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Agrardebatte auf dem Breslauer Parteitag der deutschen Sozialdemokratie

Es handelt sich hier offensichtlich um die Diskussion über die Agrarfrage in der deutschen Sozialdemokratie, die in den Neunziger Jahren von den Revisionisten mit David an der Spitze begonnen wurde. Der Streit ging um die Frage der möglichen Wege der Entwicklung der Landwirtschaft. Auf dem Parteitage der deutschen Sozialdemokratie im Jahre 1895 wurde von den Revisionisten der Entwurf eines Agrarprogramms vorgelegt, der eine Reihe von Maßnahmen zur Unterstützung und Festigung des bäuerlichen Kleinbesitzes unter der Herrschaft des Kapitalismus enthielt. Dieser Entwurf wurde von der Mehrheit des Parteitages abgelehnt. In Deutschland hatte der „preußische Weg“ der Entwicklung des Kapitalismus sich bereits durchgesetzt, und die Gutswirtschaften hatten sich dort bereits in große kapitalistische Wirtschaftsunternehmungen verwandelt, das ganze Agrarsystem war bereits kapitalistisch; die Unterstützung des bäuerlichen Kleinbesitzes hätte unter diesen Verhältnissen bei den Bauern trügerische Hoffnungen auf die Möglichkeit einer Verbesserung ihrer Lage unter dem Kapitalismus erweckt und zu einer Verstärkung ihrer kleinbürgerlichen Bestrebungen geführt. Unter den Verhältnissen eines entwickelten Kapitalismus in der Landwirtschaft kann die Lösung der Agrar- und Bauernfrage nur unter der Bedingung des Sieges der proletarischen Revolution, unter den Verhältnissen der Diktatur des Proletariats erfolgen. [Lenin, Ausgewählte Werke, Band 4, Anm. 105]

Auf dem Frankfurter Parteitag der deutschen Sozialdemokratie (1894) wurde eine Agrarkommission gewählt, die zum folgenden Parteitag den Entwurf zu einem Agrarprogramm ausarbeiten sollte. Außer den Opportunisten David, v. Vollmar u. a. gehörten der Kommission auch Bebel und Liebknecht an. Die Kommission, die von dem Bestreben geleitet war, in der Bauernschaft eine Unterstützung der Sozialdemokratie bei den Parlamentswahlen zu erlangen, stellte ein Programm auf, das eine Reihe von Maßnahmen enthielt, die auf die Aufrechterhaltung und Festigung des kleinen Bauernbesitzes im Rahmen der kapitalistischen Gesellschaft gerichtet waren. Der Entwurf stand im Widerspruch zu den Grundsätzen des marxistischen Erfurter Programms, das der Tätigkeit der deutschen Sozialdemokratie zugrunde lag, und offenbarte die Tendenz, die Partei aus einer rein proletarischen in eine demokratische Volkspartei zu verwandeln. Auf dem Parteitag in Breslau (1895), auf dem der Kommissionsentwurf erörtert wurde, erklärte einer seiner Verteidiger, Bruno Schoenlank, offen, „die Sozialdemokratie ist die Partei aller proletarischen Unterdrückten, der Notleidenden aller Schichten" und sie könne nicht „die Partei allein des Industrieprolelariats" sein. Mit 158 gegen 63 Stimmen wurde der Entwurf abgelehnt (Resolution Kautskys), denn „dieses Programm stellt der Bauernschaft die Hebung ihrer Lage, also die Stärkung ihres Privateigentums in Aussicht; es erklärt das Interesse der Landeskultur in der heutigen Gesellschaft für ein Interesse des Proletariats, und doch ist das Interesse der Landeskultur ebenso wie das Interesse der Industrie unter der Herrschaft des Privateigentums an den Produktionsmitteln ein Interesse der Besitzer der Produktionsmittel, der Ausbeuter des Proletariats". Bebel und Liebknecht traten für den Entwurf der Kommission ein.

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