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Petersburger Parteikonferenz 1907

Am 27. Oktober fand in Terioki die Petersburger Parteikonferenz statt. Anwesend waren 57 Delegierte mit beschließender und 11 mit beratender Stimme. Auf der Tagesordnung standen folgende Punkte: 1. Bericht des Petersburger Komitees; 2. Tätigkeitsbericht des ZK; 3. Allrussische Konferenz; 4. Prozess der sozialdemokratischen Dumafraktion; 5. Arbeitslosigkeit; 6. Neuwahlen zur Stadt-Konferenz und andere Organisationsfragen.

Der Bericht des Petersburger Komitees verwies auf die äußerst schlechte Durchführung der Wahlkampagne. Nur ein kleiner Bruchteil von Arbeitern konnte in die Wahllisten eingetragen werden. Die Agitation in den Wahlversammlungen war unbefriedigend. Die Herausgabe legaler Agitationsliteratur war unmöglich, man musste sich auf die Herausgabe illegaler Flugblätter und Zeitungen beschränken (siehe Bericht in Nr. 17 des „Proletarij"). An der Durchführung der Wahlen nahmen die Arbeiter nur geringen Anteil. Die boykottistische Stimmung war sehr stark, und erst verhältnismäßig spät gelang es, sie zu überwinden. Der Arbeiter-Abgeordnete zur III. Duma wurde in gemeinsamer Abstimmung des Petersburger Komitees und der sozialdemokratischen Wahlmänner bestimmt. Das Petersburger Komitee beschloss, an den Stichwahlen teilzunehmen, um den mehreren tausend Wählern, die nicht für die Kadetten stimmen wollten, einen Ausweg offen zu lassen. Um den Kadetten möglichst viele Wähler zu entziehen, wurde ein Wahlabkommen mit dem sogenannten Werktätigen-Block geschlossen. Im Bericht des Petersburger Komitees war von der Arbeit der Sozialdemokratie in den Gewerkschaften die Rede, von der Organisierung eines wöchentlichen Erscheinens der Zeitung „Wperjod", von dem Bestehen einer ganz selbständigen, vor der Partei geheimgehaltenen menschewistischen Organisation in Petersburg mit dem Parteikomitee der „Franko-Russischen-Werke" an der Spitze.

Der Tätigkeitsbericht des ZK verwies darauf, dass das ZK einer festen Mehrheit entbehre. Es waren hauptsächlich die Bolschewiki, die das ZK durch praktische Arbeit und Geldmittel unterstützten. Die anderen Fraktionen verhielten sich dem ZK gegenüber neutral, die Menschewiki ausgesprochen feindlich. Eine ganze Reihe von Unternehmen des ZK gelangte in den letzten Monaten nicht zur Ausführung. Manche Fragen (Zentralorgan, Flugblatt über Terror und „Expropriationen", Resolution über die Gewerkschaften, die ersten Schritte der Dumafraktion, Mitarbeit an der bürgerlichen Presse) wurden im ZK mehrere Male erörtert, und trotzdem konnte kein Beschluss gefasst werden. Das ZK verwies darauf, dass die Schuld daran nicht an den Bolschewiki, sondern an den außerordentlich schwierigen objektiven Bedingungen der Arbeit des ZK liege. Seine eigene Zusammensetzung und das Verhalten der einzelnen Fraktionen im ZK würden sowohl das ZK als auch die Partei in eine ganz unmögliche Lage bringen, wenn es so weitergehe. Die Konferenz sah von der Annahme einer Resolution ab, sprach aber den Wunsch aus, die Vertreter der Petersburger Organisation möchten auf der bevorstehenden Parteikonferenz alles tun, um dem ZK aus der heutigen Sackgasse zu helfen und seine Tätigkeit auf die gebührende Höhe zu bringen.

Das Referat über die III. Duma hielt Lenin. Sein ganzer Inhalt wurde von den Menschewiki von A bis Z bestritten. Sie erklärten die darin gegebene Charakteristik der Zusammensetzung der III. Duma für falsch, stellten die objektiv konterrevolutionäre Rolle der Kadetten in Abrede und erblickten die Hauptaufgabe der sozialdemokratischen Fraktion im Kampf gegen die Regierung und die Schwarzhunderter. Die Menschewiki beriefen sich auf Marx und verwiesen darauf, dass die Sozialdemokraten die Oktobristen gegen die extreme Rechte unterstützen müssten, da die Oktobristen Vertreter des Industriekapitals, die Rechten aber Vertreter des Grundbesitzes seien. Sie schlugen vor, bei der Wahl des Duma-Präsidiums für den „linken" Oktobristen zu stimmen. Nach den Reden einer Reihe von Bolschewiki ging Lenin in seinem Schlusswort hauptsächlich auf den Grundfehler des Menschewismus ein, auf den Gedanken der „allgemein-nationalen Opposition". Die von Lenin beantragte Resolution wurde mit 37 gegen 12 Stimmen bei Stimmenthaltung der übrigen als Grundlage angenommen und zur endgültigen Redaktion all eine Kommission verwiesen (abgedruckt in Nr. 19 des „Proletarij").

Das zweite Referat Lenins bezog sich auf die Frage der Mitarbeit der Sozialdemokratie an bürgerlichen Presseorganen.

Der menschewistische Vertreter, der in der Diskussion zum Referat das Wort ergriff, stimmte der Auffassung zu, dass systematische Mitarbeit von Sozialdemokraten an bürgerlichen Presseorganen Korruption in die Partei bringe. Er gab ferner zu, dass auch die Zeitung „Towarischtsch" zu jenen Presseorganen gehöre, an denen Sozialdemokraten sich nicht beteiligen sollen. Der erste Teil der menschewistischen Resolution deckte sich mit den bolschewistischen Entwürfen. Doch der Vertreter der Menschewiki ergänzte die Resolution mit dem Satz: „In außerordentlichen Fällen, wenn vor einem schweren Fehler gewarnt werden muss, ist es zulässig…". Eine solche Ergänzung machte die menschewistische Resolution unannehmbar.

Ebenso wurde die bereits auf Konferenzen mehrfach erörterte, in Parteiorganisationen und Versammlungen von parteilosen Arbeitern diskutierte Frage des Prozesses der sozialdemokratischen Dumafraktion erörtert. Aus den Berichten der Betriebe trat zutage, dass die kleinen und mittleren Industriewerke bereit waren, am Tage der Gerichtsverhandlung die Arbeit niederzulegen, und dass die Fabriken sich anschließen würden. Es gebe Chancen, auch in den großen Industriewerken den Streik durchzuführen, unmöglich sei er aber in den staatlichen Werken, wo die Lage der Arbeiter sehr schwer,die Entlassungen zahlreich seien. Manche Verbände stellten Unterstützung des Streiks in Aussicht. Die Sozialrevolutionäre stünden dem Streik nicht feindlich gegenüber und würden ihm augenscheinlich nicht entgegenwirken. Nach Erörterung der Frage richtete die Konferenz an die Arbeiter und Arbeiterinnen Petersburgs und des Petersburger Gouvernements einen Aufruf mit der Aufforderung zu einem eintägigen Demonstrationsstreik am Tage des Beginns der Verhandlung gegen die sozialdemokratische Fraktion. An alle Arbeiterorganisationen Petersburgs wurde die Aufforderung gerichtet, zur „erfolgreichen Durchführung dieses Streiks" beizutragen (ausführlicher Bericht in Nr. 20 des „Proletarij"). [Band 12]

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