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Parteitag der deutschen Sozialdemokratie 1899 in Hannover

Der sozialdemokratische Parteitag zu Hannover, der im Oktober 1899 stattfand, beschäftigte sich in der Hauptsache mit dem Revisionismus und dem Auftreten Bernsteins. Der entsprechende Punkt der Tagesordnung lautete: „Angriffe auf die Grundanschauungen und die taktische Stellungnahme der Partei.“ Referent war Bebel, den Standpunkt Bernsteins, der sich in England in der Emigration befand (er war noch von der Zeit des Sozialistengesetzes her ausgewiesen), vertrat David. Der Parteitag entschied sich für die bisherige Taktik und nahm eine gemäßigte Resolution an, für die auch die Anhänger Bernsteins stimmten. In der Resolution heißt es unter anderem: „Die bisherige Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft gibt der Partei keine Veranlassung, ihre Grundanschauungen über dieselbe aufzugeben oder zu verändern“; es „liegt für die Partei kein Grund vor, weder ihre Grundsätze und Grundforderungen noch ihre Taktik, noch ihren Namen zu ändern, d. h. aus der sozialdemokratischen Partei eine demokratisch-sozialistische Reformpartei zu werden, und sie weist jeden Versuch entschieden zurück, der darauf hinausgeht, ihre Stellung gegenüber der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung und den bürgerlichen Parteien zu verschleiern oder zu verrücken.“ Die linken Sozialdemokraten, mit Rosa Luxemburg und Parvus an der Spitze, waren mit dieser Resolution unzufrieden. [Ausgewählte Werke Band 2]

Der Parteitag der deutschen Sozialdemokratie in Hannover tagte vom 9. bis zum 15. Oktober 1899. Die wichtigste Frage, die auf der Tagesordnung stand, lautete: „Angriffe auf die Grundansichten und die Taktik der Partei." Dass diese Frage gestellt wurde, war verursacht durch die in der Partei entstandene revisionistische Richtung, deren geistiger Führer E. Bernstein war, der die Grundideen des Marxismus einer Kritik unterzog, ihre Unnahbarkeit nachzuweisen suchte und die Revision der Politik und der Taktik der Sozialdemokratie und ihre Umwandlung in eine demokratische Reformpartei forderte. Als offizieller Berichterstatter trat Bebel auf. Die Verteidigung des Standpunktes Bernsteins, der sich in England in der Emigration befand, übernahm David. Der Parteitag entschied sich für die Beibehaltung der bisherigen Taktik der Partei und nahm folgende, verhältnismäßig gemäßigte Resolution an (für die auch die Anhänger Bernsteins stimmten):

Die bisherige Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft gibt der Partei keine Veranlassung, ihre Grundanschauungen über dieselbe aufzugeben oder zu ändern.

Die Partei steht nach wie vor auf dem Boden des Klassenkampfes, wonach die Befreiung der Arbeiterklasse nur ihr eigenes Werk sein kann, und betrachtet es demzufolge als geschichtliche Aufgabe der Arbeiterklasse, die politische Macht zu erobern, um mit Hilfe derselben durch Vergesellschaftung der Produktionsmittel und Einführung der sozialistischen Produktions- und Austauschweise die größtmögliche Wohlfahrt aller zu begründen.

Um dieses Ziel zu erreichen, benutzt die Partei jedes mit ihren Grundanschauungen vereinbare Mittel, das ihr Erfolg verspricht. Ohne sich über das Wesen und den Charakter der bürgerlichen Parteien als Vertreter und Verfechter der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung zu täuschen, lehnt sie ein Zusammengehen mit solchen von Fall zu Fall nicht ab, sobald es sich um Stärkung der Partei bei Wahlen oder um Erweiterung der politischen Rechte und Freiheiten des Volkes, oder um eine ernsthafte Verbesserung der sozialen Lage der Arbeiterklasse und der Förderung von Kulturaufgaben, oder um Bekämpfung arbeiter- und volksfeindlicher Bestrebungen handelt. Aber die Partei bewahrt sich überall in ihrer Tätigkeit ihre volle Selbständigkeit und Unabhängigkeit und betrachtet jeden Erfolg, den sie erringt, nur als einen Schritt, der sie ihrem Endziel näher bringt

Die Partei steht der Gründung von Wirtschaftsgenossenschaften neutral gegenüber; sie erachtet die Gründung solcher Genossenschaften, vorausgesetzt, dass die dazu nötigen Vorbedingungen vorhanden sind, als geeignet, in der wirtschaftlichen Lage ihrer Mitglieder Verbesserungen herbeizuführen, sie sieht auch in der Gründung solcher Genossenschaften, wie in jeder Organisation der Arbeiter zur Wahrung und Förderung ihrer Interessen, ein geeignetes Mittel zur Erziehung der Arbeiterklasse zur selbständigen Leitung ihrer Angelegenheiten, aber sie misst diesen Wirtschaftsgenossenschaften keine entscheidende Bedeutung bei für die Befreiung der Arbeiterklasse aus den Fesseln der Lohnsklaverei.

In der Bekämpfung des Militarismus zu Wasser und zu Lande und der Kolonialpolitik beharrt die Partei auf ihrem bisherigen Standpunkt. Ebenso verbleibt sie bei ihrer bisherigen internationalen Politik, die auf eine Verständigung und Verbrüderung der Völker, in erster Linie der Arbeiterklassen in den verschiedenen Kulturländern, abzielt, um auf dem Boden einer allgemeinen Föderation die Lösung der gemeinsamen Kulturaufgaben herbeizuführen.

Nach all diesem liegt für die Partei kein Grund vor, weder ihre Grundsätze und Grundforderungen noch ihre Taktik noch ihren Namen zu ändern, d. h. aus der sozialdemokratischen Partei eine demokratisch-sozialistische Reformpartei zu werden, und sie weist jeden Versuch entschieden zurück, der darauf hinausgeht, ihre Stellung gegenüber der bestehenden Staats- und Gesellschaftsordnung und den bürgerlichen Parteien zu verschleiern oder zu verrücken."

Die linken Sozialdemokraten (das Hauptorgan der Linken war damals die „Leipziger Volkszeitung"), Rosa Luxemburg und Parvus, waren mit dieser Resolution unzufrieden.

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