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Dühringianismus in der Sozialdemokratie LW

Gemeint ist eine opportunistische Strömung, die sich in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts innerhalb der deutschen sozialdemokratischen Partei herausgebildet hatte. Die führenden Ideologen dieser Strömung waren K. Höchberg, E. Bernstein und K. A. Schramm, die unter dem Einfluss des Dühringianismus standen. Bernstein und L. Viereck förderten neben J. Most u. a. aktiv die Verbreitung der eklektischen Anschauungen E. Dührings innerhalb der deutschen Sozialdemokratie. Höchberg, der sich dank seinem Geld in die Partei „eingekauft" hatte, wie Marx sagte, rief dazu auf, den Sozialismus zu einer „allgemeinmenschlichen", auf dem „Gerechtigkeitsgefühl" sowohl der Unterdrückten als auch der Vertreter der „oberen Klassen" beruhenden Bewegung zu machen. Auf Initiative Vierecks wurde in Berlin der „Mohrenklub" gegründet, in dem der Dühringianismus vorherrschend war und dessen Ziel darin bestand, „die Gebildeten" mit dem „Sozialismus" zu verbinden, eine Klassengemeinschaft zwischen den Arbeitern und der Bourgeoisie herbeizuführen. Nach der Annahme des Sozialistengesetzes in Deutschland (1878) siedelten die Führer des „Mohrenklubs" nach Zürich über und setzten dort ihre Versuche, die Bourgeoisie für den „Sozialismus" zu gewinnen, fort.

Der opportunistische, antimarxistische Charakter der Gruppe Höchberg trat deutlich bei der Schaffung eines Zentralorgans der deutschen sozialdemokratischen Partei in Zürich zutage. Höchberg und seine Anhänger waren der Ansicht, die Zeitung dürfe nicht die revolutionäre Politik der Partei vertreten, sondern müsse sich auf die abstrakte Propagierung sozialistischer Ideale beschränken. Die Parteiführung August Bebel, Wilhelm Liebknecht u. a. unterschätzte im Grunde genommen die opportunistische Gefahr, indem sie der Züricher Gruppe die Herausgabe der Zeitung anvertraute.

Im Juli 1879 wurde in dem von Höchberg redigierten „Jahrbuch für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik" der Artikel „Rückblicke auf die sozialistische Bewegung in Deutschland" veröffentlicht, in dem die revolutionäre Taktik der Partei verurteilt wurde. Die Verfasser des Artikels Höchberg, Schramm und Bernstein beschuldigten die Partei, sie habe durch ihre Ausfälle gegen die Bourgeoisie das Ausnahmegesetz provoziert, sie riefen dazu auf, ein Bündnis mit der Bourgeoisie einzugehen und sich ihr unterzuordnen, da sie der Meinung waren, die Arbeiterklasse sei nicht imstande, sich aus eigener Kraft zu befreien. Diese opportunistischen, reformistischen Anschauungen riefen den scharfen Protest von Marx und Engels hervor, die darin mit vollem Recht einen Verrat an der Partei sahen und im September 1879 den berühmten „Zirkularbrief" veröffentlichten. W. I. Lenin charakterisierte den Kampf der Begründer des Marxismus gegen den Opportunismus wie folgt: „Der ,ungestüme' Angriff von Marx führte dazu, dass die Opportunisten zurückwichen und … sich dünne machten. Im Brief vom 14. November 1879 teilt Marx mit, dass man Höchberg aus der Redaktionskommission entfernt habe und dass alle einflussreichen Führer der Partei Bebel, Liebknecht, Bracke usw. seine Ideen desavouiert haben."

Später zogen sich Höchberg und Schramm von der Arbeiterbewegung zurück. Bernstein aber, der zeitweilig auf die Propagierung des Opportunismus verzichtete, wurde zu einem der Führer der deutschen Sozialdemokratie. Das theoretische Durcheinander und die von Bernstein Ende der siebziger Jahre bezogene opportunistische Position waren jedoch kein Zufall: nach dem Tode von Friedrich Engels propagierte er offen eine Revision des Marxismus und stellte die opportunistische Losung auf: „Die Bewegung ist alles, das Endziel nichts", die eine Weiterentwicklung der Grundthesen des Artikels von 1879 darstellte.

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