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3. allgemeine städtische und Gouvernementskonferenz der SDAPR von Petersburg

Die allgemeine städtische und Gouvernementskonferenz der SDAPR von Petersburg über die Frage der Abkommen bei den Wahlen zur zweiten Reichsduma fand am 19. (6.) Januar 1907 statt.

Mit beschließender Stimme waren 71 Delegierte aus Petersburg, Stadt und Gouvernement, anwesend, unter ihnen 40 Bolschewiki, die einen Block mit den konstitutionellen Demokraten ablehnten, wobei eine Gruppe der Bolschewiki, die sogenannten „reinen" Bolschewiki, gegen jegliche Abkommen mit irgendwelchen Parteien war, während die andere, größere, mit Lenin an der Spitze, die sogenannten „Dissidenten", für ein Abkommen mit den Trudowiki eintraten, um die Hegemonie der konstitutionellen Demokraten über breite Bevölkerungsschichten in Petersburg zu untergraben.

Unter den Delegierten mit beschließender Stimme gab es 31 Menschewiki. Sie erachteten einen Block mit den konstitutionellen Demokraten für notwendig. Außerdem hatten beratende Stimme: zwei Mitglieder der Redaktion des Zentralorgans der SDAPR („Sozialdemokrat"), zwei Mitglieder des Zentralkomitees, ein Mitglied der Redaktion des Organs des Petersburger Komitees (der Zeitung „Proletarij"), ein Vertreter der Militärorganisation, mehrere Vertreter der Bezirkswahlkommissionen und jene Delegierten, deren Mandate nicht ausreichten, um ihnen eine beschließende Stimme zuzusprechen.

Die Delegierten vertraten insgesamt fast 4000 Stimmen; darunter 2148 bolschewistische und 1733 menschewistische.

Aus dem Bericht der speziell eingesetzten Mandatskommission ging hervor, dass in einigen menschewistischen Unterbezirken von Petersburg bei den Delegiertenwahlen die Instruktion des Petersburger Komitees der SDAPR (die Mehrheit des Petersburger Komitees war bolschewistisch) verletzt worden war. Nach dieser Instruktion sollten die Wahlen zur Konferenz auf demokratischen Grundlagen in der Weise vor sich gehen, dass zu den Wahlen und zur Besprechung der mit der Konferenz zusammenhängenden Fragen (bei obligatorischer Anwesenheit des Referenten des Petersburger Komitees) eine möglichst breite Masse des organisierten sozialdemokratischen Proletariats von Petersburg, Stadt und Gouvernement, herangezogen werden sollte, mit der Maßgabe, dass auf 50 organisierte Sozialdemokraten ein Delegierter entfiel. Mandate, die ohne vorherige Besprechung der auf der Tagesordnung der Konferenz stehenden Fragen durch die Wähler zustande kamen, wurden angefochten und die Frage ihrer Bestätigung der Konferenz zur Entscheidung überwiesen, ebenso wie die Frage der Mandate jener Delegierten, bei deren Wahl andere Punkte der Instruktion des Petersburger Komitees verletzt worden waren. Die Konferenz nahm aus diesem Anlass folgenden, von einer Gruppe von 17 Delegierten eingebrachten Beschluss an:

1. Die Abstimmung ohne Plattform wird als falsch und undemokratisch erachtet;

2. die Norm der Vertretung aller angefochtenen Stimmen der einen oder der anderen Seite wird auf 75 Stimmen erhöht, mit Ausnahme der 185 Stimmen vom Moskauer Bezirk (auf der Plattform des Petersburger Komitees), die als richtig anerkannt werden."

Nach diesem Zwischenfall verlas der Vertreter des (menschewistischen) ZK einen Beschluss des ZK, der empfahl, die Rahmen der zur Besprechung der Wahlkampagne einzuberufenden Konferenzen möglichst dem Rahmen der Wahlkreise anzupassen, und schlug der Konferenz vor, sich zu teilen – in eine Stadtkonferenz für die Stadt Petersburg, und in eine Gouvernementskonferenz für das Gouvernement Petersburg, entsprechend den bestehenden Wahlkreisen. Der Zweck des Vorschlages war, durch eine solche Teilung der Konferenz die Stadt Petersburg herauszunehmen, wo die Menschewiki, wenn auch nicht die Mehrheit, so doch mindestens die gleiche Stimmenanzahl wie die Bolschewiki hatten. Die Konferenz nahm jedoch mit Stimmenmehrheit folgende Resolution an: „In der Erwägung,

1. dass der Beschluss des ZK über die Teilung der Konferenz, selbst wenn er obligatorisch wäre, vom Standpunkt der Parteistatuten aus unbedingt ungesetzlich wäre, da das Prinzip der Autonomie der Ortsorganisationen eine Einmischung des ZK in den Bestand und das Funktionieren einer demokratisch aufgebauten Organisation vollständig ausschließt;

2. dass die Teilung der Petersburger Konferenz in eine städtische und eine Gouvernementskonferenz durch keinerlei Notwendigkeit hervorgerufen wird, da alle besonderen Erfordernisse der Wahlkampagne im Gouvernement voll und ganz durch die bereits gegründete, im engsten Kontakt mit der allgemeinen Wahlkommission beim ZK arbeitende Gouvernementswahlkommission befriedigt werden;

3. dass eine gewaltsame Teilung der einmütig handelnden Organisation (falls eine solche Auslegung der Resolution des ZK angenommen werden sollte) geeignet ist, die Geschlossenheit der gesamten Wahlkampagne zu schwächen und ihren Erfolg zu beeinträchtigen;

4. dass die praktische Verwirklichung einer solchen Teilung fast unüberwindliche Hindernisse bietet –

beschließt die Konferenz, ihre Tagung im ungeteilten Bestände fortzusetzen." (Die Resolution wurde mit den Stimmen der Bolschewiki angenommen, die Menschewiki enthielten sich der Abstimmung.)

Nach der Annahme der Resolution gab der Vertreter des ZK im Namen des letzteren folgende Erklärung ab:

In der Erwägung,

dass die vom Petersburger Komitee in der Frage der Wahlkampagne einberufene Konferenz die für alle Parteiorganisationen bindenden Direktiven des ZK vom 23. (10.) November 1906 und 18. (5.) Januar 1907 nicht beachtet hat, sind die Vertreter des ZK im Namen des gesamten Kollegiums ermächtigt, zu erklären, dass die gegenwärtige Konferenz den für derartige Konferenzen festgelegten Voraussetzungen nicht entspricht und infolgedessen ihre Beschlüsse für die Petersburger Organisation keinen bindenden Charakter tragen."

Auf die Erklärung des Vertreters des ZK folgte eine Erklärung der menschewistischen Delegierten über den Verzicht auf die Beteiligung an den weiteren Arbeiten der Konferenz, woraufhin die Menschewiki die Konferenz verließen.

Die zurückgebliebenen 40 Delegierten (nach dem in Nr. 1 der „Prostyje Rjetschi" („Einfache Reden"] vom 27. [14.] Januar 1907 erschienenen Bericht sind zwei bolschewistische Delegierte – von den 42 nicht eingetroffen) beschlossen, die Tagung fortzusetzen und zur Tagesordnung überzugehen. (Die Vertreter des ZK blieben in der Sitzung.)

Das Referat über die Fragen der Abkommen bei den bevorstehenden Dumawahlen wurde von Lenin gehalten. Wir bringen dieses Referat nach dem Berichte des „Proletarij" Nr. 13 vom 24. (11.) Februar 1907:

Der Referent vermerkt das Fehlen einer Schwarzhundert-Gefahr in Petersburg, über die von den konstitutionellen Demokraten Märchen verbreitet werden, um die Wähler zu bewegen, für sie zu stimmen. Vor der Petersburger Sozialdemokratie steht die Frage, wie sie die Massen der hauptstädtischen Bevölkerung von der ideologischen Hegemonie der konstitutionellen Demokraten befreien kann. Bedeutende Schichten der städtischen Armut halb proletarischer Zusammensetzung schwanken noch zwischen den konstitutionellen Demokraten und den Sozialdemokraten. Die konstitutionellen Demokraten bestechen sie durch Dumamandatchen, um ihren Einfluss auf sie zu festigen. Aus diesem Grunde dürfte es vielleicht zweckmäßig sein, ein Abkommen mit den revolutionär-demokratischen Parteien und Gruppen einzugehen, um gemeinsam den Einfluss der konstitutionellen Demokratie zu untergraben. Über die praktische Notwendigkeit und Möglichkeit eines Abkommens dagegen, ebenso wie über die Formen desselben, sollen nach Meinung des Referenten die praktischen Funktionäre der Ortsorganisationen entscheiden."

Nach der Diskussion über das Referat bestätigte die Konferenz in folgendem Beschluss die Resolution der 14 Delegierten auf der Allrussischen Konferenz der SDAPR:

Die Konferenz, die ein Abkommen mit den konstitutionellen Demokraten in Petersburg nicht nur als prinzipiell unzulässig, sondern auch als politisch absolut schädlich erachtet, beschließt, die für Petersburg wichtigste Frage der Abkommen mit der revolutionären Demokratie unverzüglich auf die Tagesordnung zu setzen."

Daraufhin wurde mit 38 Stimmen bei zwei Stimmenthaltungen eine Resolution angenommen, die die Grundlagen des Abkommens der Petersburger Organisation der SDAPR mit den Trudowiki und den Sozialrevolutionären festlegt. Diese Resolution wurde von Lenin in seinem Artikel „Die Wahlkampagne der Arbeiterpartei in Petersburg" abgedruckt. Die weitere Entwicklung des innerparteilichen Kampfes fand ihre Widerspiegelung in der Broschüre Lenins: „Die Sozialdemokratie und die Dumawahlen", sowie in einer Reihe anderer, im vorliegenden Band abgedruckter Artikel.

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