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Gewerkschaften Russland 1907 ff.

In der zweiten Hälfte 1907 setzte, in enger Verbindung mit dem allgemeinen Sieg der Konterrevolution, eine energische Offensive des Kapitals gegen die Arbeiterklasse ein.

Die Leitung des Wirtschaftskampfes durch die Sozialdemokratie trat in erster Linie auf dem Gebiet der Gewerkschaftsbewegung zutage. Das Zentralkomitee und die Ortsorganisationen wandten den Fragen der Gewerkschaftsarbeit große Aufmerksamkeit zu.

In Nr. 21 des „Proletarij" ist die Resolution des ZK über die Gewerkschaften veröffentlicht, ein Resultat der Arbeit der Gewerkschafts- und Genossenschaftskommission des ZK, verfasst von deren bolschewistischen Mitgliedern (Sinowjew und Roshkow). Die Menschewiki (Jordania, Gorew) stimmten für den bolschewistischen Resolutionsentwurf. Im ZK wurde die Resolution einstimmig angenommen. Die Resolution besagt, dass die Arbeit der Sozialdemokratie in der Gewerkschaftsbewegung auf den Resolutionen des 5. Parteitags und des Stuttgarter Kongresses fußen und in der Richtung einer immer größeren Annäherung zwischen Gewerkschaften und Partei verlaufen müsse. Das Bekenntnis der Gewerkschaften zur Sozialdemokratie müsse ausschließlich Resultat der sozialdemokratischen Propaganda und Agitation in den Gewerkschaften sein. Die Verfolgungsmaßnahmen der Regierung hatten eine Massenzerschlagung der Gewerkschaften zur Folge. Für die Gegenwart stellt die Resolution die Schaffung festgefügter Organisationszellen in den einzelnen Betrieben in den Vordergrund. Diese Zellen, die in allen Betrieben, in allen Handels- und Handwerksunternehmen zu gründen sind, werden die unteren Gewerkschaftsorganisationen sein, in denen die Sozialdemokraten Gruppen zu bilden und unter der Anleitung der lokalen Parteileitungen systematisch zu arbeiten haben. Dort, wo die legalen Gewerkschaften durch polizeiliche Verfolgungen zerschlagen sind, sind illegale Gewerkschaften zu organisieren, denen die Zusammenfassung einer möglichst großen Anzahl von Arbeitern zu einer Gewerkschaftszelle des betreffenden Betriebs zugrunde zu legen ist. Innerhalb dieser Zelle ist eine besondere sozialdemokratische Betriebs-Gewerkschaftsgruppe zu organisieren. Auch in den legalen Vereinen von der Art der Hilfsvereine, Abstinenzlervereine usw. sind sozialdemokratische Gruppen zu organisieren, dabei ist aber zu betonen, dass solche Vereine Kampfgemeinschaften nicht ersetzen können. Zum Schluss betont die Resolution, dass „die illegalen Gewerkschaften einen zähen Kampf um die Legalität zu führen haben; dabei aber dürfen die Kampfaufgaben der proletarischen Gewerkschaftsorganisation nicht durch Rücksichten auf ihr legales Bestehen herabgedrückt werden".

In Nr. 22 des „Proletarij" sind neben dem Artikel Lenins „Neutralität der Gewerkschaften" zwei Briefe des ZK an die Organisationen im Namen der Gewerkschafts- und Genossenschaftsorganisationen des ZK veröffentlicht. Nr. 23 des „Proletarij" enthält einen Brief des ZK über sozialdemokratische Arbeit in den Gewerkschaften.

Die Kampffrage der sozialdemokratischen Gewerkschaftsarbeit war die Frage der „Neutralität". In einem seiner Berichte schreibt das ZK, heute bekenne sich keines der ZK-Mitglieder mehr zur „reinen" Neutralität. Trotzdem stieß der Plan, innerhalb der Gewerkschaften geschlossene und ständige sozialdemokratische Gruppen zu schaffen, auf den Widerstand der Menschewiki. Das ZK fasste einen Kompromissbeschluss: Die Sozialdemokraten bilden nur in der Leitung und in der Delegiertenversammlung Streikgruppen, die sozialdemokratischen Betriebszellen dagegen werden nur in einzelnen Fällen, in besonders wichtigen Fragen, einberufen. Ein Brief des ZK vom 16. Februar 1908 („Proletarij" Nr. 28.) stellt die Notwendigkeit der Einberufung einer Allrussischen Konferenz sozialdemokratischer Gewerkschafter fest. Auf die Tagesordnung dieser – nicht zustande gekommenen – Konferenz beabsichtigte das ZK folgende Fragen zu stellen: Zusammenfassung der sozialdemokratischen Arbeit in den Gewerkschaften, sozialdemokratische Agitation und Propaganda in den Gewerkschaften, Schritte zur organisatorischen Annäherung zwischen Partei und Gewerkschaften, Kampf um die Freiheit der Gewerkschaften, die verschiedenen Typen der Gewerkschaftsorganisationen, Organisierung der Unterstützung Arbeitsloser, Bildungsarbeit der Gewerkschaften und Bildungsarbeit der Sozialdemokratie unter dem Proletariat, Stellungnahme zu den Genossenschaften und dem Genossenschaftstag, Lage der Industrie, Beziehungen zu den Hilfs-, Abstinenzler- u. a. Vereinen, Stellungnahme zu Tarifverträgen, Schiedsgerichten und Schlichtungskammern, Arbeitergesetzgebung der Regierung.

Die Menschewiki verfochten nach wie vor die Neutralität der Gewerkschaften. Die im Ausland lebenden menschewistischen Führer (Martow, Dan u. a.) begannen einen Kampf gegen die Gewerkschaftsresolution des ZK, trotzdem sie im ZK einstimmig angenommen wurde. [Band 12]

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