Henri Guilbeaux 19171000 Die russische Revolution und die französische Presse

Henri Guilbeaux (Genf.): Die russische Revolution und die französische Presse

[Nach Bote der Russischen Revolution. Organ der ausländischen Vertretung des Zentralkomitees der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands (Bolschewiki) Nr. 7, 27. Okt. 1917, S. 10-12]

Als vor sechs Monaten die Kunde von der russischen Revolution nach Frankreich kam – die französische Regierung erlaubte erst 24 Stunden später die Nachricht darüber zu veröffentlichen –, da war die Freude allgemein. Die offiziellen Agenturen stellten nämlich die Sache so vor, als ob die Revolution auf Geheiß der „Verbündeten" gemacht würde und Sir Buchanan, der englische Gesandte habe sie zusammen mit Herr Miljukow inszeniert. Die zarische Regierung, so erzählte man sich, war im Begriff die Verbündeten zu verraten und mit den Deutschen einen Separatfrieden zu schließen, aber die tapferen Kadetten hielten Wacht, die Verschwörung wurde entdeckt und sie nötigten den Zaren abzudanken.

Das war die Quelle der Freude aller französischen Journalisten. Gustav Hervé, dieser König der Hanswurste und Clowns der dritten Republik, besang in lyrischen Ergüssen die russische Revolution: „was für ein Schlag für den Kaiser und seine Junker, was für ein Nachahmungsbeispiel für das deutsche Volk. Was ist Verdun, was ist Yser, was sogar die Schlacht an der Marne, der unvergessliche Sieg, im Vergleich mit diesem moralischen Siege, den jetzt eben die Entente in Petrograd feiert, in Vergleich mit diesem, seit der Französischen Revolution, größten historischen Ereignis der Weltgeschichte." Le Temps, das repräsentativste Organ der französischen Imperialisten und das doch so lange und so innig dem Zaren zugetan war, schrieb mehr objektiv, aber nicht weniger siegesbewusst über die Ereignisse; die Namen Lwow, Miljukow, Gutschkow, Schingarew wurden begrüßt und bejubelt. Einige Zeitungen haben nicht den Mut gehabt den Zaren, von ersten Tag an zu verlassen, sie hofften in den Tiefen ihrer Herzen, dass die russische Revolution sich als eine Totgeburt entpuppt und dass Nikolaus Romanow wieder in Ehren an der Spitze der Monarchie stehen wird. „Der Zar hat abgedankt, heil ihm! … heil dem Monarchen, der, als er die heilige Erbschaft aus den Händen Alexander III übernahm, aus der Allianz mit Frankreich die Achse seiner äußeren Politik machte." So schrieb Gaulois und brachte den Besuch des Zaren in Paris, die Feste von Betheny und Compiègne in Erinnerung. Figaro versuchte sich in demselben Ton und Art: „wir müssen sagen, die Ereignisse selbst waren sogar weniger pathetisch als der Ausdruck, den sie gefunden haben. Ein Monarch, der auf seine absolute Gewalt und seinen Thron verzichtet, um nur sein Vaterland nicht zu entzweien, und ihm zum Siege zu verhelfen, der das alles tut mit so einer Selbstverleugnung und Güte, beherrscht seine Untertanen: und sogar in seinem Unglück bleibt er der Herr ihrer Seelen:"

Aber kurz war die Freude. Nachdem man einige Wochen gelogen hat, musste die französische Presse einen Teil der Wahrheit später doch sagen. Le Temps gab ohne Weiteres zu, dass die Revolution ein Werk der russischen Sozialisten war, und dass das russische Volk sich erlaubt, nach Brot und Frieden zu schreien. Von diesem Moment an ändert man den Ton und man fängt an die Sowjets scharf anzugreifen. Als der Sowjet sein Manifest über den Frieden ohne Annexionen und Kontributionen veröffentlichte, hatte die Wut der bürgerlichen Presse keine Grenzen. „Der Frieden ohne Annexionen und Kontributionen wurde zur Parole einer Bewegung, die mit Russland angefangen hat und sich den Weg über die ganze Welt sucht, um die schwachen demokratischen Stellen in Frankreich und England, in Italien und Amerika zu erreichen. Es ist wahrhaftig nicht nötig sich die Sache näher anzusehen um den Mechanismus und den Mechaniker zu erkennen."

Die Wut stieg, als die russischen Revolutionäre die Konferenz in Stockholm zu organisieren versuchten und sie wurde zur Tollwut, als die französische Presse den wachsenden Einfluss der Bolschewiki sah. „Russland wird patriotisch, oder es ist des Todes", deklamierte Figaro. Was Hervé anbelangt, der dagegen protestierte, dass man den Zaren verhaftete, so verlangte er, man soll den Arbeitern in Petrograd das Genick brechen: „unsere Freunde, die Sozial-Patrioten, müssen, zum Kampfe gegen die Leninisten, [die] eine tatkräftige Minderheit bilden, eine revolutionäre Garde schaffen, die die Konstituierende Versammlung überwachen soll und inzwischen die Prov. Regierung schützt. Es ist unangenehm zu diesen chirurgischen Mitteln in Bezug auf frühere Kampfgenossen zu greifen, die mehr aus Dummheit, als aus Bosheit sündigen".

Aber unsere Journalisten begnügten sich mit der Zeit nicht mit den Klagen, sie arbeiteten einen Plan einer Verleumdungskampagne aus. Besonders zeichnete sich der Abgeordnete Joseph Reinach aus. Man muss es ihm lassen, er ist wirklich wie geschaffen für ein solches Werk. Unter dem Pseudonym Polibe kommentiert er jeden Tag die militärischen Ereignisse. Während dieser täglichen, gefährlichen Arbeit entwarf er den Plan der Offensive gegen die russischen Revolutionäre. Besonders Lenin gefällt ihm nicht. „Ist Lenin ein ehrlicher Mann? wer weiß es? und wenn er es auch wäre, so wäre das Verbrechen dieses steinreichen Demagogen, der eine glänzende Kutsche fährt, noch abstoßender, als das Verbrechen dieser zwei Schurken (es handelte sich um zwei russische Unteroffiziere, die irgend welche militärische Geheimnisse verraten haben). Sie haben nur einen Aufklärungsversuch der Avantgarde zum Scheitern gebracht. Er aber hat sich vorgenommen das russische Vaterland nach so vielen Opfern, in einem Ozean von Schmutz zu ertrinken". Und in dem nächsten Artikel schreibt Reinach: „und der deutsche Agent Lenin, der Mann, der vom ersten Tag des Krieges sich „Anhänger der Niederlage" nannte, dieser blasse Zar der Canaille, in Manschetten mit Brillantknöpfen, im Palais einer Tänzerin sich wälzend, redigiert von dort aus ein Organ des Verrates und terrorisiert die Überreste der Regierungsgewalt.“

Man kann sich die Freude des bürgerlichen Federvieh vorstellen, als die Nachricht über die Ereignisse des 16.-17. Juli, die blutigen Repressalien des Diktators Kerenski, die Verhaftungen unserer Kameraden der Bolschewiki, nach Frankreich kam. Wochenlang klang ihr grenzenloser Jubel und die Verherrlichung des momentanes Sieges der Konterrevolution. Längere Zeit sprachen sie überhaupt kein Wort über die wachsende Kraft der Bolschewiki. Als aber ein Teil der Genossen aus den Gefängnissen entlassen wurde und die Bolschewiki den Sieg in den Petrograder und Moskauer Sowjets errungen haben, da stieg die neue Welle der Beschimpfungen und Verleumdungen. An der Spitze ging der frühere Rebell und Antimilitarist Gustav Hervé „Ah, Lenin, Gorki und das ganze Geschmeiß der Verräter, der Doktrinäre, der Fanatiker, der Ignoranten die diese Partei der Maximalisten und Pazifisten Russlands bilden, sie haben gut gearbeitet! Sie erreichten es, dass in kürzesten Zeit die ruhmreiche russische Armee in eine Herde verwandelt wurde! Eine saubere Arbeit! Die Gesamtheit der Sowjets kann sich selbst gratulieren, besonders die Dummköpfe mit der sozialistischen Etikette, die Minderheitler, wie die Mehrheitler, die in brüderlichen Umarmung eben vor drei Tagen gegen die Todesstrafe für die Feiglinge, die Deserteure und die Verräter, protestierten." Und unser Nationalclown verlangt von seinen Freunden Kerenski und Burzew den Verbot jeder Zeitung, die vom Klassenkampf und Frieden spricht, Standgerichte für die Streikenden und für alle Bolschewiki. Auch die Wiedereinführung des Galgens und der Knute ist ihm absolut zum Leben nötig.

Als Kornilow sein Attentat wagte, wurde er begrüßt und mit Vorschusslorbeeren bedacht, so dass man annehmen muss, dass die kapitalistische Presse nicht nur überzeugt war, dass der Generalissimus siegen wird, aber auch dass die „guten" Alliierten, die doch für Recht und Gerechtigkeit … gegen die russische Revolution kämpfen, an der Anzettelung der Verschwörung fleißig mitgearbeitet haben. Die Presse konnte kaum ihre Enttäuschung und Trauer verhehlen, als die Verschwörung misslang. Und Gustav Hervé weinte: „den Chirurgen fehlte es an nötigen Instrumenten: die Operation aber, die er ausführen wollte, war nichtsdestoweniger die einzige, die Russland und die Revolution retten konnte." Das ist das Verhältnis der Republik der französischen Plutokratie zur Revolution des russischen Proletariats und. Bauerntums, wie es sich in der Presse abspiegelt.

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