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Demokratische Zentralisten

Die Gruppe „Demokratischer Zentralismus“ („Dezisten“) entstand noch zur Zeit des IX. Parteitages, Anfang 1920. Ihr Name rührt von ihrer Plattform her, in der die Frage des Zentralismus und der Demokratie im Partei- und Sowjetapparat an erster Stelle stand. Die Art jedoch, wie diese Gruppe die Frage des demokratischen Zentralismus stellte, hatte mit der Stellung dieser Frage in der bolschewistischen Partei nicht das Geringste gemein.

Das Parteistatut besagt: „Der leitende Grundsatz der organisatorischen Struktur der Partei ist der demokratische Zentralismus.“

Die Parteiorgane werden von unten bis oben gewählt und sind der Parteiorganisation Rechenschaft schuldig. Alle Parteiorganisationen sind bei der Entscheidung lokaler Fragen autonom. Die untergeordneten Parteiorgane unterstehen unbedingt den übergeordneten; die Gesamtpartei wird vom ZK geleitet, das auf dem Parteitag gewählt wird. Der Grundsatz des demokratischen Zentralismus verbindet nach dem Parteistatut die Selbsttätigkeit, die Initiative jedes Parteimitgliedes und jeder Parteiorganisation mit der eisernen bolschewistischen Disziplin.

Dabei sind die Möglichkeiten der Entwicklung der innerparteilichen Arbeiterdemokratie und der Arbeiterdemokratie in den Gewerkschaften und in den Sowjets nicht immer die gleichen. „Die Form der Organisation und der Methoden der Arbeit“ – sagt der X. Parteitag – „wird ganz von der jeweiligen konkreten historischen Situation bestimmt." So wäre z. B. während des Bürgerkrieges eine mehr oder minder entfaltete Arbeiterdemokratie zweifellos schädlich gewesen und hätte die Organisierung des Sieges nicht gefördert. Unter diesen Bedingungen wurden die Methoden der Arbeiterdemokratie sowohl in der Partei als auch in den Gewerkschaften und den Sowjets stark eingeschränkt. Der Kriegszustand nötigte dazu, die Wählbarkeit teilweise durch Ernennungen zu ersetzen usw. Die Partei ordnete somit die Frage des Zentralismus und der Demokratie den Aufgaben der Revolution, den Aufgaben des Kampfes der Arbeiterklasse in der gegebenen konkreten Etappe unter; die Organisationsfrage ist mit den politischen Aufgaben der Partei unzertrennlich verbunden.

Die Gruppe „Demokratischer Zentralismus“ dagegen trennte die Organisationsfrage von den politischen Aufgaben, verwandelte die Arbeiterdemokratie in einen Selbstzweck, entstellte in unzulässiger Weise die bolschewistische Auffassung vom demokratischen Zentralismus. So schrieb Genosse Ossinski, einer der damaligen Führer dieser Gruppe, in der „Prawda“: „Der demokratische Zentralismus, das ist das Prinzip, die leitende Regel, die für eine auch nur einigermaßen entwickelte legale proletarische Organisation unbedingt gilt, eine Regel, für die keinerlei Einschränkungen zulässig sind.“

Die Gruppe „Demokratischer Zentralismus“ gab sich den Anschein, den Bürokratismus in der Partei und im Sowjetapparat zu bekämpfen, rannte aber in Wirklichkeit marktschreierisch gegen die Grundlagen der Organisation der Partei und des Sowjetstaates selbst an. Sie kämpfte dafür, dass die Führung des Staatsapparates und der Gewerkschaften durch die Partei gelockert werde, und sank faktisch zu den Losungen der bürgerlichen Demokratie in Sowjethülle hinab. In den Thesen der Gruppe über den Aufbau der Partei kommt diese Tendenz in folgendem Vorschlag zum Ausdruck: „Zwecks Leitung der Tätigkeit der obersten Sowjet- und Gewerkschaftszentren erteilt das ZK deren Fraktionen Direktiven in den wichtigsten Fragen. Das Zentralkomitee befasst sich nicht mit der Vorberatung der Projekte in ihren Einzelheiten und behandelt nicht die laufenden Angelegenheiten.“ Der Sinn dieses Vorschlages wurde vom Klassenfeind sehr gut erfasst. So schrieb der menschewistische „Sozialistitscheskij Wjestnik“ („Sozialistischer Bote“) im Februar 1921: „Sie fordern alles in allem nur, dass das ZK der KPR oder dessen ,Politbüro' sich wenigstens nicht in die ,Einzelheiten, der Tätigkeit des Rates der Volkskommissare oder des Allrussischen Zentralexekutivkomitees einmengen – aber damit haben sie schon einen Anschlag auf die Reinheit der ,Diktatur' gemacht, und die Logik des Kampfes und des Lebens wird auch sie mit der Zeit davon überzeugen, dass es ohne Freiheit selbst (!) für die ,Menschewiki und die Sozialrevolutionäre' auch für die Masse der Kommunisten keine Freiheit geben kann, dass die ,Verfassung' nicht nur innerhalb der Kommunistischen Partei gewahrt werden muss, sondern auch für die ganze Demokratie des Landes.“

Auf dem Gebiet des Parteiaufbaus stellte die Gruppe „Demokratischer Zentralismus“ die [...] Forderung der vollen Freiheit der Fraktionen und Strömungen in der Partei auf.

In der Gewerkschaftsfrage hatte die Gruppe faktisch keinen eigenen Standpunkt. Sie sah nicht die Krise in dem Wechselverhältnis zwischen den Klassen, sie merkte nichts von den Schwierigkeiten, die der wirtschaftlichen Zerrüttung entsprangen. Sie führte alles auf den Bürokratismus des Sowjetapparates zurück, von dem sie in menschewistischer Art und Weise redete.

Im Verlauf der Diskussion ergriffen die Vertreter der Gruppe nahezu ausschließlich zu den Fragen des Parteiaufbaus das Wort, wobei sie die Organisationsfrage von der Politik loslösten, die Demokratie in Selbstzweck verwandelten, eine Lockerung der Leitung des Staatsapparats durch die Partei anstrebten und auf menschewistische Art und Weise die Leninschen Grundlagen des Aufbaus der bolschewistischen Partei revidierten.

Dem Kleinbürgertum war es „eng“ im Rahmen der eisernen proletarischen Diktatur, und die Gruppe „Demokratischer Zentralismus“, die den Druck des Kleinbürgertums widerspiegelte, suchte eine „Milderung des Regimes“ zu erreichen. Den Kampf der Gruppe gegen die militärischen Arbeitsmethoden, die von der Partei in der Periode des Bürgerkrieges angewandt wurden, bezeichnete Lenin direkt als „schlimmsten Menschewismus und als sozialrevolutionäre Methoden“. [...] [Lenin, Ausgewählte Werke, Band 9, Anm. 20]

Demokratische Zentralisten (Dezisten, DZ) – Oppositionsgruppe in der sowjetischen Kommunistischen Partei. Sie entstanden 1920 aus ultralinken Oppositionsgruppen (gegen den Frieden von Brest-Litwosk, gegen die Einmannleitung in Betrieben, die Militäropposition gegen den Einsatz ehemaliger zaristischer Offiziere als Spezialisten in der Roten Armee). Sie warfen der bolschewistischen Führung vor, den Demokratischen gegen einen bürokratischen Zentralismus ersetzt zu haben und beanspruchten, den authentischen Demokratischen Zentralismus zu verteidigen, daher der Name. Führende Mitglieder waren Ossinski, Bubnow, Kossior, Drobnis, Sapronow und W. M. Smirnow. Mit dem Fraktionsverbot 1921 lösten sie sich auf. 23 Mitglieder, die die Fraktionstätigkeit fortsetzten, wurden ausgeschlossen. 1923 waren viele verbliebene Dezisten an der Gründung der Linken Opposition um Trotzki beteiligt. In den folgenden Jahren kapitulierten einzelne wie Bubnow und Ossinski. Andere trennten sich von der Linken bzw. Vereinigten Opposition, weil sie den Kampf um die Reform der bolschewistischen Partei für aussichtslos hielten („Erklärung der 15“, 1926). Diese „Gruppe der 15“ um Sapronow und W. M. Smirnow wird oft ebenfalls als Dezisten bezeichnet. Andere wie Drobnis und Kossior blieben in der Linken Opposition. 1927 wurden sowohl die Mitglieder der Gruppe der 15 als auch die ehemaligen Dezisten in der Linken Opposition aus der Partei ausgeschlossen.

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