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Fehler der Fraktion in der 3. Duma

Die Geschichte der Fehler der Fraktion beginnt bereits mit ihren ersten Schritten. Das erste bedeutende Auftreten der Fraktion in der III. Duma fand anlässlich der Deklaration der Regierung statt.

Wir verweisen auf jene Aktionen der Fraktion, an denen sowohl Lenin in einer Reihe von Artikeln als auch Parteiorganisationen und das Zentralkomitee Kritik geübt haben.

Die von der sozialdemokratischen Fraktion in der 7. Sitzung verlesene Deklaration (siehe Stenographischer Bericht der III. Duma, erste Tagung, 1. Teil, S. 326–328) wurde nicht nur vom ZK, sondern auch von Ortsorganisationen aufs Schärfste kritisiert. So wurde z. B. in einer Versammlung von Arbeitern, Vertretern von 6 Unterbezirken der Petersburger Organisation, im Januar 1908 ein Brief an die Fraktion beschlossen. Wir lesen in diesem Brief: „Infolge des allgemeinen Niedergangs stehen die breiten Arbeitermassen den Arbeiten der III. Duma und ihrer sozialdemokratischen Fraktion äußerst gleichgültig gegenüber. Ihr, Genossen, habt aber im Laufe von drei Monaten sehr wenig getan, um diese Gleichgültigkeit auch nur ein wenig abzuschwächen. Die vorgeschrittenen Arbeiterkreise haben jedenfalls lebhaftes Interesse für die Vorgänge in der III. Duma und verfolgen aufmerksam Haltung und Tätigkeit unserer Dumafraktion … Man muss gesehen haben, Genossen, wie freudig diese Arbeiterkreise jede einigermaßen gelungene Aktion eurerseits begrüßten. Leider aber waren solche Aktionen äußerst selten … Wir möchten auf einzelne eurer Schritte eingehen, zunächst auf die Deklaration. Sie war euer erstes bedeutendes Hervortreten. Die Arbeiter haben darauf gewartet, ihr habt jedoch die Arbeiter enttäuscht. Statt klarer politischer und wirtschaftlicher Klassenlosungen verschwommene, unklare, halbe Andeutungen, statt scharfer entlarvender Reden gegen Regierung und feudal-reaktionäre Parteien farblose Phrasen, statt Entlarvung und Kritik an den bürgerlichen Parteien – nichts. In eurer Deklaration würde man vergeblich nach den Losungen suchen, unter deren Banner die Arbeiterklasse gekämpft hat und kämpft. Ihr habt die Forderung der Allgemeinen Konstituierenden Versammlung und des Achtstundentags mit Schweigen übergangen. Durch euer Verschulden wurde die Partei eines ausgezeichneten Agitationsmaterials beraubt."

Einer der Hauptfehler der Fraktion war ihr Nichtverstehen der konterrevolutionären Rolle der liberalen Bourgeoisie (Kadetten) – daher fehlende Erkenntnis der Notwendigkeit, zwischen sich und ihr eine scharfe Grenze zu ziehen, daher die „Unterstützung" des kadettisch-oktobristischen Antrags auf Erweiterung der Budgetrechte der Duma (siehe über die Erweiterung der Budgetrechte den Stenographischen Bericht der III. Duma, 1. Tagung, 1. Teil, die Rede Pokrowskis in der 21. Sitzung). Die Budgetfrage behauptete in der III. Duma einen hervorragenden Platz. In den Budgetreden der Fraktion aber fehlte es an einer sozialistischen Begründung der Tatsache, dass die Sozialdemokratie nicht nur gegen den Etat des damaligen russischen Staates, sondern gegen jeden Etat des bürgerlichen Staates überhaupt stimmte (siehe Resolution der Dezember-Parteikonferenz 1908).

Unter den anderen Fehlern der Fraktion in der ersten Dumatagung ist die Rede über die Frage des Ausschlusses der Öffentlichkeit bei den Verhandlungen der Kommission für Landesverteidigung hervorzuheben (siehe den Stenographischen Bericht der III. Duma, erste Tagung, 1. Teil, 23. und 24. Sitzung). Die Fraktion betonte zutreffend, dass es vor dem Volke keine Geheimnisse geben könne, aber es fehlte eine Kritik an den Kadetten, die sich zu dieser Kommission drängten und die Geheimhaltung ihrer Verhandlungen gelobten.

Bei der Erörterung der Regierungspolitik im Fernen Osten stellte die Fraktion überhaupt keine Redner. Es wäre möglich gewesen, ihren Standpunkt in dieser Frage bei der Erörterung der Umbenennung der diplomatischen Vertretung in Tokio in eine Botschaft darzulegen (siehe den Stenographischen Bericht der III. Duma, erste Tagung, 2. Teil, 32. Sitzung; Tschcheïdse wurde vom Vorsitzenden unterbrochen und sprach im Namen der Fraktion erst in der 36. Sitzung). Auch hier fehlte eine Kritik an den Kadetten wegen der eifrigen Bücklinge Miljukows vor dem Außenminister Iswolski. Es fehlte auch eine Motivierung der Stellung der Sozialisten zur Politik bürgerlicher Staaten überhaupt und zur Außenpolitik Russlands insbesondere. In der Frage der Bewilligung von 6.900.000 Rubel an das Volksbildungsministerium für Semstwos und Städte hätte die Fraktion nicht für die Bewilligung stimmen, sondern sich der Abstimmung enthalten sollen. Sie hat an dem Volksbildungssystem in Russland zutreffende Kritik geübt (siehe den Stenographischen Bericht der III. Duma, erste Tagung, 2. Teil, 36. Sitzung, Rede von Beloussow; 37. Sitzung, Rede von Kusnezow; 38. Sitzung, Rede von Poletajew); sie hat aber übersehen, dass die dem Volksbildungsministerium bewilligten Gelder, dank der unbestimmten Fassung, des Gesetzes, den Schwarzhunderter-Semstwos zur Subventionierung der „Schwarzhunderter“, zur Verbreitung patriotischer reaktionärer Literatur, zur Organisierung von Teestuben des „Verbandes des Russischen Volkes" usw. zugute kommen werden.

In der Rede Pokrowskis fehlte es an einer prinzipiellen Begründung der Verweigerung der Zustimmung zu einer Regierungsanleihe von 450 Millionen Rubel sowie an einer Kritik an der liberalen Opposition für ihre Bereitschaft, für die Anleihe zu stimmen, falls deren Umfang verringert würde. Das Benehmen der Kadetten in den ersten zwei Dumas wurde von den sozialdemokratischen Rednern als „konsequente Opposition gegen die Regierung" bezeichnet (siehe den Stenographischen Bericht der III. Duma, zweite Tagung, 2. Teil, 23. Sitzung).

Zu den Missgriffen der Fraktion gehörten auch diejenigen, die im Artikel; „Mit oder ohne Partei?" in Nr. 28 des „Proletarij" aufgezählt sind. Dieser Artikel ist zum größeren Teil möglicherweise von Lenin geschrieben, aber der letzte Absatz, in dem es heißt, der Fraktion müsse ein Ultimatum gestellt werden, stammt augenscheinlich von A. Bogdanow. Der Artikel verweist auf folgende drei Reden: Über das Budget, über die Ausgaben zu kirchlichen Zwecken und über die Amur-Eisenbahn. Wie es im Artikel heißt, haben es die Kadetten „zu der Ehre gebracht", dass die oktobristische Budgetkommission einen Kadetten zum Berichterstatter bestimmt hat, der einen Antrag auf Übergang zur Tagesordnung stellte, der von ausgesprochenem Lakaiengeist eines bürokratischen „Reformertums" auf dem Gebiete jener Dinge getragen war, „die von der hohen Obrigkeit als zum Schwatzen ungefährlich", befunden wurden. Die sozialdemokratische Fraktion brachte einen Antrag auf Übergang zur Tagesordnung ein, der sich von dem der Kadetten nur wenig unterschied (Forderung der Unabsetzbarkeit der Richter – „das dümmste Vorurteil des vulgärsten bürgerlichen Demokratismus"). „Im Grunde genommen sind die Sozialdemokraten den Kadetten nachgelaufen" (Bericht des Prof. Lutschizki im Namen der Budgetkommission über Staatskontrolle und Reden des Sozialdemokraten Pokrowski – Stenographischer Bericht der III. Duma, erste Tagung, 2. Teil, 38. Sitzung).

Bei der Aussprache über den Etat des Synods erklärte der Vertreter der sozialdemokratischen Fraktion, Beloussow, der die Trennung von Staat und Kirche verfocht, die Sozialdemokratie betrachte die Religion als Privatsache jedes einzelnen (siehe den Stenographischen Bericht der III. Duma, erste Tagung, 2. Teil, 40. Sitzung). Aus diesem Anlass bemerkte der Leitartikel des „Proletarij" Nr. 27, dass die Forderung, die Religion als Privatsache zu betrachten, nur für den Staat gelte, für die Partei aber „ist die Religion ein Feind, und jene Sozialdemokraten, die ihrer Parteipflicht, diesen Feind nach Kräften zu bekämpfen, nicht genügen, werden wohl kaum in der Partei bleiben können" (Nr. 44 des „Proletarij" enthält einen Bericht über die Diskussion in der sozialdemokratischen Dumafraktion über die Stellung der Sozialdemokratie zur Religion).

In der Frage der Amur-Bahn sprach der Abgeordnete Tschilikin. der „gesondert von der Fraktion und entgegen ihrer Abstimmung … es gewagt hat, sich dafür einzusetzen, dass der Regierung Ausgaben für die Amur-Bahn gestattet sein sollen, da seine Wähler aus diesen Gebieten es wünschen". Die Rede Tschilikins wurde auf der Rechten mehrmals mit Beifall begrüßt (siehe den Stenographischen Bericht der III. Duma, erste Tagung, 2. Teil. 41. Sitzung). Neben diesen politisch falschen Reden der Fraktion gab es aber auch eine Reihe politisch richtiger Reden, die genügendes Agitationsmaterial zur Charakteristik des Wesens der Duma, der konterrevolutionären Parteien sowie zur Beurteilung der Rolle der Sozialdemokratie lieferten.

Solcher Art waren die Reden der Fraktion in der Ernährungsfrage, über die Unterstützung der Bevölkerung der im Jahre 1907 von der Missernte heimgesuchten Gegenden. Die sozialdemokratischen Redner (Tschcheïdse, Kusnezow) übten an der Tätigkeit der Regierung auf dem Gebiet des Ernährungswesens scharfe Kritik. Sie verwiesen auf die Notwendigkeit einer Lösung der Agrarfrage und gaben der Regierung gegenüber ihrem Misstrauen Ausdruck. Die Fraktion enthielt sich der Abstimmung (Stenographischer Bericht der III. Duma, erste Tagung, 1. Teil, 17. Sitzung). In der Frage der Unterstützung der Personen, die „unter den räuberischen Handlungen revolutionärer Parteien und Parteigänger" gelitten haben, wurde die Rede des Sozialdemokraten Pokrowski im Leitartikel des „Proletarij" (Nr. 23) als eine mutige Tat bezeichnet, „die zweifellos zur Annäherung und engen Fühlung unserer Abgeordneten mit dem gesamten sozialdemokratischen Proletariat beitragen wird" (siehe Rede Pokrowskis, Stenographischer Bericht der III. Duma, erste Tagung, 1. Teil, 27. Sitzung). Die Fraktion interpellierte die Regierung über die Verfolgungen der Gewerkschaften sowie über die Katastrophe in den Bergwerken von Jusowka, legte einen Gesetzentwurf über Streikfreiheit vor und beantragte die Befreiung der Arbeitergenossenschaften von der Gewerbesteuer.

Mit dem Beginn der zweiten Dumatagung werden die Fehler der Fraktion immer seltener. Eine Reihe ihrer Reden enthält eine in der Hauptsache richtige Linie. Bereits bei der Neuwahl des Präsidiums erklärte die Fraktion, sie übernehme keine Verantwortung für die aus dem Wahlgesetz vom 3. Juni hervorgegangene Duma und lehne es ab, sich an den Wahlen der Leiter der Duma zu beteiligen (siehe den Stenographischen Bericht der III. Duma, zweite Tagung, 1. Teil, 9. Sitzung, Rede Kusnezows).

Bei der Erörterung der Frage über die Bewilligung von 4 Millionen Rubel für Kirchensprengelschulen stellte die Fraktion zwei Redner: Surkow verwies darauf, dass die Bauernschaft gegen die Kirchensprengelschulen sei und dass diese nur den herrschenden Klassen Nutzen bringen. Beloussow erklärte, diese Schulen seien ein Hindernis für den Klassenkampf auf dem Lande, da sie das Volksbewusstsein trüben. Indessen machte er erneut den Fehler, zu erklären, für die Sozialdemokraten sei die Religion Privatsache (siehe Stenographischer Bericht der III. Duma, zweite Tagung, 2. Teil, 10. Sitzung).

Richtig war das Auftreten der Fraktion in der Frage der „Militärdienstpflicht von Personen, die wegen Staatsverbrechen in ein Untersuchungsverfahren gezogen und unter offene Polizeiaufsicht gestellt sind" (siehe den Stenographischen Bericht der III. Duma, zweite Tagung, 1. Teil, 14. Sitzung).

Die Fraktion interpellierte den Kriegsminister über den Obersten Ljachow, der die persische revolutionäre Bewegung niederzuwerfen suchte. Keine der „oppositionellen" Fraktionen fand den Mut, sich zu dieser Frage zu äußern. Pokrowski begründete die Dringlichkeit der Interpellation und verwies darauf, dass das Vorgehen Ljachows die Aufmerksamkeit ganz Europas auf sich lenke und die internationalen Beziehungen Russlands bedrohe (siehe den Stenographischen Bericht der III. Duma, zweite Tagung, 1. Teil, 15. Sitzung).

Über die Erklärungen der Regierung betreffend die provokatorische Tätigkeit der Geheimpolizei in Wilna erklärte die Fraktion, die Geheimpolizei sei gegenwärtig die wichtigste Einrichtung des Staates, selbst die Dumamehrheit stehe unter ihrer Leitung. Die Regierung solidarisiere sich mit ihren Agenten und wolle sie reinwaschen. Die Fraktion beantragte ein Misstrauensvotum gegen die Regierung (siehe den Stenographischen Bericht der III. Duma, zweite Tagung, 1. Teil, 18. Sitzung, Rede von Gegetschkori).

Die Fraktion trat energisch auf in der Frage der Verschiebung des Berichtes der Kommission, die den schwerfällig-bürokratischen Namen trug: „Kommission zur Arbeiterfrage in Sachen des vom Finanzminister vorgelegten Gesetzentwurfes über Unterstützung von Unfallverletzten oder der bei der Arbeit arbeitsunfähig gewordenen Gesellen, Arbeiter und Angestellten sowie der Angehörigen dieser Personen in den industriellen und technischen Betrieben des Finanzministeriums". Diese Kommission tagte unter dem Vorsitz des Oktobristen Baron Tiesenhausen ein ganzes Jahr, legte im November einen Bericht vor und verlangte die Wiederverweisung des Berichts an die Kommission. Pokrowski verwies darauf, dass bereits in der vorigen Dumatagung eine unsichtbare Hand den Gesetzentwurf der Kommission von der Tagesordnung abgesetzt habe. Die Dumamehrheit wolle diese Frage überhaupt nicht erörtern. Jegorow erklärte: „Wir können es nicht mehr ertragen. Die Lage der Arbeiterklasse ist im höchsten Grade tragisch (Stimme von rechts: „Ach, ach!"). In keinem Lande der Welt werdet ihr eine solche Unterdrückung, eine solche Ausbeutung und Rechtlosigkeit der Arbeiterklasse finden, wie bei uns in Russland." Vom Vorsitzenden mehrfach unterbrochen, schloss Jegorow mit den Worten: „Über eure Köpfe hinweg sagen wir den Arbeitern, das russische Proletariat möge von der III. Reichsduma keine Besserung seiner Lage erwarten. Das ist eine arbeiterfeindliche Reichsduma." Kusnezow deckte die Karten der Kommission auf, indem er erklärte, sie hätte beabsichtigt, den Forderungen der Arbeiter in dem Umfang nachzukommen, der von der Regierung genehmigt werden würde (siehe den Stenographischen Bericht der III. Duma, zweite Tagung, 2. Teil, 13. Sitzung). Die Fraktion lehnte den Antrag, der Arbeiterkommission neue Mitglieder einzuverleiben, mit der von Jegorow gegebenen Begründung ab: „Was für eine Kommission man mit dieser Sache auch beauftragen wird, sie werden nicht vom Fleck kommen, und die Arbeiter werden von der III. Duma nicht mehr erhalten als am 9. Januar 1905" (siehe den Stenographischen Bericht der III. Duma, zweite Tagung, 1. Teil, 16. Sitzung).

Auf der Dezemberkonferenz 1908 (Januar 1909 neuen Stils) wurde die Tätigkeit der Fraktion erörtert und eine spezielle Resolution gefasst, die sowohl die positiven als auch die negativen Seiten ihres Verhaltens aufzeigt. Nach der Konferenz trugen die Reden der Fraktion einen stärker ausgeprägten Parteicharakter. Mit offiziellen Reden im Namen der Fraktion wurden ihre konsequenteren Mitglieder, im besonderen der ausgesprochene Bolschewik N. G. Poletajew, beauftragt. [Band 12]

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