Kapitel VI. Empiriokritizismus und historischer Materialismus

Kapitel VI. Empiriokritizismus und historischer Materialismus

1. Der Streifzug der deutschen Empiriokritizisten in das Gebiet der Sozialwissenschaften.

2. Wie Bogdanow Marx verbessert und „weiterentwickelt".

3. Von den Suworowschen „Grundlagen der sozialen Philosophie".

4. Parteien in der Philosophie und philosophische Akephalen.

5. Ernst Haeckel und Ernst Mach.

Die russischen Machisten teilen sich, wie wir bereits gesehen haben, in zwei Lager: – Herr V. Tschernow und die Mitarbeiter des „Russkoje Bogatstwo" sind ganze und konsequente Gegner des dialektischen Materialismus in der Philosophie sowohl als auch in der Geschichte. Die andere, uns hier am meisten interessierende Machistengesellschaft will marxistisch sein und befleißigt sich auf jede Art und Weise, den Lesern zu versichern, dass der Machismus mit dem historischen Materialismus von Marx und Engels wohl vereinbar sei. Diese schönen Versicherungen bleiben allerdings größtenteils Versicherungen: kein einziger von den Machisten, die Marxisten sein wollen, hat auch nur den geringsten Versuch gemacht, halbwegs systematisch die wirklichen Tendenzen der Begründer des Empiriokritizismus auf dem Gebiete der Gesellschaftswissenschaften darzustellen. Wir wollen kurz bei dieser Frage verweilen und wenden uns zunächst den Erklärungen der deutschen Empiriokritizisten, soweit sie in der Literatur vorzufinden sind, und dann denen ihrer russischen Schüler zu.

1. Der Streifzug der deutschen Empiriokritizisten in das Gebiet der Sozialwissenschaften

Im Jahre 1895, noch zu Lebzeiten von R. Avenarius, erschien in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift ein Aufsatz seines Schülers Franz Blei: „Die Metaphysik in der Nationalökonomie"1. Alle Lehrmeister des Empiriokritizismus führen Krieg gegen die „Metaphysik" nicht nur des offenen, bewussten, philosophischen Materialismus, sondern auch der Naturwissenschaft, die instinktiv auf dem Standpunkt der materialistischen Erkenntnistheorie steht. Der Schüler nun unternimmt einen Krieg gegen die Metaphysik in der Nationalökonomie. Dieser Krieg ist gegen die verschiedensten Schulen der Nationalökonomie gerichtet, uns interessiert jedoch ausschließlich der Charakter der empiriokritizistischen Argumentation gegen die Schule von Marx und Engels.

Der Zweck der folgenden Untersuchung“ – schreibt Franz Blei – „ist, zu zeigen, dass alle bisherige Nationalökonomie in ihren Versuchen, die Erscheinungen des wirtschaftlichen Lebens zu erklären, mit metaphysischen Voraussetzungen operiert; dass sie… die ,Gesetze' der Wirtschaft aus der ,Natur' derselben ,ableitet', zu welchen ,Gesetzen' der Mensch nur als ein Zufälliges tritt… Mit allen ihren bisherigen Theorien steht die Nationalökonomie auf metaphysischem Boden, all ihre Theorien sind unbiologisch und deshalb unwissenschaftlich und wertlos für die Erkenntnis… Die Theoretiker wissen nicht, worauf sie ihre Theorien bauen, sie wissen nicht, wes Bodens Frucht diese sind. Sie dünken sich die voraussetzungslosesten Realisten, da sie sich ja mit den so ,nüchternen', ,praktischen' und ,sinnfälligen' wirtschaftlichen Erscheinungen befassen… Und sie haben auch alle mit manchen Richtungen in der Physiologie die verwandtschaftliche Ähnlichkeit, die nur immer ein gleiches Elternpaar – hier die Metaphysik und die Spekulation – ihren Kindern, den Physiologen und Ökonomen, geben kann. Die einen von den letzteren analysieren die ,Erscheinungen' der ,Wirtschaft' (Avenarius und seine Schule setzen gewöhnliche Worte in Anführungszeichen und wollen damit zeigen, dass sie, die wahrhaften Philosophen, die ganze ,Metaphysik' eines derartig vulgären, durch die ,erkenntnistheoretische Analyse' nicht geläuterten Wortgebrauchs eben durchschauen. L.), ohne das auf diesem Wege Gefundene zu dem Verhalten der Individuen in Beziehung zu setzen: die Physiologen schließen das Verhalten des Individuums als ,Wirkungen der Seele' von ihren Untersuchungen aus, – die Ökonomen dieser Richtung erklären das Verhalten der Individuen als eine Negligible in Hinsicht auf die ,immanenten Gesetze der Wirtschaft'." (S. 378 u. 379.)

Die Theorie hat bei Marx an konstruierten Vorgängen wirtschaftliche ,Gesetze' konstatiert, wobei die ,Gesetze' im Initialabschnitt der abhängigen Vitalreihe standen, die wirtschaftlichen Vorgänge im Finalabschnitt." „… Die ,Wirtschaft' wurde den Ökonomen zu einer transzendentalen Kategorie, in welcher sie die ,Gesetze' fanden, welche sie finden wollten: die ,Gesetze' des ,Kapitals' und der ,Arbeit', der ,Rente', des ,Lohnes', des ,Profits'. Der Mensch wurde bei den Ökonomen zu einem platonischen Begriff des ,Kapitalisten', zu einem solchen des ,Arbeiters' usw. Der Sozialismus gab dem ,Kapitalisten' noch den Charakter ,profitwütig', der Liberalismus dem Arbeiter den Charakter ,begehrlich' – und beide Charaktere wurden ferner noch aus dem ,gesetzmäßigen Wirken des Kapitals' erklärt." (S. 381 u. 382.)

Marx ging bereits mit einer sozialistischen Weltanschauung an dieses Studium (des französischen Sozialismus und der politischen Ökonomie) heran, und sein Erkenntnisziel war, dieser seiner Weltanschauung die ,theoretische Begründung' zu geben zur ,Sicherung' seines Anfangswertes. Er fand bei Ricardo dieses Wertgesetz… Diese Konsequenzen der französischen Sozialisten aus Ricardo konnten Marx zur ,Sicherung' seines in eine Vitaldifferenz gebrachten E-Wertes ,Weltanschauung' nicht genügen, denn sie bildeten bereits als ,Entrüstung über den Diebstahl an den Arbeitern' und ähnlichen einen Bestandteil in dem Inhalt seines Anfangswertes. Die Konsequenzen wurden als ,ökonomisch formell falsch' verworfen, denn sie sind ,einfach eine Anwendung der Moral auf die Ökonomie'."

,Was aber ökonomisch falsch, kann darum doch weltgeschichtlich richtig sein. Erklärt das sittliche Bewusstsein der Masse eine ökonomische Tatsache für unrecht, so ist das ein Beweis, dass die Tatsache selbst sich schon überlebt hat, dass andere ökonomische Tatsachen eingetreten sind, kraft deren jene unerträglich und unhaltbar geworden sind. Hinter der formellen ökonomischen Unrichtigkeit kann also ein sehr wahrer ökonomischer Inhalt verborgen sein.'" (Engels im Vorwort zu „Das Elend der Philosophie" von Karl Marx.)

In dem oben Zitierten“ – fährt F. Blei, nachdem er das Zitat aus Engels anführt, fort – „ist der Medialabschnitt der Abhängigen abgehoben („abgehoben" ist ein Fachausdruck bei Avenarius und hat die Bedeutung: kam ins Bewusstsein, trat hervor. L.), der uns hier beschäftigt. Nach der ,Erkenntnis', dass hinter dem ,sittlichen Bewusstsein des Unrechten' eine ,ökonomische Tatsache' verborgen sein müsse, setzt der Finalabschnitt … (die marxistische Theorie ist eine Aussage, d. h. E-Wert, d. h. Vitaldifferenz, die drei Stadien, drei Abschnitte durchläuft: den Initialabschnitt, Medialabschnitt, Finalabschnitt. L.) ein, die ,ökonomische Tatsache' zu erkennen. Oder anders, es gilt nun, den Anfangswert ,Weltanschauung' in den ,ökonomischen Tatsachen' ,wiederzufinden' zur ,Sicherung' des Anfangswertes. – Diese bestimmte Variation der Abhängigen enthält schon die Marxsche Metaphysik, gleichgültig, wie das ,Erkannte' im Finalabschnitt auftritt. Die ,sozialistische Weltanschauung' als der independente E-Wert, ,absolute Wahrheit', ,begründet' sich ,nachher' durch eine ,spezielle' Erkenntnistheorie, nämlich das ökonomische System Marx' und die materialistische Geschichtstheorie Mit Hilfe des Mehrwertbegriffes findet nun das ,subjektiv' ,Wahre' der Marxschen Weltanschauung seine ,objektive Wahrheit' in der Erkenntnistheorie der ,ökonomischen Kategorien' – die Sicherung des Anfangswertes ist vollzogen, die Metaphysik hat ihre nachträgliche Erkenntniskritik erhalten." (S. 383–386.)

Der Leser ist wahrscheinlich sehr ungehalten, weil wir so ausführlich diesen unglaublich abgeschmackten Galimathias, diese quasi-gelehrte Hanswurstiade im Gewande Avenariusscher Terminologie zitieren. Doch – wer den Feind will verstehen, muss in Feindes Lande gehen.2 Und die philosophische Zeitschrift von R. Avenarius ist wahrhaftig Feindesland für die Marxisten. Wir bitten daher den Leser, für einen Augenblick den berechtigten Widerwillen gegen die Hanswürste der bürgerlichen Wissenschaft zu unterdrücken und die Argumentation des Schülers und Mitarbeiters von Avenarius zu analysieren.

Das erste Argument: Marx sei ein „Metaphysiker", der die erkenntnistheoretische „Kritik der Begriffe" nicht erfasst, die allgemeine Erkenntnistheorie nicht durchgearbeitet und den Materialismus ohne weiteres in seine „spezielle Erkenntnistheorie" eingeschoben habe.

Dieses Argument enthält nichts, was Blei als sein ausschließliches persönliches Eigentum beanspruchen könnte. Wir haben bereits dutzende und hunderte Male gesehen, wie sämtliche Begründer des Empiriokritizismus und sämtliche russischen Machisten den Materialismus der „Metaphysik" bezichtigen, d. h. genauer ausgedrückt, sie wiederholen die abgegriffenen Argumente der Kantianer, Humeisten, Idealisten gegen die materialistische „Metaphysik".

Das zweite Argument: der Marxismus sei ebenso metaphysisch wie die Naturwissenschaft (Physiologie). – Auch an diesem Argument ist nicht Blei, sondern sind Mach und Avenarius „schuld", denn sie waren es, die gegen die „naturwissenschaftliche Metaphysik" den Krieg proklamierten, wobei sie mit diesem Namen jene instinktiv-materialistische Erkenntnistheorie bezeichnen, an die sich (nach ihrem eigenen Eingeständnis und nach dem Urteil aller, die sich in der Frage einigermaßen auskennen) die überwiegende Mehrzahl der Naturforscher hält.

Das dritte Argument: der Marxismus erkläre das „Individuum" für eine Größe, die ohne Bedeutung ist, für eine quantité negligeable, erkläre den Menschen für ein „Zufälliges", unterwerfe ihn irgendwelchen „immanenten Gesetzen der Wirtschaft", analysiere nicht das Gefundene usw. Dieses Argument wiederholt gänzlich den Ideenkreis der empiriokritizistischen „Prinzipialkoordination", das heißt die idealistische Schrulle der Theorie von Avenarius. Darin hat Blei vollkommen recht, dass man bei Marx und Engels auch nicht die Spur einer Andeutung über die Zulassung eines derartigen idealistischen Kohls finden kann und dass man vom Standpunkte dieses Kohls den Marxismus in Bausch und Bogen , bis in die Wurzel seiner philosophischen Grundvoraussetzungen unvermeidlich verwerfen muss.

Das vierte Argument: die Theorie von Marx sei „unbiologisch", sie wolle von irgendwelchen „Vitaldifferenzen" und ähnlichen Spielereien mit biologischen Fachausdrücken, die die „Wissenschaft" des reaktionären Professors Avenarius ausmachen, nichts wissen. – Dieses Argument Bleis ist vom Standpunkte des Machismus aus richtig, denn die Kluft zwischen der Marxschen Theorie und den „biologischen" Tändeleien des Avenarius springt allerdings sofort in die Augen. Wir werden gleich sehen, wie die russischen Machisten, die Marxisten sein wollen, tatsächlich den Fußstapfen Bleis gefolgt sind.

Das fünfte Argument: die Parteilichkeit, die Voreingenommenheit der Marxschen Theorie, seine vorgefasste Lösung. Der ganze Empiriokritizismus, nicht nur Blei allein, erhebt den Anspruch auf Unparteilichkeit sowohl in der Philosophie als auch in der Sozialwissenschaft. Weder Sozialismus noch Liberalismus. Keine Abgrenzung zwischen den fundamentalen und unversöhnlichen Richtungen in der Philosophie, zwischen Idealismus und Materialismus, sondern das Bestreben, sich über sie zu erheben. Wir haben diese Tendenz des Machismus an einer langen Reihe von erkenntnistheoretischen Fragen verfolgen können und dürfen uns nicht wundern, wenn wir ihr in der Soziologie wieder begegnen.

Das sechste Argument: die Verspottung der „objektiven" Wahrheit. Blei spürte sofort heraus, und zwar ganz mit Recht, dass der historische Materialismus wie die gesamte ökonomische Lehre von Marx durch und durch von der Anerkennung der objektiven Wahrheit durchdrungen ist. Und Blei drückte ganz richtig die Tendenzen der Mach-Avenariusschen Doktrin aus, wenn er, wie man so sagt, a limine3 den Marxismus gerade wegen der Idee der objektiven Wahrheit zurückgewiesen hat; – wenn er von vornherein erklärte, dass in Wirklichkeit hinter der Lehre des Marxismus nichts weiter stecke als die „subjektiven" Ansichten von Marx.

Und sollten unsere Machisten Blei fallen lassen (und sie werden ihn bestimmt fallen lassen), so werden wir ihnen sagen: man soll sich nicht über den Spiegel beklagen, wenn die Fratze schief ist. Blei ist ein Spiegel, der getreu die Tendenzen des Empiriokritizismus zurückstrahlt, während die Verleugnung durch unsere Machisten lediglich von ihren guten Absichten zeugt –- und von ihrem absurden eklektischen Bestreben, Marx mit Avenarius zu vereinen.

Von Blei wollen wir zu Petzoldt übergehen. Ist der erste nur ein Schüler, so gilt der zweite einem so hervorragenden Empiriokritizisten wie Lessewitsch als Meister. Hat Blei unumwunden die Frage des Marxismus aufgeworfen, so setzt Petzoldt – der sich nicht so weit herablässt, auf irgendeinen Marx oder Engels Rücksicht zu nehmen – die Auffassungen des Empiriokritizismus in der Soziologie in positiver Form auseinander, wodurch deren Vergleich mit dem Marxismus ermöglicht wird.

Der zweite Band der Petzoldtschen „Einführung in die Philosophie der reinen Erfahrung" trägt den Titel: „Auf dem Wege zum Dauernden". Die Tendenz zum Dauernden legt der Verfasser seiner Untersuchung zugrunde.

Der endgültige Dauerzustand der Menschheit lässt sich nach seiner formalen Seite in Hauptzügen erschließen. Damit gewinnen wir die Grundlagen für die Ethik, Ästhetik und die formale Erkenntnistheorie." (S. III.) „Die menschliche Entwicklung trägt ihr Ziel in sich, auch sie ist auf einen vollkommenen Dauerzustand gerichtet." (S. 60.)

Der Kennzeichen dafür sind viele und mannigfaltige. Zum Beispiel, wie viele von den eifrigen Radikalen sind mit zunehmendem Alter nicht „klüger", nicht ruhiger geworden? Freilich, diese „vorzeitige Stabilität" (S. 62) ist eine Eigenschaft des Philisters. Aber sind denn die Philister nicht die „kompakte Majorität?" (S. 62.)

Die Schlussfolgerung unseres Philosophen, bei ihm gesperrt gedruckt, ist:

Das wesentlichste Merkmal aller Ziele unseres Denkens und Schaffens ist die Dauer." (S. 72.)

Die Erläuterung:

Viele können nicht einen Schlüssel schief auf dem Tisch liegen, noch weniger ein Bild schief an der Wand hängen sehen … Und das brauchen ebenso wenig Pedanten zu sein…" (S. 72.) „Sie haben nur ein Gefühl, dass etwas nicht in Ordnung sei." (Gesperrt von Petzoldt, S. 72.)

Mit einem Worte, die „Tendenz zur Stabilität ist das Trachten nach einem äußersten, seiner Natur nach letzten Zustande".

(S. 73.) All das ist dem fünften, „Die psychische Tendenz zur Stabilität" betitelten Kapitel des zweiten Bandes entnommen. Die Beweise für diese Tendenz sind alle sehr schwerwiegend. Zum Beispiel:

Dem Drang nach einem Äußersten, Höchsten im ursprünglichen räumlichen Sinne folgt zu einem großen Teile der Bergsteiger. Es ist nicht immer nur die Sehnsucht nach weiter Aussicht und die Freude an der körperlichen Übung des Steigens in freier Luft und großer Natur, was nach den Gipfeln drängt, sondern auch der tief in allen organischen Wesen begründete Trieb, solange in einer einmal eingeschlagenen Richtung der Betätigung zu verharren, bis ein natürliches Ende erreicht ist." (S. 73.)

Noch ein Beispiel:

Das seltene Seitenstück… liefern die Sammler, die Unsummen opfern, um ein nichtiges Objekt zu erwerben Es kann einem Schwindel erregen, wenn man die Preisliste eines Briefmarkenhändlers… durchblättert. Und doch ist eben nichts natürlicher und begreiflicher, als dieser Drang zur Stabilität…" (S. 74.)

Die philosophisch Ungebildeten vermögen eben nicht die ganze Tragweite des Stabilitätsprinzips oder der Denkökonomie zu erfassen. Petzoldt entwickelt für die Laien weitschweifig seine „Theorie". „Das Mitleid als Ausdruck für das unmittelbare Bedürfnis nach Dauerzuständen" – lautet der Inhalt des § 28.

Mitleid ist nicht Wiederholung, Verdoppelung des beobachteten Leids, sondern Leid über dieses Leid… Auf diese Unmittelbarkeit des Mitleids ist der größte Nachdruck zu legen. Räumen wir sie ein, so gestehen wir damit auch zu, dass dem Menschen das Wohl anderer ebenso unvermittelt und ursprünglich am Herzen liegen kann, wie das eigene, und lehnen damit zugleich jede utilaristische und eudämonistische Begründung der Sittenlehre ab. Dank ihrer Sehnsucht nach Dauer und Ruhe ist die Menschennatur nicht böse von Grund aus, sondern hilfsbereit…

Die Unmittelbarkeit des Mitleids zeigt sich oft in der Unmittelbarkeit der Hilfe. Der Retter stürzt sich nicht selten ohne Besinnen dem Ertrinkenden nach. Der Anblick des mit dem Tode Ringenden ist ihm unerträglich, er vergisst völlig seine sonstigen Verpflichtungen und setzt vielleicht seine und der Seinen Existenz aufs Spiel, um einen verkommenen Trunkenbold einem unnützen Leben zu erhalten, d. h. das Mitleid kann unter Umständen zu sittlich nicht zu rechtfertigenden Handlungen hinreißen."

Und mit derartigen unsagbaren Plattheiten sind Dutzende und Hunderte von Seiten der empiriokritizistischen Philosophie ausgefüllt!

Die Sittlichkeit wird aus dem Begriffe des „sittlichen Dauerbestandes" abgeleitet. (Zweiter Abschnitt des zweiten Bandes: „Die Dauerbestände der Seele", Kap. I, „Vom ethischen Dauerbestande".)

„… Der einstige Dauerzustand enthält seinem Begriffe nach in keiner seiner Komponenten irgendwelche Änderungsbedingungen seiner selbst. Daraus folgt ohne weiteres, dass er keine Möglichkeit für den Krieg mehr bergen kann." (S. 202.) „Man könnte meinen, mit der… Ableitung der wirtschaftlichen und sozialen Gleichheit aus dem Begriff des endgültigen Stabilitätszustandes sei schon alles gegeben." (S. 213.)

Nicht von der Religion kommt dieser Dauerzustand, sondern von der Wissenschaft. Nicht die „Majorität" wird ihn verwirklichen, wie die Sozialisten meinen, nicht die Macht der Sozialisten „vermöchte der Menschheit zu helfen". (S. 207.) – Nein! „in freiem Werden" wird der ideale Zustand entstehen. Ist nicht in der Tat der Kapitalzins im Sinken, steigt nicht fortwährend der Arbeitslohn? (S. 223.) Unrichtig sind alle Behauptungen von „Lohnsklaverei". (S. 229.) Den Sklaven durfte man ungestraft die Beine zerschlagen, und heute? Nein, der „sittliche Fortschritt" steht außer Zweifel: man sehe sich doch die Settlementbewegung in England, die Heilsarmee, die Tätigkeit der „ethischen Gesellschaften" in Deutschland an. (S. 230.) Im Namen des „ästhetischen Dauerbestandes" (Kap. 2, Abschnitt II) wird die „Romantik" verworfen. Zur Romantik gehören aber auch alle Arten der übermäßigen Ausdehnung des Ichs, der Idealismus und die Metaphysik und der Okkultismus und der Solipsismus und der Egoismus und die „gewaltsamen Majorisierungen von Minoritäten durch Majoritäten" und das „sozialdemokratische Ideal der Organisation aller Arbeit durch den Staat". (S. 240 u. 241.A)

Der grenzenlose Stumpfsinn des Spießers, der mit Behagen den abgegriffensten Plunder unter dem Deckmantel einer „neuen, empiriokritischen" Systematisierung und Terminologie auftischt – darauf also laufen die soziologischen Streifzüge der Blei, Petzoldt, Mach hinaus. Ein prätentiöses Kostüm aus sophistischen Schrullen, gequälte Tüfteleien der Syllogistik, verfeinerte Scholastik, – mit einem Wort, es ist dasselbe in der Soziologie wie in der Erkenntnistheorie, der gleiche reaktionäre Inhalt hinter dem gleichen marktschreierischen Aushängeschild.

Und nun sehen wir uns die russischen Machisten an.

2. Wie Bogdanow Marx verbessert und „weiterentwickelt"

In seinem Aufsatz „Die Entwicklung des Lebens in Natur und Gesellschaft" (1902, siehe „Aus der Psychologie der Ges.", S. 35 ff.) zitiert Bogdanow die bekannte Stelle aus dem Vorwort „Zur Kritik der politischen Ökonomie", in der „der größte Soziologe", d. h. Marx, die Grundlagen des historischen Materialismus darlegt. Nachdem er Marx zitiert hat, erklärt Bogdanow, dass „die alte Formulierung des historischen Monismus, wiewohl sie in ihrer Grundlage nicht aufhört richtig zu sein, uns bereits nicht mehr vollständig befriedige". (S. 37.) Der Verfasser will also die Theorie korrigieren oder sie weiterentwickeln, von den Grundlagen dieser selben Theorie ausgehend. Die hauptsächliche Schlussfolgerung des Verfassers ist folgende:

„…Wir haben gezeigt, dass die gesellschaftlichen Formen zu der umfassenden Gattung der biologischen Anpassungen gehören. Aber damit haben wir noch nicht das Gebiet der gesellschaftlichen Formen bestimmt: für eine Definition ist es notwendig, nicht nur die Gattung, sondern auch die Art festzustellen In ihrem Kampfe ums Dasein können sich die Menschen nicht anders vereinigen als mit Hilfe des Bewusstseins: ohne Bewusstsein gibt es keine Gemeinschaft. Deshalb ist das soziale Leben in all seinen Erscheinungen ein bewusst-psychisches… Die Sozialität ist vom Bewusstsein untrennbar. Das gesellschaftliche Sein und das gesellschaftliche Bewusstsein im genauen Sinne dieser Worte sind identisch." (S. 51; gesperrt von Bogdanow.)

Dass diese Schlussfolgerung mit Marxismus nichts gemein hat, darauf hat schon Orthodox hingewiesen. („Philosophische Essays", St. Petersburg, 1906, S. 183 und vorher.) Bogdanow aber antwortete einfach mit einer Schimpferei, indem er an einem Fehler beim Zitieren herumnörgelt. Statt „im genauen Sinne dieser Worte" zitierte Orthodox: „im vollen Sinne". Ein Fehler liegt vor, und der Verfasser war vollkommen berechtigt, ihn zu verbessern, aber wenn man deswegen ein Geschrei über „Fälschung", „Unterschiebung" und dergleichen erhebt („Empiriomonismus", Buch III, S. XLIV), so bedeutet das einfach, mit armseligen Worten das Wesen der Meinungsverschiedenheiten verkleistern wollen. Mag Bogdanow einen noch so „genauen" Sinn der Worte „gesellschaftliches Sein" und „gesellschaftliches Bewusstsein" aushecken, es bleibt unzweifelhaft, dass seine von uns zitierte These falsch ist. Das gesellschaftliche Sein und das gesellschaftliche Bewusstsein sind nicht identisch, ebenso wenig identisch wie Sein und Bewusstsein überhaupt. Daraus, dass die Menschen als bewusste Wesen in gesellschaftlichen Verkehr treten, folgt keineswegs, dass das gesellschaftliche Bewusstsein mit dem gesellschaftlichen Sein identisch ist. Indem sie miteinander in Verkehr treten, sind sich die Menschen in allen einigermaßen komplizierten Gesellschaftsformationen – und besonders in der kapitalistischen Gesellschaftsformation – dessen nicht bewusst, was für gesellschaftliche Verhältnisse sich dadurch bilden, nach welchen Gesetzen sie sich entwickeln usw. Zum Beispiel tritt der Bauer, der Getreide verkauft, in „Verkehr" mit den Weltgetreideproduzenten auf dem Weltmarkt, aber er ist sich dessen nicht bewusst, ebenso wenig wie er sich der aus dem Austausch entstehenden gesellschaftlichen Beziehungen bewusst ist. Das gesellschaftliche Bewusstsein spiegelt das gesellschaftliche Sein wider – das ist die Lehre von Marx. Eine Widerspiegelung kann eine annähernd genaue Kopie des Widergespiegelten sein, aber hierbei von Identität zu sprechen, ist unsinnig. Das Bewusstsein spiegelt überhaupt das Sein wider, – das ist die allgemeine These des gesamten Materialismus. Es geht nicht an, ihren direkten und untrennbaren Zusammenhang mit der These des historischen Materialismus: das gesellschaftliche Bewusstsein spiegelt das gesellschaftliche Sein wider, nicht zu sehen.

Bogdanows Versuch, auf unmerkliche Weise Marx „im Geiste seiner Grundlagen" zu verbessern und weiterzuentwickeln, ist eine offensichtliche Entstellung dieser materialistischen Grundlagen im Geiste des Idealismus. Es wäre lächerlich, es leugnen zu wollen. Erinnern wir uns der Basarowschen Darstellung des Empiriokritizismus (beileibe nicht des Empiriomonismus, wie sollte man auch! Besteht doch zwischen den beiden „Systemen" ein so gewaltiger Unterschied!): „Die sinnliche Vorstellung ist eben die außer uns existierende Wirklichkeit". Das ist offenkundiger Idealismus, die offenkundige Theorie der Identität von Bewusstsein und Sein. Denken wir ferner an die Formulierung W. Schuppes, des Immanenzphilosophen (der ebenso eifrig Stein und Bein schwur, dass er kein Idealist sei, wie Basarow u. Co. und ebenso entschieden den „genauen" Sinn seiner Worte besonders betonte, wie Bogdanow): „Das Sein ist Bewusstsein". Damit vergleiche man nun die Widerlegung des Marxschen historischen Materialismus durch den Immanenzphilosophen Schubert-Soldern:

„… Jeder materielle Produktionsprozess ist stets ein Bewusstseinsvorgang seines Beobachters… Erkenntnistheoretisch ist also nicht der äußere Produktionsprozess das Prius, sondern das Subjekt respektive die Subjektive, oder mit anderen Worten: auch der rein materielle Produktionsprozess führt (uns) nicht aus dem allgemeinen Bewusstseinszusammenhang heraus." (Siehe das zitierte Buch: „Das menschliche Glück und die soziale Frage", S. 293 und 295, 296.)

Mag Bogdanow die Materialisten wegen der „Verdrehung seiner Gedanken" verwünschen so viel er will, keine Verwünschungen können an der einfachen und klaren Tatsache etwas ändern. Die Verbesserung an Marx und die Weiterentwicklung von Marx – angeblich in Marxschem Geiste – durch den „Empiriomonisten" Bogdanow unterscheidet sich durch nichts Wesentliches von der Widerlegung Marx' durch den Idealisten und erkenntnistheoretischen Solipsisten Schubert-Soldern. Bogdanow versichert, er sei kein Idealist; Schubert-Soldern versichert, er sei Realist. (Basarow hat ihm das sogar geglaubt.) Heutzutage muss eben ein Philosoph sich für einen „Realisten" und „Gegner des Idealismus" ausgeben. Es ist endlich an der Zeit, dies zu begreifen, meine Herren Machisten!

Die Immanenzphilosophen, die Empiriokritizisten und der Empiriomonist streiten miteinander über Einzelheiten, über Details, über die Formulierung des Idealismus, wir dagegen verwerfen von vornherein alle dieser ganzen Dreieinigkeit gemeinsamen Grundlagen ihrer Philosophie. Mag Bogdanow, indem er alle Schlussfolgerungen von Marx akzeptiert, im besten Sinne und mit den besten Absichten die „Identität" von gesellschaftlichem Sein und gesellschaftlichem Bewusstsein predigen; – wir werden sagen: Bogdanow minus „Empiriomonismus" (richtiger, minus Machismus) ist ein Marxist. Denn diese Theorie der Identität von gesellschaftlichem Sein und gesellschaftlichem Bewusstsein ist ein totaler Unsinn, ist eine unbedingt reaktionäre Theorie. Wenn einzelne Leute sie mit dem Marxismus, mit marxistischem Verhalten vereinbaren, so müssen wir zugeben, dass diese Leute besser sind als ihre Theorien, wir dürfen aber nicht die haarsträubenden theoretischen Entstellungen des Marxismus rechtfertigen.

Bogdanow versöhnt seine Theorie mit den Marxschen Schlussfolgerungen dadurch, dass er diesen Schlussfolgerungen die elementare Konsequenz opfert. Jeder einzelne Produzent in der Weltwirtschaft ist sich dessen bewusst, dass er die und die Änderung in die Produktionstechnik hineinbringt, jeder Warenbesitzer ist sich bewusst, dass er die und die Produkte gegen andere austauscht, doch weder Produzent noch Warenbesitzer sind sich dessen bewusst, dass sie dadurch das gesellschaftliche Sein verändern. Die Summe aller dieser Veränderungen in allen ihren Verästelungen innerhalb der kapitalistischen Weltwirtschaft hätten auch 70 Marxe nicht bewältigen können. Was höchstens geleistet werden konnte, war, dass die Gesetze dieser Veränderungen in den Haupt- und Grundzügen entdeckt wurden, die objektive Logik dieser Veränderungen und deren geschichtliche Entwicklung aufgezeigt wurde – objektiv nicht in dem Sinne, dass eine Gesellschaft von bewussten Wesen, Menschen, existieren und sich entwickeln könnte unabhängig von der Existenz bewusster Wesen (nur diese Albernheit unterstreicht ja Bogdanow mit seiner „Theorie"), sondern in dem Sinne, dass das gesellschaftliche Sein unabhängig ist von dem gesellschaftlichen Bewusstsein der Menschen. Aus der Tatsache, dass ihr lebt und wirtschaftet, Kinder gebärt und Produkte erzeugt, dieselben austauscht, entsteht eine objektiv notwendige Kette von Ereignissen, eine Entwicklungskette, die von eurem gesellschaftlichen Bewusstsein unabhängig ist, die von diesem niemals restlos erfasst wird. Die höchste Aufgabe der Menschheit ist, diese objektive Logik der wirtschaftlichen Evolution (Evolution des gesellschaftlichen Seins) in den allgemeinen Grundzügen zu erfassen, um derselben ihr gesellschaftliches Bewusstsein und das der fortgeschrittenen Klassen aller kapitalistischen Länder so deutlich, so klar, so kritisch als möglich anzupassen.

Das alles gibt Bogdanow zu. Was heißt das aber? Das heißt, dass seine Theorie der „Identität von gesellschaftlichem Sein und gesellschaftlichem Bewusstsein" in Wirklichkeit von ihm über Bord geworfen wird, sie bleibt ein leeres scholastisches Anhängsel, ein ebenso leeres, totes und wertloses, wie die „Theorie der universalen Substitution" oder die Lehre von den „Elementen", von der „Introjektion" und wie die ganze machistische Albernheit sonst heißen mag. Doch „der Tote ergreift den Lebenden", das tote scholastische Anhängsel verwandelt die Philosophie Bogdanows gegen seinen Willen und unabhängig von seinem Bewusstsein in ein dienstbares Werkzeug der Schubert-Soldern und der übrigen Reaktionäre, die auf tausenderlei Art und Weise von Hunderten von Kathedern herab eben dieses Tote für das Lebendige ausgeben und verbreiten zu dem Zweck, das Lebendige zu ersticken, Bogdanow persönlich ist ein geschworener Feind jeder Reaktion und der bürgerlichen Reaktion insbesondere, die Bogdanowsche „Substitution" und seine Theorie der „Identität von gesellschaftlichem Sein und gesellschaftlichem Bewusstsein" dient dieser Reaktion. Das ist zwar eine traurige Tatsache, aber doch eine Tatsache.

Der Materialismus überhaupt erkennt das objektiv reale Sein (die Materie) unabhängig von dem Bewusstsein, der Empfindung, der Erfahrung usw. der Menschheit an. Der historische Materialismus erkennt das gesellschaftliche Sein unabhängig vom gesellschaftlichen Bewusstsein der Menschheit an. Das Bewusstsein ist hier wie dort nur die Widerspiegelung des Seins, bestenfalls seine annähernd richtige (adäquate, ideal-exakte) Widerspiegelung. Man kann aus dieser wie aus einem Guss gegossenen Philosophie des Marxismus nicht eine einzige Grundvoraussetzung, nicht einen einzigen wesentlichen Teil wegnehmen, ohne sich von der objektiven Wahrheit zu entfernen, ohne in die Arme der bürgerlich-reaktionären Lüge zu geraten.

Noch einige Belege dafür, wie der tote philosophische Idealismus den lebenden Marxisten Bogdanow ergreift.

Der Artikel: „Was ist Idealismus?" vom Jahre 1901 (ebenda S. 11 ff.):

„… Wir gelangen zu folgendem Schluss: sowohl dort, wo die Menschen in ihren Aussagen hinsichtlich des Fortschritts übereinstimmen, als auch dort, wo sie auseinandergehen, bleibt der der Fortschrittsidee zugrunde liegende Sinn der gleiche: die wachsende Fülle und Harmonie des Bewusstseinslebens. Das ist der objektive Gehalt des Begriffes Fortschritt… Wenn wir jetzt den sich uns ergebenden psychologischen Ausdruck der Fortschrittsidee mit dem früher klargelegten biologischen („biologisch wird als Fortschritt die Steigerung der Lebenssumme bezeichnet", S. 14) vergleichen, so können wir uns mühelos überzeugen, dass der erstere sich mit dem zweiten vollständig deckt und von ihm abgeleitet werden kann … Da sich das soziale Leben auf das psychische Leben der Gesellschaftsmitglieder reduziert, so bleibt auch hier der Inhalt der Fortschrittsidee derselbe: das Wachstum der Fülle und der Harmonie des Lebens; nur muss man hinzufügen – des sozialen Lebens der Menschen. Einen anderen Inhalt hatte die Idee des sozialen Fortschritts selbstverständlich nie und kann ihn auch nicht haben." (S. 16.)

Wir haben gefunden… dass der Idealismus den Sieg der höheren sozialen Stimmungen über die weniger sozialen in der Seele des Menschen ausdrückt, dass das Fortschrittsideal eine Widerspiegelung der sozialfortschrittlichen Tendenz in der idealistischen Psychik ist." (S. 32.)

Es braucht nicht erst gesagt zu werden, dass in dieser ganzen Spielerei mit Biologie und Soziologie auch nicht ein Quäntchen Marxismus enthalten ist. Man kann bei Spencer und Michailowski in beliebiger Zahl keineswegs schlechtere Definitionen finden, die gar nichts definieren als die „gute Gesinnung" des Verfassers und die zeigen, dass er total missversteht, „was Idealismus" und was Materialismus ist.

Das dritte Buch des „Empiriomonismus", den Artikel „Die soziale Auslese" (Grundlagen der Methode), 1906, beginnt der Verfasser damit, dass er die „eklektischen sozialbiologischen Versuche von Lange, Ferri, Woltmann und vielen anderen" (S. 1) verwirft, und auf Seite 15 wird bereits folgendes Resultat der „Untersuchung" zum Besten gegeben:

Wir können den grundsätzlichen Zusammenhang zwischen Energetik und sozialer Auslese folgendermaßen formulieren:

Jeder Akt der sozialen Auslese ist Steigen oder Sinken der Energie jenes gesellschaftlichen Komplexes, auf den er sich bezieht. Im ersten Fall haben wir eine ,positive Auslese', im zweiten eine , negative'." (Gesperrt vom Autor.)

Und diese unaussprechliche Albernheit wird für Marxismus ausgegeben! Kann man sich etwas Sterileres, Toteres, Scholastischeres vorstellen als diese Aneinanderreihung von biologischen und energetischen Wörtchen, die auf dem Gebiete der Sozialwissenschaften nichts geben und nichts geben können? Keine Spur einer konkreten ökonomischen Untersuchung, kein Schimmer von Marxscher Methode, der Methode der Dialektik und der Weltanschauung des Materialismus, sondern ein bloßes Austüfteln von Definitionen, Versuche, dieselben den fertigen Ergebnissen des Marxismus anzupassen.

Das rasche Anwachsen der Produktivkräfte der kapitalistischen Gesellschaft ist zweifellos Energiesteigerung des sozialen Ganzen …"

Die zweite Hälfte des Satzes ist zweifellos eine einfache Wiederholung der ersten Hälfte, in inhaltslose Ausdrücke gefasst, die die Sache zu „vertiefen" scheinen, tatsächlich aber sich nicht um ein Haar von den eklektischen biologisch-soziologischen Versuchen der Lange u. Co. unterscheiden! –

„… aber der disharmonische Charakter dieses Prozesses führt dazu, dass er mit einer ,Krise', mit einer enormen Vergeudung von Produktionskräften, einem rapiden Sinken der Energie abschließt; die positive Auslese wird durch eine negative abgelöst." (S. 18.)

Ist das etwas anderes als Lange? Auf die fertigen Resultate der Krisentheorie wird, ohne ein Jota an konkretem Material hinzuzufügen, ohne die Natur der Krisen klarzulegen, ein biologo-energetisches Etikettchen aufgeklebt. Das alles ist zwar recht gut gemeint, denn der Verfasser möchte die Ergebnisse von Marx bekräftigen und vertiefen, aber in Wirklichkeit verwässert er sie durch eine unerträglich langweilige, tote Scholastik. „Marxistisch" ist hier nur die Wiederholung eines im Voraus bekannten Resultats, dagegen ist die ganze „neue" Begründung desselben, diese ganze „soziale Energetik" (S. 34) und „soziale Auslese" bloßer Wortschwall, der reine Hohn auf den Marxismus.

Was Bogdanow treibt, ist keineswegs eine marxistische Untersuchung, sondern eine Verkleidung der schon früher durch diese Untersuchung gewonnenen Resultate in das Kostüm der biologischen und energetischen Terminologie. Dieser ganze Versuch ist von A bis Z absolut unbrauchbar; denn die Anwendung der Begriffe „Auslese", „Assimilation und Desassimilation" der Energie, der energetischen Bilanz und so weiter und so fort auf das Gebiet der Sozialwissenschaften ist eine hohle Phrase. Tatsächlich ist es unmöglich, irgendeine Untersuchung der gesellschaftlichen Erscheinungen, irgendeine Klärung der Methode der Sozialwissenschaften mit Hilfe dieser Begriffe zu bewerkstelligen. Nichts ist leichter als ein „energetisches" oder „biologo-soziologisches" Etikett auf Erscheinungen wie Krisen, Revolutionen, Klassenkampf usw. zu kleben, aber nichts ist auch unfruchtbarer, scholastischer, toter als diese Betätigung. Des Pudels Kern ist nicht, dass Bogdanow dabei alle seine Ergebnisse und Resultate oder „fast" alle (wir haben ja die „Verbesserung" in der Frage nach dem Verhältnis von gesellschaftlichem Sein und gesellschaftlichem Bewusstsein gesehen) an Marx angepasst hat, sondern dass die Methoden dieser Anpassung, dieser „sozialen Energetik" durch und durch falsch sind und sich in nichts von denen Langes unterscheiden.

Herr Lange („Über die Arbeiterfrage usw.", 2. Auflage)“ – schrieb Marx am 27. Juni 1870 an Kugelmann – „macht mir große Elogen, aber zu dem Behuf, sich selbst wichtig zu machen. Herr Lange hat nämlich eine große Entdeckung gemacht. Die ganze Geschichte ist unter ein einziges großes Naturgesetz zu sublimieren. Dies Naturgesetz ist die Phrase – der Darwinsche Ausdruck wird in dieser Anwendung bloße Phrase – ,struggle for life', ,Kampf ums Dasein', und der Inhalt dieser Phrase ist das Malthussche Bevölkerungs- oder rather4 Übervölkerungsgesetz. Statt also den struggle for life, wie er sich geschichtlich in verschiedenen bestimmten Gesellschaftsformen darstellt, zu analysieren, hat man nichts zu tun, als jeden konkreten Kampf in die Phrase ,struggle for life' und diese Phrase in die Malthussche Bevölkerungsphantasie umzusetzen. Man muss zugeben, dass dies eine sehr eindringliche Methode – für gespreizte, wissenschaftlich tuende, hochtrabende Unwissenheit und Denkfaulheit ist."5

Das Wesen der Kritik an Lange besteht bei Marx nicht darin, dass Lange speziell den Malthusianismus in die Soziologie hineinschiebt, sondern darin, dass überhaupt die Übertragung der biologischen Begriffe auf das Gebiet der Sozialwissenschaften eine Phrase ist. Ob diese Übertragung in „guter" Absicht geschieht oder zu dem Zweck, falsche soziologische Schlussfolgerungen zu bekräftigen, – die Phrase hört dadurch nicht auf, Phrase zu sein. Auch Bogdanows „soziale Energetik", seine Verkuppelung der Lehre von der sozialen Auslese mit dem Marxismus ist eben eine solche Phrase.

Wie in der Erkenntnistheorie Mach und Avenarius den Idealismus nicht weiterentwickelten, sondern die alten idealistischen Irrtümer mit anspruchsvollem terminologischen Blech vollfüllten („Elemente", „Prinzipialkoordination", „Introjektion" usw.), so führt der Empiriokritizismus auch in der Soziologie, selbst bei der aufrichtigsten Sympathie für die Folgerungen des Marxismus, zur Entstellung des historischen Materialismus durch eine prätentiös-hohle energetische und biologische Sophisterei.

Eine geschichtliche Eigenart des modernen russischen Machismus (richtiger: der machistischen Epidemie unter einem Teil der Sozialdemokraten) ist der folgende Umstand. Feuerbach war „Materialist unten, Idealist oben". Das gleiche gilt gewissermaßen auch für Büchner, Vogt, Moleschott und Dühring, mit dem wesentlichen Unterschied, dass alle diese Philosophen im Vergleich zu Feuerbach Pygmäen und jammervolle Pfuscher waren.

Marx und Engels, aus Feuerbach emporgewachsen und im Kampfe mit den Pfuschern gereift, richteten natürlich die größte Aufmerksamkeit auf den Ausbau der Philosophie des Materialismus nach oben hin, d. h. nicht auf die materialistische Erkenntnistheorie, sondern auf die materialistische Geschichtsauffassung. Deshalb unterstrichen Marx und Engels in ihren Werken mehr den dialektischen Materialismus als den dialektischen Materialismus, bestanden sie mehr auf den historischen Materialismus als auf den historischen Materialismus. Unsere Machisten, die Marxisten sein wollen, kamen zum Marxismus in einer ganz anderen geschichtlichen Periode, sie kamen zu ihm in einer Zeit, als die bürgerliche Philosophie sich auf die Erkenntnistheorie besonders spezialisiert und, indem sie sich einige Bestandteile der Dialektik (z. B. den Relativismus) in einseitiger und verzerrter Form angeeignet, ihr Hauptaugenmerk auf die Verteidigung bzw. Erneuerung des Idealismus unten gerichtet hatte, statt auf den Ausbau des Idealismus oben. Wenigstens befasste sich der Positivismus im Allgemeinen und der Machismus im Besonderen weit mehr mit einer feinen Verfälschung der Erkenntnistheorie, den Materialismus nachahmend, den Idealismus hinter einer pseudomaterialistischen Terminologie verbergend, – und schenkten verhältnismäßig wenig Aufmerksamkeit der Geschichtsphilosophie. Unsere Machisten begriffen den Marxismus nicht, da sie an ihn sozusagen von einer andern Seite herankamen, und sie eigneten sich die ökonomische und historische Theorie von Marx an – und mitunter nicht einmal das, sie paukten sie sich einfach ein –, ohne sich über ihre Grundlage, nämlich den philosophischen Materialismus klar zu werden. Das Ergebnis ist, dass man Bogdanow u. Co. als die umgekehrten russischen Büchner und Dühring bezeichnen muss. Sie möchten Materialisten oben sein, sie verstehen es aber nicht, sich von dem konfusen Idealismus unten frei zu machen! „Oben" ist bei Bogdanow historischer Materialismus, allerdings ein vulgärer und vom Idealismus stark angefressener, „unten" – Idealismus, in eine marxistische Ausdrucksweise gesteckt, mit marxistischen Redensarten aufgeputzt. „Sozial-organisierte Erfahrung", „kollektiver Arbeitsprozess" sind marxistische Worte, aber das alles sind nur Worte, hinter denen sich eine idealistische Philosophie versteckt, die erklärt, die Dinge seien Komplexe von „Elementen", Empfindungen, die Außenwelt sei eine „Erfahrung" oder ein „Empiriosymbol" der Menschheit, die physische Natur ein aus dem „Psychischen" „Abgeleitetes" usw. usf.

Eine immer raffiniertere Verfälschung des Marxismus, immer raffiniertere Unterschiebungen von antimaterialistischen Lehren unter den Marxismus, – das kennzeichnet den modernen Revisionismus in der Nationalökonomie und in Fragen der Taktik und in der Erkenntnistheorie ebenso wie in der Soziologie.

3. Von den Suworowschen „Grundlagen der sozialen Philosophie"

Die „Beiträge ,zur' Philosophie des Marxismus", die mit dem obengenannten Artikel des Genossen S. Suworow abschließen, stellen gerade wegen des Kollektivcharakters des Buches ein ungewöhnlich stark wirkendes Bukett dar. Wenn vor euch gemeinsam und in trautem Nebeneinander auftreten: Basarow, der sagt, dass nach Engels „die sinnliche Vorstellung eben die außer uns existierende Wirklichkeit ist"; Berman, der die Dialektik von Marx und Engels für Mystik erklärt; Lunatscharski, der sich bis zur Religion versteigt; Juschkewitsch, der den „Logos in den irrationellen Fluss des Gegebenen" hineinträgt; Bogdanow, der den Idealismus als Philosophie des Marxismus bezeichnet; Hellfond, der Josef Dietzgen vom Materialismus läutert, und endlich S. Suworow mit seinem Artikel: „Die Grundlagen der sozialen Philosophie', – dann spürt ihr sofort den „Geist" der neuen Linie. Die Quantität schlug in Qualität um. Die „Suchenden", die bis dahin jeder für sich, in Einzelaufsätzen und Einzelbüchern suchten, traten hier mit einem wahren Pronunziamento auf. Die einzelnen Meinungsverschiedenheiten unter ihnen werden allein durch die Tatsache ihres kollektiven Auftretens gegen die Philosophie des Marxismus (nicht „zur") verwischt und die reaktionären Züge des Machismus als Richtung treten offen zutage.

Suworows Aufsatz ist unter diesen Umständen um so interessanter, als der Verfasser weder Empiriomonist noch Empiriokritiker ist, sondern einfach „Realist", – ihn verbindet also mit der übrigen Gesellschaft nicht das, was Basarow, Juschkewitsch, Bogdanow als Philosophen unterscheidet, sondern was ihnen allen gegen den dialektischen Materialismus gemeinsam ist. Ein Vergleich der soziologischen Betrachtungen dieses „Realisten" mit denen des Empiriomonisten wird uns dazu verhelfen, ihre gemeinsame Tendenz zu umreißen. Suworow schreibt:

„…In der Gradation der den Weltprozess regulierenden Gesetze lassen sich" die besonderen und komplizierten auf die allgemeinen und einfachen zurückführen, und sie alle sind dem Universalgesetz der Entwicklung – dem Gesetz der Ökonomie der Kräfte – unterworfen. Das Wesen dieses Gesetzes besteht darin, dass ein jedes Kräftesystem desto befähigter ist, sich zu erhalten und zu entwickeln, je geringer in ihm der Verbrauch, je größer die Akkumulation ist und je besser der Verbrauch der Akkumulation dient. Die Formen des labilen Gleichgewichts, die von jeher die Idee der objektiven Zweckmäßigkeit hervorgerufen haben (das Sonnensystem, der Kreislauf aller Erscheinungen auf der Erde, der Lebensprozess), bilden und entwickeln sich gerade kraft der Erhaltung und Akkumulation der in ihnen vorhandenen Energie, kraft ihrer inneren Ökonomie. Das Gesetz der Ökonomie der Kräfte ist das vereinheitlichende und regulierende Prinzip jeder Entwicklung, sowohl der anorganischen als auch der biologischen und sozialen." (S. 293; gesperrt vom Verfasser.)

Wie merkwürdig leicht doch unsere „Positivisten" und „Realisten" „Universalgesetze" backen! Nur schade, dass diese Gesetze keineswegs besser sind als diejenigen, die ebenso leicht und flink Eugen Dühring gebacken hatte. Das „Universalgesetz" von Suworow ist eine ebenso inhaltslose, gespreizte Phrase, wie die Universalgesetze Dührings. Versucht einmal, dieses Gesetz auf das erste der drei vom Verfasser bezeichneten Gebiete anzuwenden: die anorganische Entwicklung. Ihr werdet sehen, dass es euch nicht gelingen wird, irgendeine „Ökonomie der Kräfte", abgesehen von dem Gesetz der Erhaltung und Verwandlung der Energie, dabei anzuwenden, geschweige denn „universal" anzuwenden. Aber das Gesetz der „Erhaltung der Energie" hat ja der Verfasser bereits ausgesondert, hat es bereits vorher (S. 292) als ein besonderes Gesetz angeführt.B

Was blieb denn außer diesem Gesetz auf dem Gebiet der anorganischen Entwicklung übrig? Wo sind die Ergänzungen oder Komplizierungen, wo die neuen Entdeckungen oder neuen Tatsachen, die dem Verfasser erlaubt hätten, das Gesetz der Erhaltung und der Verwandlung der Energie in das Gesetz der „Ökonomie der Kräfte" abzuändern (zu „vervollkommnen") ? Solche Tatsachen oder Entdeckungen sind nicht vorhanden, und Suworow hat solche auch mit keinem Laut erwähnt. Er schwang einfach – wichtigtuerisch, wie der Turgenjewsche Basarow zu sagen pflegte – die Feder und warf uns ein neues „Universalgesetz" der „real-monistischen Philosophie" hin (S. 292). Da seht, was für Kerle wir sind! Sind wir etwa schlechter als Dühring?

Nehmen wir das zweite Gebiet der Entwicklung, das biologische. Was ist hier, bei der Entwicklung der Organismen auf dem Wege des Kampfes ums Dasein und der Auslese, universell, das Gesetz der Ökonomie der Kräfte oder das „Gesetz" der Vergeudung der Kräfte? Tut nichts! Um der „real-monistischen Philosophie" willen darf man den „Sinn" eines Universalgesetzes auf einem Gebiet so und auf einem andern wieder anders verstehen, z. B. als Entwicklung der höheren Organismen aus den niederen. Was tut's, dass das Universalgesetz dadurch zur leeren Phrase wird, dafür ist das Prinzip des „Monismus" gewahrt. Was aber das dritte (soziale) Gebiet betrifft, da kann man das „Universalgesetz" in einem dritten Sinne verstehen, als Entwicklung der Produktivkräfte. Dafür ist es ja ein „Universalgesetz", dass man darunter alles mögliche verstehen kann.

Ungeachtet dessen, dass die Sozialwissenschaft noch jung ist, hat sie schon eine solide Basis und abgeschlossene Verallgemeinerungen; im Laufe des XIX. Jahrhunderts entwickelte sie sich zur theoretischen Höhe – und das bildet das Hauptverdienst von Marx. Er erhob die soziale Wissenschaft zum Rang einer sozialen Theorie …"

Engels sagte, Marx habe den Sozialismus aus einer Utopie zur Wissenschaft gemacht, doch Suworow ist das zu wenig. Es wird stärker klingen, wenn wir noch die Theorie von der Wissenschaft (gab es eine soziale Wissenschaft vor Marx?) unterscheiden werden, – was tut's, wenn diese Unterscheidung keinen Sinn hat!

„…indem er das Grundgesetz der sozialen Dynamik feststellte, kraft dessen die Evolution der Produktivkräfte das bestimmende Prinzip aller wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung ist. Die Entwicklung der Produktivkräfte entspricht aber dem Wachstum der Arbeitsproduktivität, dem relativen Sinken des Verbrauchs und dem Steigen der Akkumulation der Energie…" (Siehe da, wie fruchtbringend die „real-monistische Philosophie" ist: eine neue, energetische Begründung des Marxismus wird uns gegeben! L.) „… dies ist ein ökonomisches Prinzip. Auf diese Weise legte Marx der sozialen Theorie das Prinzip der Ökonomie der Kräfte zugrunde…"

Dieses „auf diese Weise" ist wahrhaft köstlich! Da es bei Marx eine politische Ökonomie gibt, so wollen wir aus diesem Anlass an dem Wort „Ökonomie" herumkauen und die Produkte des Wiederkäuens „real-monistische Philosophie" nennen!

Nein, Marx legte seiner Theorie kein Prinzip der Ökonomie der Kräfte zugrunde. Das ist ein Unsinn, erfunden von Leuten, denen die Lorbeeren Eugen Dührings den Schlaf geraubt haben. Marx gab eine ganz exakte Definition des Begriffs Wachstum der Produktivkräfte und untersuchte den konkreten Prozess dieses Wachstums. Suworow aber hat zur Bezeichnung eines von Marx bereits analysierten Begriffs ein neues Wörtchen erfunden, und zwar sehr unglücklich erfunden, die Sache wird dadurch nur verwirrt. Denn was „Ökonomie der Kräfte" eigentlich bedeutet, wie man sie messen, wie man diesen Begriff anwenden soll, welche genauen und bestimmten Tatsachen hierher gehören, das hat Suworow nicht erklärt, und das kann man auch gar nicht erklären, weil es – Konfusion ist. Man höre weiter:

„… Dieses Gesetz der sozialen Ökonomie ist nicht nur das Prinzip der inneren Einheit der sozialen Wissenschaft" (Verstehen Sie was, lieber Leser? L.), „sondern auch das Bindeglied zwischen der sozialen Theorie und der allgemeinen Theorie des Seins." (S. 294.)

So, so! S. Suworow hat also die „allgemeine Theorie des Seins" von Neuem entdeckt, nachdem sie zu verschiedenen Malen und in den verschiedensten Formen von zahlreichen Vertretern der philosophischen Scholastik entdeckt worden war! Wir gratulieren den russischen Machisten zur neuen „allgemeinen Theorie des Seins"! Wir wollen hoffen, dass sie ihre nächste Kollektivarbeit ganz der Begründung und Entwicklung dieser großen Entdeckung widmen werden!

Welche Darstellung der Marxschen Theorie bei unserem Vertreter der realistischen oder real-monistischen Philosophie herauskommt, ist aus folgendem Beispiel ersichtlich:

Im Allgemeinen bilden die Produktivkräfte der Menschen eine genetische Gradation (Uff! L.) und bestehen aus ihrer Arbeitsenergie, aus untergeordneten Elementarkräften, aus der durch die Kultur veränderten Natur und aus Arbeitswerkzeugen, die die Produktionstechnik bilden… Hinsichtlich des Arbeitsprozesses erfüllen diese Kräfte eine rein ökonomische Funktion; sie ersparen Arbeitsenergie und erhöhen die Produktivität ihrer Verausgabung." (S. 298.)

Die Produktivkräfte erfüllen eine ökonomische Funktion hinsichtlich des Arbeitsprozesses! Das ist genau so, als wenn man sagen würde: die Lebenskräfte erfüllen eine Lebensfunktion hinsichtlich des Lebensprozesses. Das ist keine Darstellung von Marx, sondern eine Verunreinigung des Marxismus mit unglaublichem Phrasenunrat. Den ganzen Unrat in dem Artikel Suworows kann man gar nicht aufzählen.

Die Sozialisierung einer Klasse drückt sich in dem Wachstum ihrer kollektiven Macht sowohl über die Menschen als auch über deren Eigentum aus…" (S. 313.) „Der Klassenkampf ist auf die Errichtung von Gleichgewichtsformen zwischen den sozialen Kräften gerichtet…" (S. 322.)

Soziale Uneinigkeit, Feindschaft und Kampf sind ihrem Wesen nach negative, antigesellschaftliche Erscheinungen.

Der soziale Fortschritt ist seinem grundlegenden Inhalte nach Wachstum der Gesellschaftlichkeit, der sozialen Verbundenheit der Menschen." (S. 328.)

Ganze Bände könnte man mit solchen Kollektionen von Plattheiten füllen, und die Vertreter der bürgerlichen Soziologie füllen damit auch Bände, dies aber für Philosophie des Marxismus auszugeben, – das geht schon über die Hutschnur. Wäre Suworows Artikel ein Versuch, den Marxismus zu popularisieren, so dürfte man ihn nicht allzu streng beurteilen; jeder würde zugeben, dass die Absichten des Verfassers zwar gut sind, der Versuch aber vollständig misslungen ist, das wäre alles. Wenn aber eine Gruppe von Machisten uns derartiges unter dem Titel: „Die Grundlagen der sozialen Philosophie" auftischt, wenn wir dieselben Methoden der „Weiterentwicklung" des Marxismus in den philosophischen Schriften Bogdanows sehen, dann ergibt sich unvermeidlich die Schlussfolgerung, dass zwischen der reaktionären Erkenntnistheorie und den krampfhaften reaktionären Anstrengungen in der Soziologie ein untrennbarer Zusammenhang besteht.

4. Parteien in der Philosophie und philosophische Akephalen

Es bleibt uns noch übrig, die Frage nach dem Verhältnis des Machismus zur Religion einer Betrachtung zu unterziehen. Diese erweitert sich aber zu der Frage, ob es überhaupt Parteien in der Philosophie gibt, und welche Bedeutung die Parteilosigkeit in der Philosophie hat.

Während der ganzen vorangegangenen Darstellung, bei jeder von uns berührten erkenntnistheoretischen Frage, bei jeder philosophischen Frage, die durch die neue Physik aufgerollt wurde, konnten wir den Kampf zwischen Materialismus und Idealismus verfolgen. Hinter dem Haufen neuer terminologischer Pfiffigkeiten, hinter dem Schutt gelahrter Scholastik fanden wir immer, ausnahmslos, zwei Grundlinien, zwei Grundrichtungen bei der Lösung philosophischer Probleme. Ob man als das Ursprüngliche die Natur, die Materie, das Physische, die Außenwelt ansehen und Bewusstsein, Geist, Empfindung (Erfahrung nach der heutzutage verbreiteten Terminologie), Psychisches und dergl. für das Sekundäre halten soll, – das ist die fundamentale Frage, die in der Tat nach wie vor die Philosophen in zwei große Lager trennt. Die Quelle der tausend und aber tausend Irrtümer und der Konfusion auf diesem Gebiet liegt gerade darin, dass man hinter der Äußerlichkeit von Termini, Definitionen, scholastischen Schrullen und sophistischen Kniffen diese zwei Grundtendenzen übersieht (Bogdanow z. B. will seinen Idealismus nicht zugeben, weil er statt der angeblich „metaphysischen" Begriffe: „Natur" und „Geist" die „erfahrungsgemäßen", nämlich: Physisches und Psychisches genommen habe. Ein Wörtchen haben sie geändert!).

Die Genialität von Marx und Engels liegt gerade darin, dass sie im Laufe einer sehr langen Periode, fast eines halben Jahrhunderts, den Materialismus entwickelt, die eine grundlegende philosophische Richtung vorwärts getrieben, sich nicht bei dem Nachbeten bereits gelöster erkenntnistheoretischer Fragen aufgehalten, sondern ihn konsequent durchgeführt haben, – dass sie gezeigt haben, wie man denselben Materialismus auf dem Gebiete der Gesellschaftswissenschaften durchführen muss, und schonungslos den Unsinn, den prätentiös-gespreizten Galimathias, die zahllosen Versuche, eine „neue" Linie in der Philosophie zu „entdecken", eine „neue" Richtung zu erfinden usw., wie einen Kehrichthaufen wegfegten. Der sophistische Charakter derartiger Versuche, die scholastische Spielerei mit neuen philosophischen „Ismen", die Verdunkelung des Wesentlichen durch verschnörkelte Kunstgriffe, das Unvermögen, den Kampf der beiden fundamentalen erkenntnistheoretischen Richtungen zu verstehen und klar darzustellen, – das war es, wogegen Marx und Engels während ihrer ganzen Tätigkeit einen unerbittlichen Kampf führten.

Wir sagten: im Laufe fast eines halben Jahrhunderts. In der Tat, schon im Jahre 1843, als Marx erst begann zu einem Marx zu werden, d. h. zum Begründer des Sozialismus als Wissenschaft, zum Begründer des modernen Materialismus, des unermesslich gehaltreicheren und unvergleichlich konsequenteren als alle vorhergegangenen Formen des Materialismus, – schon zu jener Zeit zeichnete Marx mit erstaunlicher Klarheit die Grundlinien der Philosophie. Karl Grün zitiert einen Brief von Marx an Feuerbach vom 30. Oktober 1843, in dem Marx Feuerbach einladet, einen Artikel für die „Deutsch-Französischen Jahrbücher" gegen Schelling zu schreiben. Dieser Schelling sei ein Windbeutel, schreibt Marx, – mit seinen Ansprüchen, alle früheren philosophischen Richtungen umfassen und übertreffen zu wollen.

Den französischen Romantikern und Mystikern ruft er (Schelling) zu: ich, die Vereinigung von Philosophie und Theologie, den französischen Materialisten: ich, die Vereinigung von Fleisch und Idee, den französischen Skeptikern: ich, der Zerstörer der Dogmatik."C

Dass die „Skeptiker", einerlei ob sie sich Humeisten oder Kantianer (oder, wie im XX. Jahrhundert, Machisten) nennen, gegen die Dogmatik des Materialismus wie des Idealismus zetern, sah Marx damals schon und ohne sich durch eines der tausend armseligen philosophischen Systemchen ablenken zu lassen, verstand er es, über Feuerbach hinaus direkt den materialistischen Weg gegen den Idealismus einzuschlagen. Dreißig Jahre später, im Nachwort zur zweiten Auflage des ersten Bandes des „Kapital", stellte Marx ebenso klar und eindeutig seinen Materialismus dem Hegelschen, d. h. dem konsequentesten, entwickeltsten Idealismus gegenüber, er lehnt den Comteschen „Positivismus" verächtlich ab und erklärt die zeitgenössischen Philosophen für armselige Epigonen, die sich einbilden, Hegel vernichtet zu haben, während sie in Wirklichkeit zum Nachbeten der vorhegelschen Fehler Kants und Humes zurückkehrten. In dem Brief an Kugelmann vom 27. Juni 1870 behandelt Marx die „Büchner, Lange, Dr. Dühring, Fechner usw." nicht minder verächtlich, weil sie die Hegelsche Dialektik nicht zu begreifen vermochten und Hegel geringschätztenD. Man nehme schließlich die einzelnen philosophischen Bemerkungen von Marx im „Kapital" und in den anderen Werken, – überall findet man ein unveränderliches Grundmotiv: Verteidigung des Materialismus und verächtlichen Spott über jede Vertuschung, jede Konfusion, jede Abweichung zum Idealismus hin. Um den fundamentalen Gegensatz dieser beiden Richtungen drehen sich sämtliche philosophischen Bemerkungen von Marx, – vom Standpunkt der Professorenphilosophie besteht deren Mangel eben in dieser „Enge" und „Einseitigkeit". In Wirklichkeit ist gerade dieses bewusste Ignorieren der zwitterhaften Projekte zur Versöhnung von Materialismus und Idealismus das größte Verdienst von Karl Marx, der auf einem klar bestimmten philosophischen Weg vorwärts schritt.

Ganz im Geiste von Marx und in enger Zusammenarbeit mit ihm stellt Engels in all seinen philosophischen Arbeiten in allen Fragen kurz und bündig die materialistische der idealistischen Linie gegenüber, ohne dass er weder im Jahre 1878 noch 1888 noch 1891 die endlosen Bemühungen, die „Einseitigkeit" des Materialismus und Idealismus zu „überwinden", eine „neue" Linie, irgendeinen „Positivismus", „Realismus" oder eine andere professorale Quacksalberei zu verkünden, ernst nahm. Den ganzen Streit mit Dühring führte Engels vollständig unter der Losung der konsequenten Durchführung des Materialismus, indem er den Materialisten Dühring der sophistischen Verkleisterung des Wesens der Sache anklagte, der Phrase, einer Betrachtungsweise, die eine Konzession an den Idealismus, den Übergang zur Position des Idealismus bedeutete. Entweder bis zu Ende konsequenter Materialismus, oder die Lüge und Konfusion des philosophischen Idealismus, – das ist die Fragestellung, wie sie in jedem Paragraph des „Anti-Dühring" gegeben ist, und die nur Leute mit einem von der reaktionären Professoralphilosophie bereits angefressenen Hirn nicht bemerken konnten. Und bis zum Jahre 1894, wo das letzte Vorwort zu dem vom Verfasser nochmals durchgesehenen und zum letzten Mal ergänzten „Anti-Dühring" geschrieben wurde, beharrte Engels, der sowohl die neue Philosophie wie die neue Naturwissenschaft ständig verfolgte, mit der alten Entschiedenheit bei seiner klaren und festen Stellung und fuhr fort, den Kehricht der neuen Systeme und Systemchen wegzuräumen.

Dass Engels die neue Philosophie verfolgte, ist aus seinem „Ludwig Feuerbach" ersichtlich. Im Vorwort vom Jahre 1888 ist sogar von einer solchen Erscheinung die Rede, wie die Wiedergeburt der klassischen deutschen Philosophie in England und Skandinavien; für den herrschenden Neukantianismus und Humeismus aber hat Engels (sowohl im Vorwort wie im Texte des Buches) nur Worte äußerster Verachtung übrig. Es liegt völlig auf der Hand, dass Engels, der die Wiederholung der alten vor-hegelschen Fehler des Kantianismus und Humeismus in der modischen deutschen und englischen Philosophie miterlebte, bereit war, von einer Wendung (in England und Skandinavien) zu Hegel Gutes zu erwarten, in der Hoffnung, dass der große Idealist und Dialektiker dazu verhelfen werde, die seichten idealistischen und metaphysischen Irrtümer zu durchschauen.

Ohne sich auf eine Betrachtung der Unmenge von Nuancen des Neukantianismus in Deutschland und des Humeismus in England einzulassen, verwirft Engels von vornherein ihre grundlegende Abweichung vom Materialismus. Engels erklärt die gesamte Richtung der beiden Schulen für einen „wissenschaftlichen Rückschritt". Und wie bewertete er die zweifellos „positivistische", vom Standpunkt der geläufigen Terminologie zweifellos „realistische" Tendenz dieser Neukantianer und Humeisten, von denen er z. B. Huxley gewiss kennen musste? Jenen „Positivismus" und jenen „Realismus", der zahllose Wirrköpfe verführte und verführt, erklärt Engels für ein im besten Falle philisterhaftes Verfahren, den Materialismus heimlich einzuschmuggeln, während man ihn öffentlich beschimpft und verleugnet! Es genügt über eine solche Bewertung Huxleys, des prominentesten Naturforschers und weitaus realistischeren Realisten und positivistischeren Positivisten, als die Mach, Avenarius u. Co. es sind, auch nur ein klein wenig nachzudenken, um sich eine Vorstellung zu machen, mit welcher Verachtung Engels die heutige Begeisterung einer Handvoll Marxisten für den „neuesten Positivismus" oder den „neuesten Realismus" usw. aufgenommen haben würde.

Marx und Engels haben von Anfang bis zu Ende in der Philosophie Partei genommen, sie verstanden es, die Abweichungen vom Materialismus und die Nachgiebigkeit gegenüber dem Idealismus und Fideismus in allen möglichen „neuesten" Richtungen aufzudecken. Daher bewerteten sie Huxley ausschließlich vom Standpunkt der konsequenten Durchführung des Materialismus, daher machten sie Feuerbach den Vorwurf, dass er den Materialismus nicht bis zu Ende durchgeführt, dass er wegen der Fehler einzelner Materialisten den Materialismus fallen gelassen hat, dass er gegen die Religion kämpfte, aber zu dem Behuf, sie aufzufrischen oder eine neue Religion zu schaffen, dass er in der Soziologie sich nicht von der idealistischen Phrase freimachen und Materialist zu werden vermochte.

Und diese größte und wertvollste Tradition seiner Lehrer wusste J. Dietzgen vollauf zu schätzen und er übernahm sie, welches die einzelnen Fehler bei seiner Darstellung des dialektischen Materialismus auch sein mögen. J. Dietzgen hat oft gesündigt, indem er aus Ungeschicklichkeit vom Materialismus abwich, doch niemals hat er den Versuch gemacht, prinzipiell sich vom Materialismus abzusondern, eine „neue" Fahne zu hissen, stets erklärte er im entscheidenden Augenblick fest und kategorisch: ich bin Materialist, unsere Philosophie ist eine materialistische.

„…Unter allen Parteien“ – sagte mit Recht unser Josef Dietzgen – „ist die Partei der Mitte die abscheulichste … Wie in der Politik die Parteien sich mehr und mehr in zwei Lager gruppieren so teilt sich auch die Wissenschaft in zwei Generalklassen: in Metaphysiker dort und in Physiker oder Materialisten hier.E Die Zwischenglieder und vermittlungssüchtigen Quacksalber mit allerlei Namen, Spiritualisten, Sensualisten, Realisten usw. usw. fallen unterwegs in die Strömung. Wir steuern der Entschiedenheit, der Klarheit zu. IdealistenF nennen sich die reaktionären Retraitebläser, und Materialisten sollen alle diejenigen heißen, welche sich angelegen sein lassen, den menschlichen Intellekt vom metaphysischen Zauber zu erlösen … Vergleichen wir die beiden Parteien mit dem Festen und Flüssigen, dann liegt Breiartiges in der Mitte.G

Ganz richtig! Die „Realisten" und dergleichen, auch die „Positivisten", Machisten usw., das alles ist dürftiger Brei, die verächtliche Partei der Mitte in der Philosophie, die in jeder einzelnen Frage die materialistische und idealistische Richtung durcheinander wirft. Die Versuche, aus diesen beiden fundamentalen Richtungen der Philosophie herauszuspringen, sind nichts anderes als „vermittlungssüchtige Quacksalberei".

Dass die „wissenschaftliche Pfafferei" der idealistischen Philosophie die bloße Vorstufe zum wirklichen Pfaffentum ist, daran zweifelte J. Dietzgen nicht im geringsten.

„… Die wissenschaftliche Pfafferei“ – schrieb er – „versucht ernstlich, der religiösen Pfafferei Vorschub zu leisten" (a.a.O., S. 51). „Vornehmlich bildet das Gebiet der Erkenntnistheorie, das Missverständnis des menschlichen Geistes eine solche Lausgrube" (S. 51), in welche diese und jene Pfaffen „ihre Eier hineinlegen", „Diplomierte Lakaien" mit Reden über „ideale Güter", die mit einem geschraubten Idealismus Volksbetörung treiben (S. 53), – das sind für J. Dietzgen die Professoren der Philosophie. „Wie der liebe Gott seinen Antipoden im Teufel, so hat der Kathederpfaff seinen Gegenfüßler im Materialisten." Die materialistische Erkenntnistheorie ist „eine Universalwaffe wider den religiösen Glauben" (S. 55), und nicht nur wider die „notorische, die förmliche, die gemeine Religion der Pfaffen, sondern auch die reinste, erhabendste Professorenreligion benebelter Idealisten" (S. 58).

Gegenüber der „Halbheit" der freigeistigen Professoren war Dietzgen geneigt, die „alte religiöse Ehrbarkeit" vorzuziehen (S. 69).

Dort herrscht System", dort gibt es ganze Menschen, die Theorie und Praxis nicht auseinanderreißen.

Die Philosophie ist keine Wissenschaft, sondern ein Schutzmittel wider die Sozialdemokratie" (S. 107) für die Herren Professoren. „Was sich ,Philosoph' schreibt, Professor und Privatdozent, alles steckt trotz der scheinbaren Freigeisterei mehr oder minder im Aberglauben, in der Mystik… und bildet gegenüber der Sozialdemokratie eine einzige … reaktionäre Masse." (S. 108.) „Um nun dem rechten Weg, unbeirrt von allem religiösen und philosophischen Welsch, folgen zu können, soll man den Holzweg der Holzwege, das ist Philosophie, studieren." (S. 103.)

Und nun sehe man sich einmal vom Standpunkt der Parteien in der Philosophie aus Mach, Avenarius und ihre Schule an. O, diese Herren rühmen sich ihrer Parteilosigkeit, und wenn sie überhaupt einen Antipoden haben, so nur einen einzigen, und zwar nur – den Materialisten. Wie ein roter Faden zieht sich durch alle Schriften sämtlicher Machisten die stumpfsinnige Anmaßung, sich über Materialismus und Idealismus „zu erheben", diesen „veralteten" Gegensatz zu überwinden, während in Wirklichkeit diese ganze Gesellschaft jeden Augenblick in den Idealismus hineingerät und einen unaufhörlichen und unentwegten Kampf gegen den Materialismus führt. Die raffinierten erkenntnistheoretischen Schrullen eines Avenarius bleiben eine professorale Erfindung, ein Versuch zur Gründung einer kleinen „eigenen" Philosophensekte, tatsächlich aber ist bei der allgemeinen Konstellation des Kampfes zwischen den Ideen und Richtungen der modernen Gesellschaft die objektive Rolle dieser erkenntnistheoretischen Pfiffigkeiten einzig und allein diese: dem Idealismus und Fideismus den Weg freizumachen, ihnen treue Dienste zu leisten. Es kann doch wirklich kein Zufall sein, dass die englischen Spiritualisten vom Schlage eines Ward und die französischen Neokritizisten, die Mach wegen seines Kampfes gegen den Materialismus loben, und die deutschen Immanenzphilosophen sich alle an die kleine Schule der Empiriokritizisten klammern! J. Dietzgens Formel: „diplomierte Lakaien des Fideismus" trifft bei Mach, Avenarius und ihrer ganzen Schule ins Schwarze.H

Das Unglück der russischen Machisten, die sich vorgenommen haben, den Machismus mit dem Marxismus zu „versöhnen", besteht gerade darin, dass sie sich auf die reaktionären Philosophieprofessoren verlassen haben und dadurch auf die schiefe Ebene geraten sind. Die Methoden der diversen Versuche, Marx weiterzuentwickeln und zu ergänzen, waren nicht sehr schlau. Lesen sie Ostwald, dann glauben sie Ostwald, geben Ostwald wieder und nennen das Marxismus. Lesen sie Mach, so glauben sie Mach, geben Mach wieder und nennen das Marxismus. Lesen sie Poincaré so glauben sie Poincaré, geben Poincaré wieder und nennen das Marxismus! Keinem einzigen dieser Professoren, die imstande sind, auf Spezialgebieten – Chemie, Geschichte der Physik – die wertvollsten Arbeiten zu liefern, darf man auch nur ein einziges Wort glauben, sobald von der Philosophie die Rede ist. Warum? Aus dem nämlichen Grunde, aus welchem man keinem einzigen Professor der Nationalökonomie, der imstande ist, auf dem Gebiet spezieller Tatsachenforschung die wertvollsten Arbeiten zu liefern, auch nur ein Wort glauben darf, sobald er auf die allgemeine Theorie der Nationalökonomie zu sprechen kommt. Denn letztere ist eine Wissenschaft, die innerhalb der modernen Gesellschaft nicht weniger parteilich ist als die Erkenntnistheorie. Im Großen und Ganzen sind die Professoren der Nationalökonomie nichts anderes als die gelehrten Kommis der Kapitalistenklasse und die Professoren der Philosophie – die gelehrten Kommis der Theologen.

Die Aufgabe der Marxisten ist nun hier wie dort, es zu verstehen, die von diesen „Kommis" gemachten Errungenschaften sich zu eigen zu machen und zu verarbeiten (man kann zum Beispiel, wenn man die neuen ökonomischen Erscheinungen studieren will, keinen Schritt machen, ohne sich der Werke dieser Kommis zu bedienen), – es aber auch zu verstehen, die reaktionäre Tendenz derselben wegzuhauen, die eigene Linie durchzuführen und die ganze Linie der uns feindlichen Kräfte und Klassen zu bekämpfen. Gerade das aber haben unsere Machisten nicht verstanden, die sklavisch der reaktionären Professorenphilosophie folgen. „Vielleicht irren wir uns, aber wir suchen", schrieb im Namen der Verfasser der „Beiträge" Lunatscharski. – Nicht ihr sucht, sondern ihr werdet gesucht, das ist eben das Unglück! Nicht ihr tretet von eurem, d. h. dem marxistischen (denn ihr wollt ja Marxisten sein) Standpunkte an jede Wendung der bürgerlich-philosophischen Mode heran, sondern diese Mode tritt an euch heran, sie nötigt euch ihre neuen Fälschungen im Geschmack des Idealismus auf, heute à la Ostwald, morgen à la Mach, übermorgen à la Poincaré. Jene verschrobenen „theoretischen" Kunststückchen (mit der „Energetik", den „Elementen", der „Introjektion" usw.), denen ihr naiverweise glaubt, bleiben innerhalb der Grenzen einer ganz engen, winzigen Schule, während ihre ideologische und gesellschaftliche Tendenz sofort von den Wards, den Neokritizisten, den Immanenzphilosophen, von Lopatin, von den Pragmatisten aufgegriffen wird und ihren Dienst leistet. Die Begeisterung für den Empiriokritizismus und den „physikalischen" Idealismus verraucht ebenso rasch, wie die Begeisterung für den Neukantianismus und den „physiologischen" Idealismus, allein der Fideismus holt sich von jeder derartigen Begeisterung seine Beute, indem er auf tausenderlei Art seine Kniffe verändert zu Nutz und Frommen des philosophischen Idealismus.

Das Verhältnis zur Religion und das Verhältnis zur Naturwissenschaft illustriert trefflich diese tatsächliche Ausnützung des Empiriokritizismus durch die bürgerliche Reaktion im Klasseninteresse.

Nehmen wir die erste Frage. Glaubt man etwa, es sei Zufall, dass in dieser Kollektivarbeit gegen die Philosophie des Marxismus Lunatscharski sich bis zur „Vergöttlichung der höchsten menschlichen Potenzen", bis zum „religiösen Atheismus"I usw., verstiegen hat? Wenn man das glaubt, so lediglich deswegen, weil die russischen Machisten das Publikum über die gesamte machistische Strömung in Europa und über das Verhältnis dieser Strömung zur Religion falsch informiert haben. Nicht nur hat dieses Verhältnis nichts gemein mit dem von Marx, Engels und Dietzgen und sogar von Feuerbach, sondern es ist das gerade Gegenteil, angefangen von der Petzoldtschen Erklärung: der Empiriokritizismus „widerstreitet weder dem Theismus überhaupt noch dem Atheismus" („Einführung in die Philosophie der reinen Erfahrung", I, S. 351), oder der Machs: „die religiöse Meinung ist Privatsache", und endend mit dem offenen Fideismus, mit der unverhüllten schwärzesten Reaktion eines Cornelius, der selber Mach lobt und von Mach gelobt wird, eines Carus und aller Immanenzphilosophen. Die Neutralität eines Philosophen in dieser Frage ist schon Lakaientum gegenüber dem Fideismus, und über die Neutralität kommen Mach und Avenarius nicht hinaus und können infolge der Ausgangspunkte ihrer Erkenntnistheorie gar nicht hinauskommen.

Sobald ihr die uns in der Empfindung gegebene objektive Realität leugnet, habt ihr schon jede Waffe gegen den Fideismus verloren, denn ihr seid bereits zum Agnostizismus bzw. Subjektivismus hinab geglitten, und mehr braucht er gar nicht. Ist die sinnliche Welt eine objektive Realität, dann ist jeder andern „Realität" oder Quasi-Realität (man erinnere sich, dass Basarow an den „Realismus" der Immanenzphilosophen, die Gott für einen „realen Begriff" erklären, geglaubt hat) das Tor versperrt. Ist die Welt sich bewegende Materie, so kann und muss man sie ohne Ende studieren in den unendlich komplizierten und detaillierten Erscheinungen und Verästelungen dieser Bewegung, der Bewegung dieser Materie, aber außerhalb dieser, außerhalb der „physischen", allen bekannten Außenwelt kann gar nichts sein. Kampf gegen den Materialismus, Türme von Verleumdungen gegen die Materialisten, – das alles ist im zivilisierten und demokratischen Europa an der Tagesordnung. So ist es heute noch. Und das alles wird dem Publikum durch die russischen Machisten vorenthalten, die nicht ein einziges Mal versucht haben, die Ausfälle der Mach, Avenarius, Petzoldt u. Co. gegen den Materialismus mit den Erklärungen Feuerbachs, Marx', Engels' und J. Dietzgens für den Materialismus auch nur einfach zu vergleichen.

Doch die „Verheimlichung" der Beziehungen von Mach und Avenarius zum Fideismus nützt nichts. Die Tatsachen sprechen für sich. Keine Anstrengung der Welt vermag diese reaktionären Professoren von jenem Schandpfahl zu lösen, an den sie durch die Küsse Wards, der Neokritizisten, Schuppes, Schubert-Solderns, Leclairs, der Pragmatisten usw. festgenagelt wurden. Und der Einfluss der eben genannten Personen als Philosophen und Professoren, der Grad der Verbreitung ihrer Ideen unter dem „gebildeten", d. h. bürgerlichen Publikum, die von ihnen geschaffene spezielle Literatur, ist zehnmal größer und reicher als das besondere Schülchen von Mach und Avenarius. Das Schülchen leistet den nötigen Dienst. Die daran Interessierten wissen schon, es richtig zu gebrauchen.

Die schmachvollen Dinge, auf die Lunatscharski verfallen ist, bilden nicht etwa eine Ausnahme, sie sind die Ausgeburt des Empiriokritizismus, des russischen wie des deutschen. Man kann sie nicht mit den „guten Absichten" des Verfassers, mit dem „besonderen Sinn" seiner Worte verteidigen: wäre dieser Sinn ein direkter und gewöhnlicher, d. h. unmittelbar fideistischer, so würden wir mit dem Verfasser überhaupt nicht diskutieren; denn es würde sich sicher kein Marxist finden, den ähnliche Erklärungen nicht veranlassen würden, Anatol Lunatscharski vollkommen auf eine Stufe zu stellen mit Peter Struve. Wenn das nicht der Fall ist (und es ist noch nicht der Fall), so ist es ausschließlich dem Umstände zu danken, dass wir den „besonderen" Sinn sehen, und wir kämpfen, solange noch ein Boden für einen parteigenössischen Kampf vorhanden ist. Das ist eben das Schmachvolle an den Erklärungen Lunatscharskis, dass er sie mit seinen „guten" Absichten verbinden konnte. Darin liegt ja das Übel seiner „Theorie", dass sie solche Mittel oder solche Schlüsse zur Realisierung der guten Absichten zulässt. Das Unglück ist ja eben, dass die „guten" Absichten bestenfalls die subjektive Angelegenheit von Müller, Schulze, Lehmann bleiben, während die gesellschaftliche Bedeutung derartiger Erklärungen unbedingt und unbestreitbar ist und durch keinerlei Vorbehalte und Erläuterungen abgeschwächt werden kann.

Man muss blind sein, um die ideelle Verwandtschaft zwischen der „Vergöttlichung der höchsten menschlichen Potenzen" bei Lunatscharski und der „universalen Substitution" des Psychischen für die ganze physische Natur bei Bogdanow nicht zu sehen. Es ist ein und derselbe Gedanke, in dem einen Fall ausgedrückt vornehmlich vom ästhetischen, in dem andern vom erkenntnistheoretischen Standpunkt aus. Die „Substitution" vergöttert ja bereits stillschweigend und von einer anderen Seite an die Sache herantretend, die „höchsten menschlichen Potenzen", indem sie das „Psychische" vom Menschen lostrennt und das unermesslich erweiterte, abstrakte, göttlich-tote „Psychische überhaupt" für die ganze physische Natur substituiert. Und wie steht es mit dem „Logos" Juschkewitschs, der in den „irrationalen Fluss des Gegebenen" hineingetragen wird?

Reiche dem Teufel den kleinen Finger und er holt die ganze Hand. Unsere Machisten sind alle dem Idealismus verfallen, d. h. einem abgeschwächten, verfeinerten Fideismus, verfallen von dem Augenblick an, als sie die „Empfindung" nicht für das Abbild der Außenwelt, sondern für ein besonderes „Element" genommen haben. Niemandes Empfindung, Niemandes Psychik, Niemandes Geist, Niemandes Wille, – dahin muss man unvermeidlich gelangen, wenn man die materialistische Theorie, nach der das menschliche Bewusstsein die objektiv-reale Außenwelt widerspiegelt, nicht anerkennt.

5. Ernst Haeckel und Ernst Mach

Betrachten wir nun das Verhältnis des Machismus als philosophischer Strömung zur Naturwissenschaft. Der ganze Machismus kämpft von Anfang bis zu Ende gegen die „Metaphysik" der Naturwissenschaft, wobei er unter diesem Namen den naturwissenschaftlichen Materialismus versteht, d. h. die elementare, instinktive, ungeformte, philosophisch-unbewusste Überzeugung der erdrückenden Mehrzahl der Naturforscher von der objektiven Realität der sich in unserem Bewusstsein widerspiegelnden Außenwelt. Und diese Tatsache verschweigen unsere Machisten absichtlich, indem sie den untrennbaren Zusammenhang des elementaren Materialismus der Naturforscher mit dem philosophischen Materialismus als Richtung, der schon längst bekannt ist und von Marx und Engels hundertfach bekräftigt wurde, vertuschen oder verwirren.

Nehmen wir Avenarius. Schon in seinem ersten Werke: „Philosophie als Denken der Welt gemäß dem Prinzip des kleinsten Kraftmaßes", erschienen im Jahre 1876, bekämpft er die Metaphysik der NaturwissenschaftJ, d. h. den naturwissenschaftlichen Materialismus, und zwar bekämpft er ihn, wie er selbst im Jahre 1891 gesteht (ohne jedoch seine Ansichten zu „korrigieren"), vom Standpunkte des erkenntnistheoretischen Idealismus aus.

Nehmen wir Mach. Seit 1872, oder gar noch früher, bis zum Jahre 1906 kämpft er unentwegt gegen die Metaphysik der Naturwissenschaft, wobei er allerdings gewissenhaft genug ist, zu gestehen, dass mit ihm zwar „eine ganze Anzahl Philosophen" (darunter die Vertreter der immanenten Philosophie), aber nur „sehr vereinzelte Naturforscher" gehen. („Analyse der Empfindungen", S. 9.) Im Jahre 1906 gesteht Mach ebenso gewissenhaft, dass „die meisten Naturforscher den Materialismus pflegen". („Erkenntnis und Irrtum", 2. Auflage, S. 4.)

Nehmen wir Petzoldt. Im Jahre 1900 verkündete er: „Die Naturwissenschaften selbst sind noch ganz und gar mit Metaphysik durchsetzt". „Ihre ,Erfahrung' muss also erst gereinigt werden." („Einführung in die Philosophie der reinen Erfahrung", Bd. I, S. 343.) Wir wissen, dass Avenarius und Petzoldt die Erfahrung von jeder Anerkennung der uns in der Empfindung gegebenen objektiven Realität „reinigen". Im Jahre 1904 erklärt Petzoldt:

Die mechanistische Weltanschauung des modernen Naturforschers ist im Wesentlichen nicht besser als die der alten Inder Ob die Welt von einem fabelhaften Elefanten oder von einer ebenso fabelhaften Schar von – erkenntnistheoretisch reell gedachten, also nicht bloß bildlich verwendeten – Molekülen und Atomen getragen wird, ist gleichgültig." (Bd. II, S. 176.)

Nehmen wir Willy, den einzigen unter den Machisten, der anständig genug ist, sich der Verwandtschaft mit den Immanenzphilosophen zu schämen. Auch er erklärt im Jahre 1905:

„… Auch die Naturwissenschaften sind schließlich in mancher Hinsicht eine Autorität, von der wir uns frei machen müssen." („Gegen die Schulweisheit", S. 158.)

Das alles ist doch purer Obskurantismus, abgefeimteste Reaktion. Die Atome, Moleküle, Elektronen usw. für eine annähernd richtige Widerspiegelung der objektiv-realen Bewegung der Materie in unserem Kopf halten, das soll das gleiche sein, wie an einen Elefanten glauben, der die Welt trägt! Es ist begreiflich, dass die Immanenzler mit beiden Händen nach einem solchen im Narrengewand eines Modepositivisten einher stolzierenden Obskuranten griffen. Es existiert kein einziger Immanenzphilosoph, der nicht wutschnaubend über die „Metaphysik" der Naturwissenschaft, über den „Materialismus" der Naturforscher hergefallen wäre gerade wegen dieser Anerkennung der objektiven Realität der Materie (und ihrer Teilchen), der Zeit, des Raumes, der Gesetzmäßigkeit der Natur usw. usw. durch die Naturforscher. Lange vor den neuen Entdeckungen in der Physik, die den „physikalischen Idealismus" hervorgerufen haben, kämpfte Leclair, gestützt auf Mach, gegen den „materialistischen Grundzug der modernen Naturwissenschaft". (Titel des § 6 in „Der Realismus usw.", 1879.) Schubert-Soldern zog gegen die „Metaphysik der Naturwissenschaft" (Titel des 2. Kapitels in den „Grundlagen einer Erkenntnistheorie", 1884) zu Felde, und Rehmke kämpfte den naturwissenschaftlichen „Materialismus", diese „Metaphysik der Gasse", nieder („Philosophie und Kantianismus", 1882, S. 17) usw. usw.

Und die Immanenzphilosophen zogen ganz mit Recht aus dieser machistischen Idee von der „Metaphysik" des naturwissenschaftlichen Materialismus direkte und offene fideistische Schlüsse. Wenn uns die Naturwissenschaft in ihren Theorien nicht die objektive Realität, sondern nur Metaphern, Symbole, Formen der menschlichen Erfahrung usw. zeichnet, so ist die Menschheit unbestreitbar berechtigt, sich für ein anderes Gebiet nicht weniger „reale Begriffe", wie Gott usw., zu schaffen.

Die Philosophie des Naturforschers Mach verhält sich zur Naturwissenschaft wie der Kuss des Christen Judas zu Christus. Mach verrät genau so die Naturwissenschaft an den Fideismus, indem er dem Wesen der Sache nach auf die Seite des philosophischen Idealismus übergeht. Machs Verleugnung des naturwissenschaftlichen Materialismus ist in jeder Beziehung eine reaktionäre Erscheinung: wir haben das anschaulich genug gesehen, als wir vom Kampfe der „physikalischen Idealisten" gegen die Mehrzahl der Naturforscher, die sich an den Standpunkt der alten Philosophie halten, sprachen. Wir werden das noch klarer sehen, wenn wir den berühmten Naturforscher Ernst Haeckel mit dem (unter dem reaktionären Spießertum) ebenso berühmten Philosophen Ernst Mach vergleichen.

Der Sturm, den die „Welträtsel" von Ernst Haeckel in allen zivilisierten Ländern verursacht haben, zeigte einerseits besonders plastisch die Parteilichkeit der Philosophie in der heutigen Gesellschaft, andererseits die wirkliche gesellschaftliche Bedeutung des Kampfes des Materialismus gegen Idealismus und Agnostizismus. Die Hunderttausende von Exemplaren des Buches, das sofort in alle Sprachen übersetzt wurde und in besonders billigen Ausgaben Verbreitung fand, lieferten den schlagenden Beweis, dass dieses Buch „ins Volk gedrungen" ist, und dass Lesermassen vorhanden sind, die E. Haeckel mit einem Schlage auf seine Seite gebracht hat. Das populäre Büchlein wurde zu einer Waffe des Klassenkampfes. Die Professoren der Philosophie und Theologie in aller Herren Länder begannen in tausenderlei Variationen Haeckel zu schmähen und zu vernichten. Der berühmte englische Physiker Lodge unternahm es, Gott gegen Haeckel zu verteidigen. Der russische Physiker Herr Chwolson begab sich nach Deutschland, um dort eine gemeine stockreaktionäre Broschüre gegen Haeckel herauszugeben und den ehrenwerten Herren Philistern zu versichern, dass heute nicht die ganze Naturwissenschaft auf dem Standpunkt des „naiven Realismus" stehe.K Zahllos sind die Theologen, die gegen Haeckel zu Felde zogen. Es gab keine Schimpferei, die die offiziellen Philosophieprofessoren nicht gegen ihn geschleudert hätten.L Es ist drollig, zu sehen, wie bei diesen in toter Scholastik ausgetrockneten Mumien – vielleicht das erste Mal in ihrem Leben – die Augen zu glühen beginnen, wie ihre Wangen sich röten von den Ohrfeigen, die ihnen Ernst Haeckel verabreicht hat. Die Priester der reinen Wissenschaft und der scheinbar abstraktesten Theorie stöhnen geradezu vor Wut, und in all diesem Gebrüll der großen Tiere in der Philosophie (des Idealisten Paulsen, des Immanenzphilosophen Rehmke, des Kantianers Adickes usw., wer zählt die Völker, nennt die Namen) ist ein Leitmotiv deutlich vernehmbar: gegen die „Metaphysik" der Naturwissenschaft, gegen den „Dogmatismus", gegen die „Übertreibung des Wertes und der Bedeutung der Naturwissenschaft", gegen den „naturwissenschaftlichen Materialismus". Er ist Materialist, hussa!, packt ihn, den Materialisten, er betrügt das Publikum, indem er sich nicht direkt als Materialist bezeichnet, – das ist es ja gerade, was die ehrwürdigen Herren Professoren in Raserei bringt.

Und besonders bezeichnend bei dieser ganzen TragikomödieM ist der Umstand, dass Haeckel selbst sich vom Materialismus lossagt, diesen Namen zurückweist. Mehr noch. Nicht nur, dass er nicht jede Religion verwirft, er erfindet sogar eine eigene Religion (auch so etwas wie der „atheistische Glaube" Bulgakows oder der „religiöse Atheismus" Lunatscharskis), und er verteidigt prinzipiell ein Bündnis zwischen Religion und Wissenschaft! Worum handelt es sich nun? Welches „verhängnisvolle Missverständnis" hat denn diesen Streit um des Kaisers Bart hervorgerufen?

Es handelt sich darum, dass die philosophische Naivität Ernst Haeckels, das Fehlen bestimmter Parteiziele bei ihm, sein Wunsch, den herrschenden philiströsen Vorurteilen gegen den Materialismus Rechnung zu tragen, seine persönlichen Versöhnungstendenzen und Vorschläge hinsichtlich der Religion – dass dies alles nur um so plastischer den allgemeinen Geist seines Büchleins, die Unausrottbarkeit des naturwissenschaftlichen Materialismus, seine Unversöhnbarkeit mit der ganzen offiziellen Professorenphilosophie und Theologie – hervortreten ließ. Persönlich möchte Haeckel einen Bruch mit den Philistern vermeiden; doch das, was er mit so unerschütterlich-naiver Überzeugung auseinandersetzt, verträgt sich absolut mit keiner Schattierung des herrschenden philosophischen Idealismus. Alle diese Schattierungen – von den gröbsten reaktionären Theorien eines Hartmann bis zu Petzoldt, der sich für einen sehr modernen, progressiven, voranschreitenden Positivisten hält, oder zum Empiriokritizisten Mach – alle stimmen darin überein, dass der naturwissenschaftliche Materialismus „Metaphysik" sei, dass die Anerkennung der objektiven Realität der Theorien und Folgerungen der Naturwissenschaft „allernaivsten Realismus" bedeute usw. Und gerade dieser „gelobten" Lehre der ganzen Professorenphilosophie und Theologie schlägt jede Seite von Haeckel ins Gesicht. Ein Naturforscher, der unbedingt die dauerhaftesten, wenn auch formlosen Meinungen, Stimmungen und Tendenzen der überwiegenden Mehrzahl der Naturforscher am Ende des XIX. und zu Beginn des XX. Jahrhunderts zum Ausdruck bringt, zeigte auf einmal, leicht und fasslich, das, was die Professorenphilosophie vor dem Publikum und vor sich selber zu verbergen suchte, – nämlich, dass es einen Eckpfeiler gibt, der sich immer mehr verbreitert und festigt und an dem alle Bemühungen und Anstrengungen der tausend und einer „Schule" des philosophischen Idealismus, Positivismus, Realismus, Empiriokritizismus und sonstigen Konfusionismus zerschellen. Dieser Eckpfeiler ist der naturwissenschaftliche Materialismus. Die Überzeugung der „naiven Realisten" (d. h. der ganzen Menschheit), dass unsere Empfindungen Abbilder der objektiv-realen Außenwelt sind, wird zur stets wachsenden und stärker werdenden Überzeugung der Masse der Naturforscher.

Verloren ist die Sache der Gründer neuer philosophischer Schülchen, der Erfinder neuer erkenntnistheoretischer „Ismen", verloren für immer, hoffnungslos dahin. Mögen sie sich um ihre „originellen" Systemchen herum balgen, mögen sie sich Mühe geben, einige Verehrer mit dem interessanten Streit zu unterhalten, ob der empiriokritische Bobtschinsky oder der empiriomonistische Dobtschinsky zuerst „Eh" gesagt habe, mögen sie, wie die „Immanenten", sogar eine umfangreiche „spezielle" Literatur schaffen, – der Entwicklungsgang der Naturwissenschaft schiebt trotz ihres Wankens und Schwankens, trotz aller Unbewusstheit des Materialismus der Naturforscher, trotz der Begeisterung von gestern für den modischen „physiologischen Idealismus" oder der von heute für den modischen „physikalischen Idealismus" alle Systemchen und Kniffe beiseite, indem er immer und immer wieder die „Metaphysik" des naturwissenschaftlichen Materialismus in den Vordergrund rückt.

Hier eine Illustration des Obengesagten an einem Beispiel aus Haeckel. In den „Lebenswundern" vergleicht der Verfasser die monistische und dualistische Erkenntnistheorie miteinander. Wir zitieren daraus die interessantesten Punkte der Gegenüberstellung:

Monistische Erkenntnistheorie

Dualistische Erkenntnistheorie

3. Die Erkenntnis ist ein physiologischer Vorgang, dessen anatomisches Organ das Gehirn ist.

4. Der Teil des menschlichen Gehirns, in welchem Erkenntnis ausschließlich zustande kommt, ist ein räumlich begrenztes Gebiet in der Großhirnrinde, das Phronema.

3. Die Erkenntnis ist kein physiologischer Vorgang, sondern ein rein geistiger Prozess.

4. Der Teil des menschlichen Gehirns, der scheinbar als Organ der Erkenntnis fungiert, ist tatsächlich nur das Instrument, das den geistigen Prozess zur Erscheinung bringt.

5. Das Phronema ist eine höchst vollkommene Dynamo-Maschine, deren einzelne Teile, Phroneten, aus Millionen von Selenzellen (Phronetalzellen) zusammengesetzt sind. Wie bei jedem anderen Organ des Körpers ist auch bei diesem Geistesorgan die Tätigkeit (der „Geist") das Gesamtresultat der Funktionen der Zellen, die es zusammensetzen.

(Ernst Haeckel: I und XVI.)

5. Das Phronema als Organ der Vernunft ist nicht autonom tätig, sondern vermittelt durch seine einzelnen Teilorgane (Phroneten) und die dasselbe zusammensetzenden Zellen nur die Beziehungen zwischen dem immateriellen Geiste und der Außenwelt Die menschliche Vernunft ist von dem Verstände der höheren und dem Instinkte der niederen Tiere absolut verschieden.

Die Lebenswunder", Stuttgart 1904. Synoptische Tabelle

Man ersieht aus diesem typischen Bruchstück aus dem Haeckelschen Werke, dass er sich auf eine Untersuchung der philosophischen Fragen gar nicht einlässt und es nicht versteht, die materialistische und idealistische Erkenntnistheorie einander gegenüberzustellen. Er verspottet alle idealistischen oder vielmehr alle speziell philosophischen Jongleurkünste vom Standpunkt des Naturwissenschaftlers aus, wobei er nicht einmal den Gedanken zulässt, dass eine andere Erkenntnistheorie als die des naturwissenschaftlichen Materialismus möglich sei. Er verspottet die Philosophen als Materialist, ohne zu merken, dass er auf dem Standpunkt des Materialisten steht.

Die ohnmächtige Wut der Philosophen gegen diesen allmächtigen Materialismus ist verständlich. Wir haben oben die Äußerungen des „echt-russischen" Lopatin zitiert. Hier nun die Äußerung des Herrn Rudolf Willy, des fortschrittlichsten „Empiriokritikers" und unversöhnlichen Gegners des Idealismus (bitte nicht zu lachen!)

Der Monismus Haeckels ist ein sehr buntes Gemisch; er vereinigt gewisse naturwissenschaftliche Gesetze, wie das Gesetz der Erhaltung der Energie … mit gewissen scholastischen Substanz- und Ding-an-sich-Überlieferungen zu einem chaotischen Durcheinander." („Gegen die Schulweisheit", S. 128.)

Was hat den ehrenwerten „neuesten Positivisten" so in Harnisch gebracht? Nun, wie sollte er nicht in Zorn geraten, wo er doch sofort merkte, dass alle großen Lehren seines Meisters Avenarius – z. B. dass das Gehirn kein Organ des Gedankens sei, dass die Empfindungen keine Abbilder der Außenwelt, dass die Materie (Substanz) oder das „Ding an sich" keine objektive Realität sei usw. – vom Standpunkte Haeckels aus pures idealistisches Kauderwelsch sind?! Haeckel hat das zwar nicht ausdrücklich gesagt, denn er befasste sich nicht mit Philosophie, auch nicht mit dem „Empiriokritizismus" als solchem. Doch kann sich R. Willy der Einsicht nicht verschließen, dass hunderttausend Leser von Haeckel ein hunderttausendfaches Spucken auf die Mach-Avenariussche Philosophie bedeuten. Und R. Willy wischt sich beizeiten ab – nach Lopatinscher Art. Denn in ihrem Kern ist die Argumentation des Herrn Lopatin und des Herrn Willy gegen jeglichen Materialismus überhaupt und gegen den naturwissenschaftlichen Materialismus insbesondere ganz dieselbe. Für uns Marxisten ist der Unterschied zwischen dem Herrn Lopatin und den Herren Willy, Petzoldt, Mach u. Co. nicht größer als der zwischen einem protestantischen und einem katholischen Theologen.

Der „Krieg" gegen Haeckel bewies, dass diese unsere Auffassung der objektiven Realität entspricht, d. h. der Klassennatur der modernen Gesellschaft und ihrer ideellen Klassentendenzen.

Ein weiteres kleines Beispiel. Der Machist Kleinpeter hat das in Amerika verbreitete Werk von Karl Snyder: „Das Weltbild der modernen Naturwissenschaft" aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt (Leipzig 1905). Dieses Werk erläutert in klarer populärer Form eine ganze Reihe der neuesten Entdeckungen sowohl in der Physik als auch auf anderen Gebieten der Naturwissenschaft. Und siehe, der Machist Kleinpeter sah sich veranlasst, Snyder mit einem Vorwort zu versehen, worin er Vorbehalte macht, wie etwa, dass Snyders Erkenntnistheorie „mangelhaft" sei. (S. V.) Warum das? Nun darum, weil Snyder keinen Augenblick einen Zweifel darüber bestehen lässt, dass das Weltbild ein Bild der sich bewegenden und „denkenden Materie" ist. (a. a. O., S. 228.) In seiner nächsten Arbeit „Die Weltmaschine"N sagt Snyder, darauf anspielend, dass sein Buch dem Andenken Demokrits von Abdera gewidmet ist, der ungefähr 460–360 v. Chr. lebte:

Demokrit ist öfters der Ahnherr des Materialismus genannt worden. Es ist das eine Philosophenschule, die heute ein wenig aus der Mode gekommen ist. Doch verdient es, erwähnt zu werden, dass praktisch alle modernen Fortschritte unserer Ideen über die Welt auf seinen Begriffen sich aufbauen. Praktisch gesprochen, sind materialistische Annahmen bei physikalischen Forschungen einfach unvermeidlich." (S. 140.)

Wenn er will, kann er mit dem guten Bischof Berkeley träumen, dass alles ein Traum ist. So bequem dieses Kunststück eines idealisierten Idealismus sein mag, so gibt es doch noch unter uns einige wenige, die, wie auch immer sie über das Problem der Außenwelt denken, zweifeln, dass sie selbst existieren; und es bedarf keiner langen Verfolgung der Irrlichte des Ich und Nicht-ich, um uns zu versichern, dass wir in dem unbewachten Moment, wo wir annehmen, dass wir selbst eine Persönlichkeit haben und ein Wesen sind, die ganze Reihe von Erscheinungen einlassen, die uns durch die sechs Eingangspforten der Sinne zuströmt. Die Nebularhypothese, der lichtvermittelnde Äther, die Atomtheorie und alles dergleichen können wohl passend „Arbeitshypothesen" genannt werden, doch ist wohl daran zu erinnern, dass bei Abwesenheit eines Beweises vom Gegenteil sie auf mehr oder weniger der gleichen Grundlagen beruhen, wie die Hypothese, dass ein Wesen, das Du, nachsichtiger Leser, „Du" nennst, diese Zeilen prüfend verfolgt." (S. 31 u. 32.)

Man vergegenwärtige sich nur das bittere Los eines Machisten, wenn seine feinen Lieblingskonstruktionen, die naturwissenschaftliche Kategorien auf einfache Arbeitshypothesen zurückführen, von den Naturforschern beiderseits des Ozeans als purer Unsinn verhöhnt werden! Soll man sich da wundern, dass Rudolf Willy im Jahre 1905 gegen Demokrit loszieht, als wäre dieser Feind noch am Leben, womit er ausgezeichnet die Parteilichkeit der Philosophie demonstriert und wieder und wieder einmal seine wahre Stellung in diesem Parteikampfe offenbart?

Gewiss – schreibt er – hatte Demokrit kein Bewusstsein davon, dass die Atome und der leere Raum lediglich fiktive Begriffe sind, die bloße Handlangerdienste verrichten und nur aus Gnaden der Zweckmäßigkeit – solange sie sich als brauchbar erweisen – ihr Dasein fristen. So frei war Demokrit nicht; aber auch unsere modernen Naturforscher – von einigen Ausnahmen abgesehen – sind es nicht. Der Glaube des alten Demokrit ist auch der Glaube unserer Naturforscher." (a.a.O., S. 57.)

Grund zum Verzweifeln ist allerdings vorhanden! Da hat man ganz „neuartig", „empiriokritisch" bewiesen, dass sowohl Raum wie Atome „Arbeitshypothesen" sind, und die Naturforscher machen sich über diesen Berkeleyanismus lustig und folgen Haeckel! Wir sind ja gar keine Idealisten, das ist Verleumdung, wir bemühen uns bloß (mit den Idealisten zusammen), die erkenntnistheoretische Linie des Demokrit zu widerlegen, wir bemühen uns bereits über 2000 Jahre, – und alles umsonst! Da bleibt unserem Führer Ernst Mach nichts weiter übrig, als sein letztes Werk, das Resultat seines Lebens und seiner Philosophie – „Erkenntnis und Irrtum" – einem Wilhelm Schuppe zu widmen und im Text wehmütig zu bemerken, dass die Mehrzahl der Naturforscher Materialisten sind, und dass er auch „in Haeckel einen aufrichtigen, unbestechlichen Kämpfer für Aufklärung und Denkfreiheit" verehre. (2. Auflage, S. 14.)

Hierin zeigt er sich ganz, dieser Ideologe des reaktionären Kleinbürgertums, der dem Erzreaktionär W. Schuppe folgt und die Denkfreiheit eines Haeckel „verehrt". So sind sie alle, diese humanen Philister in Europa mit ihren freidenkerischen Sympathien und ihrem ideellen (politischen und ökonomischen) Eingenommensein für die Wilhelm Schuppe.O Die Parteilosigkeit in der Philosophie ist nichts anderes als ein jammervollmaskierter Lakaiendienst für den Idealismus und Fideismus.

Man vergleiche noch zum Schluss die Äußerung Franz Mehrings über Haeckel, die Äußerung eines Mannes, der nicht nur Marxist sein will, sondern es auch zu sein versteht. Gleich nach Erscheinen der „Welträtsel", schon Ende des Jahres 1899, wies Mehring sofort darauf hin, dass

Haeckels Werk in seinen minder guten wie in seinen sehr guten Seiten außerordentlich geeignet ist, die in der Partei anscheinend etwas durcheinander geratenen Ansichten darüber zu klären, sowohl was sie am historischen Materialismus als auch was sie am historischen Materialismus besitzt."P

An Haeckel sei zu bemängeln, dass er keine Ahnung vom historischen Materialismus hat und sich zu einer Reihe schreiender Absurditäten über Politik sowohl wie über „monistische Religion" usw. versteigt. „Er (Haeckel) ist Materialist und Monist, aber nicht historischer, sondern nur naturwissenschaftlicher Materialist." (Ebenda.)

Wer einmal diese Unfähigkeit (des beschränkt naturwissenschaftlichen Materialismus, bei gesellschaftlichen Fragen mitzureden) mit Händen greifen, wer sich mit der Erkenntnis durchdringen will, dass der naturwissenschaftliche Materialismus sich zum historischen Materialismus erweitern muss, wenn er wirklich eine unwiderstehlich aufräumende Waffe im großen Befreiungskampf der Menschheit sein will, der lese Haeckels Buch. Aber er lese es nicht nur deshalb! Seine ungemein schwache Seite hängt viel mehr untrennbar mit seiner ungemein starken Seite zusammen, mit der fasslichen, klaren, schließlich doch den ungleich größeren und wichtigeren Teil des Bandes füllenden Darstellung, die Haeckel von der Entwicklung der Naturwissenschaften in diesem Jahrhundert oder mit anderen Worten von dem Siegeszug des naturwissenschaftlichen Materialismus gibt."Q

1Vierteljahresschrift für wissenschaftliche Philosophie", Leipzig 1895, Bd. XIX, S. 378–390.

2 Die Worte „wer den Feind…", die Abwandlung eines Vierzeilers von Goethe, entnahm Lenin dem Roman „Neuland" von I. S. Turgenjew. {Anmerkung der „Werke, Band 14}

3 a limine – „von der Schwelle", d. h. ohne sich erst auf die Sache einzulassen.

A In demselben Geiste spricht sich auch Mach für den bürokratischen Sozialismus Poppers und Mengers aus, durch den „die Freiheit des Individuums" gewahrt bliebe; darin „unterscheidet er sich vorteilhaft" von der sozialdemokratischen Lehre, da die „Sklaverei in einem sozialdemokratischen Staat noch allgemeiner und drückender werden könnte als in einem monarchischen oder oligarchischen". Siehe „Erkenntnis und Irrtum", 2. Auflage, 1906, S. 80 u. 81.

4 rather = vielmehr. Die Red.

5 Karl Marx: „Briefe an Kugelmann", Viva, Berlin 1924, S. 75 u. 76. Die Red. {Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 32, Berlin 1965, S. 685/686.}

B Es ist charakteristisch, dass Suworow die Entdeckung des Gesetzes von der Erhaltung und Verwandlung der Energie als die „Feststellung der Grundsatze der Energetik" bezeichnet. (S. 292.) Hat unser „Realist", der Marxist sein will, etwas davon gehört, dass sowohl die Vulgär-Materialisten Büchner u. Co. wie der dialektische Materialist Engels eben dieses Gesetz für die Feststellung der Grundsätze des Materialismus gehalten haben? Hat unser Realist darüber nachgedacht, was dieser Unterschied bedeutet? O, durchaus nicht! Er folgte einfach der neuen Mode, sprach Ostwald nach und das ist alles. Das ist es eben, dass derartige „Realisten" vor der Tagesmode kapitulieren, während Engels z. B. den für ihn neuen Terminus Energie sich zwar zu eigen gemacht und ihn 1885 (im Vorwort zur 2. Auflage des „Anti-Dühring") und 1888 (im „L. Feuerbach") zu verwenden begann, aber er verwendete ihn ebenso wie die Begriffe „Kraft" und , Bewegung" in Abwechslung mit diesen. Engels verstand es, durch Aneignung einer neuen Terminologie seinen Materialismus zu bereichern. Die „Realisten" und die übrigen Konfusionsräte haben den neuen Ausdruck aufgegriffen, ohne den Unterschied zwischen Materialismus und Energetik zu bemerken!

C Karl Grün: „Ludwig Feuerbach in seinem Briefwechsel und Nachlass, sowie in seiner philosophischen Charakterentwicklung", 1, Bd., Leipzig 1874, S. 361. {Siehe Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 27, Berlin 1965, S. 419-421. Als Datum des Briefes wird irrtümlich von Grün der 30., von Lenin der 20. Oktober 1843 angegeben. Der Brief wurde in Wirklichkeit am 3. Oktober 1843 geschrieben. - „Werke“, Band 14}

D Über den Positivisten Beesly sagt Marx im Briefe vom 13. Dezember 1870: „Professor Beesly ist Comtist und ist als solcher verpflichtet, allerlei ,Cratchets' (Grillen) geltend zu machen." {Siehe Karl Marx/Friedrich Engels, Werke, Bd. 32, Berlin 1965, S. 686; Bd. 33, Berlin 1966, S. 162.} Vgl. damit Engels' Bewertung der Positivisten à la Huxley im Jahre 1891.

E Auch hier wieder ein ungeschickter, ungenauer Ausdruck: statt „Metaphysiker" müsste man „Idealisten" sagen. J. Dietzgen selbst setzt an anderen Stellen die Metaphysiker in Gegensatz zu den Dialektikern.

F Man beachte, dass J. Dietzgen sich schon verbessert und genauer erklärt hat, wer die Gegenpartei des Materialismus ist.

G Siehe den Artikel: „Sozialdemokratische Philosophie", geschrieben 1876, „Kleinere philosophische Schriften", 1903, S. 134.

H Noch ein Beispiel dafür, wie die weitverbreiteten Strömungen der reaktionären bürgerlichen Philosophie den Machismus tatsächlich ausnützen. Die „letzte Mode" der allerneuesten amerikanischen Philosophie ist wohl der „Pragmatismus" (vom griechischen Wort pragma – Tat, Handlung; also Philosophie der Tat). Über Pragmatismus wird in den philosophischen Zeitschriften wohl auch am meisten gesprochen. Der Pragmatismus verspottet die Metaphysik des Materialismus sowohl wie des Idealismus, preist die Erfahrung, und zwar nur die Erfahrung, erkennt als einziges Kriterium die Praxis an, beruft sich überhaupt auf die positivistische Strömung und stützt sich speziell auf Ostwald, Mach, Pearson, Poincaré, Duhem, darauf, dass die Wissenschaft keine „absolute Kopie der Realität" sei, und – leitet glücklich aus alledem einen Gott ab, und zwar für praktische Zwecke, nur für die Praxis, ohne jede Metaphysik, ohne irgendwie die Grenzen der Erfahrung zu überschreiten. (Vgl. William James: „Pragmatism. A new name for some old ways of thinking", 1907, S. 57 u. bes. 106.) Der Unterschied zwischen Machismus und Pragmatismus ist vom Standpunkt des Materialismus aus ebenso nichtig und zehntrangig, wie der Unterschied zwischen Empiriokritizismus und Empiriomonismus. Man vergleiche nur die Bogdanowsche und die pragmatistische Definition der Wahrheit: „Wahrheit ist für den Pragmatisten ein Gattungsbegriff für alle Arten von bestimmten Arbeitswerten (working values) in der Erfahrung", (ib., S. 68.)

I „Beiträge", S. 157, 159. In der „Sagranitschnaja Gazeta" („Auslandszeitung") spricht der gleiche Verfasser von dem „wissenschaftlichen Sozialismus in seiner religiösen Bedeutung" (Nr. 3, S. 5), und in der „Obrasowanije" ,Bildung"), Jahrgang 1908, Nr. 1, S. 164, schreibt er geradezu: „…Schon lange reift in mir eine neue Religion" …

J § 79, 114 u. a.

K O. D. Chwolson: „Hegel, Haeckel, Kossuth und das zwölfte Gebot", 1906. Vgl. S. 80.

L Die Broschüre von Heinrich Schmidt „Kampf um die Welträtsel" (Bonn 1900) gibt kein schlechtes Bild des Feldzuges der Philosophie- und Theologieprofessoren gegen Haeckel. Diese Broschüre ist jedoch heute bereits stark überholt.

M Das tragische Moment wurde durch das Attentat auf Haeckels Leben im Frühling dieses Jahres (1908) hineingetragen. Nach einer Reihe anonymer Briefe, in denen Haeckel mit Ausdrücken, wie „Hund", „Gottloser", „Affe" usw. tituliert wurde, hat irgendein echt-deutscher Mann in das Jenaer Arbeitszimmer Haeckels einen Stein von erklecklicher Größe geschleudert.

N Carl Snyder: „The world machine", London 1907; übersetzt von Hans Kleinpeter, Leipzig 1908.

O Plechanow trachtete in seinen Bemerkungen gegen die Machisten weniger danach, Mach zu widerlegen, als vielmehr der Fraktion der Bolschewiki Schaden zuzufügen. Für diese kleinliche und klägliche Ausnützung der grundlegenden theoretischen Meinungsverschiedenheiten wurde er schon hinreichend bestraft durch die zwei Büchlein menschewistischer Machisten.

P Franz Mehring: „Die Welträtsel", „Neue Zeit", 1899/1900, Bd. XVIII, 1, S. 418.

Q a.a.O., S. 419.

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