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Lenin und das ISB

Nach dem Stuttgarter Internationalen Sozialisten-Kongress war Lenin Mitglied des Internationalen Sozialistischen Büros als einer der Vertreter Russlands. Die erste Sitzung des ISB, an der Lenin aktiven Anteil nahm, fand Oktober 1908 statt. Das ISB war statutengemäß nur ein beratendes Organ, seine Beschlüsse waren nicht bindend.

Zu der im Artikel erörterten Frage der Aufnahme der Indenpendent Labour Party kehrt Lenin in einem Brief an Rosa Luxemburg zurück. Er schreibt anlässlich einer Anmerkung der Redaktion der „Neuen Zeit" zum Artikel von F. A. Rothstein, diese Anmerkung lasse den Gedanken entstehen, Kautsky sei heute „selber nicht besonders zufrieden" mit seiner Position in Brüssel. „Ist es so?" („Leninski Sbornik" III, S. 433).

Bis zum Kopenhagener Kongress ist unter den offiziellen Reden und Schriften Lenins als Vertreter der SDAPR im ISB folgendes zu verzeichnen: Bericht über die 11. Tagung des ISB im November 1909 (s. Sämtliche Werke, Band XIV) sowie das von ihm verfasste Flugblatt über den der Beteiligung an einer Expropriation beschuldigten Haiwas (18. März 1910). Im Oktober desselben Jahres erhob Lenin als Vertreter der Partei im ISB gemeinsam mit den Delegierten des Zentralorgans zum Kopenhagener Kongress, d. h. mit G. W. Plechanow und A. Warski, Protest vor dem Vorstand der deutschen Partei anlässlich des im „Vorwärts" erschienenen Artikels Trotzkis, der falsche Informationen über die Position des Zentralorgans der Partei, des „Sozialdemokrat", enthielt.

Eine eingehende Charakteristik der Beteiligung Lenins am ISB gibt Sinowjew:

Er (Lenin) reiste zu den Sitzungen dieses Büros nach Brüssel mit schweren Gefühlen und kehrte fast immer krank zurück. Aus seinen Erzählungen fühlte man, dass er dort Zeuge schmachvoller Auftritte sein musste, ein Zeuge dessen, wie eine große internationale Organisation, der 20 Millionen Arbeiter angeschlossen sind, in Verwesung übergeht. Niemals werde ich die Erzählung Lenins über eine dieser Sitzungen vergessen, in der es zwischen Rosa Luxemburg und Bebel zu einem scharfen Zusammenstoß gekommen war. Als Rosa Luxemburg versuchte, unter der deutschen Sozialdemokratie einen Kampf gegen den Opportunismus einzuleiten, stieß sie auf Widerstand des rechten Flügels und des Zentrums mit Bebel an der Spitze. Auf dem 2. Jenaer Parteitag der deutschen Sozialdemokratischen Partei, der 1910–11 stattfand, war ich, als Vertreter unseres ZK, Augenzeuge einer unerhörten, schmachvollen Hetze des ganzen Parteitags gegen Rosa Luxemburg. Und an der Spitze dieser Hetze stand August Bebel. Als Rosa Luxemburg gegen Bebel aufzutreten versuchte und unter den revolutionär gesinnten deutschen Arbeitern keine Sympathien fand, schleppte man sie vor das Internationale Büro, vor den internationalen Gerichtshof, wo ihr die Leviten gelesen wurden und wo man ihr mit Ausschluss drohte und sie in der raffiniertesten Weise verhöhnte. Genosse Lenin konnte das nicht mit ansehen und trat für sie ein. Da wurden auch gegen ihn die gleichen Blitze geschleudert. Lenin versuchte an Plechanow zu appellieren, der damals in seiner Renaissance stand, die Liquidatoren bekämpfte und mit uns zusammen ging. Doch als Lenin ihn auf das unzulässige Verhalten gegenüber Rosa Luxemburg aufmerksam machte, erwiderte ihm Plechanow: niemand könne höher springen als sein Kopf ist, wir müssten stille sein – wenn wir Millionen Mitglieder zählen werden, wie die deutsche Sozialdemokratie, wird man auch auf uns Rücksicht nehmen, vorläufig sind wir aber nichts weiter als „arme Verwandte". Nach dieser Antwort warf Wladimir Iljitsch die Tür zu und verließ die Sitzung.

Seitdem beginnt Lenin sich immer mehr jenen Elementen zu nähern, die sich um Rosa Luxemburg gruppierten. Das Internationale Sozialistische Büro aber, wo solche Herren wie Huysmans die führende Rolle spielten, sank immer tiefer und tiefer. Der liberale Advokat Huysmans klopfte Wladimir Iljitsch herablassend auf die Schulter und war, ihn von oben herab anblickend, bereit, ihn darüber zu belehren, wie man eine Arbeiterpartei organisieren und die Arbeiterklasse führen müsse. Lenin fuhr zu den Versammlungen dieser Advokaten und künftigen sozialistischen Minister ohne jede Lust, er betrachtete diese Reisen als eine schwere Pflicht, die er zu erfüllen habe" (G. Sinowjew, Sämtliche Werke (russ.), Bd. XV, S. 254–55). [Band 12]

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