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Chemnitz und Basel zum Imperialismus

Lenin meint hier den Chemnitzer Parteitag der SPD vom Jahre 1912 und den im selben Jahr stattfindenden Baseler Außerordentlichen Internationalen Sozialistenkongress. Der Chemnitzer Parteitag der SPD nahm eine besondere Resolution „Der Imperialismus“ an.

In dieser Resolution wird die Politik der imperialistischen Staaten als „skrupellose Raub- und Eroberungspolitik“ gebrandmarkt. Ferner heißt es dort: „Wenn auch der Imperialismus, der ein Ausfluss der kapitalistischen Wirtschaftsweise ist, nur mit dieser vollständig überwunden werden kann, so darf doch nichts unterlassen werden, um seine gemeingefährlichen Wirkungen zu mildern.“

Außerdem „erwartet der Parteitag, dass sich die Parteigenossen unermüdlich für den Ausbau der politischen, gewerkschaftlichen und genossenschaftlichen Organisationen des klassenbewussten Proletariats einsetzen werden, um mit verstärkter Wucht den gewalttätigen Imperialismus zu bekämpfen, bis er niedergerungen ist. Ist es doch die Aufgabe des Proletariats, den auf die höchste Stufenleiter gebrachten Kapitalismus in die sozialistische Gesellschaft überzuführen und so den Frieden, die Selbständigkeit und die Freiheit der Völker dauernd zu sichern“ (Protokoll über die Verhandlungen des Parteitags der SPD in Chemnitz 1912, Berlin 1912, S, 529 f).

Der Baseler Internationale Sozialistenkongress wurde im Zusammenhang mit der über Europa schwebenden Kriegsgefahr als außerordentlicher Kongress einberufen. Auf diesem Kongress wurde ein „Manifest angenommen, dessen Überschrift lautete: „Die internationale Lage und die einheitlichen Aktionen der Sozialdemokraten gegen den Krieg“. In der Anm. 40 zum vorliegenden Band wurde bereits ein Auszug aus diesem Manifest zitiert, der von der Haltung zeugt, die der Kongress zum imperialistischen Krieg einnahm. Diesen Auszug wollen wir hier durch einige andere Stellen aus dem Manifest ergänzen. Das Manifest befasst sich eingehend mit den Konflikten zwischen den europäischen Großmächten, die zum Krieg rüsten, und geißelt die imperialistische Politik Deutschlands, Frankreichs und Englands als eine Politik „verbrecherischen Wahnsinns“. Es erklärt u. a.: „Die Proletarier empfinden es als ein Verbrechen, aufeinander zu schießen, zum Vorteil des Profits der Kapitalisten, des Ehrgeizes der Dynastien oder zu höherer Ehre diplomatischer Geheimverträge.“ Es gelobt feierlich, dass „die Internationale ihre Anstrengungen verdoppeln wird, um diese Krise zu verhindern, sie wird ihren Protest mit immer stärkerem Nachdruck erheben, ihre Propaganda immer energischer und umfassender gestalten“. Der Kongress wendet sich an die Proletarier und Sozialisten aller Länder, dass sie „in dieser entscheidenden Stunde in den Parlamenten ihren Protest mit voller Wucht erheben, sich in Massen zu großen Kundgebungen vereinigen, alle Mittel ausnutzen, die die Organisationen und die Stärke des Proletariats ihnen in die Hand geben". Das Manifest geht bei allen diesen Aufforderungen von folgenden allgemeinen Erwägungen aus: „Indem die Proletarier aller Länder sich gleichzeitig zum Kampfe gegen den Imperialismus erhoben, jede Sektion der Internationale aber der Regierung ihres Landes den Widerstand des Proletariats entgegenstellte und die öffentliche Meinung ihrer Nation gegen alle kriegerischen Phantasiegelüste mobilisierte, ergab sich eine grandiose Kooperation der Arbeiter aller Länder, die schon bisher sehr viel dazu beigetragen hat, den bedrohten Weltfrieden zu retten. Die Furcht der herrschenden Klassen vor einer proletarischen Revolution im Gefolge eines Weltkrieges hat sich als eine wesentliche Bürgschaft des Friedens erwiesen“ (Protokoll, S. 24).

Die Haltung der Parteien der II. Internationale während und nach dem Krieg stand in „himmelschreiendem Gegensatz“ zur Chemnitzer Resolution und zum Baseler Manifest. Lenin, der bereits während des imperialistischen Krieges vom Zusammenbruch der II. Internationale sprach, betonte immer wieder diesen Verrat an den eigenen Resolutionen und Versprechungen, insbesondere an den Resolutionen und Versprechungen von Chemnitz und Basel (siehe darüber z. B. den Artikel „Der Zusammenbruch der II. Internationale“).

Durch diesen Verrat wurde das Baseler Manifest zu einem Versuch der Führer der II. Internationale, angesichts der Kriegsgefahr ihr Renommee zu retten. Lenin nannte in der Folge das Baseler Manifest auch ein „Manöver der Schurken der Sorte zwei und zweieinhalb“ („Brief an die deutschen Kommunisten“).

Lenin, der den Inhalt des Baseler Manifestes, in dem das Proletariat zum Widerstand gegen den Krieg und zur proletarischen Revolution aufgefordert wurde, stets dem wirklichen Verhalten der II. Internationale während des Krieges entgegenhielt, war jedoch keineswegs der Ansicht, dass dieses Manifest wirklich den konkreten Aufgaben entsprach, die dem Proletariat und seiner Partei durch die Gefahr des imperialistischen Krieges gestellt wurden. In seinen „Notizen zur Frage über die Aufgaben unserer Delegation in Den Haag“ (1922) zeigte Lenin auf, dass man gerade am Beispiel des Baseler Manifestes „ganz konkret nachweisen kann“, dass es „leere Worte sind“, wenn man theoretisch anerkennt, dass der Krieg verbrecherisch, für einen Sozialisten unzulässig ist, „weil eine derartige Fragestellung nicht Konkretes enthält“. In denselben „Notizen“ warnte er davor, sich angesichts der neuen Gefahr eines imperialistischen Krieges „mit einer so billigen, großsprecherischen und vollkommen nichtssagenden Phrase zu begnügen, wie der, dass wir den Krieg nicht zulassen werden, dass wir das Verbrecherische des Krieges vollauf verstehen, und ähnlichen Auslassungen im Sinne des Baseler Manifests“. [Ausgewählte Werke, Band 8, Anm. 115]

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