermeidlich und notwendig anpassen. Für Engels ist das in einem solchen Grad selbstverständlich, dass er über diese Auffassung keine weiteren Worte verschwendet. Nur die russischen Machisten bringen es fertig, sich über die allgemeine Definition des Materialismus durch Engels zu beschweren (die Natur ist das Primäre, das Bewusstsein – das Sekundäre; man erinnere sich an Bogdanows „Bedenken" aus diesem Anlass!) und gleichzeitig eine Einzelanwendung dieser allgemeinen und grundlegenden Definition durch Engels „wunderbar" und „erstaunlich treffend" zu finden!

Drittens gibt es für Engels keinen Zweifel an der Existenz der „blinden Notwendigkeit". Er erkennt die Existenz einer von dem Menschen nicht erkannten Notwendigkeit an. Das geht nur zu klar aus der oben zitierten Stelle hervor. Doch wie kann der Mensch vom Standpunkt der Machisten Kenntnis haben von der Existenz dessen, was er nicht kennt? Ist das nicht „Mystik", „Metaphysik", ein Anerkennen von „Fetischen" und „Idolen", ist das nicht das „Kantische unerkennbare Ding an sich"? Hätten sich die Machisten besser hineingedacht, dann könnte ihnen die vollständige Übereinstimmung nicht entgehen, die zwischen den Engelsschen Betrachtungen über die Erkennbarkeit der objektiven Natur der Dinge und die Verwandlung des „Dinges an sich" in ein „Ding für uns" einerseits und seinen Betrachtungen über die blinde, nicht erkannte Notwendigkeit andererseits besteht. Die Entwicklung des Bewusstseins bei jedem einzelnen menschlichen Individuum und die Entwicklung der kollektiven Kenntnisse der gesamten Menschheit zeigen uns auf Schritt und Tritt die Verwandlung des nicht erkannten „Dinges an sich" in ein erkanntes „Ding für uns", die Verwandlung der blinden, nicht erkannten Notwendigkeit, der „Notwendigkeit an sich", in eine erkannte „Notwendigkeit für uns". Erkenntnistheoretisch besteht zwischen der einen und der anderen Verwandlung absolut kein Unterschied, denn der grundlegende Standpunkt ist hier wie dort derselbe, nämlich der materialistische: das Anerkennen der objektiven Realität der Außenwelt und der Gesetze der äußeren Natur, wobei sowohl diese Welt als auch diese Gesetze für den Menschen durchaus erkennbar sind, aber nie von ihm restlos erkannt werden können. Wir kennen die Notwendigkeit in den Witterungserscheinungen nicht und insofern sind wir unvermeidlich – Sklaven des Wetters. Aber wenn wir diese Notwendigkeit auch nicht kennen, so wissen wir doch, dass eine solche Notwendigkeit existiert. Woher wissen wir das? Aus derselben Quelle, aus der wir wissen, dass die Dinge außerhalb unseres Bewusstseins und unabhängig von diesem existieren, nämlich aus der Entwicklung unserer Kenntnisse, die jedem Menschen millionenfach zeigt, dass sich Nichtwissen in Wissen verwandelt, sobald der Gegenstand auf unsere Sinnesorgane wirkt, und dass umgekehrt Wissen sich in Nichtwissen verwandelt, wenn die Möglichkeit solcher Wirkung aufgehoben wird.

Viertens wendet Engels in der zitierten Betrachtung eine ausgesprochen „saltovitale" Methode in der Philosophie an, d. h. er macht einen Sprung von der Theorie zur Praxis. Keiner jener gelehrten (und albernen) Professoren der Philosophie, denen unsere Machisten folgen, wird sich je erlauben, derartige für einen Vertreter der „reinen Wissenschaft" schmachvolle Sprünge zu machen. Für sie gehört Erkenntnistheorie dahin, wo man mit Worten möglichst verzwickte „Definitionen" austüfteln muss, die Praxis aber gehört ganz woanders hin. Bei Engels dringt die ganze lebendige, menschliche Praxis in die Erkenntnistheorie selbst ein, indem sie das objektive Kriterium der Wahrheit gibt: solange wir das Naturgesetz nicht kennen, das ohne und außerhalb unseres Bewusstseins existiert und wirkt, macht es uns zu Sklaven der „blinden Notwendigkeit". Sobald wir aber dieses Gesetz, das (wie Marx es tausendmal wiederholte) unabhängig von unserem Bewusstsein und unserem Willen wirkt, erkannt haben, sind wir die Herren der Natur. Die Herrschaft über die Natur, die sich in der Praxis der Menschheit äußert, ist das Resultat der objektiv richtigen Widerspiegelung der Erscheinungen und Vorgänge der Natur im Kopf des Menschen, ist der Beweis dafür, dass diese Widerspiegelung (in den Grenzen dessen, was uns die Praxis zeigt) objektive, absolute, ewige Wahrheit ist.

Zu welchem Ergebnis sind wir nun gekommen? Jeder Schritt in Engels' Betrachtung, ja fast buchstäblich jede Phrase, jeder Satz ist gänzlich und ausschließlich auf der Erkenntnistheorie des dialektischen Materialismus aufgebaut, auf Voraussetzungen, die dem ganzen machistischen Unsinn von Körpern als Empfindungskomplexen, von „Elementen", vom „Zusammenfallen der sinnlichen Vorstellung mit der außer uns existierenden Wirklichkeit" usw. usf. ins Gesicht schlagen. Ohne im Geringsten deswegen in Verlegenheit zu geraten, verlassen die Machisten den Materialismus, wiederholen (à la Berman) die abgegriffenen Trivialitäten über die Dialektik, und gleichzeitig akzeptieren sie mit Freuden eine der Anwendungen des dialektischen Materialismus! Sie schöpften ihre Philosophie aus der eklektischen Bettelsuppe und tischen ebensolches Zeug dem Leser auf. Sie nehmen ein Stückchen Agnostizismus und etwas Idealismus von Mach, vermengen das mit einem Stückchen dialektischen Materialismus von Marx und stammeln, dieses Ragout sei die Entwicklung des Marxismus. Sie glauben, es sei reiner Zufall, dass Mach, Avenarius, Petzoldt und alle ihre anderen Autoritäten nicht die geringste Ahnung von der Hegelschen und Marxschen Lösung der Frage (von Freiheit und Notwendigkeit) haben: nun, sie mögen irgendeine Seite in irgendeinem Buch nicht gelesen haben, doch könne gar keine Rede davon sein, dass diese „Autoritäten" über den wirklichen Fortschritt der Philosophie des XIX. Jahrhunderts gar nicht unterrichtet sind, dass sie philosophische Obskuranten waren und bleiben.

Hier die Betrachtung eines solchen Obskuranten, des ordentlichen Professors der Philosophie an der Wiener Universität, Ernst Mach:

Die Richtigkeit der Position des ,Determinismus' oder Indeterminismus' lässt sich nicht beweisen. Nur eine vollendete oder nachweisbar unmögliche Wissenschaft könnte hier entscheiden. Es handelt sich hier eben um Voraussetzungen, die man an die Betrachtung der Dinge heranbringt, je nachdem man den bisherigen Erfolgen oder Misserfolgen der Forschung ein größeres subjektives Gewicht beimisst. Während der Forschung aber ist jeder Denker notwendig theoretisch Determinist." („Erkenntnis und Irrtum", 2. Aufl., S. 282 u. 283.)

Ist das nicht Obskurantismus, wenn die reine Theorie sorgfältig von der Praxis getrennt wird? Wenn der Determinismus auf das Gebiet der „Forschung" beschränkt wird, während auf dem Gebiete der Moral, der sozialen Tätigkeit, auf allen übrigen Gebieten, außer dem der „Forschung", die Frage der „subjektiven" Wertung überlassen wird? In meinem Arbeitszimmer, sagt der gelehrte Pedant, bin ich ein Determinist; dass aber ein Philosoph sich um eine einheitliche, Theorie und Praxis umfassende, auf dem Determinismus aufgebaute Weltanschauung zu kümmern hat, davon ist keine Rede. Diese Trivialitäten sagt Mach deshalb, weil ihm die Frage nach dem Verhältnis von Freiheit und Notwendigkeit theoretisch unklar ist.

„… Jede neue Entdeckung deckt Mängel unserer Einsicht auf, enthüllt einen bisher unbeachteten Rest von Abhängigkeiten." (S. 283.)

Ausgezeichnet! Ist etwa dieser „Rest" eben das „Ding an sich", das unsere Erkenntnis immer gründlicher widerspiegelt? Nichts dergleichen:

„… So muss also auch derjenige, welcher in der Theorie einen extremen Determinismus vertritt, praktisch doch Indeterminist bleiben…" (S. 283.)

Ein gütlicher Ausgleich alsoT: die Theorie – den Professoren, die Praxis – den Theologen. Oder: in der Theorie – Objektivismus (d. h. „verschämter" Materialismus), in der Praxis – „die subjektive Methode in der Soziologie". Dass die russischen Ideologen des Kleinbürgertums, die Narodniki, von Lessewitsch bis Tschernow, für eine so fade Philosophie Sympathie haben, ist nicht verwunderlich. Dass sich aber Leute, die Marxisten sein wollen, durch solchen Unsinn verführen lassen und die gar zu absurden Folgerungen Machs schamhaft zu verdecken suchen, das ist allerdings traurig.

Was indes die Frage des Willens betrifft, so begnügt sich Mach

nicht mit der Konfusion und dem halben Agnostizismus, sondern er geht noch viel weiter:

„… unser Hunger ist nicht so wesentlich verschieden von dem Streben der Schwefelsäure nach Zink, und unser Wille nicht so sehr verschieden von dem Druck des Steines auf die Unterlage … Wir werden uns dann (d. h. bei einer solchen Auffassung. L.) der Natur wieder näher fühlen, ohne dass wir nötig haben, uns selbst in eine uns nicht mehr verständliche Staubwolke von Molekülen, oder die Natur in ein System von Spukgestalten aufzulösen." („Mechanik", 3. Aufl., S. 456.)

Also, nieder mit dem Materialismus (den „nebelhaften Atomen" oder Elektronen), d. h. nieder mit der objektiven Realität der materiellen Welt; fort mit einem Idealismus, der die Welt für ein „Anderssein" des Geistes hält, möglich aber ist ein Idealismus, der die Welt als Wille anerkennt! Man ist nicht nur über den Materialismus, sondern auch über den Idealismus „irgendeines" Hegel erhaben, man hat aber nichts dagegen, mit einem Idealismus im Geiste Schopenhauers zu liebäugeln! Unsere Machisten, die die Miene der beleidigten Unschuld aufsetzen, sobald die Verwandtschaft Machs mit dem philosophischen Idealismus nur erwähnt wird, zogen es auch hier vor, diesen heiklen Punkt einfach zu verschweigen. Indessen dürfte in der philosophischen Literatur schwerlich eine Darstellung der Anschauungen Machs anzutreffen sein, in der nicht seine Neigung zur Willensmetaphysik, d. h. zum voluntaristischen Idealismus hervorgehoben würde. Darauf weist J. BaumannU hin. Und der Machist H. Kleinpeter, der ihm erwiderte, hat diesen Punkt nicht bestritten und erklärte, dass allerdings „Kant und Berkeley ihm (Mach) näherstehen als der in der Naturwissenschaft herrschende metaphysische Empirismus" (d. h. der instinktive Materialismus; ebendort, Bd. VI, S. 87). Auf dasselbe verweist auch Erich Becher, der erklärt, wenn Mach an einigen Stellen die Willensmetaphysik anerkennt und sie an anderen Stellen wieder leugnet, so beweise dies nur die Willkür seiner Terminologie. In Wirklichkeit sei es außer Zweifel, dass Mach der Willensmetaphysik nahestehe.V Dass diese Willensmetaphysik (d. h. der Idealismus) der „Phänomenologie" (d. h. dem Agnostizismus) beigemischt ist, bestätigt auch E. LuckaW, ebenso W. WundtX.

Dass Mach ein Phänomenalist ist, der einer Willensmetaphysik nicht abgeneigt ist, wird auch im Handbuch der Geschichte der neueren Philosophie von Überweg-Heinze konstatiert.Y

Mit einem Wort, Machs Eklektizismus und seine Neigung zum Idealismus ist aller Welt klar, ausgenommen höchstens die russischen Machisten.

A Karl Pearson: „The Grammar of Science", 1900, 2-nd ed. p. 249.

B „Einführung in die Philosophie der reinen Erfahrung", II. Bd., S. 329.

C „Systematische Philosophie" in „Die Kultur der Gegenwart", Berlin-Leipzig 1907, S. 102.

D W. Jerusalem: „Der kritische Idealismus und die reine Logik", Wien 1905, S. 222.

E In England übt sich darin schon seit langem auf dieselbe Weise Genosse Belfort Bax, dem der französische Rezensent seines Buches „The roots of reality" ziemlich bissig gesagt hat: „Erfahrung ist nur ein anderes Wort für Bewusstsein. Erklären Sie sich doch offen als Idealist." („Revue de Philosophie", 1907, Nr. 10, S. 399.)

F „Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Philosophie", Jahrgang 22, 1898, S. 45.

G Vielleicht schien es Plechanow, dass Carstanjen gesagt habe: „von der Erkenntnis unabhängiges Objekt der Erkenntnis", nicht aber „Gegenstand der Untersuchung"? Dann wäre es wirklich Materialismus. Doch hat weder Carstanjen noch überhaupt sonst jemand, der mit dem Empiriokritizismus vertraut ist, so etwas gesagt, und auch nicht sagen können.

H J. Petzoldt: „Einführung in die Philosophie der reinen Erfahrung", I. Bd., S. 31

I J. Petzoldt: „Das Weltproblem von positivistischem Standpunkte aus", Leipzig 1906, S. 130: „Somit kann es auch auf empirischem Standpunkt ein logisches a priori geben: die Kausalität ist das gleiche a priori für die erfahrungsmäßige Beständigkeit unserer Umgebung."

J R. Willy: „Gegen die Schulweisheit", München 1905, S. 91; vgl. 173, 175.

K Henri Poincaré: „La valeur de la science", Paris 1905, S. 7 u. 9.

LAnnalen der Naturphilosophie", Bd. VI, Jahrgang 1907, S. 443 u. 447.

M E. Lucka: „Das Erkenntnisproblem und Machs Analyse der Empfindungen. Eine kritische Studie." „Kantstudien", Bd. VIII, S. 409.

N Dr. Richard Hönigswald: „Zur Kritik der Machschen Philosophie", Berlin 1903, S. 27.

1 Es handelt sich um den Aufsatz Wundts „Metaphysik" in der Sammelschrift „Systematische Philosophie" (Die Kultur der Gegenwart). Die Red.

O Anton von Leclair: „Der Realismus der modernen Naturwissenschaft im Lichte der von Berkeley und Kant angebahnten Erkenntniskritik", Prag 1879.

PNatural Science", vol. I, 1892, p. 300.

Q J. M. Bentley über Pearson in „The Philosophical Review", Bd. VI, 5, 1897, September, S. 523.

R R. J. Ryle über Pearson in „Natural Science", August 1892, S. 454.

S Lunatscharski schreibt: „… die wunderbare Seite der religiösen Ökonomik. Ich sage das, auch auf die Gefahr hin, beim nicht religiösen Leser ein Lächeln hervorzurufen." So gut Ihre Absichten auch sein mögen, Genosse Lunatscharski, Ihr Liebäugeln mit der Religion ruft nicht ein Lächeln, sondern Widerwillen hervor.

T Mach in der „Mechanik": „Die religiösen Ansichten bleiben jedes Menschen eigenste Privatsache, solange er mit denselben nicht aufdringlich wird und sie nicht auf Dinge überträgt, die vor ein anderes Forum gehören." (S. 456.)

UArchiv für systematische Philosophie", Bd. V, S. 63, Aufsatz über Ernst Machs philosophische Ansichten.

V Erich Becher: „The Philosophical Views of Ernst Mach" in „The Philosophical Review", vol. XIV, 5, 1905, S. 536, 546, 547, 548.

W E. Lucka: „Das Erkenntnisproblem und Machs Analyse der Empfindungen" in „Kantstudien", Bd. VIII, 1903, S. 400.

X „Systematische Philosophie" in „Kultur der Gegenwart", Leipzig 1907, S. 131.

Y „Grundriss der Geschichte der Philosophie", 9. Aufl., Berlin 1903, Bd. 4, S. 250.

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