Redaktion 19171020 Politische Übersicht

Redaktion: Politische Übersicht

[Nach Bote der Russischen Revolution. Organ der ausländischen Vertretung des Zentralkomitees der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands (Bolschewiki) Nr. 6, 20. Oktober 1917, S. 14-16]

Der Petrograder Arbeiter- und Soldatenrat über die Lage

Der Petrograder Arbeiter- und Soldatenrat, der in einer außerordentlicher Sitzung am 5. Oktober die jetzige kritische Lage besprach, nahm nach einem Referat des Bolschewiki N. Bucharin folgende Erklärung an:

1) Das Land steht vor einem erneuerten Anschlag seitens der Konterrevolution. Der internationale Imperialismus bereitet im Bunde mit der russischen Bourgeoisie gemeinsame Mittel zur Erdrosselung der revolutionären Arbeiter, Soldaten und Bauern. Die konterrevolutionären Organisationen des Kapitals existieren weiter und sogar jetzt tagt in Moskau der sog. Kongress der Politiker, der das organisatorische. Zentrum der Kornilowschen Verschwörung war. Die künstlich zusammengezimmerte Demokratische Beratung, die einzig zum Zwecke der Verständigung mit der Bourgeoisie zusammengetrommelt wurde, erwies sich als vollkommen kraftlos; und ihr rechter Flügel stellt Ultimata, erstrebt einen direkten Bruch mit der revolutionären Demokratie um nur die Prov. Regierung in ihren konterrevolutionären Schritten stützen zu können. Die Prov. Regierung erstrebt offensichtlich durch alle ihre Anordnungen die Desorganisation aller Kräfte der Revolution. Sie hebt die demokratischen revolutionären Organisationen der Flotte auf, in die Regierung die Mitschuldigen an der Kornilowschen Verschwörung ein. Sie ordnet den Klembowski, der der Teilnahme an der Kornilow-Verschwörung überführt wurde, in den Kriegsrat usw. bei. Alles das schafft eine Verschärfung und Spannung und stellt vor die Arbeiter, Soldaten und die Bauern die Frage, wie man den Anschlag der Konterrevolution, den man in der nächsten Zukunft erwarten kann, parieren soll.

2) Diese verzwickte Lage wird durch die künstlich gezimmerte Demokratische Beratung nicht gebessert. Im Gegenteil, unfähig, eben dank ihrer künstlichen Zusammensetzung, die Frage der revolutionären Macht zu lösen, schafft sie den Schein als ob die revolutionäre Demokratie kraftlos wäre. Gleichzeitig sammelt sie in ihrem Innern den in seinem Wesen antidemokratischen Flügel, der der revolutionären Demokratie Ultimata stellt, immer aber bereit ist, in das Lager der offenen Konterrevolution zu übergehen, der dadurch die Lage der kapitalistischen Elemente stärkt und so Tür und Tor allen konterrevolutionären Abenteuern öffnet. Somit desorganisiert die Politik der Koalition und Unentschlossenheit die Kräfte der Revolution, statt den Einfluss der Demokratie zu stärken. Mit dieser Politik muss endgültig gebrochen werden. Das sog. Vorparlament wird in Wirklichkeit zu einer Organisation, in der dem am meisten konservativen Teile der Demokratie auf Kosten der revolutionären Organisationen der Arbeiter, Soldaten und Bauer eine entscheidende Rolle zugeteilt wird. Ein solches Vorparlament droht zu einem neuen Deckmantel für den Schacher mit der Bourgeoisie, für die weitere Verschleppung der Konstituierenden Versammlung, für Weiterführung der imperialistischen Politik und damit für weitere Vertiefung der Zerrüttung im Lande zu werden.

3) Deswegen können nur die organisierten Zentren der revolutionären Demokratie – die Arbeiter-, Soldaten- und Bauernräte und die von ihnen gebildeten Organe, die schon während der Kornilowtage ihre Macht in dem Kampfe mit dem Anschlag der Feinde der Revolution der Junker, der Kapitalisten und Generalität bewiesen haben, die weitere Anschläge der Konterrevolution parieren. Nur die Sowjets als die Vertreter der immer zur Tat bereiten revolutionären Massen, waren imstande den Militäraufstand des General Kornilow und der Kadetten niederzuwerfen und nur sie können die Revolution retten.

4) Die Sowjets müssen jetzt alle ihre Kräfte mobilisieren, um der neuen Welle der Konterrevolution sich widersetzen zu können und nicht von ihr unvorbereitet überschwemmt zu werden. Überall wo in ihren Händen die ganze Macht liegt sollen sie dieselbe unter keinen Umständen sich entreißen lassen. Die revolutionären Komitees, die sie in den Kornilowtagen geschafft haben sollen ihren ganzen Apparat bereit halten. Dort, wo die Sowjets die ganze Macht nicht besitzen, müssen sie ihre Positionen stärken, ihre Organisationen in Bereitschaft halten, wo nötig spezielle Organisationen zum Kampfe gegen die Konterrevolution bilden and scharf die Organisierung der feindlichen Kräfte überwachen.

5) Zum Zwecke der Vereinigung und Koordinierung der Aktion der Sowjets in ihrem Kampfe gegen die nahende Gefahr, wie auch zur Lösung der Frage der Organisierung der revolutionären Gewalt ist die unaufschiebbare Einberufung des Kongresses aller Arbeiter, Soldaten und Bauern rate notwendig.

Nachdem die neue Koalitionsregierung gebildet wurde, nahm der Petrograder Sowjet folgende Resolution an:

Der Petrograder Sowjet erklärt: nach der Erfahrung der Kornilowverschwörung, die bewiesen hat, dass die kapitalistischen Schichten Russlands eine konterrevolutionäre Stellung einnehmen, bedeutet jeder Versuch der Koalition die volle Kapitulation der Demokratie vor der Kornilowbande. Die Zusammensetzung der Regierung, in der den Ausschlag die Großkapitalisten, die geschworenen Feinde der Arbeiter, Soldaten und Bauerndemokratie geben, bildet den Ausdruck dieser Kapitulation. Die sog. demokratischen Minister die vor niemanden verantwortlich sind, sind außerstande weder den gegen die Volksmassen gerichteten Charakter dieser Regierung zu ändern, noch zu mildern: es wird in der Geschichte als Ministerium des Bürgerkrieges verzeichnet werden.

Der Petrograder Arbeiter- und Soldatenrat erklärt: der Regierung der kapitalistischen Allmacht, der konterrevolutionären Gewalt, werden wir, die Arbeiter und die Garnison von Petrograd keine Unterstützung gewähren. Wir äußeren unsere tiefe Überzeugung, dass die Nachricht von der Bildung der neuen Regierung seitens der ganzen revolutionären Demokratie einen Ruf auslösen wird: fort mit ihr! Auf die Unterstützung der wirklichen Demokratie gestützt, wird der allrussische Kongress der Sowjets der Arbeiter, Soldaten und Bauern eine wirklich revolutionäre Staatsgewalt bilden"

Ein Schlag gegen die revolutionäre Armee und Flotte Finnlands

Im Moment wo sich die deutschen Streitkräfte dem finnischen Busen nähern, sucht die Regierung Kerenski mit den in Finnland stationierten russischen Streitkräften abzurechnen. Sie haben sehr schwer gegen sie gesündigt: als nämlich Herr Kerenski in seiner großen Verachtung gegen die Zertrümmerer Belgiens beschlossen hatte, die junge finnische Freiheit mit bewaffneter Hand zu unterdrücken, erklärten die Vertreter der russischen Flotte und Armee in Finnland: wir reichen unsere Hand nicht dazu. Als Antwort darauf hat die russische Regierung beschlossen, die revolutionären Truppen in Finnland durch andere zu ersetzen. Darauf antwortet das Komitee der Armee, Flotte und der russischen Arbeiter in Finnland, an dessen Spitze Gen Smilga, Mitglied des bolschewistischen Zentralkomitees steht, mit folgendem Aufruf:

Revolutionäre Soldaten und Arbeiter Petrograds und Russlands!

In einer Stunde der Gefahr wenden wir uns an Euch! Ihr seid die Vorhut der russischen Revolution, wir Eure Deckung. Mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgen wir euren Kampf, bereit in jedem Augenblick Euch mit allen unseren Kräften zu unterstützen. Die Matrosen, Soldaten und Arbeiter Finnlands sind von einem Gedanken erfüllt: die Feinde des Volkes, die die Revolution verraten, zu besiegen, oder im offenem Kampfe mit den Waffen in der Hand zu fallen. Unsere Treue der Revolution gegenüber haben wir in den Kornilowtagen bewiesen, unsere Treue der Sache der Arbeit gegenüber sind wir bereit jeden Tag zu beweisen. Das Petrograder Proletariat und die Garnison konnten bisher ruhig sein: sie waren gedeckt durch die Armee, Flotte und die Arbeiter Finnlands.

In den Tagen wo jede Regierung fehlt, wo der Revolution die größte Gefahr droht, wurde auch gegen uns das Schwert erhoben. Die vor dem Volke nicht verantwortliche provisorische Regierung hatte den Befehl gegeben, eine Reihe revolutionärer Regimenter aus Finnland zu entfernen und an ihre Stelle unbekannte Armeeteile zu berufen. Diesen Akt halten wir für eine glatte Provokation des Bürgerkrieges. Er kann durch keine strategischen Argumente begründet werden, da an Stelle der von Finnland entfernten Regimenter neue entsandt werden sollen. Jedwede Berufung auf „Strategie" und „Verteidigung" ist eine reine Heuchelei, die den direkten Kampf mit den politischen Gegnern verdecken soll. Wir treten nicht gegen eine Abkommandierung unserer Regimenter zur Front. Wir fordern nur, dass an Stelle der abberufenen wirklich müde revolutionäre Fronttruppen gesandt werden.

Revolutionäres Petrograd, den dich deckenden Truppen droht eine groß Gefahr. Entgegen unserem Willen können sie und somit Du vor die Tatsache des Bürgerkrieges gestellt werden. Es kann das Blut jener fließen, die rücksichtslos der Revolution und ihrer Avantgarde dem Proletariat ergeben sind. Und was noch gefährlicher ist, es kann zum Kampfe mit unseren Brüdern kommen die wieder unter betrügerischen Vorwänden gegen die revolutionären Soldaten gesandt werden können.

Soldaten und Arbeiter Petrograds! Lässt dieses Verbrechen nicht zu! In der mit Elektrizität geladenen Atmosphäre kann jeder Funken zur Explosion führen. Gegen euch wird ein neuer Kornilowzug mobilisiert, in etwas demokratischerem Gewande und darum noch gefährlicher. In diesem Moment darf die Revolution eine Atomisierung ihrer Kräfte nicht zulassen. Protestiert gegen die Wegsendung der revolutionären Regimenter aus Finnland. Protestiert gegen ihre Ersetzung durch ungekannte Armeeteile. Wir warten auf Euer starkes Wort. Wir sind Gegner separater Aktionen, aber die Lage ist so ernst, dass wir das Risiko laufen, vor die Tatsache einer spontanen Massenbewegung gestellt zu werden, wenn Kerenski nicht aufhört unsere Truppen durch seine Befehle zu provozieren. Wir warnen die sämtliche Demokratie: wenn nach Finnland Streitkräfte ohne unsere Einwilligung gesandt werden, werden wir jede Verantwortung für die Konsequenzen ablehnen, und wir werden so handeln müssen, wie es uns unsere revolutionäre Pflicht befehlen wird.1

Alle Macht in die Händen der Sowjets!

Es lebe das revolutionäre Petrograd!

Es lebe der Sozialismus!

Das Landeskomitee der Flotte Armee und der Arbeiter Finnlands.

Der Petrograder Sowjet entsandte eine Delegation, die die Lage in Finnland prüfen soll.

1 In der Vorlage ist der Satz grammatikalisch deformiert.

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