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Arbeiteropposition

Ansätze der Gruppe der „Arbeiteropposition“ existierten schon vor der Diskussion. Ihr Organisator, Schljapnikow, brachte bereits im Frühjahr 1919 auf einer Gewerkschaftskonferenz eine Resolution ein, wonach „alle Gewerkschaftsvereinigungen an die Spitze der wachsenden Unzufriedenheit der Massen treten und zusammen mit den organisierten Massen einen Ausweg aus der entstandenen Lage suchen müssen“. Nach dieser Resolution müssen die Gewerkschaften, ungeachtet der Partei, die Massen politisch leiten. In den Thesen, die Schljapnikow dem IX. Parteitag vorlegte („Das Verhältnis der KPR[B] zu den Sowjets und zu den Industrieverbänden“) werden die Gewerkschaften als die „einzigen verantwortlichen Organisatoren“ der Volkswirtschaft bezeichnet, d. h. die Partei und die Sowjets werden von der Leitung der Wirtschaft ausgeschaltet. [...] Die Partei führte gegen diese Strömung den entschiedensten und schonungslosesten Kampf.

Die „Arbeiteropposition“ verneinte im Grunde den proletarischen Charakter der Partei und des Sowjetstaates, in den Thesen der „Arbeiteropposition“ über den Parteiaufbau heißt es, dass die Partei durch „die buntscheckige soziale Zusammensetzung der Bevölkerung, das quantitative Überwiegen der Bauernschaft und des Kleinbürgertums über die Arbeiterklasse“ vor die Notwendigkeit gestellt werde, „drei verschiedenartige politische Tendenzen miteinander auszusöhnen: die kommunistische Politik der Arbeiter, die kleinbürgerlichen Ansprüche der Bauern und die großkapitalistischen Bestrebungen der bürgerlich-bürokratischen Kaste“. Die „Arbeiteropposition“ war der Ansicht, dass unsere Partei unabhängig von ihrem Willen und ihren Beschlüssen infolge des Verhältnisses der Klassenkräfte im Lande nicht imstande sei, eine proletarische Politik durchzuführen

In der Broschüre „Die Arbeiteropposition“ sagt die Genossin Kollontai, eine der Führerinnen dieser Gruppe, unumwunden, dass die Kommunistische Partei „lavieren“ müsse zwischen dem Proletariat, dem tüchtigen Landwirt, dem städtischen Kleinbürgertum und den bürgerlichen Spezialisten, dass die Partei gezwungen sei, „jene über den Klassen schwebende Politik“ zu betreiben, „die nichts anderes ist, als eine ,Anpassung' der führenden Organe an die verschiedenartigen und widerspruchsvollen Interessen der sozial verschiedenartigen, gemischten Zusammensetzung der Bevölkerung“.

Die „Arbeiteropposition“ glaubte nicht an die Möglichkeit des sozialistischen Aufbaus in den Sowjetrepubliken. Sie stellte die Möglichkeit des sozialistischen Aufbaus auf der Grundlage der Einbeziehung der Hauptmassen der Bauernschaft in diesen Aufbau in Abrede. Nach Schljapnikow kann die Arbeiterklasse nicht, ohne Verrat an ihren Klasseninteressen zu üben, in der Rolle des Vertreters und Verteidigers der Interessen der Masse der Werktätigen auftreten. Die „Arbeiteropposition“ verneinte die Möglichkeit der Hegemonie des Proletariats und den proletarischen Charakter unserer Revolution. [...]

Die „Arbeiteropposition“, die die Rolle der Partei als Avantgarde, welche den Kampf der Arbeiterklasse, alle ihre Organisationen leitet, in Abrede stellte und die Gewerkschaften als den „prägnantesten und markantesten Ausdruck“ der Arbeiterklasse (Genossin Kollontai) betrachtete, strebte im Grunde nach der Unabhängigkeit der Gewerkschaften von der Partei. Sie bestritt sogar das Recht der Partei, auf die Zusammensetzung der führenden Organe der Gewerkschaften Einfluss zu nehmen.

Die „Arbeiteropposition“ bestritt die Bedeutung der Organe des Sowjetstaates als Instrument der Diktatur des Proletariats. In den Thesen Schljapnikows zum IX. Parteitag heißt es: „Das ZK konnte die wichtigsten Machtapparate, wie z. B. das Volkskommissariat für Ernährungswesen, das Volkskommissariat für Verkehrswesen, die Staatskontrolle, das Volkskommissariat für Landwirtschaft u. a., die sich faktisch in Händen befinden, die den Interessen der Arbeiterklasse fremd sind, nicht in seine Gewalt bekommen“. Die „Arbeiteropposition'“ sprach viel von Bürokratismus im Staatsapparat. Während aber die Partei den Bürokratismus stets als eine Krankheit des proletarischen Staatsapparats betrachtete, gegen die die Partei und die Arbeiterklasse einen langwierigen und hartnäckigen Kampf führen mussten, sprach die „Arbeiteropposition'' dem Staatsapparat die Rolle eines Instruments der Diktatur des Proletariats ab. Den Apparat der Staatsmacht wollte die „Arbeiteropposition" durch die Gewerkschaften ersetzen und stellte die Losung der „Vergewerkschaftung des Staates“ auf.

Die Plattform der „Arbeiteropposition“ wurde gekrönt durch folgenden zentralen Punkt über die Organisierung der Verwaltung der Volkswirtschaft: „Die Organisierung der Verwaltung der Volkswirtschaft steht dem Allrussischen Kongress der in gewerkschaftlichen Industrieverbänden vereinigten Produzenten zu, die die Zentralorgane für die Verwaltung der gesamten Volkswirtschaft der Republik wählen“ (siehe Lenin, Referat über die Einheit der Partei und die anarchosyndikalistische Abweichung). In dieser These kommen die Fehler der „Arbeiteropposition“ in konzentriertester Form zum Ausdruck. In der Resolution des X. Parteitages „Über die syndikalistische und anarchistische Abweichung in unserer Partei“ (von Lenin geschrieben) heißt es über den angeführten Punkt: „Erstens vereinigt der Begriff ,Produzent' den Proletarier mit dem Halbproletarier und dem kleinen Warenproduzenten und weicht damit grundlegend von dem Grundbegriff des Klassenkampfes und von der Grundforderung, die Klassen genau zu unterscheiden, ab“. Zweitens ist die in der angeführten These enthaltene unrichtige Fragestellung in Bezug auf das Verhältnis zwischen der Partei und den breiten parteilosen Massen, die zur Unterordnung der Partei unter das parteilose Element führt, „eine nicht weniger grundlegende Abweichung vom Marxismus“.

Die Thesen der „Arbeiteropposition“ räumten den einzelnen Betrieben so große Rechte ein, dass sie eine Zersplitterung der Verwaltung der Volkswirtschaft nicht nur nach einzelnen Industriezweigen, sondern auch nach einzelnen Wirtschaftseinheiten bedeuteten. Nach den Thesen der „Arbeiteropposition“ sollten die Arbeiter und Angestellten jedes Werkes, jeder Fabrik, jeder einzelnen Wirtschaftseinheit das leitende Organ dieses Betriebes – ein „Arbeiterkomitee“ – wählen. Dieses Komitee braucht von niemand bestätigt zu werden – es wird zusammengesetzt „unter der Führung und Kontrolle der entsprechenden Gewerkschaft“. Die Arbeiter und Angestellten jeder einzelnen Wirtschaftseinheit „sind die unmittelbaren Verfügungsberechtigten über das unter ihrer Leitung befindliche Eigentum, sie tragen die Verantwortung für seine Unversehrtheit und zweckmäßige Verwendung gegenüber allen Werktätigen der Republik“.

In der Plattform der „Arbeiteropposition“ treten klar und deutlich drei Hauptmerkmale des Anarchosyndikalismus zutage: 1. die Negierung der Partei als der Avantgarde der Arbeiterklasse; 2. die Negierung der Organe der Staatsgewalt, die Ersetzung der Partei und der Staatsorgane durch das „parteilose Element“; 3. das ablehnende Verhalten zum Prinzip des demokratischen Zentralismus im proletarischen Staat. Aus diesem Grunde muss diese ganze Plattform als anarchosyndikalistisch bezeichnet werden.

Der anarchosyndikalistische Charakter der „Arbeiteropposition“ kam auch in ihrer Stellung zur Partei zum Ausdruck. Bekanntlich leugnen der Anarchismus und der Anarchosyndikalismus die Notwendigkeit der Partei. Die „Arbeiteropposition“ verstieg sich nicht so weit, aber sie sah, ebenso wie die Anarchosyndikalisten, die höchste Klassenorganisation des Proletariats nicht in der Partei, sondern in den Gewerkschaften. In der zum X. Parteitag herausgegebenen Broschüre der Genossin Kollontai „Die Arbeiteropposition“ (diese Broschüre war eine Art Manifest der „Arbeiteropposition“) wurde direkt behauptet, dass die Gewerkschaften das „grundlegende Klassenkollektiv“ des Proletariats seien und dass in dieser Hinsicht die Gewerkschaften gegenüber der Partei alle Vorzüge besäßen. Die „Arbeiteropposition“ beschuldigte die bolschewistische Partei, dass sie aufgehört habe, die Klasseninteressen des Proletariats zum Ausdruck zu bringen, dass sie zwischen den Klassen „laviere“, dass sie zu einer „über den Klassen stehenden“ Partei werde und schließlich, dass sie die proletarische Linie durch die Orientierung auf den „tüchtigen Landwirt“ ersetze. Die „Arbeiteropposition“ beschuldigte die Partei der Isolierung von den Massen und das ZK der Partei mit Lenin an der Spitze der Isolierung von den Parteimassen, ferner einer „Reihe von Abweichungen in der Richtung des Misstrauens in die schöpferischen Kräfte der Arbeiterklasse“ sowie der „Zugeständnisse an das Kleinbürgertum und die bürgerlich-bürokratischen Kasten“ (siehe Resolutionsentwurf zum Bericht des ZK, eingebracht von der „Arbeiteropposition“ auf dem X. Parteitag, im Sammelband „Die Arbeiteropposition“, 1926, S. 26 f, russ.), einer „schwankenden Politik“ usw. Die „Arbeiteropposition“ sprach davon, die Partei arte in eine nicht-proletarische aus. Sie forderte den Ausschluss der Intellektuellen aus der Partei, ihre Nichtzulassung zur Partei. Sie bezichtigte die Partei des Verrats an den Klasseninteressen des Proletariats, forderte „Gewährleistung der Diskussionsfreiheit, Anerkennung des Rechts innerparteilicher Strömungen, Diskussionen zu organisieren, und die materielle Möglichkeit für die Vertreter dieser Strömungen, ihre Ansichten zu verteidigen“.

Wodurch wurde das Erscheinen der anarchosyndikalistischen Abweichung, der „Arbeiteropposition“, hervorgerufen? Die Jahre 1920 und 1921 sind dadurch gekennzeichnet, dass der Bürgerkrieg und die schwere Wirtschaftskrise eine Zersplitterung und Deklassierung der Arbeiterklasse zur Folge hatten. Zehntausende fortgeschrittener qualifizierter Arbeiter waren in die Rote Armee oder in die Lebensmittelkolonnen eingetreten. Viele hatten sich einfach auf das flache Land begeben. Allein von August 1918 bis Februar 1919 hatte sich die Zahl der Arbeiter um 229.000 verringert. Die Betriebe schränkten ihre Produktion ein.

Der Arbeiter verwandelte sich häufig in einen Kleingewerbetreibenden und Schleichhändler. Die ganze Ideologie der „Arbeiteropposition" spiegelte am grellsten die feindlichen Klasseneinflüsse auf das Proletariat wider. Kleinbürgerliche Anarchie im Gegensatz zur eisernen Diktatur des Proletariats, zur eisernen Disziplin der bolschewistischen Partei – das war es, was die parteifeindliche „Arbeiteropposition“ zum Ausdruck brachte. Diese ganze kleinbürgerliche Rebellion wurde mit einer „linken“ Phraseologie bemäntelt. Lenin deckte schonungslos dieses kleinbürgerliche Wesen der „Arbeiteropposition“ auf. Er führte aus: „Die Arbeiteropposition, … die sich hinter dem proletarischen Rücken verbirgt, ist eben das kleinbürgerliche anarchistische Element“. Lenin und die Partei führten den schonungslosesten Kampf gegen die anarchosyndikalistische Abweichung, die „Arbeiteropposition“. Sie fand bei den Arbeitermassen keine Unterstützung und wurde schnell zertrümmert. Der erste entscheidende Schlag wurde ihr vom X. Parteitag versetzt, der auf Antrag Lenins die von ihm verfasste Resolution „Über die Einheit der Partei“ sowie die Resolution „Über die syndikalistische und anarchistische Abweichung in unserer Partei“ annahm. Der nächste Schlag erfolgte auf dem XI. Parteitag im Zusammenhang mit den Versuchen der Überreste der „Arbeiteropposition“, nach dem X. Parteitag, trotz der Beschlüsse dieses Parteitages über die Auflösung aller oppositionellen Gruppierungen, die Fraktionsarbeit fortzusetzen. Nach dem XI. Parteitag hörte die „Arbeiteropposition“ auf, als besondere fraktionelle Gruppierung zu existieren. Einzelne ihrer Vertreter jedoch setzten ihre parteifeindliche Arbeit weiter fort und glitten in den Sumpf des Menschewismus hinab. Sprösslinge der „Arbeiteropposition“ waren in den darauffolgenden Jahren zwei konterrevolutionäre illegale Gruppen, und zwar die sogenannte „Arbeitergruppe“ und die Gruppe der „Arbeiterwahrheit“. [...] [Lenin, Ausgewählte Werke, Band 9, Anm. 17]

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