Redaktion 19171006 Die Kopenhagener freiwillige Spitzelagentur

Redaktion: Die Kopenhagener freiwillige Spitzelagentur

[Nach Bote der Russischen Revolution. Organ der ausländischen Vertretung des Zentralkomitees der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands (Bolschewiki) Nr. 4, 6. Okt. 1917, S. 10-12]

Die gegen die Führer der bolschewistischen Partei Gen. Lenin und Sinowjew, wie andere Mitglieder der Partei: so Hanecki und Kozlowski erhobene infame Anklage, sie stünden im Solde der deutschen Regierung, trug auf der Stirn den Stempel nicht nur des Produktes gewöhnlicher Spitzelarbeit, sondern auch „ungewöhnlicher". Es war z. B. klar, dass der als Verleumder selbst von neutralen Journalistenorganisationen fortgejagte G. Alexinski an ihr beteiligt war. Manche Anzeichen ließen vermuten, dass auch in Kopenhagen Mitarbeiter dieses Machwerkes der „revolutionären" Regierung saßen

Und richtig: am 19. Juli (2. August) druckten die russischen Zeitungen ein Kommuniqué des russischen auswärtigen Amtes, es sei ihm von den Kopenhagener russischen Korrespondenten eine Erklärung zugegangen, in der diese behaupten, beweisen zu können: 1) Parvus sei ein Agent der deutscher Regierung, 2) Parvus habe Hanecki nach Kopenhagen von der Schweiz kommen lassen, 3) Hanecki hätte die Abhängigkeit Parvus von der deutschen Regierung gut gekannt, 4) Parvus habe eine große Rolle gespielt in den Verhandlungen über die Durchreise Lenins über Deutschland. Alle diese Behauptungen könnten bewiesen werden u. a. durch einem „hervorragenden Politiker, den zu nennen wir (die Korrespondenten) momentan für nicht zeitgemäß halten".

Wir kannten die Kopenhagener Gesellschaft der Retter Russlands gut. Trotzki, dem Korrespondenten des „Russkoje Slowo" verbot sein Zionismus nicht, arme Juden in Kopenhagen zu terrorisieren, dass sie russischen Patriotismus heucheln. Und sein russischer Patriotismus hinderte ihn nicht, bei der deutschen Regierung zu betteln um die Herausgabe seines, von ihr Beschlag belegten Bankguthabens, das er auch schließlich rausbekam. Und seine journalistische Ehre hinderte ihn nicht, Ausfuhrlizenzen zu ergattern und mit ihnen zu handeln.

Dr. Lettes, der Mitunterzeichner der Erklärung, war besoldeter Auslandsagent der zarischen Regierung. Wiesow-Wubman, Korrespondent der Russkaja Wolja, der die deutsche Agentenschaft von Parvus bezeugt, verkehrte bei Parvus und vermittelte ihm private Geldsendungen nach Russland. Nach diesen Hauptmatadoren kann man sich ein Bild entwerfen von der kleineren Canaille, dem Coro von dem Nowoje Wremja, Tropowski von den Birschewija Wjedomosti usw. Dass die Erklärung, inwieweit sie die bolschewistische Partei, die Durchreise Lenins durch Deutschland und Hanecki betraf, aus lauter Lügen bestand, dass es keine Beweise der Beziehungen zwischen den Bolschewiki und der deutschen Regierung geben kann, da solche Beziehungen niemals bestanden, wussten wir und könnten darum die Kopenhagener Dreckschmeißer ihrem Geschick überlassen. Aber wir müssten damit rechnen, dass die provisorische Regierung in ihrer verzweifelten Lage und bei der konterrevolutionären Stimmung der Bourgeoisie, bei der Unterdrückung der Pressfreiheit usw. es wagen könnte, irgend ein dunkles Individuum, von der Art der Wera Tschebierak aus dem Prozess Beilis anzuführen, das beschwören würde, es habe solche Beweise gesehen: damit musste man rechnen. Und darum war es von großer Wichtigkeit zu erfahren, wer die „bedeutende politische Persönlichkeit" ist, die die Verleumder von Kopenhagen als Zeugen ankündigen

Dass es irgend eine wirklich ehrliche politische Persönlichkeit wäre, welchem Lager sie auch angehören möchte, war natürlich ausgeschlossen, weil selbst ein Feind der Bolschewiki – wenn er ehrlich ist – nicht bezeugen, was nicht existiert. Es musste also irgend ein verkrachter Spitzel, Agent usw. sein, der irgend ein Interesse hat, sich als russischer Zeuge gegen die bolschewistische Partei anwerben zu lassen. Dieses Individuum musste, um als Autorität dem ev. Gericht vorgeführt werden zu können, in deutschen Diensten gestanden sein: denn nur dann konnte es mit Aussicht auf Erfolg lügen. Und siehe da. Aus zwei unabhängigen Quellen gingen uns Nachrichten zu, die unsere Aufmerksamkeit auf Leo Winz, Kopenhagen, hinleiteten, einen Russen, der seit Kriegsausbruch eingestandener Weise im Dienste der deutschen Regierung steht, in Kopenhagen ein russisches Informationsbüro auf Kosten und für das Auswärtige Amt in Berlin leitet

Wir stellten vorerst fest, dass dieser deutsche Agent, der gleichzeitig ein hervorragender Zionist ist (er ist der frühere Herausgeber von „Ost und West") im täglichen Verkehr mit Dr. Simon Bernstein, steht, der gleichzeitig Sekretär des zionistischen Aktionsausschusses, Intimus des russisch Militärattachés Oberst Potocki und Freund Trotzkis ist. Wir stellten weiter fest, dass dieser Dr. Bernstein, der im Auftrage Potocki einen jüdischen Buchdrucker mit Drohungen davon abzubringen suchte, eine jüdische Zeitung zu drucken, in der die Judenmassaker in Russland gegeißelt wurden, der gleichzeitig englische Nachrichten über die türkischen Judenmassaker in Palästina verbreitete, tagtäglich auf dem winzischen Büro des Berliner Auswärtigen Amtes verkehrte. Wenig dessen: ein gewisser Bruck, der von den Trotzki & Co. materiell abhängig ist, ist gleichzeitig bei Winz angestellt. Und obwohl die Trotzkis gegen Winz in Kopenhagen furchtbar taten, kam im April – wie wir feststellten – Winz nachts in die Wohnung Trotzkis, wo eine längere Unterhandlung stattfand.

Ein Agent des deutschen Auswärtigen Amtes, von dem so viele Kanäle zu Agenten des russischen Obersten Potocki führen, der mit dem russischen Kriegshetzer Trotzki geheim konferiert – das ist ein Bild, das an und für sich die Vermutung nahe legte, dass es nicht mit geheuren Dingen vorgeht. Bald erfuhren wir aus verschiedenen Quellen mehr: dieser Agent der deutschen Regierung äußerte sich immer in der aggressivsten Weise gegen die Bolschewiki und sprach sich für die Niederlage Deutschlands aus. Und was am besten ist, Herr Dr. Bernstein, der Adlatus Potockis und Busenfreund Trotzkis, er war auch der Vertrauensmann für diese Ergüsse Winz. Es war klar: Winz war im Begriff umzusatteln, suchte sich eine Brücke nach Russland zu bauen. Was konnte er der russischen Regierung geben? Sein Schimpfen über die Bolschewiki zeigte, dass er verstand, welche Ware Absatz finden kann: er sollte der „informierte" Zeuge sein, der die Beziehungen der Bolschewiki zu Deutschland durch seine Autorität eines deutschen Agenten glaubwürdig machen sollte. Es wurde uns schließlich bezeugt, dass dieser Herr Winz schon im April geäußert hat, er wisse dass die Bolschewiki bestochen seien.

Wir setzten uns in Verbindung mit dem Herrn Winz, da wir überzeugt waren, dass er in die Enge getrieben, sich in Widersprüche verwickeln wird. Herr Winz leugnete der Inspirator Trotzkis & Co. zu sein, aber er musste eingestehen, dass er in nahesten Beziehungen zu Bernstein stehe, dass sein Angestellter Bruck von Trotzki & Co. materiell abhängig ist, dass er – was er zuerst leugnete – mit Trotzki eine Zusammenkunft hatte, dass er auf die Bolschewiki geschimpft hat. Und was noch bezeichnender ist: er suchte uns zu suggerieren, dass der Verleumder, den Trotzki & Co. als „Zeugen" der russischen Regierung zustellen wollte, Melnik ist, der bis zum Ausbruch der russischen Revolution ein bezahlter Agent Deutschlands war und dann sich als russischer Patriot zu rehabilitieren suchte. Es ist nicht unsere Aufgabe, den Melnik zu verteidigen, der des Winz wert ist, aber gegen den Versuch ihn vorzuschieben, sprechen Tatsachen: während die Trotzkis & Co. den Winz während der ganzen Kampagne gegen wirkliche und angebliche deutsche Agenten schonten, griffen sie den Melnik bis in die letzte Zeit in der russischen, wie ausländischen Presse (so im Kopenhagener Politiken) als deutschen Agenten an.

Winz der eine lange Beichte ablegte, sich als Agent aus ideellen Gründen darzustellen suchte, konnte uns nicht erschütterten in unserer Überzeugung von seiner Rolle in der Verleumdungskampagne, da wir dafür über Zeugen verfügen, die bereit sind, ihre Angaben zu beschwören. Auch waren uns die Motive Winz bekannt, auf die hier einzugehen unnötig ist.

Die Herren Trotzki & Co. haben also auf Grund von Verleumdungen eines dunklen Agenten, der von einer Regierung zur anderen „übersiedeln" wollte, an dem Versuch teilgenommen, die Führer einer politischen Partei an den Galgen zu bringen. Das stempelt diese Herren zu politischen Bravos.

Wollen sich die Herren als Opfer eines Gauners darstellen, dann sollen sie ihn nennen, vor das Gericht stellen. Tun sie es nicht, dann sind sie, als was wir sie auch behandeln: bewusste Verleumder, die um Karriere zu machen, davor nicht zurückschreckten, mit vergiften Waffen hinterrücks politische Gegner zu überfallen.

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