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2. Provisorische Regierung

Die zweite Provisorische Regierung (erste Koalitionsregierung) wurde am 5./18. Mai 1917 gebildet und war folgendermaßen zusammengesetzt: Ministerpräsident und Minister des Innern – Fürst G. E. Lwow, Kriegs- und Marineminister – A. F. Kerenski; Landwirtschaftsminister – V. M. Tschernow; Justizminister – N. P. Perewersew; Außenminister – M. I. Tereschtschenko; Finanzminister – A. I. Schingarjow; Verkehrsminister – N. W. Nekrassow; Handelsminister – A. I. Konowalow; Verpflegungsminister – A. W. Pjeschechonow; Volksbildungsminister – A. A. Manuilow; Arbeitsminister – M. I. Skobeljew; Post- und Telegraphenminister – I. G. Zereteli; Staatskontrolleur – I. W. Godnjew; Oberprokurator des heiligen Synods – W. N. Lwow.. Die vom Petrograder Rat in die Regierung delegierten „sozialistischen Minister" waren: Zereteli und Skobeljew von den Menschewiki; Kerenski und Tschernow von den Sozialrevolutionären; Pjeschechonow und Perewersew von den Volkssozialisten. Um den Bedingungen des Amsterdamer Sozialistenkongresses (1904) über die Beteiligung an einer Koalition mit Bürgerlichen gerecht zu werden, wonach die Teilnahme von Sozialisten an bürgerlichen Regierungen in Ausnahmefällen, unter Kontrolle der Partei und auf Grund eines bestimmten Programms gestattet war, stellte das Exekutivkomitee des Petrograder Rates für die Beteiligung an der Regierung folgende vier Bedingungen auf: 1. aktive Arbeit zugunsten des Friedens auf der Grundlage des Manifestes des Petrograder Rates vom 14./27. März; 2. Regulierung der Industrie und Reform der Finanzen; 3. vorbereitende Maßnahmen zur Lösung der Agrar- und der Arbeiterfrage und 4. beschleunigte Einberufung der Konstituante. Keine einzige dieser Verpflichtungen wurde eingehalten. Die erste Koalitionsregierung endete mit dem Bankrott vom 2./15. Juli, als die Kadetten aus der Regierung ausschieden. Den Vorwand dazu bot ihnen das von Zereteli und Tereschtschenko mit der Ukrainischen Rada geschlossene Abkommen. Die Arbeiter- und Soldatenmassen antworteten darauf mit den Demonstrationen vom 3./16.-5./18. Juli und mit der Forderung der Übergabe der Macht an die Räte (Juli-Ereignisse). [Lenin, Sämtliche Werke, Band 20.1, Anm. 170]

Der Artikel „Die ,Krise der Macht'“, der in der „Prawda“ vom 2./15. Mai 1917 erschien, wurde von Lenin in der folgenden Etappe jener Krise der Doppelherrschaft geschrieben, die mit den Ereignissen vom 20. April/3. Mai und 21. April/4. Mai begonnen hatte. Das „Vertrauensverhältnis“ der Massen zur Provisorischen Regierung wurde in diesen Tagen gründlich zerstört. Die Regierung der Bourgeoisie konnte sich nur noch auf dem Wege eines neuen Betrugs dieser Massen, auf dem Wege der Bemäntelung der Macht der Bourgeoisie durch eine Vertretung jener kleinbürgerlichen „sozialistischen“ Parteien (Sozialrevolutionäre und Menschewiki) in der Regierung halten, die damals in den Räten ausschlaggebend waren und das Vertrauen der Massen noch nicht verloren hatten. Darum entstand sowohl unter diesen Parteien, die sich fest an die Macht der Bourgeoisie klammerten, als auch in den Kreisen der Bourgeoisie der Gedanke einer „Koalitionsregierung“, die nach wie vor eine bürgerliche Regierung bleibt, der aber „Sozialisten“ als Minister angehören. Dieser Gedanke griff auf beiden Seiten immer mehr um sich, besonders von dem Augenblick an, wo auf den Druck des Misstrauens der Massen hin zunächst der Kriegsminister Gutschkow und dann auch der Außenminister Miljukow aus der Provisorischen Regierung ausscheiden mussten. Es wurde nun für eine Koalitionsregierung agitiert. Unter dem Einfluss dieser Agitation sprachen sich verschiedene Truppenteile und auch einige Räte in der Provinz für die Koalition aus. Darauf setzte der Druck der bürgerlichen Kreise zugunsten einer Koalition ein. So fasste z. B. die Moskauer Stadtduma einen Beschluss über die Notwendigkeit eines Koalitionsministeriums. Am 26. April/9. Mai erließ die Provisorische Regierung an die „Bürger Russlands“ einen Aufruf, in welchem es hieß: „Die Provisorische Regierung hat sich in aller Form verpflichtet, im Kontakt mit dem Exekutivkomitee, mit dem Arbeiter- und Soldatendeputiertenrat zu handeln. Die verantwortlichen Politiker müssen mit der Tatsache des Bestehens der Provisorischen Regierung und des Arbeiter- und Soldatendeputiertenrates rechnen. Diese beiden Organe müssen auch den dem ganzen Lande gegenüber übernommenen Verpflichtungen nachkommen.“ Zunächst bestanden zwischen den Sozialrevolutionären und den Menschewiki Meinungsverschiedenheiten. Die Sozialrevolutionäre waren für den Eintritt in die Regierung, die Menschewiki dagegen. Aber diese Meinungsverschiedenheiten wurden rasch beendigt und in der Nacht vom 1./14. auf den 2./15. Mai wurde nach Fraktionsberatungen vom Exekutivkomitee mit 44 gegen 19 Stimmen bei zwei Stimmenenthaltungen die Koalition beschlossen. Es erfolgte die vollständige Kapitulation der kleinbürgerlichen Führer vor der Bourgeoisie und ihrer imperialistischen Politik. Eben in diesem Augenblick schrieb Lenin den vorliegenden Aufsatz, in dem er diese Kapitulation jenen für das Proletariat einzig möglichen Ausweg aus der Doppelherrschaft entgegenstellte, den er schon in den allerersten Tagen der Revolution aufgezeigt hatte: den Übergang der gesamten Macht an die Räte. Die Losung Lenins wurde von ihm jetzt als Endergebnis, als Lehre der ersten „Krise der Macht“ und der ersten Erfahrung der Massen in dem begonnenen Kampfe gegen die bürgerliche Regierungsmacht aufgestellt. [Lenin, Ausgewählte Werke, Band 6, Anm. 39]

Am 5./18. Mai wurde vom Plenum des Petrograder Arbeiter- und Soldatenrates auf Vorschlag seines Exekutivkomitees die Zusammensetzung der Koalitionsregierung und ihr Programm bestätigt. Die Bolschewiki, die sich gegen die Koalition aussprachen, vereinigten auf ihre Resolution 100 Stimmen. Von den Menschewiki und Sozialrevolutionären wurden 5 Minister in die Regierung entsandt: Zereteli (Menschewik) als Post- und Telegrafenminister, Skobeljew (Menschewik) als Arbeitsminister, Kerenski (Sozialrevolutionär) als Kriegs- und Marineminister, Tschernow (Sozialrevolutionär) als Landwirtschaftsminister, Perewersew (Volkssozialist) als Justizminister, Pjeschechonow (Volkssozialist) als Verpflegungsminister. Die vom Deputiertenrat beschlossene Koalition war eine Koalition gegen die Revolution. In der kurzen Zeit ihrer Herrschaft tat sich der ganze Abgrund des Verrats des menschewistisch-sozialrevolutionären Blocks an den breiten Massen auf. Die revolutionären Errungenschaften wurden liquidiert, die Diktatur der Bourgeoisie wurde gefestigt.

In den Artikeln „Am Vorabend“ und „Arbeitsgemeinschaft mit dem Kapital oder Klassenkampf gegen das Kapital?“ unterzog Lenin jene „Erfahrung mit der Arbeitsgemeinschaft mit dem Kapital“ einer scharfen Kritik, die der Block der Sozialrevolutionäre und Menschewiki in der Koalitionsregierung durchmachte. [Lenin, Ausgewählte Werke, Band 6, Anm. 40]

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