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Plechanows Hieroglyphen LW

Georg Plechanow, der selbst den „Ludwig Feuerbach" von Fr. Engels ins Russische übersetzt hat (die erste Auflage dieser Übersetzung erschien 1892 in Genf, eine zweite Auflage 1905 dortselbst), versah die Ausgabe mit Anmerkungen, unter denen die siebente sich mit der Frage der Erkennbarkeit der Welt beschäftigt. Nachdem die Ansichten Humes', Fichtes usw. dargelegt werden, wird besonders die Auffassung Kants kritisiert, nach der das Ding an sich nicht erkennbar ist und unsere Erkenntnis der Dinge (der Welt) durch die Beschaffenheit unseres Erkenntnisvermögens bestimmt wird. Zur Widerlegung der Kantschen Ansicht und zur Illustrierung der materialistischen Auffassung zitiert Plechanow unter anderem folgende Stelle aus der Schrift des russischen Gelehrten Setschonow „Das gegenständliche Denken und die Wirklichkeit":

Jeder von uns empfundenen Tonschwingung oder jedem Tonübergang von gewisser Stärke, Höhe und Dauer entspricht eine ganz bestimmte Veränderung der Tonbewegung in der Wirklichkeit. Der Ton und das Licht als Empfindungen sind das Produkt des menschlichen Organismus, aber die Wurzeln der von uns gesehenen Formen und Bewegungen, ebenso wie der von uns gehörten Modulationen der Töne, liegen außer uns in der Wirklichkeit." „Wie immer die Gegenstände an sich, unabhängig von unserem Bewusstsein, beschaffen sein mögen – mögen auch unsere Eindrücke von ihnen nur bedingte Zeichen sein –, jedenfalls entspricht der von uns empfundenen Ähnlichkeit und Verschiedenheit eine wirkliche Ähnlichkeit und Verschiedenheit. Mit anderen Worten: die Ähnlichkeiten und Verschiedenheiten, die der Mensch unter den von ihm empfundenen Gegenständen findet, sind wirkliche Ähnlichkeiten und Verschiedenheiten."

Dazu bemerkt Plechanow:

Das kann man nicht bestreiten und infolgedessen kann auch nicht von einer Unerkennbarkeit der Dinge an sich gesprochen werden … Unsere Empfindungen sind eine Art Hieroglyphen, die uns kundgeben, was in Wirklichkeit vor sich geht. Hieroglyphen sind den Ereignissen, von denen sie kundgeben, nicht ähnlich. Aber sie können sowohl die Ereignisse selbst wie auch – was das wichtigste ist – die Relationen, die zwischen ihnen bestehen, vollkommen richtig wiedergeben."

In der zweiten Auflage seiner „Anmerkungen" berichtigte Plechanow diese irreführende Formulierung. An Stelle der zuletzt zitierten Sätze heißt es da:

Das ist richtig. Man muss nur bemerken, dass Herr Setschonow sich nicht ganz genau ausdrückt. Wenn er zugibt, dass unsere Eindrücke nur bedingte Zeichen der Dinge an sich sind, so scheint er anzuerkennen, dass die Dinge an sich irgendwelche uns unbekannte „Gestalt" besitzen, die unserem Bewusstsein unzugänglich ist. Aber die „Gestalt" ist ja doch nur das Ergebnis der Einwirkung der Dinge an sich auf uns; außerhalb dieser Einwirkung besitzen sie keine „Gestalt". Ihre „Gestalt", wie sie in unserem Bewusstsein existiert, jener „Gestalt", die sie angeblich tatsächlich haben, entgegenstellen wollen, heißt daher, sich keine Rechenschaft darüber geben, welcher Begriff mit dem Wort „Gestalt" verbunden wird. Auf einer derartigen Ungenauigkeit der Terminologie beruht ja die ganze „erkenntnistheoretische" Scholastik des Kantianismus. Ich weiß, dass Herr Setschonow dieser Scholastik nicht zuneigt: ich bemerkte schon, dass seine Erkenntnistheorie vollkommen richtig ist, wir sollen aber unseren philosophischen Gegnern keine terminologischen Zugeständnisse machen, die uns hindern, unsere eigenen Gedanken vollkommen exakt auszudrücken. Ich mache diesen Vorbehalt auch noch deshalb, weil ich selbst in der Anmerkung zu der ersten Auflage meiner Übersetzung dieser Broschüre von Engels mich noch nicht ganz genau ausgedrückt habe und erst in der Folge die ganze Unbequemlichkeit dieser Ungenauigkeit verspürte."

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