Redaktion 19170915 Stockholm

Redaktion: Stockholm

[Nach Bote der Russischen Revolution. Organ der ausländischen Vertretung des Zentralkomitees der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands (Bolschewiki) Nr. 1., 15. Sept. 1917, S. 10-12]

Die Stockholmer Internationale Konferenz wird in absehbarer Zeit nicht stattfinden. Die Regierungen der Entente-Länder, die den Delegierten die Pässe verweigerten, werden ihren Beschluss nur im Falle einer grundlegenden Änderung der inner- und weltpolitischen Situation revidieren.

Äußerlich scheitert die Stockholmer Konferenz an der physischen Gewalt der Ententeregierungen, die für das Selbstbestimmungsrecht der Elsass-Lothringer, Polen, Armenier kämpfen, nur das Recht der Selbstbestimmung der Franzosen, Engländer, Italiener und Amerikaner über die Weiterführung des Krieges nicht anerkennen wollen. Wenn die Regierungen der Zentralmächte ihren Sozialisten eine größere Bewegungsfreiheit für Friedensaktionen im… Auslande gewähren, so geschieht das natürlich nicht aus größerer Achtung vor der Bürgerfreiheit, die sie bei sich zu Hause mit den Füßen treten, sondern weil sie im Gegensatz zu den Ententeregierungen aus der Verlängerung des Krieges keine Vorteile erwarten. Dass die Ententeregierungen es wagen konnten, ihren Sozialisten die Pässe zu weigern, ist nicht nur als Symptom der internationalen Lage charakteristisch, sondern wirft auch ein bezeichnendes Licht auf das Verhältnis der Ententeregierungen zu der russischen Revolution. Wie die 254 Rubel, die man für einen englischen Pfund zu bezahlen hat, die Ansicht des anglosächsischen Kapitals über die wirtschaftliche Lage Russlands prägnant ausdrückt, so tut es in Bezug auf die auswärtige Politik der russischen Revolution die Sabotierung der Stockholmer Konferenz.

Die Stockholmer Konferenz war das Symbol der auswärtigen Politik der Mehrheit der Führer der Sowjets. Und obwohl wir Gegner einer gemeinsamen Konferenz mit den sozialpatriotischen Verrätern am Sozialismus sind, so haben wir keine Ursache zu verhüllen, dass große Massen nicht nur der Arbeiterschaft, sondern auch des Kleinbürgertums nach Stockholm mit direkt religiöser Inbrunst hinblickten, von der Verständigung der Sozialisten in Stockholm die Rettung aus den Klauen des Krieges erwartend. Das wissen die Ententeregierungen sehr gut. Herr Lloyd George gab als Grund der Verweigerung der Pässe offen die Furcht an, dass die Hoffnungen auf Stockholm die erst wieder vom neuen hergestellte Kriegsbereitschaft der russischen Armee untergraben würden. Wenn also die Entente-Regierungen in voller Kenntnis dieses Verhältnisses der russischen Arbeiter- und Soldatenmassen zu der Stockholmer Konferenz es wagen konnten, brüsk diese Konferenz zu sabotieren, so zeigt das besser als alle langen Erörterungen, dass die Regierungen des Ententekapitals glauben, dass es nicht mehr nötig ist, Zeremonien mit den Organisationen der russischen Demokratie zu machen, irgend welche Rechnung auf die Stimmung der Volksmassen in Russland zu nehmen.

Darin äußert sich in klarer Weise die Tatsache, dass die russische Revolution, dass die russische Demokratie in den Augen des Ententeimperialismus die Bedeutung eines Machtfaktors verloren hat. Die Tatsachen sind harte Dinge. Die Mehrheit der Vertreter des revolutionären Russland haben sich zu Gefangenen des russischen Kapitals gemacht. Sie haben zusammen mit den Vertretern des Kapitals Russlands die Volksmassen dem Ententekapitalismus ausgeliefert, sie auf Geheiß der Londoner, Pariser und New Yorker imperialistischer Kabinette zur Offensive getrieben. Und als die Massen der Soldaten gegen ihre Auslieferung sich wehrten, das Gehorsam verweigerten, wurden sie nieder kartätscht, dem Wüten der Kriegsgerichte ausgeliefert. Als sich die Proletarier und Soldaten Petrograds gegen die Politik der Koalitionsregierung in Massendemonstrationen wandten, wurde auf Aufforderung der Führer der Kleinbürgerlichen Demokratie gegen sie die Artillerie aufgefahren, sie wurden entwaffnet und dem weißen Terror ausgeliefert, wonach die russischen Sozialpatrioten der Aufrichtung einer kapitalistischen Diktatur unter der Rettung Revolution zustimmten. Alle diese Vorgänge gaben den Ententeregierungen die Möglichkeit, die russische Revolution als Faktor zu behandeln, der sich selbst ausgeschaltet hat. Wenn in Russland nicht die Arbeiter und Bauern, sondern die Kapitalisten Ausschlag geben und die Kapitalisten gegen die Stockholmer Konferenz, für den Sieg der Entente sind, so haben die Ententeregierungen keine Ursache, mit dem Willen der Sowjets irgendwie zu rechnen.

Dass dieser Beschluss den geheimen Wünschen der Ententesozialpatrioten entsprach, unterliegt nicht dem geringstem Zweifel. Die englischen und französischen Sozialpatrioten kämpften aus allen Kräften gegen die Konferenz. Sie entschieden sich für die Teilnahme, als sie sahen, dass durch ihre Weigerung sie das revolutionäre Russland vor den Kopf stoßen würden. Aber gleichzeitig erklärten sie mit zynischer Offenheit, dass sie keineswegs zur Konferenz gehen, um den sog. Verständigungsfrieden zu fördern. Sie wollten auf der Konferenz die sogenannte Schuldfrage aufrollen, von der Konferenz die Bestätigung der Unschuld der Entente am Weltkriege erlangen. Henderson erklärte offen, das er auch weiterhin an dem Siege der Entente festhalte, als dem Wege zum dauerndem Frieden. Dass bei einem solchen Standpunkt die Sozialpatrioten der Entente ihren Regierungen nur dankbar sein konnten, dass sie der Mühe der Reise nach Stockholm enthoben sind, kann man ohne weiteres einsehen. Würde es anders sein, sie müssten in heller Entrüstung aufstehen gegen die nichtswürdige Behandlung die ihnen seitens der Entente zu Teil würde. Aber Herr Henderson weigert sich aus „patriotischen" Gründen die Interna seines Rausschmisses aus der Regierung der Öffentlichkeit mitzuteilen. Die Labour Party zieht ihre Vertreter aus dem englischen Kriegskabinett nicht zurück und die französischen Sozialpatrioten werden ihre Politik auch nach dem Austritt aus der Regierung nicht ändern.

Wenn aber die Sozialpatrioten der Zentralmächte daraus den Schluss ziehen wollten, dass die Stockholmer Konferenz nur an dem Widerstand der Ententeregierungen, an der selbstmörderischen Politik der, russischen Sozialpatrioten, an der Lakaienrolle der französischen und englischen Sozialpatrioten. gescheitert ist, dann leiden sie an einer sonderbaren Vergesslichkeit. Haben die deutschen Sozialpatrioten nicht schon während der Verhandlungen über die Konferenz für die Kriegskredite gestimmt, dem Kaiser Besuche erstattet, sind sie nicht weiter Regierungspartei geblieben, als der Reichskanzler selbst die Gummiresolution des Reichstags nach dem bekannten Muster als ein Stück Papier behandelte? Haben die bulgarischen Sozialpatrioten ihre Agitation für die Annexion Mazedoniens eingestellt? Indem die Sozialpatrioten der Zentralmächte Knechte der Regierungen blieben, die zwar vom Frieden sprechen, aber durch keine Mittel dazu zu bringen sind, klipp und klar zu sagen, was für einen Frieden sie wollen, haben sie der Situation mit geschaffen, in der die russischen Sozialpatrioten die Rettung der Revolution bei der Bourgeoisie ihres Landes und der Entente suchen, haben sie den Sozialpatrioten und der Regierungen der Entente ihr Spiel erleichtert.

Nicht durch äußere Hindernisse ist die Stockholmer Konferenz zum Fall gekommen. Von Anfang an faul, bis in den Mark hinein, wurde sie noch vor ihrem Zustandekommen durch die inneren Gegensätze des Sozialpatriotismus zersetzt, der, weil er das Proletariat jedes Landes mit seiner Bourgeoisie verbindet, nicht einmal als Verständigungsbrücke zwischen den Regierungen dienen kann, solange diese selbst keine Verständigung wollen, geschweige denn, dass er imstande wäre die Kräfte zum Leben zu rufen, die fähig wären, den Kampf um den Frieden der Völker zu führen.

Diese durch Tatsachen erhärtete Wahrheiten über des Scheitern des Verständigungswerkes von Stockholm den Arbeitermassen aller Ländern beizubringen ist die wichtigste Aufgabe, die den Internationalisten obliegt. Enthält doch schon die Beantwortung der Frage, warum die Stockholmer Konferenz der Sozialpatrioten nicht stattgefunden hat, nicht mir den vollkommenen Beweis unseres negativen Verhältnisses zu ihr, sondern auch die positive Antwort auf die Frage der Massen nach dem Weg zum Frieden.

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