Redaktion 19171006 Hinter den Kulissen der Kornilowaffäre

Redaktion: Hinter den Kulissen der Kornilowaffäre

[Nach Bote der Russischen Revolution. Organ der ausländischen Vertretung des Zentralkomitees der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands (Bolschewiki) Nr. 4, 6. Okt. 1917, S. 5-8]

Die Kornilowaffäre schien politisch schon erledigt zu sein. Über die politische Mitschuld der Kadetten herrschte unter der Demokratie kein Zweifel. Man überließ dem Untersuchungsrichter die Entscheidung über den Grad der Schuld der einzelnen Generale und Kadetten; der demokratischen Konferenz die Beantwortung der Frage: ob auch weiterhin Techtelmechtel mit den Kadetten zulässig sind. Aber weder die Kadetten noch die Mannen Kornilows verspürten Lust auf dem Altar des tugendhaften Kerenski geopfert zu werden Quis tulerit Gracchos de seditione querentes? Die Mannen Kornilows begannen aus der Schule zu plaudern.

Als erstes publizierte das große Moskauer Kapitalistenblatt Utro Rossii das Telefonogram des Gespräches, das am 9 Sept. Kornilow mit Sawinkow, dem Kriegsminister und nahesten Vertrauensmann Kerenskis hatte. Das Gespräch fand in dem Moment statt, wo Kerenski mit Kornilow gebrochen hatte. Sawinkow suchte den meuternden General zu überreden, sich Kerenski zu unterwerfen. Aus der Unterredung, deren Authentizität Sawinkow nicht bestreitet, lassen sich folgende Tatsachen feststellen: 1) das Generalquartier erwartete, dass „bestimmte Beschlüsse in Bezug auf die Sowjets und Bolschewiki angenommen worden sind"; 2) „dass er (Sawinkow) in Namen der Provisorischen Regierung von ihm (Kornilow) gefordert habe ein Kavalleriekorps nach Petrograd zu entsenden, wobei unter ihnen abgemacht war, dass im Moment der vollzogenen Zusammenziehung des Kavalleriekorps bei Petrograd, worüber Sawinkow telegrafisch benachrichtigt werden sollte, über Petrograd der Kriegszustand verhängt werden sollte. Dies wurde abgemacht – unterstreicht Kornilow – in Anwesenheit der Generäle Lukomski und Romanowski, wie des Obersten Barawski"; Wenn Sawinkow auf diese Feststellungen Kornilows nur einwendet, er habe „im Namen des Ministerpräsidenten um sin Kavalleriekorps ersucht zwecks Sicherung und Durchführung des Kriegszustandes in Petrograd und zwecks Unterdrückung aller Versuche des Aufstandes gegen die provisorische Regierung, von welcher Seite sie auch kommen mögen" – so ist das eine komische Ausrede: wenn der Versuch des Aufstandes seitens Kornilow zu erwarten war, so konnte sich doch Kerenski nicht an Kornilow um Hilfe wenden.

Aber damit sind die neuen Tatsachen, die das Telefonogram mitteilt, noch nicht erschöpft. 3) Sawinkow bestätigt dass die Provisorische Regierung entschlossen war, das Programm Kornilows durchzuführen. „Ich haben ihnen im Generalquartier erklärt, dass die Regierung bestimmt den von Ihnen vorgeschlagen Weg betritt und als Beweis führte ich die Vorbereitung eines Gesetzes über die Maßregel im Hinterlande an, die Sie (Kornilow) gutgeheißen haben. An dem Tage, ja fast in der Stunde, da die Regierung den Gesetzesvorschlag annehmen sollte, worüber ich Sie telegrafisch benachrichtigt hatte, haben sie es vorgezogen, zu versuchen ihren persönlichen Willen dem russischen Volke zu diktieren. Sie haben auf sich eine unvergessliche Verantwortung genommen" 4) Kornilow stellt fest, dass der Kadett Lwow ihm in Namen Kerenskis drei Möglichkeiten vorgelegt hatte: den Rücktritt Kerenskis, das Verbleiben Kerenskis im Amte, die Überweisung der Diktatur durch die Provisorische Regierung an Kornilow. „Ich habe darauf erklärt, dass nach meiner tiefen Überzeugung die Bildung der Diktatur und die Erklärung des ganzen Landes im Kriegszustand den einzigen Ausweg darstellt. Ich bat Lwow, Kerenski mitzuteilen, dass ich die Teilnahme Euch beider (Kerenskis und Sawinkows) an der Regierung für absolut notwendig halte; ich bat meine Bitte nachdrücklichst mitzuteilen, dass Ihr sofort nach dem Generalquartier kommt zwecks Annahme der entscheidenden Beschlüsse, wobei ich erklärte, dass ich angesichts der bestimmten Nachrichten über die vorbereitenden Aktion der Bolschewiki die Lage als sehr gefährlich betrachte und besonders Euren Aufenthalt in Petrograd als für Kerenskis und ihre (Sawinkows) Sicherheit als gefährlich betrachte. Deshalb bat ich ins Generalquartier zu kommen, wobei ich Euch mit meinen Ehrenwort Sicherheit garantierte. Gestern kamen wir nach einer Beratung mit dem Kommissar des Hauptkommandierenden (Filonienko) schließlich zur Entscheidung, dass es zur Rettung des Vaterlandes notwendig ist, sofort eine kollektive Diktatur einzuführen, in der Form, eines Rates der Verteidigung, dessen Mitglieder Kerenski, Sie (Sawinkow), Filonienko, und ich (Kornilow) sein sollten", Zum Schluss erklärt Kornilow, „er sei tief überzeugt, dass die für ihn vollkommen überraschende Entscheidung der Regierung (ihm das Kommando zu nehmen) unter dem Drucke bestimmter Organisationen gefasst wurde". Was hat darauf Sawinkow zu antworten? Er erklärt, dass er immer „auf dem Standpunkt stand, eine außerordentlich starke Regierung sei notwendig" aber „die Regierungsgewalt dürfe nicht eine Diktatur einer Person darstellen"

Diese Enthüllungen wurden ergänzt durch andere aus dem Freudenkreisen Sawinkows und Lwows, und aus allen ergab sich ein Bild der Kornilowschen Verschwörung, in dem Kerenski nicht als Gegner, sondern als Konkurrent Kornilow erscheint.

In Anbetracht dessen richteten Genosse Trotzki und Kamenew als Vertreter dei Bolschewiki in dem Zentralkomitee der Sowjets an sein Büro folgendes Schreiben:

Die unterzeichneten Mitglieder des Zentralausschlusses der Sowjets betrachten es als notwendig und unaufschiebbar, die Aufmerksamkeit des Büros des Ausschusses auf die in der Presse erfolgten Veröffentlichungen und Enthüllungen über die Tätigkeit der Mitglieder und Agenten der Regierung im Zusammenhang mit der Vorbereitung der militärischen Verschwörung gegen die Revolution, ihre Organe u. Errungenschaften im Kornilowschen Generalquartier zu lenken. Diese Enthüllungen stimmen miteinander überein; sie finden eine direkte oder indirekte Bestätigung in den bekannten objektiven Tatsachen der Affäre; sie wurden von den Beteiligten nicht zurückgewiesen. Sie erwecken den Eindruck der vollen inneren Wahrhaftigkeit. Der wesentliche Inhalt aller dieser Dokumente und Veröffentlichungen ist folgender:

Der frühere Kriegsminister Sawinkow schlug Kornilow angeblich im Namen Kerenskis drei Varianten der Diktatur vor, in den Verhandlungen wurde die Teilnahme Kornilows, Kerenskis, Sawinkows und Filonenkos in verschiedenen Kombinationen erwogen, Die Proklamierung der persönlichen oder kollektiven Diktatur sollte gleichzeitig mit der Erklärung des Kriegszustandes in Petrograd und mit der unbarmherzigen Zertrümmerung der revolutionären Organisationen, mit einen Kreuzung gegen die Arbeitermasse, alles das unter dem Banner der Niederwerfung einer angeblickten bolschewistischen Verschwörung, erfolgen.

Zu diesem Zwecke erfolgte mit Zustimmung der Provisorischen Regierung und des Hauptquartiers die Bewegung des dritten Kavalleriekorps auf Petrograd. Diese militärische Bewegung sollte dienen als Signal zur Einführung der von Kornilow verlangten Repressalien und Proklamierung der Militärdiktatur!

Angesichte des ungeheuren Eindrucks, den alle diese Enthüllungen auf die Arbeiter und die politisch aufgeklärten Kreise der Bevölkerung von ganz Russland machen, schlagen wir vor, ohne das Resultat der Untersuchung abzuwarten, sofortige Schritte zur Beleuchtung der politischen Seite der Affäre vorzunehmen. Zu diesem Zwecke erachten wir es als besonders wichtig, den früheren Vertretern der Sowjets in der Regierung: Skobelew, Awksentjew und Tschernow vorzuschlagen, dem Büro des Vollzugsausschusses das ganze ihnen bekannte Material über die oben genannten Enthüllungen mitzuteilen".

Nach kurzer Debatte hat das Büro der Sowjets mit großer. Stimmenmehrheit den Antrag der Bolschewiki angenommen und man erwartet in nächster Zeit die Erklärungen der früheren „sozialistischen" Minister. Inzwischen steigern die Enthüllungen die Erregung der Arbeitermassen immer mehr. Kerenski war bis zuletzt Mitglied des Präsidiums des Petrograder Sowjet. Als ihn die Tschcheïdse und Co., jetzt, wo sie die Mandate dem Sowjet zur Verfügung gestellt haben, um ein neues Vertrauensvotum zu erlangen, stillschweigend fallen lassen wollten, da machte Trotzki ihnen das unmöglich, in dem er die Frage offen an sie stellte: habt ihr Kerenski von eurer Liste gestrichen? Als sie das verneinten und sich mit der Abwesenheit Kerenskis auszureden suchten, erklärte Trotzki: wer für Tschcheïdse stimmt, stimmt für Kerenski. Da fiel Tschcheïdse mit Kerenski durch. Das kann eine Vorbedeutung haben. Werden sich die kleinbürgerlichen Führer von dem Abenteurer und seiner Politik nicht trennen, so werden sie zum Spielball der Konterrevolution oder zum Opfer der neuen Revolution werden.

Dieser Artikel war schon gesetzt, als wir die Rede Kerenskis auf der demokratischen Konferenz und die Erklärungen Sawinkows an der Wolja Naroda bekamen. Kerenski stellte sich in pathetischen Worten als der Retter der russischen Revolution dar. Aber er war nicht imstande irgend etwas Konkretes gegen die Beschuldigung Kornilows und die Eingeständnisse Sawinkows vorzubringen. Was Sawinkow aber sagt, bestätigt so sehr seine Teilnahme an den Vorbereitungen Kornilows, dass das Djelo Naroda, das Zentralorgan der Partei der Sozialisten-Revolutionäre, die Frage stellt, warum bis heute Sawinkow und Filonienko nicht arretiert worden sind. Wenn man bedenkt, dass Sawinkow Mitglied der Partei der Sozialisten-Revolutionäre ist, so spricht das Bände. Über die Rolle Kerenskis in der Vorbereitung eines Staatsstreiches schreibt der frühere Minister Tschernow in der Wolja Naroda: „hat es Kerenski nicht gesehen, dass er ein Opfer einer Intrige wird und dass ihm die Gefahr droht in einen Strohmann des Abenteuers Sawinkows und Kornilows verwandelt zu werden. Wie es scheint, nicht. Er ist ein Romantiker der Revolution und er traute Sawinkow wie sich selbst. Jetzt zeigt es sich, dass selbst der Teufel sich nicht zurecht finden kann, wo Kornilow endet, Filonienko und Sawinkow beginnen, wo Sawinkow endet und die provisorische Regierung beginnt". Man muss selbst „Romantiker" sein, um anzunehmen, dass Kerenski mit Kornilow einen Staatsstreich gegen die Petrograder Arbeiter vorbereitet, die revolutionären Regimenter aus Petrograd entfernt, die Kornilowsche Kavallerie nach Petrograd beordert und dabei annimmt, Kornilow werde keinen Preis fordern. Der Prozess Kornilows wird als zweiten Angeklagten Kerenski auf der Anklagebank sehen, oder er wird eine Komödie sein. Diesen Prozess können nur die revolutionären Massen selbst machen. Die bisherigen Führer der kleinbürgerlichen Demokratie können es nicht tun. weil das Urteil in diesem Prozesse, ein Urteil über sie selbst wäre, die die Leitung des Staates einem Abenteurer ausgeliefert haben, der selbst nicht weiß, wo er endet und Kornilow beginnt.

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