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Palastrevolution

Gewisse politische Kreise in Petrograd bereiteten im Januar und Februar 1917 die Absetzung Nikolaus II. und die Regentschaft Michaels vor. Die Ermordung des allmächtigen Günstlings der Zarenfamilie, Grigorij Rasputins, durch Purischkjewitsch, den bekannten Führer der Schwarzen Hundert, und den Fürsten Jussupow, einen Verwandten des Zarenhauses (an der Ermordung war auch der damalige Großfürst Dimitri Pawlowitsch beteiligt) im Dezember 1916 führte nicht zu der von den Tätern erwarteten „Gesundung" der obersten Staatsgewalt und zur Beseitigung des Einflusses der Kreise, die der anglophilen Kriegspartei gefährlich waren. Deshalb tauchte der Plan auf, Nikolaus II. durch eine Palastrevolution zu beseitigen und den minderjährigen Thronfolger Aleksej unter der Regentschaft Michael Romanows auf den Thron zu setzen. An der Verschwörung nahmen anscheinend einige Abgeordnete der Reichsduma vom Progressiven Block (der während des Krieges entstanden war und die Parteien der Kadetten, der Progressisten, der Oktobristen und einen Teil der Rechten umfasste), einige Generale und andere Personen (wie z. B. Tereschtschenko, der spätere Finanz- und dann Außenminister der Provisorischen Regierung) teil. Als Premierminister sollte der Fürst G. E. Lwow, der spätere Premierminister der Provisorischen Regierung, fungieren. Von diesen Plänen war der englische Botschafter Sir Buchanan wohlunterrichtet, möglicherweise auch andere Gesandte der Entente (wie z.B. der französische Botschafter Paleologue). Allem Anschein nach war die erste Provisorische Regierung, die nach der Februarrevolution gebildet wurde, nichts anderes als jenes „Kabinett des öffentlichen Vertrauens", das die Teilnehmer der Verschwörung im Falle ihres Gelingens planten. Diese Tatsachen waren im Jahre 1917 unbekannt; erst Veröffentlichungen der letzten Jahre enthalten direkte Hinweise auf das Bestehen dieser Verschwörung, ohne jedoch ihre Einzelheiten und ihre Teilnehmer aufzudecken. Miljukow stellt im ersten Band seiner Geschichte der russischen Revolution die Behauptung auf die Februarrevolution, seiner Ansicht nach das Werk deutscher Agenten die den patriotischen Umsturz hintertreiben wollten, habe es verhindert, dass der Plan der Verschwörer ausgeführt wurde.

Lenin konnte damals, als er in der Schweiz seinen ersten „Brief aus ^der Ferne" schrieb, nicht über die Verschwörung einiger Gruppen der russischen Bourgeoisie und der englisch-französischen Imperialisten unterrichtet sein. Auf Grund einer Analyse des Klassenkampfes in Russland und des Einflusses des englisch-französischen Kapitals gelangte er nichtsdestoweniger zu richtigen Schlüssen. [Lenin, Sämtliche Werke, Band 20.1, Anm. 12]

Der Gedanke, Nikolaus II. abzusetzen, an seine Stelle seinen noch nicht volljährigen Sohn Alexei zu setzen und zum „Regenten“, d. h. wirklichen Herrscher, den Großfürsten Michael, einen Bruder Nikolaus’ II., zu machen, entstand in den Kreisen der Bourgeoisie nach der Tötung Rasputins im Dezember 1916. Dieser Mord, der von dem erzreaktionären Dumaabgeordneten Purischkjewitsch und von den Fürsten Jussupow und Demetrius Romanow vollbracht wurde, wurde von der Bourgeoisie als „letzte Warnung“ an den Zaren und an die zaristische Regierung aufgenommen, doch die erwartete Wirkung blieb aus. Die Bourgeoisie, die wegen der Niederlagen an der Front und wegen der Bestrebungen nach einem Sonderfrieden gegen die zaristische Regierung aufgebracht war, fürchtete zugleich die herannahende Revolution, und deshalb wollte sie dieser Revolution durch die Absetzung Nikolaus’ II., d. h. durch eine Palastrevolution zuvorkommen. Auf diese Weise wollte sie zu einer Regierung des „allgemeinen Vertrauens“ gelangen, die sie vorher durch Petitionen an den Zaren zu erreichen suchte. Die Dinge entwickelten sich jedoch ganz anders, als die liberalen Verschwörer erwartet hatten: an Stelle einer Palastrevolution brach die Februarrevolution aus. Die liberale Bourgeoisie suchte eine konstitutionelle Monarchie zu erreichen und stellte an Stelle Nikolaus’ II. seinen Bruder Michael als Thronkandidaten auf. Die Revolution vereitelte zwar diesen Plan, aber sie brachte doch für eine Zeitlang die bürgerliche Provisorische Regierung ungefähr in der Zusammensetzung an die Macht, die von dem sogenannten „fortschrittlichen Block“ der liberalen Bourgeoisie für den Fall des Gelingens der bloßen Palastrevolution vorgesehen worden war. [Lenin, Ausgewählte Werke, Band 6, Anm. 3]

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