Glossar‎ > ‎

Kulturrevolution

Was Lenin in diesem Artikel über die Möglichkeit der Schaffung der notwendigen „kulturellen“ Voraussetzungen für den Sozialismus in Russland sagt, wo der Kapitalismus bis zum proletarischen Umsturz sie noch nicht in genügendem Maße schaffen konnte, ist ein Ausdruck seiner allgemeinen Lehre von der proletarischen Revolution. [...] Auf dem Parteitag, d. h. ein Jahr vor der Abfassung des Artikels „Über unsere Revolution“, sagte Lenin: „Die in den Händen des proletarischen Staates in Russland befindliche ökonomische Kraft ist vollkommen genügend, um den Übergang zum Kommunismus zu sichern. Was fehlt uns denn? Es ist ganz klar, was uns fehlt. Jener Schicht der Kommunisten, die regiert, fehlt die Kultur.“ Die Kultur „jener Schicht der Kommunisten, die regiert“, und die Kultur der Massen sind unzertrennlich miteinander verbunden. Als Lenin daher 1923 in seinem Artikel „Über die Genossenschaften“ von neuem darauf zurückkam, dass alles zum Aufbau des Sozialismus Notwendige, vom Gesichtspunkt „der ökonomischen Kraft in den Händen des proletarischen Staates“ für die sozialistische Umgestaltung des flachen Landes, in der Sowjetunion vorhanden ist, sprach er von der unerlässlichen „Kulturrevolution“, die gegenwärtig von der Kommunistischen Partei der Sowjetunion und der Sowjetmacht durchgeführt wird, und zwar zusammen mit dem „Ausroden der Wurzeln des Kapitalismus“, mit der Kollektivierung der Landwirtschaft und der Liquidierung der Großbauernschaft auf Grund dieser Kollektivierung. [Lenin, Ausgewählte Werke, Band 6, Anm. 175]

Die in diesem Abschnitt des vorliegenden Bandes veröffentlichten Artikel und Reden sind miteinander durch die Gemeinsamkeit des Themas verbunden. In allen diesen Reden und Artikeln geht Lenin in diesem oder jenem Zusammenhang speziell auf Fragen der Kultur ein.

Alle diese Artikel und Reden enthalten, zusammen mit den zahlreichen Äußerungen, die in anderen Schriften Lenins verstreut sind, die Leninsche Lehre von der Kulturrevolution.

Das nähere Studium der hier veröffentlichten Arbeiten zeigt, welch enorme Bedeutung Lenin den Problemen der Kultur in der Epoche der Diktatur des Proletariats beimaß, wie er die mit der Kulturrevolution zusammenhängenden Fragen stellte und löste und wie er diese Kulturrevolution mit der Lösung so grundlegender Aufgaben des Proletariats in Verbindung brachte, wie es der Aufbau des Sozialismus und die Aufhebung der Klassen im Lande der Sowjets und die Beschleunigung des Sieges des Proletariats in allen Ländern sind. [...] Die Leninsche Auffassung von Kultur und Kulturrevolution ist der Fragestellung der Sozialdemokratie diametral entgegengesetzt. Die Sozialdemokraten, die die Notwendigkeit eines gewaltsamen Sturzes der Herrschaft der Bourgeoisie und der Errichtung einer Diktatur des Proletariats leugnen, d. h. die Notwendigkeit der proletarischen Revolution selbst in Abrede stellen, nehmen an, dass das Proletariat die herrschende Stellung nur durch friedliche, „demokratische“ Methoden, durch Eroberung der Parlamentsmehrheit usw. erreichen könne. Dazu aber müsse das Proletariat erst kulturell „reif werden“, „ein bestimmtes Kultur- bzw. Zivilisationsniveau“ erreichen. Ohne diese Voraussetzung könne das Proletariat die herrschende Stellung in der Gesellschaft nicht erreichen.

Die Verlogenheit, die Heuchelei und das konterrevolutionäre Wesen dieses Standpunkts offenbaren sich erstens darin, dass niemand von den Anhängern dieses Standpunkts – wie Lenin betonte – sagen kann, worin denn das „bestimmte Kulturniveau“ bestehe, und zweitens darin, dass dieser Standpunkt die Möglichkeit zulässt, dass das Proletariat schon unter der Herrschaft der Bourgeoisie jenes Kulturniveau erreichen könne, das zum Aufbau des Sozialismus notwendig ist. Indessen wird diese Möglichkeit durch die Verhältnisse der bürgerlichen Gesellschaft, in der das Proletariat die ausgebeutete und unterdrückte Klasse ist, ganz und gar ausgeschlossen.

Somit spiegelt die sozialdemokratische Fragestellung, nach der das Proletariat vor der proletarischen Revolution „ein bestimmtes Kulturniveau“ erreichen, kulturell reif werden soll, im Grunde genommen nichts als das Bestreben wider, die ökonomische Unterordnung des Proletariats unter die Bourgeoisie zu verewigen, und bedeutet den vollständigen Verzicht der Sozialdemokratie auf die proletarische Revolution und ihren Übergang in den Dienst der Bourgeoisie.

Vollkommen anders stellt Lenin diese Frage. Er weist die Unmöglichkeit eines völligen kulturellen „Reifwerdens“ des Proletariats unter der Herrschaft der Bourgeoisie nach und führt aus, dass dies nur im Resultat der proletarischen Revolution, d. h. nach dem Sturz der Macht der Bourgeoisie und nach der Errichtung der Diktatur des Proletariats, denkbar ist.

Die proletarische Revolution ist die wichtigste Voraussetzung für die kulturelle Umarbeitung, die das Proletariat an sich selbst vornimmt, erstens weil das Proletariat hierzu erst durch die Machteroberung alle Möglichkeiten politischer und materieller Natur erhält und zweitens, weil das Proletariat nur an Hand der Erfahrung der Revolution „seine eigene Natur ummodeln“ und ein wahrhafter Baumeister der sozialistischen Gesellschaft werden kann.

Nach dem Sturz der Macht der Bourgeoisie, nach der Errichtung der Diktatur des Proletariats gestaltet sich die Aufgabe der Eroberung der Kultur, die Aufgabe der Massenummodelung der Werktätigen, der Aneignung von Kenntnissen sowie der Fähigkeit zur Verwaltung, der Meisterung der Technik usw. zu einer der wichtigsten Aufgaben. Vor der Arbeiterklasse taucht in dieser Hinsicht die Aufgabe auf, eine ganze Kulturrevolution zu vollbringen. Diese Aufgabe wurde von Lenin in seinem letzten Artikel „Über das Genossenschaftswesen“ hervorgehoben.

Für uns“ – schrieb Lenin – „genügt jetzt diese Kulturrevolution, um ein vollständig sozialistisches Land zu sein“.

Was bildet nun nach Lenin den Inhalt der Kulturrevolution, und wie muss jene Kultur aussehen, die das Proletariat schaffen soll und die es schon zu schaffen begonnen hat?

Vor allem darf nicht außer Acht gelassen werden, dass Lenin unter Kultur nicht nur, ja nicht einmal so sehr Wissenschaft, Literatur und Kunst verstand. Die Leninsche Auffassung von der Kultur schließt auch die Gewohnheiten, die Lebensweise, die Überzeugungen, die Moral, die Gebräuche, ferner Disziplin und Organisation der Arbeit, die Fähigkeit zur Verwaltung und die Organisation der Verwaltung sowie die Technik der Produktion ein.

So schreibt z. B. Lenin im Artikel „Lieber weniger, aber besser“, auf die Verbesserung des Staatsapparates eingehend: „Ich schneide hier gerade die Frage der Kultur an, weil in diesen Dingen nur das als erreicht gelten darf, was in die Kultur, in die Lebensart, in die Gewohnheiten eingegangen ist“. Im Artikel „Die große Initiative“ betont Lenin, dass für den Sieg des Sozialismus entscheidende Bedeutung einer neuen Disziplin und einer höheren Arbeitsproduktivität zukommt, die höher ist als die unter dem Kapitalismus, und sagt, dass das Proletariat, das den Widerstand der Bourgeoisie unterdrückt, die ganze Masse der Werktätigen „auf den Weg der Schaffung einer neuen gesellschaftlichen Verbindung“ führen muss, „einer neuen Arbeitsdisziplin, einer neuen Organisation der Arbeit, die das letzte Wort der Wissenschaft und der kapitalistischen Technik mit dem Massenzusammenschluss zielbewusst arbeitender Menschen vereinigt, die die sozialistische Großproduktion schaffen“.

Alle diese mit der Kultur zusammenhängenden Fragen betrachtet Lenin unter dem Gesichtswinkel des Klassenkampfes, der Klassenaufgaben und der Klasseninteressen des Proletariats. Damit stellt Lenin, der stets gegen die Auffassung gekämpft hat, dass die Kultur etwas „außerhalb der Klassen“ und „über den Klassen“ Stehendes usw. ist, auch die Frage der neuen Kultur, die vom Proletariat im tagtäglichen Wirken und Kampf erobert und geschaffen wird, auf eine Klassenbasis.

Wird diese neue Kultur nun eine besondere „proletarische Kultur“ sein? Darf man sie in demselben Sinn auffassen, in dem wir von einer Kultur der Sklavenhalter, einer feudalen oder bürgerlichen Klassenkultur sprechen? Aus den hier und auch in anderen Abschnitten veröffentlichten Schriften geht klar hervor, wie heftig Lenin gegen jene polemisiert, die zu viel über eine „proletarische Kultur“ schwätzen, die bestrebt sind, eine besondere „proletarische Kultur“ usw. auszuklügeln. Lenin denkt hierbei an die Theorie, die die Proletkult-Leute unter der unmittelbaren Führung A. Bogdanows aufgestellt hatten und die vom Genossen Bucharin unterstützt wurde.

Entsprechend dieser Theorie soll das Proletariat, das die Bourgeoisie stürzt und die ökonomischen und politischen Grundlagen ihrer Klassenherrschaft zerstört, auch die ganze bürgerliche Klassenkultur zerschlagen und an deren Stelle seine besondere Klassenkultur schaffen, die nichts mit der bürgerlichen gemein bat. Die Schöpfung dieser neuen, „proletarischen“ Klassenkultur soll dabei Sache besonderer Organisationen nach Art des Proletkult sowie verschiedener Zirkel usw. sein. Das Proletariat aber soll diese, von besonderen Organisationen geschaffene Kultur in sich aufnehmen, sie sich aneignen. Diese Theorie hat mit der Leninschen Lehre von der Kulturrevolution nichts gemein. [...]

Vollkommen anders als Bogdanow und Genosse Bucharin [...] betrachtete Lenin die Frage der proletarischen Kultur. Er hielt die Schaffung einer proletarischen Kultur für möglich, doch fällt für ihn „die proletarische Kultur nicht vom Himmel, sie ist nicht eine Erfindung von Leuten, die sich als Fachleute für proletarische Kultur bezeichnen“. „Das alles“ – sagt er – „ist purer Unsinn. Die proletarische Kultur muss das Ergebnis der gesetzmäßigen Entwicklung jener Summe von Kenntnissen sein, die die Menschheit unter dem Druck der kapitalistischen Gesellschaft, der feudalen Gesellschaft, der bürokratischen Gesellschaft erworben hat“ (siehe vorliegenden Band, S. 509).

Die kritische Verarbeitung des Kulturerbes der alten Gesellschaft vollzieht sich auf die Weise, dass jene Kluft zwischen Theorie und Praxis überbrückt wird, die nach der Definition Lenins „den widerwärtigsten Zug der alten bürgerlichen Gesellschaft“ bildete. Theorie, Wissenschaft, Kunst. Literatur usw. sind nicht nur eng mit der Praxis verknüpft und werden von dieser überprüft, sondern werden auch durch die Praxis bereichert und befruchtet. Der Unterricht wird eng mit der Produktion verknüpft, was durch die Entfaltung der polytechnischen Ausbildung und der unausgesetzten Produktionsschulung erreicht wird. Wissenschaft, Kunst, Literatur, Moral usw. werden vollkommen den Interessen des Klassenkampfes des Proletariats, den Interessen seines Kampfes um den Sozialismus, um die Aufhebung der Klassen untergeordnet. Alle Kulturwerke (Wissen, Kunst usw.) hören auf, ein Privilegium, ein Monopol einzelner Personen oder einzelner Gruppen von Menschen zu sein, und verwandeln sich immer mehr zum Gemeingut aller Werktätigen. Dabei ist das Proletariat, das seine Diktatur verwirklicht und seine Führung auf allen Gebieten des Lebens, darunter auch auf kulturellem Gebiet, stärkt, vor allem auf das Vorrücken führender kultureller Kader aus der eigenen Mitte bedacht.

Das Proletariat modelt im Prozess der Revolution jedoch nicht nur seine eigene Natur um, sondern auch die Natur der anderen Klassen, in erster Linie der zahlreichen kleinbürgerlichen Schichten in Stadt und Land, insbesondere der werktätigen Schichten der Bauernschaft“, sagte Lenin.

Die Eingliederung der breitesten Massen, darunter auch der rückständigsten und unter dem Kapitalismus am stärksten unterdrückten, in Kultur und Politik, die Ummodelung und Neuerziehung dieser Massen ist überhaupt eine der charakteristischsten Eigentümlichkeiten und eine der wichtigsten Aufgaben der Kulturrevolution. Diese Seite wurde wiederholt von Lenin hervorgehoben. Lenin hielt es nicht nur für möglich, sondern auch für notwendig, dass das Proletariat all das, was es an Wertvollem, Positivem, den Klassenkampf des Proletariats und den Aufbau der sozialistischen Gesellschaft Förderndem in der Kultur der alten Gesellschaft gab, sich kritisch aneignet und dass auf dieser Grundlage eine neue Kultur geschaffen wird. [...]

Weitestgehende Bedeutung bei der Schaffung einer sozialistischen Kultur hat der Kampf gegen die Religion. Das Programm der Kommunistischen Internationale formuliert die Aufgaben auf diesem Gebiet folgendermaßen: „Eine besondere Stellung hat unter den Aufgaben der die breiten Massen erfassenden Kulturrevolution der Kampf gegen das ,Opium für das Volk', die Religion. Dieser Kampf muss hartnäckig und systematisch geführt werden. Die proletarische Macht muss jede staatliche Unterstützung der Kirche, die eine Agentur der einst herrschenden Klassen ist, aufheben, jede Einmengung der Kirche in das staatlich organisierte Erziehungs- und Bildungswesen unterbinden und die konterrevolutionäre Tätigkeit kirchlicher Organisationen schonungslos unterdrücken. Die proletarische Macht lässt die Freiheit des Bekenntnisses zu, führt aber gleichzeitig mit allen ihr zugänglichen Mitteln eine antireligiöse Propaganda, vernichtet die Vorzugsstellung der früheren Staatsreligion und gestaltet das ganze Erziehungs- und Bildungswesen auf der Grundlage der wissenschaftlich-materialistischen Weltanschauung um'‘ (Protokoll des VI. Weltkongresses der Komintern, Bd. IV). [...]. [Ausgewählte Werke, Band 9, Anm. 131]

Kommentare