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Inflation in Sowjetrussland

Die Finanzkrise, von der Lenin spricht, kam in der zunehmenden Entwertung des Geldes und in dem rapiden Steigen der Preise krass zum Ausdruck. Die Geldentwertung hatte bereits unter dem Zarismus mit dem Ausbruch des imperialistischen Krieges eingesetzt. In den Sommermonaten des Jahres 1921 trat zum ersten Mal ein Stillstand in der Geldentwertung ein. In einigen Monaten (im April, Mai, August und September) 1921 machte sich sogar ein Sinken der Warenpreise, d. h. eine Hebung der Kaufkraft des Sowjetgeldes, bemerkbar, obwohl die Papiergeldemission nicht aufgehört hatte. Die Emission betrug im April 1921 231 Milliarden, im Mai 205 Milliarden, im Juni 225 Milliarden, im Juli 461 Milliarden, im August 703 Milliarden und im September 1024 Milliarden Rubel. Die Belebung des Warenumlaufs im Zusammenhang mit dem Übergang zur neuen ökonomischen Politik trug zur mehr oder minder mühelosen Aufsaugung dieser Papiergeldmasse bei.

Seit Oktober 1921 setzte jedoch wieder eine heftige Geldentwertung ein: im Oktober 1921 stiegen die Warenpreise um 27 Prozent, im November um 47 Prozent, im Dezember um 42 Prozent. Seit Anfang 1922 nahm dieser Preiszuwachs noch größere Ausmaße an. Der Januar brachte eine Steigerung von 115 Prozent mit sich, der Februar eine solche von 110 Prozent. Die Ursachen dieser kolossalen Geldentwertung für das letzte Halbjahr lagen in der Zunahme der Papiergeldemission sowie in der Missernte im Wolgagebiet. Infolge der Missernte flossen nicht nur dem Staat um rund 100 Millionen Goldrubel weniger an Naturalsteuern zu, sondern es mussten außerdem noch für die Hungerhilfe Mehrausgaben in Höhe von 200 Millionen Goldrubel gemacht werden. Die Industrie, die auf kommerzielle Rechnungsführung umgestellt wurde, forderte ebenfalls Geldmittel. Haupteinnahmequelle blieb nach wie vor die Emission.

Die Papiergeldemission, die im Oktober 1921 2 Trillionen Rubel betragen hatte, stieg auf 7,7 Trillionen im Dezember, 12,6 Trillionen im Januar 1922, 18,2 Trillionen im Februar und 32,9 Trillionen im März 1922. Angesichts dieser anwachsenden Emissionssumme sprach Lenin von einer Finanzkrise, d. h. von der Gefahr einer noch größeren Entwertung des Sowjetgeldes.

Der Frage der Finanzlage der Sowjetrepublik widmete der XI. Parteitag besondere Aufmerksamkeit. Der Parteitag wies darauf hin, dass „die wichtigsten Maßnahmen der Finanzpolitik (darunter auch der Geldreform) jetzt erstens in einer Steigerung des Warenumlaufs, … zweitens in der Verringerung und späteren Ausgleichung des Budgetdefizits, in der Ausbalancierung des Budgets durch Senkung der staatlichen Ausgaben und Steigerung der staatlichen Geld- und Naturaleinnahmen liegen …“

Dank der Durchführung einer Reihe von entschiedenen Maßnahmen gelang es, die Finanzkrise ziemlich rasch zu überwinden. Bereits im Sommer 1922 trat eine erhebliche Besserung ein. Während noch im Januar und März 1922 die Papiergeldemission 84 Prozent des gesamten Geldeinkommens des Staates deckte, bestritt sie im April-Juni nur mehr 64 Prozent der Staatseinnahmen; die übrigen 36 Prozent wurden durch Steuern und andere Einkünfte aufgebracht. Im September 1922 machten Steuern und andere Einkünfte schon 44 Prozent der Gesamteinnahmen aus. Die Rolle der Emission verringerte sich allmählich, wodurch die notwendigen Voraussetzungen für die Durchführung der Währungsreform geschaffen wurden.

Der Stabilisierung des Sowjetgeldes maß Lenin große Bedeutung bei. „Wirklich wichtig“ – sagte er in seinem Bericht auf dem IV. Kongress der Kommunistischen Internationale – „ist die Frage der Stabilisierung des Rubelkurses Daran arbeiten wir, daran arbeiten unsere besten Kräfte, und dieser Aufgabe messen wir eine entscheidende Bedeutung bei. Gelingt es uns für längere Zeit und später für immer, den Rubel zu stabilisieren, so haben wir gewonnen … Dann können wir unsere Wirtschaft auf festen Boden stellen und sie auf diesem festen Boden weiterentwickeln“.

Der XI. Parteitag lenkte die Finanzpolitik entschieden in die Bahn der Golddeckung für das Papiergeld. Die Emission von sogenannten Tscherwonzen (Banknoten, die Golddeckung hatten) bildete im Herbst 1922 den Auftakt der Währungsreform. Diese Reform wurde im Frühjahr 1924 beendet, als das sinkende Sowjetpapiergeld endgültig außer Kurs gesetzt und von stabilem Geld abgelöst wurde. [Lenin, Ausgewählte Werke, Band 9, Anm. 103]

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