Glossar‎ > ‎

I. Kongress der Volkswirtschaftsräte

Der I. Kongress der Volkswirtschaftsräte tagte vom 26. Mai bis zum 4. Juni 1918 in Moskau. Auf der Tagesordnung des Kongresses standen folgende Punkte: 1. Eröffnungsrede Lenins, 2. die ökonomischen Folgen des Brester Vertrages, 3. die allgemeine wirtschaftliche Lage Russlands und die ökonomische Politik, 4. die Tätigkeit des Obersten Volkswirtschaftsrates, 5. die Finanzlage Russlands, 6. das Staatsbudget, 7. der Außenhandel, 8. über das Komitee für öffentliche Bauten, 9. Berichte der lokalen Volkswirtschaftsräte.

Der Kongress tagte ungefähr drei Monate nach dem Friedensschluss in Brest, der Sowjetrussland „eine winzig kleine, ganz kleine, unsichere und bei weiten nicht vollständige Atempause gegeben“ hatte (Lenin). Damals „schien es schon, als würde diese vorübergehende Atempause ihrem Ende entgegengehen“ (Lenin, „Referat über die Außenpolitik auf der vereinigten Sitzung des Allrussischen Zentralexekutivkomitees und des Moskauer Sowjets am 14. Mai 1918“). „Von Minute zu Minute, von Tag zu Tag“ – sagte Lenin – „müssen wir bereit sein, müssen wir eine Änderung der Politik im Interesse der extremen Kriegspartei“, d. h. im Sinne eines Überfalls auf Sowjetrussland, erwarten. Eine solche Veränderung der internationalen Lage der Sowjetmacht „rief in den letzten Tagen Unruhe und Panik hervor und ermöglichte es den Konterrevolutionären, ihre auf die Unterwühlung der Sowjetmacht gerichtete Tätigkeit wieder aufzunehmen“ (ebenda).

Die Kapitalisten, die bei den ersten Anzeichen einer offensiven Kriegspolitik des Imperialismus gegen die Sowjets Mut geschöpft hatten, weigerten sich, auf eine ökonomische Verständigung mit der Sowjetmacht in der Form des Staatskapitalismus einzugehen (siehe den Artikel „Über ,linke“ Kinderei und Kleinbürgerlichkeit“ im vorliegenden Band). Statt sich den Dekreten der Sowjetmacht zu fügen, schritten sie unter der Führung und mit Hilfe des anglo-französischen Imperialismus an die Organisierung des Bürgerkrieges gegen das siegreiche Proletariat. Daraus ergab sich auf dem volkswirtschaftlichen Gebiet die Aufgabe, das Tempo zu beschleunigen, in dem – auf dem Wege der konsequenten Nationalisierung der Industrie nach Zweigen, mit den wichtigsten angefangen – die Politik „der Rechnungsführung und Kontrolle durch die Arbeiter“, die die gleichzeitige Teilnahme der unter Kontrolle stehenden Kapitalisten an der Verwaltung der Industrie nach den Grundsätzen des Staatskapitalismus im proletarischen Staat vorsah, von der Politik der Verwaltung der Industrie durch die Arbeiter abgelöst werden sollte. Zu dieser Frage beschloss der I. Kongress der Volkswirtschaftsräte folgendes: „Auf dem Gebiet der Organisierung der Produktion ist die Vollendung der Nationalisierung notwendig, wobei es gilt, von der Nationalisierung von Einzelbetrieben (304 derartige Unternehmen sind bereits nationalisiert und beschlagnahmt worden) nach und nach zur Nationalisierung ganzer Industriezweige überzugehen, darunter mit in erster Linie zur Nationalisierung der Metallverarbeitungs-, der Maschinenbau-, der Naphtha- und der Textilindustrie“. Bis dahin waren außer den Banken die Flussschifffahrt, die Zuckerindustrie sowie eine Reihe anderer Betriebe nationalisiert, hauptsächlich solche, die von den Kapitalisten selbst verlassen oder stillgelegt worden waren In jedem Betrieb, der Eigentum der Republik wurde, wurden zwei Drittel der Fabriksleitung von dem Gebiets- oder dem Allrussischen Volkswirtschaftsrat ernannt, wobei die Hälfte der Kandidaten von den Gebiets- oder den Allrussischen Gewerkschaftsvorständen aufgestellt wurde, während das andere Drittel von den gewerkschaftlich organisierten Arbeitern des Betriebs auf ein halbes Jahr gewählt wurde. Bedingung war, dass ein Drittel der Betriebsleitung aus Fachleuten, den Ingenieuren und Handelsangestellten des Betriebes, bestehen sollte. Die Gebietsleitungen der nationalisierten Betriebe wurden auf vereinigten Gebietskonferenzen der Vertreter der Fabriksleitungen und der Vertreter der Gebietsgewerkschaftsverbände gewählt und von den Gebietsvolkswirtschaftsräten bestätigt. Die Gouvernementsverwaltungen wurden nach dem Muster der Gebietsverwaltungen aufgebaut. Die Gebietsverwaltungen gehörten den Gebietsvolkswirtschaftsräten an. Die Zentralverwaltungen der nationalisierten Betriebe (die sogenannten Glawki und Zentry) wurden auf vereinigten allrussischen Konferenzen der Fabriksleitungen und der Vertreter der allrussischen Gewerkschaftsorganisationen gewählt und vom Obersten Volkswirtschaftsrat bestätigt. Der Oberste Volkswirtschaftsrat bestand aus 10 Vertretern des Allrussischen Zentralexekutivkomitees, 30 Vertretern der allrussischen Gewerkschaftsverbände, 20 Vertretern der Gebietsvolkswirtschaftsräte, 2 Vertretern der Genossenschaften und je einem Vertreter der Kommissariate für Verpflegungswesen, Transport, Landwirtschaft, Finanzwesen und Handel und Industrie. Der Oberste Volkswirtschaftsrat war die höchste Wirtschaftsinstanz der Föderativen Sozialistischen Sowjetrepublik Russland und war als Wirtschaftsorgan des Zentralexekutivkomitees diesem und dem Rat der Volkskommissare unterstellt. Er und seine lokalen Organe hatten die Aufgabe, die gesamte Produktion, Verteilung und Finanzierung der Volkswirtschaft zu organisieren. Je umfassender die Nationalisierung der Industrie durchgeführt werden musste, desto bedeutender und verantwortlicher wurde die Rolle des Obersten Volkswirtschaftsrates als des organisierenden Zentrums der sozialistischen Großindustrie, dieser Grundlage des Sozialismus. Lenin beginnt in seiner Begrüßungsrede auf dem I. Kongress der Volkswirtschaftsräte gerade mit der Klarlegung der Rolle, die der Oberste Volkswirtschaftsrat und seine lokalen Organe als Organisatoren der sozialistischen Wirtschaft spielen, als Organe, die bereits eine Keimform der Verwaltungsorgane der Volkswirtschaft in der sozialistischen Gesellschaft sind. Lenin betont die außerordentlich wichtigen organisatorischen Aufgaben, vor denen der Oberste Volkswirtschaftsrat und die lokalen Volkswirtschaftsräte stehen und lenkt ferner, in voller Übereinstimmung mit den Grundsätzen, die im Artikel „Die nächsten Aufgaben der Sowjetmacht“ in Bezug auf den sozialistischen Sektor aufgestellt wurden, die besondere Aufmerksamkeit des Kongresses auf die Ausnützung der bürgerlichen Spezialisten und die Stärkung der Arbeitsdisziplin.

Am Schluss seiner Rede legt Lenin den Kongressteilnehmern nahe, „sich von jenen Leuten, jenen Klassen und jener Bourgeoisie nicht beirren zu lassen, deren ganze Aufgabe darin besteht, Panik zu erzeugen, Mutlosigkeit zu verbreiten, in die ganze Arbeit Verzagtheit hineinzutragen und sie als hoffnungslos hinzustellen“, womit er u. a. die „linken“ Kommunisten meint, die damals noch ihre – allerdings letzten – Attacken gegen die Parteilinie ritten.

So stellten die „linken“ Kommunisten auf dem I. Kongress der Volkswirtschaftsräte zur Frage „Die wirtschaftliche Lage und die ökonomische Politik“ Ossinski als Korreferenten auf. Alle seine prinzipiellen Erwägungen zu den Fragen der Wirtschaftspolitik waren nichts als eine Wiederholung jener Plattform der „linken“ Kommunisten, deren Kritik Lenin den Artikel „Über ,linke’ Kinderei und Kleinbürgerlichkeit“ gewidmet hatte. [...] [Lenin, Ausgewählte Werke, Band 7]

Kommentare